Protocol of the Session on April 24, 2008

Man darf auch nicht aus den Augen verlieren, dass sich die intellektuelle Entwicklung jedes Menschen in seinem eigenen Rhythmus vollzieht. Nicht jeder Schüler bleibt über seine gesamte Bildungskarriere hinweg immer in der Spitzengruppe, ebenso wenig wie jeder Schüler während seiner gesamten Schulzeit immer nur schlechte Leistungen erbringt.

So informativ diese Statistik also ist, bildet sie doch immer nur Momentaufnahmen einer Schulkarriere ab. Wirklich aussagekräftig wären Analysen, die im Rahmen der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage auf keinen Fall geleistet werden können, so beispielsweise im Hinblick darauf, wie viele Schülerinnen und Schüler ein gleich bleibend hohes Tempo beim Durchlaufen ihrer Schulkarriere an den Tag gelegt haben und bei wie vielen Schülern nach der schnellen Phase Abschnitte der Überforderung kamen, durch die sie möglicherweise sogar ein Jahr verloren haben.

Im vergangenen Jahr haben die Medien ausführlich eine baden-württembergische Schülerin - übrigens teilweise mit Migrationshintergrund - präsentiert, die mit 14 Jahren das Abitur mit 1,0 absolviert hatte und jetzt bereits ihr Studium begonnen hat. Ich will nicht verhehlen, dass meine Gefühle diesbezüglich sehr zwiespältig sind.

Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage ist eine aussagekräftige Handreichung auch für jene Eltern, die davon überzeugt sind, dass ihr Kind hochbegabt ist. Sie kann die Schulen nicht vor dem Konflikt mit Eltern bewahren, die mit unrealistischen Erwartungen an die Leistungsfähigkeit ihres Kindes herangehen, aber sie hilft ihnen dabei, diese Konflikte zu moderieren.

Wir können im Bildungsausschuss über die Antworten der Landesregierung auf die 62 in der Großen Anfrage gestellten Fragen trefflich weiterberaten. Vielleicht kann der Ausschuss in den großen Ferien auch einmal das Jugendcamp in St. Peter-Ording aufsuchen, um in die Diskussion mit

(Detlef Buder)

den eigentlich Gemeinten, mit den eigentlich Betroffenen, also mit den Schülerinnen und Schülern, die dieses Camp besuchen, einzutreten. Für eine weitere Diskussion wäre dies sicherlich zielführend.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der FDP hat nun der Herr Abgeordnete Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Land, das die Talente seiner besonders begabten Kinder und Jugendlichen nicht fördert, handelt ungerecht. Es verwehrt ihnen nämlich damit die Unterstützung, auf sie in gleicher Weise Anspruch haben wie jene Schülerinnen und Schüler, die aufgrund von Nachteilen oder Entwicklungsdefiziten besondere Förderung verdienen. Im schleswig-holsteinischen Schulgesetz ist das Prinzip der individuellen Förderung aller Schülerinnen und Schüler verankert. In der Praxis wird diese Unterstützung jedoch hochbegabten Schülern weitgehend verwehrt; denn im Vergleich zu anderen Bundesländern sind Instrumente und Angebote zur Hochbegabtenförderung in unserem Schulsystem in Schleswig-Holstein extrem unterentwickelt.

Die verweigerte Unterstützung für hochbegabte Kinder und Jugendliche schränkt aber nicht nur deren individuelle Chancen zur Entfaltung ihrer Talente ein; sie schadet auch dem Gemeinwohl, weil dadurch auch die Gesellschaft insgesamt nicht in dem Maße aus den Leistungen besonders begabter Menschen Nutzen ziehen kann, wie dies bei einer anderen Herangehensweise an das Thema möglich wäre.

Unterentwickelte Hochbegabtenförderung ist also auch eine bildungspolitische Dummheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP - Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Dass im schleswig-holsteinischen Schulwesen in diesem Bereich noch vieles nachgeholt und nachgebessert werden muss, ist keine neue Erkenntnis. Es ist aber das Verdienst der Fragesteller der Großen Anfrage, der CDU-Fraktion, erneut die Aufmerksamkeit auf dieses Thema gelenkt zu haben.

Die FDP-Fraktion hat vor acht Jahren mit einem Entschließungsantrag das Ziel verfolgt, zur besse

ren Förderung hochbegabter Schülerinnen und Schüler an den Gymnasien des Landes auch die Bildung besonderer Schulklassen zu ermöglichen. Dies halten wir nach wie vor für einen sinnvollen Ansatz.

