Protocol of the Session on September 11, 2008

Gern möchte ich Maßnahmen empfehlen, um diesem Missstand beizukommen. Doch dieser Bericht versetzt mich nicht in die Lage dazu. Ich hätte mir qualifizierte Zahlen über die sogenannten Altbewerber gewünscht, also Schulabgänger aus den vergangenen Jahren. Wie sieht es mit den Schulabschlüssen aus? Drängen mehr oder weniger Abiturienten auf den Ausbildungsmarkt? Bewerben sich inzwischen noch Hauptschüler, obwohl sie wissen, dass sie kaum eine Chance haben, überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden? Der Bericht sagt nichts dazu.

Mädchen sind gut qualifiziert, haben durchschnittlich die besseren Schulnoten. Warum entschließen sich trotzdem so viele von ihnen für Berufe, die keine oder nur geringe Aufstiegschancen bieten?

Zusammenfassend ist deutlich geworden, dass der Bericht genau die Defizite widerspiegelt, die wir auch auf dem Ausbildungsmarkt finden.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es gibt für den Ausbildungsstellenmarkt keine aktuellen und regionalen Zahlen, solange das Nebeneinander von Kammern und Arbeitsagenturen weiterhin Bestand hat. Sichere, verwertbare Zahlen gibt es erst im Nachhinein, nämlich dann, wenn

man die Ausbildungsverträge zählen kann. Dann ist der Zug allerdings schon weitgehend abgefahren.

Kammern und Arbeitsagenturen stehen in einem routinierten Kontakt. Dennoch fehlt eine zentrale Erfassungsstelle für Ausbildungsplätze in Schleswig-Holstein mit aktuellem Datenmaterial. Weder Ausbildungsbetriebe noch Schulabgänger, geschweige denn die Berater, haben einen Überblick über die Situation. Das finde ich sehr bedauerlich, Herr Kayenburg.

Wir bekommen mehr oder weniger seit Jahren einen Ausbildungsbewerberbericht. Ich halte diesen nicht für ausreichend. Die Zahlen sind, wie gesagt, unbrauchbar, und die Schlussfolgerungen des Wirtschaftsministers erscheinen willkürlich. In dem Bericht heißt es beispielsweise: ,,Die Anforderungen in die Ausbildung steigen, die Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen dagegen sinkt seit einigen Jahren.“

Ich möchte angesichts dieses dramatischen Befundes schon gern wissen, was die Bildungsministerin dazu sagt, schließlich trägt sie die politische Verantwortung für die schulische Qualifikation, die hier vom Wirtschaftsminister - nicht von mir - kritisiert wird.

Mit der Verzahnung schulischer und betrieblicher Wirklichkeit scheint es also nicht so weit her zu sein, das legt zumindest der Bericht nahe. Daran muss sich schleunigst etwas ändern.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings gilt auch hier wie beim ganzen Bericht die Devise: Nichts Genaues weiß man nicht. Das ist angesichts der Wichtigkeit dieses Themas viel zu wenig.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Harms. - Das Wort für die Landesregierung hat nun die Bildungsministerin, Frau Ute Erdsiek-Rave.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist zwischen Herrn Marnette und mir vereinbart, dass ich paar Sätze zu dem sage, was hier zum schulischen Bereich angesprochen worden ist. Die Wahrheit hat wie immer viele Facetten in diesem Be

reich. Wahr ist natürlich, dass aus der Mischung zwischen demografischer Entwicklung und Fachkräftebedarf in den nächsten Jahren bessere Ausbildungschancen für diejenigen, die ausreichend qualifiziert sind, entstehen. Wahr ist aber natürlich auch, dass in Zukunft der Bedarf an Geringqualifizierten mit einem niedrigen Ausbildungsstand insgesamt niedriger werden wird und das natürlich diejenigen, die so auf den Arbeitsmarkt kommen, immer schlechtere Chancen haben.

Wahr ist aber auch, dass wir uns um dieses Problem kümmern. Es ist immer so, dass in solchen Situationen das, was an anderer Stelle geschieht, überhaupt gar nicht zur Kenntnis genommen wird. Das spielt in der Debatte dann plötzlich gar keine Rolle und wird ausgeblendet. Hier sitzen drei Minister, die sich intensiv um die Frage der Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit von schwierigen Jugendlichen befassen - und dazu zählen nicht generell alle Hauptschüler. Das will ich hier auch einmal sagen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich bin es einfach leid, dass hier eine ganze Gruppe von jungen Menschen derartig abqualifiziert wird. Das darf man nicht tun, denn damit motiviert man sie nun wirklich nicht, ihre eigene Leistungsbereitschaft vielleicht noch etwas zu fördern.

