Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird niemanden in diesem Hause verwundern, dass wir den vom Innenminister vorgelegten Entwurf zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes mit großer Skepsis sehen, auch wenn wir ihn nicht von vornherein ablehnen, Herr Innenminister, und das Bemühen anerkennen, zu einer Abwägung zwischen Sicherheitsinteressen und Freiheitsrechten zu gelangen.
Es ist wieder einmal ein Gesetzentwurf aus dem schwarz-roten Kabinett, der weitere Eingriffsbefugnisse in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger vorsieht, aber keine fachlich saubere inhaltliche Begründung für deren Notwendigkeit liefert.
Bei der Lektüre des Gesetzentwurfes und insbesondere seiner Begründung erschleicht einen das Gefühl, dass es weniger der eigenen Überzeugung des Innenministers, sondern vielmehr dem Koalitionsvertrag geschuldet ist, dass wir heute über eine Änderung des Verfassungsschutzgesetzes debattieren. Die SPD hatte im Koalitionsvertrag schließlich zugesagt, die Eingriffsbefugnisse unseres Verfassungsschutzes denen des Bundes anzupassen. Genau das geschieht jetzt.
pflichten von Telekommunikationsanbietern, Kreditinstituten, Luftfahrtunternehmen oder Postdienstleistern gegenüber dem Verfassungsschutz werden im Gesetz verankert. Es werden Kompetenzen zur Erhebung von Daten Minderjähriger eingeführt und die Möglichkeiten zur Handyortung erleichtert.
Wenn es auf den ersten Blick etwas wirklich Positives an diesem Gesetzentwurf gibt, dann ist es die Tatsache, dass die nachrichtendienstlichen Mittel, die künftig eingesetzt werden dürfen, nun durch dieses Gesetz festgeschrieben und nicht mehr im Rahmen einer Dienstvorschrift geregelt werden.
Adressaten der Überwachung sind künftig so genannte Zielpersonen, deren Kontaktpersonen oder so genannte Nachrichtenmittler. Das kann insbesondere für die im Gesetz geregelten Kontaktpersonen ernsthafte Konsequenzen haben.
Wer in irgendeiner Art zu einer vom Verfassungsschutz beobachteten Zielperson in persönlichem oder geschäftlichem Kontakt steht, auch ohne zu wissen, dass es sich bei dem Freund oder Geschäftspartner um eine solche Zielperson handelt, der kann künftig planmäßig beobachtet werden. Zudem können verdeckte Bild- und Tonaufnahmen gefertigt und das Telefon überwacht werden.
Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, welch absurde Züge dies annehmen kann, konnten wir in den vergangenen Tagen nachlesen. In den Vereinigten Staaten stehen mittlerweile mehr als eine Million Personen auf einer sogenannten TerrorWatch-List, die relativ wenig aussagekräftig ist, wie wir gesehen haben. Die Tatsache, dass beispielsweise der uns allen bekannte Cat Stevens nunmehr firmierend unter dem Namen Yussuf Islam deshalb nicht in die USA einreisen durfte, weil er zum Islam konvertiert ist, zeigt, in welche Richtung wir uns nicht bewegen dürfen, wenn wir unsere freiheitliche Gesellschaft nicht ad absurdum führen wollen.
Zum wiederholten Male fehlt eine wirkliche Begründung für die im Gesetzentwurf festgeschriebenen Maßnahmen. Vom aktuellen Verfassungsschutzbericht wird sie nicht geliefert; denn die Aussage des Verfassungsschutzes zur Lage in Schleswig-Holstein lautet: Es ist auch mit den bisherigen Möglichkeiten alles unter Kontrolle. - Das wird uns der Innenminister noch genauer im Ausschuss genauer erklären müssen, um inhaltlich zu überzeugen.