(Beifall bei der FDP)

Unsere Initiative wurde seinerzeit von SPD und Grünen abgelehnt. Im Sitzungsprotokoll des Bildungsausschusses vom 21. September 2000 kann man im Zusammenhang mit der Beratung unseres Antrages Folgendes nachlesen - ich zitiere -:

„Auf eine Frage des Abgeordneten Dr. Klug bekräftigt Ministerin Erdsiek-Rave noch einmal den Standpunkt der Landesregierung, dass man gerade vor dem Hintergrund der flächendeckend im Land angebotenen Verkürzung der Gymnasialschulzeit spezielle Klassen für Hochbegabte nicht für erforderlich halte.“

Meine Damen und Herren, in Anbetracht dessen, dass im kommenden Schuljahr die Schulzeitverkürzung an den Gymnasien generell eingeführt wird - morgen Vormittag werden wir einen Bericht hierüber diskutieren -, müsste Frau Erdsiek-Rave in der Logik ihrer damaligen Argumentation nunmehr eigentlich triumphierend ankündigen, dass rund 40 % der Schüler an weiterführenden Schulen nach den Sommerferien in den Genuss einer Hochbegabtenförderung kämen.

Aber so sicher, wie dies nicht der Fall ist, waren die Erklärungen der Ministerin bereits vor acht Jahren reine Ausflüchte, die bloß dazu dienten, eine besondere institutionalisierte Hochbegabtenförderung in schleswig-holsteinischen Schulen zu verhindern.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Meine Damen und Herren, die Verweigerungshaltung der sozialdemokratischen Bildungspolitik gegenüber solchen institutionalisierten Formen der Hochbegabtenförderung findet man in anderen Bundesländern nicht in gleicher Weise. Darauf hat auch Kollege Wadephul schon hingewiesen. In Rheinland-Pfalz hat sich die FDP in der vorigen Wahlperiode in der Koalitionsvereinbarung mit ihrem damaligen Regierungspartner SPD darauf verständigen können, dass an mehreren Standorten, nämlich in Mainz, Kaiserslautern und Trier, Schulen für Hochbegabte eingerichtet wurden, die mit einem Internatsangebot die gesamte fachliche Breite der Begabtenförderung abdecken. Die erste Schule nahm im Schuljahr 2002/2003 in Kaiserslautern ihre Arbeit auf, und 2005 wurde mit der

(Detlef Buder)

Hochbegabtenschule am Max-von-Laue-Gymnasium in Koblenz noch ein viertes Bildungsangebot dieser Art geschaffen.

Warum - so frage ich - kann Schleswig-Holstein nicht nach diesem Beispiel oder nach ähnlichen Vorbildern aus anderen Bundesländern ebenfalls mehr öffentliche Unterstützung für Hochbegabtenförderung im Schulwesen leisten?

Seit etlichen Jahren beantragt die FDP-Fraktion regelmäßig zu den Haushaltsberatungen, im Bildungsetat unseres Landes Mittel für ein schulisches Netzwerk zur Förderung besonders begabter Schülerinnen und Schüler bereitzustellen. Zum Doppelhaushalt 2007/2008 haben wir hierfür zuletzt einen Betrag von 2 Millionen € beantragt. Unser Antrag ist von der Mehrheit des Hauses bedauerlicherweise nicht unterstützt worden; er wurde nicht angenommen. Nach unseren Vorstellungen sollten diese Mittel dazu dienen, landesweit ein schulisches Netzwerk für Enrichment-Programme zu schaffen, das heißt Zusatzkurse auf hohem Niveau für besonders begabte und leistungsbereite Schülerinnen und Schüler, die zusammen mit Kooperationspartnern aus verschiedenen Bereichen angeboten werden. Dann gibt es jeweils einen regionalen Stützpunkt, eine Schule, an der solche Angebote konzentriert werden. Für das etwas weitere regionale Umfeld werden Ergänzungsangebote durchgeführt.

