Protocol of the Session on July 16, 2008

Ebenso interessant dürfte es zu erfahren sein, welche Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen nach der Aufhebung des Tariftreuegesetzes im November 2006 gemacht wurden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aufgrund der Vielschichtigkeit des Themas beantrage ich die Überweisung an den Wirtschaftsausschuss.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Herrn Abgeordneten Callsen und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Schröder das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Sozialdemokraten stehen ohne Wenn und Aber zu den Zielen des Tariftreuegesetzes. Wir wollen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von dem Lohn leben können, den sie durch ihre Arbeit verdienen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wir wollen, dass sie damit ihre Familien ernähren können. Wir wollen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht erneut Angst vor Lohndumping haben müssen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dies ist die Kernaussage meines Redebeitrages aus der Landtagssitzung am 23. April,

(Holger Astrup [SPD]: Wusste ich es doch!)

in der wir uns erneut mit dem Tariftreuegesetz befasst haben, nachdem der Europäische Gerichtshof am 3. April 2008 entschieden hatte, dass die Tariftreueregelung des niedersächsischen Vergabegesetzes nicht mit europäischem Recht vereinbar ist.

Diese Aussagen sind für uns Sozialdemokraten unverändert aktuell und werden es auch bleiben. Wir wollen und stehen dazu, dass eine Regelung gefunden werden muss, die die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern absichert und in Übereinstimmung mit dem europäischem Recht ist.

Wir haben in der Sitzung vom 23. April auf Antrag der Fraktionen von CDU und SPD fast einstimmig den Beschluss gefasst, mit dem sich alle Landtagsfraktionen zu den Zielen des schleswig-holsteinischen Tariftreuegesetzes bekannt haben. Und vor einem Jahr haben wir in diesem Hause die Ausweitung des Tariftreuegesetzes auf den Busverkehr und die Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes mit überwältigender Mehrheit beschlossen.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn dies nicht nur Lippenbekenntnisse gewesen sein sollen, wenn uns die Zustimmung zu den Zielen des Tariftreuegesetzes vom April 2008 nicht nur als wertloses Bekenntnis vorgeworfen werden soll, dann erwarte ich, dass wir alles unternehmen, damit unser nationales Tariftreuerecht rechtssicher gestaltet wird, um unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so zu schützen, wie wir es gemeinsam in den Zielen erklärt haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wer sich zu den Zielen des Tariftreuegesetzes bekennt, der kann sich nur folgerichtig auch dafür einsetzen, dass die europäische Gesetzgebung so gestaltet wird, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen innerhalb der gesamten EU so umgesetzt werden, dass ein fairer Lohn die Grundlage für Arbeitsleistungen darstellt und dass nationales Recht auch weiterhin Gültigkeit behält.

(Beifall bei SPD und SSW)

Das ist es nämlich, was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Lande brauchen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Es würde auch der FDP, Herr Kollege Kubicki, gut zu Gesicht stehen, wenn sie sich darüber nähere Gedanken machen würde.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir sind eine Rechtsstaatspartei!)

- Ja, Sie müssen sich nicht immer nur hinter juristischen Aussagen verstecken. Das hilft nicht immer.

(Johannes Callsen)

Ich hatte darauf hingewiesen, dass nach einer neuesten Studie der Niedriglohnsektor in Deutschland erschreckend schnell wächst. Mehr als jeder fünfte Beschäftigte gilt als Geringverdiener. Der Niedriglohnsektor stieg von 1995 bis 2006 um gut 43 % auf rund 6,5 Millionen Beschäftigte. Diese Entwicklung wollen wir Sozialdemokraten nicht. Deshalb setzen wir uns für die Ziele des Tariftreuegesetzes ein. Und deshalb werden wir auch nicht nachlassen in unseren Bemühungen, Mindestlöhne und Mindestarbeitsbedingungen für alle Branchen einzufordern.

(Beifall bei SPD und SSW)

Vor diesem Hintergrund begrüße ich die Einigung des Arbeits- und des Wirtschaftsministers in Berlin, die es heute Nacht geschafft haben, im Kabinett einen Gesetzentwurf für weitere Branchen einzubringen. Das begrüßen wir ausdrücklich.

Ich erwarte, dass wir uns im Wirtschaftsausschuss Gedanken darüber machen, wie wir im Sinne des schleswig-holsteinischen Tariftreuegesetzes eine Lösung finden, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gerecht wird und nicht wieder dazu beiträgt, dass viele Menschen nicht wissen, wie sie angesichts von Dumpinglöhnen ihre Familien ernähren sollen.

Auch die EU wird sich bewegen müssen. Dienstleistungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit und Arbeitnehmerentsendung dürfen eben nicht zulasten eines sozialen Europas gehen. Das darf nicht unsere Absicht sein.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich appelliere an alle Verantwortlichen und auch an die Regierung: Wir erwarten als Parlament, dass nach der Überprüfung nicht nur der Handlungserlass des Wirtschaftsministeriums die Grundlage darstellt, zumal dieser nur bis 2010 befristet ist. Wir haben die Regierung aufgefordert, Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Ich gebe zu, dass dies hochkompliziert ist, aber uns obliegt die Verantwortung, dies im zuständigen Fachausschuss zu diskutieren. Es ist dringend an der Zeit, dass Unterlagen vorgelegt werden. Dann sollten wir es diskutieren und im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Wege finden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Bernd Schröder. Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Schröder, ich bin zwar der Meinung, dass wir uns Ihrer Aufforderung stellen sollten, hier gemeinsam nachzudenken, aber ich bin auch der Meinung, dass wir uns noch einmal sehr genau mit dem SSW-Antrag beschäftigen sollten. Wir sollten uns die Frage stellen, ob es in Ordnung ist, den Leuten vorzumachen, Probleme auf die Art und Weise lösen zu können, wie sie der SSW vorschlägt. Schließlich weiß selbst der SSW, dass man das von ihm zutreffend beschriebene Problem auf die von ihm vorgeschlagene Art und Weise nicht lösen kann. Auch das gehört zur Redlichkeit dazu.