Wir haben in ganz Deutschland ein Problem mit jungen Menschen, die aus schwierigen sozialen - wir haben uns angewöhnt zu sagen „bildungsfernen“ - Elternhäusern kommen, und wir haben ein riesiges Problem mit Migranten, weil wir die Integration dieser Menschen über Jahrzehnte in Deutschland vernachlässigt haben. Da müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen.

Was tun? Ich habe eben gesagt, hier sitzen drei Minister, die sich um dieses Problem kümmern - nicht nur um die Frage der besseren Integration von Migranten, sondern auch um die Verbesserung ihrer Ausbildungsfähigkeit, um mehr Ausbildungsplätze, gerade für und auch von Migranten. Wir haben hier in der Vergangenheit - und das wird hier gar nicht zur Kenntnis genommen - ein Riesenprogramm mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds, mit Mitteln der Arbeitsverwaltung aufgelegt. Das haben inzwischen auch die Berliner zur Kenntnis genommen.

Herr Scholz wird demnächst nach Schleswig-Holstein kommen und sich angucken, wie man das machen kann, was jetzt von allen gefordert wird, dass jetzt nämlich Mittel der Bundesagentur für Arbeit schon in den Schulen eingesetzt werden, um Berufsvorbereitung und Ausbildungsvorbereitung

(Lars Harms)

dort zu verbessern. Das sind die Programme „Schule und Arbeitswelt“ und „Niemanden zurücklassen“. Das haben wir inzwischen an über 100 Schulen. Das ist kein Mini-Modellprogramm, das wir irgendwo fahren, sondern das ist ein breit angelegtes Programm, was auch wirklich Wirkung zeigen wird. Da bin ich mir ziemlich sicher.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich habe in den Sommerferien ein Feriencamp auf Sylt besucht. Da waren ungefähr vierzig Hauptschüler aus dem Flensburger Raum, die dort vierzehn Tage lang eine Art kollektive Nachhilfe bekommen haben, getragen als Projekt von der Lüneburger Universität, durchgeführt mit schleswig-holsteinischen Schülern. Wenn sie mit diesen jungen Schülern reden, oder auch mit den Schülern, die in den Berufseingangsklassen in den Beruflichen Schulen sind, dann lernen Sie etwas über Schicksale von jungen Menschen. Da bekommen Sie Zweifel, ob man es so stehen lassen kann, dass das an der mangelnden schulischen Versorgung oder am Unterricht liegt. Das sind zum Teil Kinder, die Schicksale hinter sich haben, die sich keiner von uns wirklich ausmalen kann. Die brauchen mehr als nur zwei Unterrichtsstunden mehr in der Woche. Die brauchen wirklich intensivste Förderung, auch außerhalb der Schule und über die Schule hinaus.

Da muss man auch die Eltern einbeziehen. Ich glaube, wir müssen uns davon lösen, dass die Schule diese Probleme allein lösen kann. Das soll jetzt keine Entschuldigung sein, das ist aber so.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Detlef Buder [SPD])

Es gibt Eltern, die sich überhaupt nicht um ihre Kinder kümmern, bei denen das Bewusstsein dafür - man muss auch sagen, bei manchen Migrantenfamilien - überhaupt nicht da ist, dass Bildung wertvoll ist, Familien, die sich im Grunde schon im Transfersystem eingerichtet haben. Das ist schwierig, aber da muss Hilfe von Anfang an erfolgen.

Eines will ich zum Schluss noch zurückweisen. Die Beruflichen Schulen und das Übergangsystem hier pauschal abzuqualifizieren, das empfinde ich den Anstrengungen der Beruflichen Schulen gegenüber, diese Schüler noch ausbildungsfähig zu machen und in eine Anschlussqualifikation zu geben, als zutiefst ungerecht.

(Beifall bei CDU sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist auch nicht wahr, dass das Übergangssystem generell etwas ist, was wir mal eben so als schlecht, unqualifiziert und nichts bewirkend abtun sollten. Das ist einfach nicht der Fall.

Ich bleibe dabei. Wir müssen mehr tun. Das ist ganz klar. Das ist das größte nationale Problem. Nicht umsonst beschäftigen sich alle damit, denn daraus wird eine riesige sozialpolitische Verwerfung erwachsen, wenn wir nicht massiver etwas dagegen tun. Das ist aber beileibe nicht nur ein schulisches Problem. Das ist eine sozialpolitische und eine integrationspolitische Herausforderung. Darüber in breiterer Form zu reden, statt hier Schuldzuweisungen zu machen, finde ich diesem Problem angemessener.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat mich noch einmal an das Rednerpult getrieben. Ich bestreite nicht, dass sich drei Minister darum kümmern und dass sich Mühe gegeben wird. Das ist aber ein Bericht, der die Probleme praktisch ignoriert. Im letzten Jahr sind genau 42,8 % aller Jugendlichen im Übergangssystem gelandet. Wenn dann gesagt wird, es gebe einen ausgeglichenen Lehrstellenmarkt, dann ist das eine völlige Verkennung der Realität.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Frau Erdsiek-Rave, Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln. Das steht im Nationalen Bildungsbericht der Bundesministerin. Sie können sagen, es sei alles Unsinn, was da drinsteht. Hier wird genau zwischen den verschiedenen Sektoren unterschieden. Sie können das im Nationalen Bildungsbericht nachlesen. Da steht, dass 42 % der Jugendlichen in einem Übergangssystem sind, das keine Qualifikation liefert. Das steht im Nationalen Bildungsbericht. Das sind Zahlen für Schleswig-Holstein. Das ist etwas, mit dem ich erst einmal umgehen muss. In diesem Jahr gibt es eine Verbesserung um 1,4 %. Damit ist die Welt noch nicht in Ordnung. Das muss ich zur Kenntnis nehmen. Wenn vom Ministerium dann ein Bericht vorgelegt wird, in dem auf