Bislang gibt es solche Zusatzangebote in Schleswig-Holstein an sieben Standorten. Den Anfang hat vor etlichen Jahren der Kreis Pinneberg gemacht, dankenswerterweise mit einer nennenswerten Unterstützung durch die Örtliche Sparkasse. Die Antwort auf die Große Anfrage macht deutlich, dass das, was das Land Schleswig-Holstein hier an Unterstützung gibt, vergleichsweise sehr bescheiden ist: 71 Jahreswochenstunden, das sind umgerechnet nicht einmal drei Lehrerstellen, die in die Angebote des Enrichment-Programms hineingegeben werden. Mit einem solchen Feigenblatt kann man die mangelhafte Begabtenförderung an schleswig-holsteinischen Schulen nicht zudecken.

Die Gründe, weshalb die Hochbegabtenförderung in diesem Land so dürftig ausfällt, sind nicht recht greifbar. Offensichtlich zählt dieses Thema für das Bildungsministerium nicht zu den politischen Prioritäten. Man gewinnt den Eindruck, es wird hierzulande bewusst nur so viel getan, dass man wenigstens ein paar Feigenblätter vorzeigen kann. Vielleicht steht hinter dieser Taktik auch die unausgesprochene Annahme - ich hatte bei der Rede des Kollegen Buder eben den Eindruck, dass genau das

der Fall ist -, dass besonders begabte junge Menschen schon aus eigener Kraft ihren Weg finden würden.

(Zurufe von der SPD)

- Das ist nach meiner Einschätzung die Denkweise, die hinter der Blockadehaltung gegen eine ausgebaute Hochbegabtenförderung steckt.

(Beifall bei der FDP)

Das ist mit dem Beispiel, das der Kollege Buder vorhin genannt hat, deutlich geworden. Ich betone noch einmal: Eine solche Annahme ist grundfalsch. Besonders begabte Schüler können, wenn sie dauerhaft unterfordert werden, unter Umständen - sicherlich nicht in jedem Fall, aber unter Umständen - zu echten Problemfällen werden, und es kann dazu kommen, dass der Verlauf ihres Bildungsweges erheblich beeinträchtigt und gestört wird, dass sie auf jeden Fall nicht die Potenziale, die sie haben, entwickeln können.

Meine Damen und Herren, solange das an den Schulen von staatlicher Seite bereitgestellte Förderinstrumentarium fehlt oder jedenfalls extrem unterwickelt bleibt, wird auch den Eltern eine erhebliche zusätzliche Last aufgebürdet. Kinder aus Familien, die zum Beispiel die Mittel für teure Hochbegabteninternate in anderen Bundesländern nicht aufbringen können, sind dann in besonderem Maße Leidtragende einer mangelhaften schulischen Begabtenförderung von staatlicher Seite her. Das heißt, dass gerade die sozial schwächeren Familien, aus denen hochbegabte Kinder kommen, unter dem fehlenden Angebot an den staatlichen Schulen zu leiden haben. Vielleicht ist das ein Argument, das auch die Sozialdemokraten noch einmal überdenken sollten, um ihre Meinung in dieser Frage zu ändern.

Es ist jedenfalls höchste Zeit, die Defizite, die in diesem Bereich in der Bildungspolitik des Landes bestehen, auszuräumen. Ich habe meine Hoffnung darauf gesetzt, dass mit dem Aufstieg des Kollegen Stegner an die Spitze der SPD-Fraktion vielleicht ein bisschen anderer Wind in dieser Sache bei den Sozialdemokraten weht. Immerhin steht sein Name im ehemaligen Verzeichnis der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Er müsste eigentlich ein gewisses Verständnis für dieses Thema haben. Aber vielleicht liegt das Problem ja auch in den Erfahrungen, die die Genossen mit dem Kollegen Stegner gemacht haben, und das Problem ist durch das Motto geprägt: Ein Hochbegabter reicht den Sozialdemokraten.

(Dr. Ekkehard Klug)

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal vielen Dank an die CDU-Fraktion für die Fragen und an die Mitarbeiter des Ministeriums für die Antworten. Leider sind die Antworten ausgesprochen dürftig ausgefallen. Es ist offensichtlich nicht viel bekannt über Hochbegabte in SchleswigHolstein und das, was an den Schulen passiert. Das muss man feststellen. Ich habe mir die Mühe gemacht, mich etwas mit der einschlägigen Literatur zu beschäftigen. Das ist hochaufschlussreich. Ich möchte Ihnen sechs Anmerkungen vortragen und anschließend vier Konsequenzen daraus ziehen.

Anmerkung eins: Was ist Hochbegabung? Die Literatur spricht von Hochbegabung ab einem Intelligenzquotienten von 130 Punkten. Der Durchschnitt liegt bei 100 Punkten. Nach dieser Definition sind 2,2 % der Bevölkerung hochbegabt.