Als wahre Farce hat sich mittlerweile der Hinweis des Innenministeriums erwiesen, dass der Gesetzentwurf keine Auswirkungen auf die private Wirtschaft haben werde. Hierzu möchte ich einen Satz aus dem Gesetzentwurf zitieren, der wirklich bemerkenswert ist: „Im Übrigen stehen den Belastungen der Unternehmen Einsparungen gegenüber, die sich aus einer verbesserten Sicherheitslage und der ungestörten Entwicklung der Volkswirtschaft ergeben.“ Das ist ein wirklich bemerkenswerter Satz. Zynisch wäre noch untertrieben, das ist einfach Unsinn.
Am 25. Juli 2008 wird es eine Veranstaltung der IHK Flensburg mit dem Verfassungsschutz Hamburg, aber bedauerlicherweise nicht mit unserem Verfassungsschutz, geben. Der Titel lautet: „Geschäftsreisende im Visier fremder Nachrichtendienste“. In der Einladung heißt es wie folgt: „In der globalisierten Welt wird es für Unternehmen immer wichtiger, Standorte im Ausland zu gründen und Kontakte vor Ort zu knüpfen. Weltweite Geschäftsreisen sind heute daher auch für kleine und mittelständische Unternehmen unverzichtbar. Doch wer auf Geschäftsreise geht, unterliegt auch einem erhöhten Risiko, Opfer von Know-how-Diebstahl zu werden. Was sich nach James Bond anhört, ist für viele Geschäftsleute bereits Realität geworden - mit erheblichen finanziellen Schäden.“
Die Wirtschaft macht also mittlerweile Fortbildungen darüber, wie man Geschäftsbeziehungen knüpfen oder aufrechterhalten kann, ohne in den Fokus von Nachrichtendiensten zu gelangen, oder wie man sich gegen die Angriffe von Nachrichtendiensten wehren kann. Wer vor diesem Hintergrund sagt, dass sich die übertriebene Sicherheitsgesetzgebung der vergangenen Jahre wirtschaftlich nicht nachteilig auswirke, der hat schlechthin nichts verstanden.
Für viele Unternehmen sind Datenschutz und Datensicherheit ihrer Geschäftsgeheimnisse essentiell für ihr Überleben. Das wird einige unserer Nachrichtendienste künftig vor technische Probleme stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Satz, der mir am Montag anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Landeszentrums für den Datenschutz in Schleswig-Holstein aufgefallen ist, bei dem Vertreter der Regierung bedauerlicherweise nicht anwesend waren, was ich bemängele, der mir sehr gut gefallen hat, möchte ich zum Abschluss kurz zitieren und dem Kollegen Stegner in Erinnerung rufen: „Das Grundgesetz beginnt nicht mit dem Staat, nicht mit der Gesellschaft, sondern mit dem Einzel
nen, seiner Würde, seiner Privatheit, die zu schützen Aufgabe aller staatlichen Gewalt ist.“ Das muss der Maßstab sein, unter dem wir diesen Gesetzentwurf diskutieren. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss.
Ich erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Fraktionsvorsitzenden und Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf steht nach den Worten von Minister Hay unter der Prämisse „Mit den Instrumenten des Rechtsstaates gegen seine Feinde effizient vorgehen“. Dazu wird der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes auf den internationalen Terrorismus erweitert. So weit so gut.
Ich halte es aber für problematisch, wenn Privatunternehmen durch dieses Gesetz verpflichtet werden können, dem Verfassungsschutz Auskunft über Passagier-, Konto-, Post- und Telekommunikationsdaten zu geben. Der Verfassungsschutz ist keine Polizeibehörde. Weshalb müssen Privatfirmen dem Verfassungsschutz entsprechende Informationen liefern?
Seit dem 11. September 2001 führen wir eine Debatte, die mich zunehmend beunruhigt. Es wird ständig darüber diskutiert, wie wir die innere Sicherheit besser gewährleisten können. Ich sage ganz deutlich: Sicherheit ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine freizügige Gesellschaft. Terrorismus erzeugt ein Klima von Angst und Schrecken und gefährdet das Leben in Freiheit.