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

diese Frage überhaupt nicht eingegangen wird, dann ist es berechtigt, zu sagen, das geht so nicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Wir haben große Probleme. Wir haben insbesondere in den Migrantenmilieus große Probleme. Das wissen wir. Wir wissen, dass es bei zwei Migrantengruppen - nämlich aus russischen und aus türkischen Elternhäusern - der Fall ist, dass praktisch die Hälfte der Jugendlichen keine Ausbildung macht. Das ist gravierend. Das liegt teilweise auch daran, dass dort die Ausbildungskultur nicht bekannt ist.

Wir brauchen deshalb Systeme, die direkt von der Schule in die Ausbildung führen. Wir müssen endlich das System der Produktionsschulen anpacken. Das steht im Nationalen Bildungsbericht, der von einer konservativen Ministerin geschrieben wurde. Dort steht explizit, dass dieses Thema angepackt werden muss. Es ist ein großer Fortschritt, dass dies auch von dieser Seite so gesehen wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde es sehr erfreulich, dass Frau Schavan das hineingeschrieben hat. Ich finde, es ist dringend notwendig, dass wir diese Debatte in SchleswigHolstein führen. Nachdem wir sie eingebracht haben, ist diese Debatte zweimal abgeblockt worden. Wir müssen das Thema anpacken.

Frau Erdsiek-Rave, zum Schluss möchte ich noch etwas zu den Berufsschulen sagen: Ich bin in der letzten Zeit sehr oft in Berufsschulen gewesen. Dort habe ich mich mit Berufsschullehrern unterhalten. Ich kann Ihnen eines sagen: Die Berufsschullehrer machen eine sehr gute Arbeit und engagieren sich, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Die Probleme, die ich hier geschildert habe, sind aber die Probleme, die ich jedes Mal geschildert bekomme, wenn ich an den Berufsschulen bin. Das heißt, ich gebe hier das wieder, was ich vor Ort höre. Da können Sie nicht mit Polemik dagegen reden und sagen, die Berufsschullehrer würden eine tolle Arbeit machen. Ja, die machen eine tolle Arbeit, aber sie sind auch verzweifelt, weil die Instrumente nicht in Ordnung sind und weil das System nicht in Ordnung ist. Wir haben einen chaotischen Übergang von den Schulen in die Berufsausbildung. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten und Stränge an Fördermaßnahmen, dass kaum noch jemand durchblickt. Sie müssen sich einmal die Grafiken angucken, die da gemalt werden.

(Zuruf der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

- Ich bin gern bereit, über die Lösungen zu reden. Ich habe schon angekündigt, dass ich den Antrag, den ich Anfang des Jahres gestellt hatte, gern wieder zur nächsten Tagung in den Landtag einbringe. Dann können wir uns darüber unterhalten. Ich habe es aber satt, dass an den Problemen vorbeigeredet wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Frau Abgeordnete Anette Langner hat das Wort.

Frau Präsidentin! Ich will gern über die gesamte Problematik diskutieren. Wir haben auch gesagt, dass wir den Bericht an den Ausschuss überweisen. Wir haben in dem Bericht eine ganz bestimmte Fragestellung verfolgt. Wir haben gesagt, es geht um den Ausbildungsstellenmarkt. Ich finde, der Herr Minister hat differenziert zu dem Stellung genommen, was dort an Zahlen genannt wurde. Wir haben nicht nach den verschiedenen Formen in Ihrem sogenannten Übergangssystem gefragt. Dass diese Frage ein völlig neues Fass aufmacht, ist - so glaube ich - allen, die hier sind, völlig klar. Ich glaube, aus allen Redebeiträgen, die hier gemacht wurden, ist deutlich geworden, dass keiner von uns das Problem kleinredet. Wir alle sind uns sehr darüber bewusst, dass wir es mit einem großen Problem zu tun haben. Wir wissen, dass wir alle an einem großen Rad drehen, und wir versuchen, das Problem entsprechend zu lösen.