Oft wird geglaubt, Hochbegabung sei eine erbliche Eigenschaft, die Kinder haben oder nicht und die nur entdeckt werden müsse. Das haben wir hier auch vorgetragen bekommen. Dann müsse man die so entdeckten Kinder zu Hochbegabtenklassen zusammenfassen, und alles sei super.

Viele Studien zeigen jedoch, dass der Einfluss des Elternhauses und der frühkindlichen Förderung wesentlich wichtiger ist für den Intelligenzquotienten. Sogar die Ernährung der Kinder hat einen erheblichen Einfluss auf den späteren Intelligenzquotienten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Amerikanische Studien haben herausgefunden, dass allein das Stillen von Kindern 7 % Einfluss auf den Intelligenzquotienten hat. Die ganze Sache ist offensichtlich relativ komplex.

Anmerkung zwei: Oft findet man die Vorstellung, der Intelligenzquotient eines Menschen sei eine Konstante. Auch dies ist falsch. Der Intelligenzquotient kann sich im Laufe der Entwicklung von Kindern durchaus erheblich ändern. Bei besonderer Förderung konnte in Einzelfällen eine Steigerung um über 20 % nachgewiesen werden.

Man hat Folgendes herausgefunden - das ist eine deutsche Studie -: Von einer Gruppe von 10-jährigen Kindern mit gleichem Intelligenzquotienten wurde die eine Hälfte in das Gymnasium und die andere Hälfte in die Realschule eingeschult. Nach fünf Jahren hatten die Kinder, die auf das Gymnasium eingeschult wurden, im Durchschnitt einen IQ, der um 11,4 Punkte höher lag als der IQ der Realschüler. Eine kreative Lernumgebung und intellektuelle Anregungen können den IQ also deutlich steigern. Umgekehrt bedeutet das: Wenn ich schwache Schüler mit niedrigem IQ in Hauptschulen isoliere, dann senke ich systematisch ihren IQ. Das können dann auch noch so engagierte Lehrerinnen und Lehrer nicht ausgleichen.

Anmerkung drei: In einem Versuch in den USA hat man Lehrern erzählt, ganz bestimmte Kinder aus ihren Klassen seien hochbegabt. In Wirklichkeit hatten diese Kinder aber einen ganz durchschnittlichen IQ und waren nicht besonders aufgefallen. Dann trat ein Wunder ein: Innerhalb eines Jahres wurde eine Reihe dieser Kinder tatsächlich viel intelligenter. Woher das kommt, ist bisher nicht abschließend geklärt. Man vermutet, dass das Kinder waren, die bislang von den Lehrern eher wenig beachtet worden waren. Nun glaubten die Lehrer, sie hätten sich getäuscht und schenkten gerade diesen Kindern besondere Beachtung. Diesen Effekt nennt man den Pygmalion-Effekt. Man kann daraus schließen, dass allein die Erwartungshaltung der Lehrer gegenüber dem Kind und das Vertrauen in seine Leistungsfähigkeit das Kind beflügeln kann und dadurch sein IQ zunimmt.

Anmerkung vier: Es gibt nicht den einen IQ, sondern sehr viele unterschiedliche. Es gibt Kinder, die sehr einseitig musikalisch, einseitig sprachlich oder auch einseitig mathematisch begabt sind. Natürlich gibt es auch Kinder mit Allroundbegabungen. Der Intelligenzquotient und auch andere Messmethoden der Begabung bilden also immer nur einen Durchschnitt, einen Mittelwert ganz unterschiedlicher Begabungen von Menschen. Die einseitige Begabung eines Menschen kann im Einzelfall so extrem ausgeprägt sein, dass ein hochbegabter Musiker oder ein hochbegabter Physiker den Intelligenzquotienten eines Sonderschülers hat. Viele Naturwissenschaftler scheiterten bekanntlich an der Schule und erreichten nur sehr mittelmäßige Ergebnisse, weil sie große Probleme in den Sprachen hatten, ja oft sogar Legastheniker sind. Einstein beherrschte bekanntlich auch nach vielen Jahren Aufenthalts in den USA kaum die englische Sprache. Umgekehrt gibt es Menschen, die locker in der Lage sind, Dutzende von Sprachen zu lernen, denen

(Dr. Ekkehard Klug)

aber mathematisch-räumliches Denken völlig abgeht.