Protocol of the Session on July 17, 2008

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

gregelung für Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung im neuen KWK-Gesetz. Es ist also mit der Errichtung neuer Kohlekraftwerke ein betriebswirtschaftlich unkalkulierbares Risiko verbunden.

Die Gutachter für Kiel haben festgestellt, dass ein neues Kohlekraftwerk mit weniger als 6.000 Volllaststunden im Jahr unwirtschaftlich wäre, und zwar wegen des sogenannten Redispatch, also des Herunterfahrens des Kraftwerks. Darüber hinaus kommen deutsche Kohlekraftwerke mit im Durchschnitt unter 5.000 Volllaststunden wirtschaftlich nicht hin. Windstrom wäre da günstiger.

Ex-Minister Austermann hat kurz vor seinem Ausscheiden noch eine weitere Provokation gestartet,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Neue Schilder!)

nämlich neben den neuen Schildern eine neue Initiative für die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken, genannt Atomkonsens II. Dazu sollte es eine Kabinettvorlage geben. Ich frage: Gibt es diese Kabinettvorlage? Wird es die geben? Mit uns wird es jedenfalls kein Aufweichen des in der rotgrünen Regierungszeit beschlossenen Atomkonsenses geben.

(Zuruf von der CDU: Ihr seid auch nicht im Kabinett!)

Wie die gestrige Debatte gezeigt hat, läuft hier offenbar der Film „CDU allein im Hohen Haus“.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch einmal zur Kohle und zum schleswig-holsteinischen Umweltminister: Dr. von Boetticher hat mehrfach richtigerweise erklärt, dass in Zukunft fossile Energieträger nur in Kraft-Wärme-Kopplung verstromt werden dürfen. Danach wäre das Gemeinschaftskraftwerk Kiel noch überdimensioniert, weil es viel mehr Strom produziert, als Wärme auskoppelt. Hocheffiziente KWK, das ist ein Weg, den wir mitgehen können, Herr Ministerpräsident. Der Umweltminister müsste aber, wenn er diese Meinung so ernsthaft wie in Sonntagsreden vertritt, im Kabinett auf den Tisch hauen, eine Vorlage einmal nicht mitzeichnen und die Landesregierung zu einem Kurswechsel auffordern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dänemark erzeugt über 60 % seines Stromes in Kraft-Wärme-Kopplung, Deutschland nur 12 %. Angesichts dessen liegt es doch auf der Hand, wo es bei uns hingehen muss. Wir reden und reden; lesen Sie einmal die Reden der verschiedenen energiepolitischen Sprecher zum Beispiel in der Zeit von 1996 bis 1998; das ist mehr als eine Dekade

her. Alle haben das Wort des Standby-Stromverbrauchs kritisch in den Mund genommen. Bis heute ist auf diesem Gebiet aber nichts geschehen. Umwälzpumpen ist ein weiteres Stichwort. Es gibt rund 30 Millionen Umwälzpumpen in Deutschland. Zwei bis drei große Kohlekraftwerke wären durch eine einfache ordnungsrechtliche Regelung diesbezüglich einzusparen. Die Reihe der Beispiele könnte leicht noch verlängert werden.

Wir sind weiterhin der Meinung, dass die elektrischen Netze nicht nur, wie die EU es fordert, Ownership Unbundling erfahren sollten, das heißt, aus der Hand der großen Netzbetreiber oder der integrierten Konzerne herausgenommen werden sollten, sondern auch in die öffentliche Hand als notwendige Infrastruktur der Daseinsvorsorge überführt werden sollten, vergleichbar Autobahnen, Bahnschienen und so weiter.

Wir behandeln bei dieser Debatte zwei Tagesordnungspunkte zusammen. Ich komme nun auf den zweiten Punkt zu sprechen. Wir sind in die Diskussion über Sozialtarife eingetreten. Wir glauben aber, dass diese in der bisher in die Diskussion gebrachten Form sehr schwer umzusetzen sind. Wir machen deshalb den Vorschlag, den ich hier auch erläutern will, die Strompreisstruktur als eine lex specialis zum EnWG aufzunehmen. Wir fordern den Wegfall von Grundgebühren oder Leistungspreisen. Wir fordern lastvariable Tarife. Wir fordern eine intelligente Messung von Stromverbräuchen, die den Kunden auch die jeweilige Marktsituation signalisieren kann. Wir fordern, dass Kunden, die aus sozialen Gründen ihre Tarife nicht bezahlen können, wenigstens ein Vorkassesystem angeboten bekommen. Das ist kein unwichtiger Punkt. Hier sind in der Regel Haushalte betroffen, die sich in desolaten Verhältnissen befinden. Man kann in solche Verhältnisse geraten, ohne Schuld zu haben. Ich erinnere hier nur an das Beispiel der hochschwangeren Frau aus Lübeck, der der Mann weggelaufen ist. Sie kam ins Krankenhaus. Als sie aus dem Krankenhaus zurückkam, war der Strom abgeschaltet und sie stand mit drei kleinen Kindern und einem Neugeborenen da und konnte die Familie nicht versorgen. Das ist kein Einzelfall. Mit Blick auf solche Fälle muss dringend etwas geschehen.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Preis hat in einer Marktwirtschaft auch die Funktion, die Knappheit eines Gutes zu signalisieren. Das tut der Strompreis aber nicht. Wir wissen, dass der Strom in der Erzeugung an einem kalten

(Detlef Matthiessen)

Wintermorgen sehr viel teurer ist als in einer lauen Sommernacht, in der wenig Strom verbraucht wird.