Die Bedrohungen durch den Terrorismus nehmen wir ebenso ernst wie die Herausforderung, ihn zu bekämpfen. Bei der Wahl der Mittel dürfen wir aber nicht über das Ziel hinausschießen; denn es geht um die Freiheit des einzelnen Bürgers.
Wir müssen uns fragen, aus welchen tatsächlichen Gründen heraus der Verfassungsschutz diese neuen Kompetenzen benötigt. Weshalb sind die bisherigen Regelungen nicht ausreichend? Der bloße Hinweis auf bundeseinheitliche Gestaltung rechtlicher
Vorschriften reichte nicht aus. Den hatten wir schon bei der Rasterfahndung. Diese hatte sich nach allen Berichten der Landesregierung als überflüssig erwiesen.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf einige Punkte eingehen. In § 8 a gehen Sie bezüglich der Auskunftsrechte und -pflichten von Finanzdienstleistern und Bankinstituten deutlich über die Regelung des Bundesrechts hinaus. Warum?
Die bisherigen Ergebnisse der Schleppnetzfahndung in der Welt der Banken zu Geldern, die von terroristischen und extremistischen Gruppen verwendet wurden, war bis zum Jahr 2003 lediglich 4.935 €, wie das Bundeswirtschaftsministerium mitgeteilt hat. Unter Effizienzgesichtspunkten scheint mir diese Regelung des Sicherheitspakets II ein Flop zu sein. Dies ist sicher kein besonderer Grund, diese Regelung in schleswig-holsteinisches Landesrecht zu übertragen.
Nun zum Stichwort Telekommunikationsdaten. In § 8 a wird auf das Telekommunikationsgesetz verwiesen. Nach diesem Gesetz wird jeder Anruf und jeder Zugriff auf eine Webseite sechs Monate lang gespeichert. Zur Verfolgung bestimmter Straftaten sollen die Behörden nun auch in Schleswig-Holstein darauf zugreifen können. Uns geht das zu weit. Das sage ich deutlich.
Noch schlimmer ist das Prinzip der Vorratsdatenspeicherung ohne Anlass, ohne Verdacht, ohne Ermittlungsinteresse. Der Verfassungsschutz darf also Informationen über Menschen einziehen, die nichts getan haben, nur weil es sein könnte, dass sie in Zukunft etwas tun könnten. Meine Damen und Herren, ich glaube, das geht zu weit.
In § 8 kommen Sie zum ISMI-Catcher. Da geht es also um die Handyüberwachung. Festgestellt werden soll, wo sich ein Bürger mit einem Handy befindet, wo er langgegangen ist, wo er sich aufhält. Damit können Bewegungsbilder erstellt werden. Und das nicht von der Polizei, die einen Verbrecher verfolgt, wie wir das häufig im Fernsehen sehen, sondern vom Verfassungsschutz, der Verfassungsfeinde verfolgen soll. Und was ist mit unbescholtenen Bürgern?
Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger schützen. Zum Schutz der Bürger gehört auch, ihre Freiheit zu bewahren. Wir wollen selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger ohne Angst vor ständiger Überwachung und staatlicher Allmacht. Innere Sicherheit basiert auch auf dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihren Staat. Auch das muss gestärkt werden.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hentschel und erteile für den SSW im Landtag der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als 2007 das neue schleswig-holsteinische Polizeigesetz verabschiedet wurde, gab der SSW unter anderem zu bedenken, dass der damalige Innenminister keine konkreten Belege dafür liefern konnte, die eine Verschärfung der Einsatzmittel der Polizei gerechtfertigt hätten. Man konnte damals nur vermuten, dass sich Terroristen in Schleswig-Holstein aufhalten und Anschläge planen. Trotzdem wurden im Polizeigesetz umfangreiche Maßnahmen zur Überwachung beschlossen, die im Übrigen teilweise wieder einkassiert werden mussten.