(Beifall bei FDP und CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Europäische Gerichtshof hat am 3. April 2008 entschieden, dass die Tariftreueregelung des niedersächsischen Vergaberechtes nicht mit dem europäischen Recht vereinbar ist. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs verstößt die niedersächsische Tariftreueregelung gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs nach Artikel 49 des EG-Vertrages. Begründung: Die Vergabe an Nachunternehmer, also private Aufträge, darf nicht einer Tarifbindung unterliegen, wenn keine für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge existieren. Und diese existierten nun einmal nicht.

Nun kommt der vom SSW vorgelegte Antrag. Lieber Kollege Harms, Sie versuchen erstens, über eine Bundesratsinitiative das EU-Recht zu ändern, um das schleswig-holsteinische Tariftreuegesetz zu retten. Ehrlich gesagt finde ich angesichts der Tatsache - der Kollege Callsen hat es erwähnt -, dass es gerade drei Bundesländer mit einem Alibiantrag versucht haben und damit gescheitert sind, die Vorstellung, die EU werde sich schon bewegen, an dieser Stelle reichlich naiv. Und ich finde es unredlich, den Menschen gegenüber so zu tun, als könne man damit das Problem lösen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das ist eine mögliche Reaktion. Ich halte sie aber ich glaube, das ist deutlich geworden - nicht für die richtige.

Zweitens versucht der SSW-Antrag, in SchleswigHolstein Allgemeinverbindlichkeitsregelungen

(Bernd Schröder)

zwingend vorzuschreiben. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist meines Erachtens nicht nur ein falscher, sondern es ist ein schädlicher Weg. Denn was wollen Sie denn genau, wenn Sie sich Ihren Antrag angucken? Sie wollen ganz erheblich - an der Stelle bitte ich dann doch einmal die Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der Union zu überlegen, ob man darüber ernsthaft diskutieren will - in die grundgesetzlich verankerte Tarifautonomie eingreifen. Ihr Antrag will faktisch die bestehenden ausgehandelten Tariflöhne zu Mindestlöhnen machen. Das ist dann nichts anderes mehr als ein staatliches Preisdiktat. Das heißt, wir reden hier nicht über Mindestlöhne so, wie die Sozialdemokraten sie debattieren, in Höhe von 7 € bis 7,50 €, sondern wir reden über faktische Mindestlöhne, die irgendwo jenseits von 10 oder 12 € liegen.

Das ist, glaube ich, absoluter Unsinn, den Sie dort verbreiten, lieber Kollege Harms. Vielleicht sollten Sie schlicht und ergreifend einmal zur Kenntnis nehmen, dass sich zum Beispiel die IG BAU strikt weigert, ihren ausgehandelten Branchenmindesttarif, der immerhin bei 12,50 € pro Stunde, liegt durch eine generelle allgemeinverbindliche Regelung ersetzen zu lassen. Die wissen ganz genau, warum sie diesen Weg nicht gehen wollen, Herr Kollege Harms. Die Gewerkschaften wollen das aus gutem Grund nicht, denn es soll bewährte Praxis bleiben, dass die Löhne frei von staatlichen Einflussnahmen in Tarifverträgen geregelt werden.

Hinzu kommt, dass die allgemeinverbindliche Festsetzung von Mindestlöhnen so, wie Sie sie gerade vorschlagen - nur über die reden wir jetzt, damit kein falscher Zungenschlag in die Debatte kommt -, wirklich absoluter Unsinn ist, Herr Kollege Harms. Sie macht nämlich die Reichen reicher und die Armen ärmer, und sie gefährdet Arbeitsplätze, deren bisherige Entlohnung niedriger war als das von Ihnen gewollte staatlich fixierte Niveau, das deutlich oberhalb jeder Mindestlohnregelung liegt, für die jedenfalls die SPD auf Bundesebene eintritt. Viele Menschen würden, wenn das Wirklichkeit würde, was Sie hier vorschlagen, ihre Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein verlieren, weil diese Stellen schlichtweg wegrationalisiert werden müssten oder ins kostengünstigere Ausland verlagert oder in die Schwarzarbeit abgedrängt würden.

Also, die viel beschworene Beratung im Wirtschaftsausschuss wird, glaube ich, dringend notwendig sein, um die Wirkungsweise des Instruments, das Sie in Punkt zwei Ihres Antrages beantragen, noch einmal wirklich von Leuten erklären

zu lassen, die ein bisschen von solchen Wirkungsweisen ökonomischer Instrumente, arbeitsmarktpolitischer Instrumente verstehen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir dann zu einer anderen Regelung kommen.

(Zuruf des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

- Ich weiß, Sie verstehen im Zweifel von allem etwas.

(Zuruf)

- Das unterscheidet uns. Ich verstehe mit Sicherheit nicht von allem etwas.

Herr Kollege, Ihre Zeit!

Ich glaube, dass wir dann zu einer anderen Lösung kommen, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich hilft, anstatt mit solchen populistischen Vorschlägen die Links-Partei links überholen zu wollen.