Herr Kollege, die zehn Minuten sind um.

(Zuruf von der CDU: Gott sei Dank!)

Danke, Herr Kollege, für Ihre kollegiale Bemerkung.

Minister Marnette hat gesagt, wir sollten uns in dieser Diskussion keine Denkverbote auferlegen. Mir kommt die Diskussion manchmal vor wie ein Dauerkrieg in gut befestigten Gräben. Wir sollten diese Gräben verlassen. Wir brauchen einen Energiekonsens. Bei der Kernkraft gab es einen Konsens. Wir müssen die Diskussion über die Energiefrage - das ist die Zukunftsfrage für unsere Nation - sehr seriös und sorgfältig führen. Ich plädiere daher dafür, hier nicht in der Sache abzustimmen, sondern beide Anträge den Ausschüssen zu überweisen und dort seriös darüber zu diskutieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Matthiessen. - Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Manfred Ritzek das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich übernehme gern das, was Herr Kollege Garg gesagt hat, nämlich dass bei der Behandlung dieser beiden Tagesordnungspunkte Anregungen gegeben werden können. Die energiepolitischen Leitlinien der Landesregierung sind ja für die nächste Landtagsdebatte eingefordert worden. Insofern können wir heute Inputs geben, die vielleicht bei der endgültigen Definition der Leitlinien Verwendung finden.

In den Beiträgen der ersten beiden Redner hat sich gezeigt, dass eine Konfrontation bezüglich der Kernenergie und eine Konfrontation bezüglich der Energie aus Kohle bei den Grünen zu spüren ist. Hier sind ja zwei Themen angesprochen. Ich hatte mich eigentlich darauf vorbereitet, auch zu dem zweiten Thema etwas zu sagen. Herr Kollege Garg

hat dazu nichts gesagt. Er hat sich offensichtlich ausschließlich auf seinen Antrag konzentriert.

Das Grünbuch „Schleswig-Holstein Energie 2020“ ist schon erwähnt worden. Dieses Grünbuch gibt bereits viele Antworten auf energiepolitische Fragen, insbesondere auf Fragen der FDP. Es ist sicherlich die Überzeugung des Hohen Hauses, dass die Energiepolitik auch für unser Land von zentraler Bedeutung ist. Es sind nicht nur die Kostensteigerungen für Energie, die in diesem Jahr bis heute bundesweit zu Mehrkosten von circa 25 Milliarden € geführt haben, was mit einer Mehrbelastung von circa 650 € für einen Durchschnittshaushalt gleichbedeutend ist. Das ist viel Geld. Das sind hohe Kosten, die nicht jede Familie tragen kann. Nicht nur die Kostensteigerungen bei Energie, sondern auch die Problemstellungen des Klimawandels und der Versorgungssicherheit gehören in den Bereich eines verantwortungsvollen energiepolitischen Handelns.

Wir brauchen einen intelligenten und zukunftsweisenden Energiemix - das ist schon gesagt worden für eine preisgünstige, sichere und umweltverträgliche Energieversorgung. Was diesen Punkt angeht, so gibt es, wie auch gestern bereits deutlich wurde, Meinungsunterschiede. Der zukunftsweisende Energiemix muss nach der Überzeugung meiner Fraktion erneuerbare Energien, fossile Energieträger und Kernenergie beinhalten.

(Beifall des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

Ein breiter Energiemix ist die beste Gewähr für eine ausreichende Sicherheit gegen Risiken eines einzelnen Energieträgers.

(Beifall des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

Dabei muss der Einsatz erneuerbarer Energien bei einem Energiemix der Zukunft Mittelpunkt energiepolitischer Leitlinien sein.

Der Anteil der erneuerbaren Energien wird zunehmend zu einer unabhängigeren Versorgung führen. Er muss forciert ausgebaut werden. Das braucht aber Zeit. Schleswig-Holstein ist, was die Windkraft angeht, heute bereits führend. Heute decken wir mit einer Windenergiekapazität von fast 2.400 MW pro Jahr circa 35 % des Strombedarfs. Wir haben uns das Ziel gesetzt - das ist im Grünbuch nachzulesen -, bis zum Jahr 2020 den gesamten Strombedarf durch Windkraft, bezogen auf die Kapazität der Windkraftanlagen, zu decken. Das geht, wie wir wissen, nicht ohne Grundlast anderer

(Detlef Matthiessen)

Energieträger und nicht ohne die Optimierung der Stromleitungsnetze, und zwar nicht nur regional für Stromleitungsnetze für Offshore-Anlagen, sondern natürlich auch für länderübergreifende Netze, um an die entsprechenden Systeme heranzukommen. Auch andere Potenziale wie Solarenergie, Biomasse, Geothermie, Wasserstoff und Photovoltaik müssen verstärkt genutzt werden.