Die gleiche Situation haben wir heute, vor der Verabschiedung der Umsetzung des zweiten Anti-Terror-Pakets. Konkrete Beweise für die Zunahme terroristischer Aktivitäten kann der Innenminister nicht liefern. Wahrscheinlich müssen darum die Anschläge vom 11. September als Begründung herhalten. Meines Wissens haben die Bundesländer Bremen und Sachsen-Anhalt das Anti-Terror-Paket noch nicht umgesetzt; alle anderen Länder haben das gemacht. Auch die schleswig-holsteinische Landesregierung sah bisher keinen Bedarf, dieses zweite Sicherheitspaket umzusetzen. Das spricht eigentlich für Schleswig-Holstein.
Nun ist mir bewusst, dass es hier um die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes geht. Auch hier ist die Frage gerechtfertigt: Wieso jetzt, wieso können wir nicht bei dem bleiben, was wir haben? Da hilft ein Blick in den Koalitionsvertrag. Den habe ich aus guten Gründen nicht immer unter dem Kopfkissen liegen. Aber ich habe ihn wiedergefunden. Daraus geht eindeutig hervor, wieso diese Novellierung aus Sicht der regierungstragenden Fraktionen wie aus Sicht der Landesregierung jetzt kommen muss.
Kritiker merken immer wieder an, dass es keineswegs konkrete Vorkommnisse sind, die zur Verschärfung solcher Gesetze führen, sondern das Sicherheitsdenken der Regierungen. Ihm scheint ein Automatismus innezuwohnen, der unabhängig von
der tatsächlichen Gefährdung immer größere Eingriffe in das Leben der Bürger vornehmen lässt. Das ist eine Debatte, die wir zum Beispiel schon im Zusammenhang mit dem Polizeigesetz geführt haben. Das ist eine Debatte, die notwendigerweise wieder geführt werden muss, auch jetzt. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass diese Eingriffsmöglichkeiten nicht wieder zurückgenommen werden. Es ist ebenso vergeblich, Zahnpasta wieder in die Tube zu bekommen, wie einmal verabschiedete Anti-Terror-Gesetze wieder aufzuheben. Weil sich das so verhält, müssen wir sehr genau überlegen, welche Maßnahmen wir verabschieden.
Ich möchte hier nur auf drei Punkte eingehen: erstens die Erweiterung des Beobachtungsauftrages der Verfassungsschutzbehörden und die Ausspähung von Einzelpersonen - auch das ist von meinen Vorrednern hier schon genannt worden -, auf jeden Fall etwas, was in der Ausschussberatung gründlich diskutiert werden muss, zweitens die Einrichtung eines parlamentarischen Kontrollgremiums und die faktische Abschaffung der PKK - auch diese Konstruktion muss aus Sicht des SSW im Ausschuss näher beraten werden - und drittens die Speicherung personenbezogener Daten von Minderjährigen. Die Herabsetzung des Mindestalters von 16 auf 14 Jahre ist äußerst problematisch.
In dem Gesetzesentwurf sind mehrere notwendige Konkretisierungen und Definitionen vorgenommen worden. Aber auch darüber müssen wir eingehend beraten. Ich habe irgendwann einmal nämlich gelernt, dass die Macht von Definitionen nicht zu unterschätzen ist.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Titel des Gesetzentwurfes sagen. Der Kollege Puls sprach von Tarnung. Das ist vielleicht nicht so falsch. Aus der Überschrift geht hervor, dass es die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle sein sollte, die im Mittelpunkt des Ganzen steht. Die Tatsache aber, dass weder die Grünen noch der SSW Mitglieder in die sogenannte G-10-Kommission entsenden, bleibt auch mit dem neuen Gesetz bestehen. Die Kontrolle wird also zumindest in diesem Punkt nicht gestärkt. Ich wünsche mir, dass sich im Verlauf der Beratungen auch dieser Punkt noch ändert.
Ich danke der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.