Um den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien bis zur Übernahme des größten Teils der Stromund Wärmeversorgung für die nächsten 20 bis 25 Jahre zu gewährleisten, ist es nach unserer Überzeugung notwendig, über die Rolle der Kernenergie, über eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke nachzudenken, was wir gestern ausreichend getan haben. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag ein Stillhalteabkommen bezüglich energiepolitischer Initiativen bei Kernenergie vereinbart. Wir halten uns daran. Pacta sunt servanda. Es ist jedoch die Überzeugung der CDU-Fraktion, dass es allein durch die erneuerbaren Energien mittelfristig nicht möglich ist, die erforderliche Leistung der derzeit am Netz befindlichen Kernkraftwerke bei den geplanten Abschaltzeiten zu ersetzen. Ob eine anteilige Verwendung der Windfall-Profits zu einer Senkung des Strompreises führen kann, wenn wir die Kernkraftlaufzeiten möglicherweise verlängern, muss geprüft werden. Ganz klar sei hier im Namen der CDU-Fraktion aber gesagt: Die Sicherheit der Kernkraftwerke hat nach wie vor höchste Priorität.

(Beifall bei der CDU)

Nun zur Windkraft. Die von Bundesminister Tiefensee bis zum Jahre 2030 anvisierten 25.000 MW beziehungsweise die bis zum Jahre 2020 anvisierten 15.000 MW aus Offshore-Strom sind noch keine sichere Bank für eine Energieversorgung, zumal in diesem und im nächsten Jahr gerade einmal jeweils sechs 5-MW-Anlagen gebaut werden sollen. Bis zu den 4.000 bis 6.000 Anlagen in der Nordund Ostsee - mit all den erwarteten Problemen - ist es noch ein weiter Weg.

Nun zum Thema Kohle. Je nach Weiternutzung der Kernkraftwerke stellen auch die Kohlekraftwerke nach unserer Überzeugung eine wichtige Brückentechnologie dar. Die Nutzung von Kohlekraftwerken ist unter dem Gesichtspunkt der Grundlast, der Wirtschaftlichkeit und der Strukturpolitik unseres Landes auf absehbare Zeit unverzichtbar.

Dabei setzen wir auf die neue Generation von Kohlekraftwerken mit deutlich höherem Wirkungsgrad und CO2-Sequestrierung. Dort, wo vom Absatz her möglich, fordern wir die Technik und Anwendung

der Kraft-Wärme-Kopplung bei modernen Kohlekraftwerken. Es gilt dabei die strikte Forderung, dass alte Kohlekraftwerke durch neue ersetzt werden müssen.

Der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung ist ein bedeutender Faktor im Energiemix als dezentrale Lösung. Landesweit erreichen wir heute einen Anteil von 15 % Kraft-Wärme-Kopplungs-Strom. Die notwendigen verdichteten Wohngebiete für die Anwendung von Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen lassen - so steht es auch im Grünbuch - nur noch einen Anstieg um 5% auf dann 20 % zu.

(Olaf Schulze [SPD]: Das ist doch lächer- lich!)

Hierbei muss auch darauf hingewiesen werden, dass Erdgas als Energieträger den fast gleichen Preisentwicklungen und Abhängigkeiten folgt wie Rohöl.

Energieeffizienz! Wir setzen auf Energieeinsparung und Energieeffizienz. Allein für die Erhöhung der Energieeffizienz stehen in Schleswig-Holstein für die Jahre 2007 bis 2009 aus dem Schleswig-Holstein-Fonds 11 Millionen € zur Verfügung. Diese Mittel werden um EU-Mittel aus dem Zukunftsprogramm durch Landesmittel ergänzt. Gefördert werden zum Beispiel neue Techniken zur Heizenergieeinsparung in Alt- und Neubauten, Verbesserung der Energieeffizienz in Blockheizkraftwerken, Anlagen der Biomassenutzung und vieles mehr.

Wir unterstützen alle Aktionen von Installations-, Heizungs-, Elektro-, Automobil- und Architektenverbänden wie auch der Verbraucherschutzorganisationen, die die Verbraucher auf die persönlichen Energieeinsparmöglichkeiten der vielfältigsten Art im privaten und unternehmerischen Umfeld hinweisen. Ein Einsparpotenzial von 30 % ist jedenfalls realistisch.

Zu den Fragen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN! Initiativen insbesondere von Stadtwerken zur Gestaltung einer ökologischen und sozialen Strompreisstruktur unterstützen wir, was aber nicht bedeuten kann, dass das Land einen unmittelbaren Einfluss auf den Strompreis nimmt. So verkennt zum Beispiel der Verzicht auf Grundgebühren, der im Antrag gefordert wird, dass nur der geringste Teil der Kosten variable Kosten sind, also vom Stromverbrauch abhängen. Das heißt, eine nur variable Preisgestaltung würde somit nur eine soziale Umverteilung der Lasten bedeuten und wäre ein weiterer Eingriff in die Wettbewerbs- und Angebotsfreiheit.

(Manfred Ritzek)

(Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])