Protocol of the Session on January 30, 2008

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Landeswahlgesetzes

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1541 (neu)

Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses Drucksache 16/1818

Ich erteile dem Berichterstatter des Innen- und Rechtsausschusses, Herrn Abgeordneten Werner Kalinka, das Wort.

Herr Präsident! Der Innen- und Rechtsausschuss hat den ihm durch Plenarbeschluss vom 13. September 2007 überwiesenen Gesetzentwurf in mehreren Sitzungen beraten, zuletzt in seiner Sitzung am 23. Januar 2008, und eine schriftliche Anhörung durchgeführt.

Mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimme von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfiehlt er dem Landtag die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Änderung des Landeswahlgesetzes, Drucksache 16/1541 (neu).

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Nach unserem Vorschlag hat die stärkste Fraktion - die CDU - das Wort, und zwar der Herr Abgeordnete Thomas Stritzl.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

So schöne Sachen kann man gar nicht vergessen, Herr Kollege Kubicki.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion wird den vom Ausschussvorsitzenden vorgetragenen Empfehlungsbeschluss des Innen- und Rechtsausschusses mittragen und heute im Plenum entsprechend abstimmen. Ich glaube, sowohl in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs als auch im Rahmen der Ausschussberatungen wurden die unterschiedlichen Stellungnahmen deutlich. Ich will diese deshalb heute nicht noch einmal in extenso vortragen. Es überwiegen die verfassungsrechtlichen Zweifel. Es überwiegen die europarechtlichen Zweifel im Hinblick auf die Umsetzung des Vorschlags, den die Grünen unterbreitet haben. Darüber hinaus überwiegen auch -

(Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Frau Kollegin Birk, ich gebe Ihnen gern die Gelegenheit, die rechtliche Überlegenheit Ihres Entwurfs aus Ihrer Sicht hier darzustellen.

(Manfred Ritzek)

(Beifall bei der FDP)

Ich will dies mit Blick auf die Zeit selbst jetzt nicht vornehmen, um das Gegenteil zu beweisen. Für den Fall, dass Sie dies hier machen wollen, werde ich mich noch einmal zu einem Dreiminutenbeitrag zu Wort melden.

Stichwort ist die Frage der politischen Gestaltungsfähigkeit, die dahintersteht. Auch darüber müssen wir reden. Wir sind auch der Meinung, dass eine zusätzliche Quotierung, wie sie von der grünen Fraktion vorgeschlagen wurde, im Ergebnis dem gewünschten Ziel nicht näherkommt. Auch wir wollen natürlich einen höheren Anteil von Frauen. Diesen streben wir an und wir haben in unserer Partei selbst einen entsprechenden Quorumsbeschluss. Eine gesetzliche Quotierung aber, die darüber hinausgeht und einen entsprechenden direkten Einfluss auf das Landeswahlgesetz hat, halten wir - wie gesagt - weder rechtlich noch politisch für vorzugswürdig.

Man muss natürlich die Frage beantworten: Wollen wir - wenn wir die Entwicklung zu Ende denken in der Zukunft nur eine Quote für Frauen? Brauchten wir nicht im Hinblick auf den demografischen Wandel unserer Gesellschaft auch eine Jugendquote? Bräuchten wir vielleicht im Hinblick auf die Zusammensetzung der Parlamente eine Berufsquote?

(Zuruf)

- Natürlich. Die Vielfältigkeit des Parlamentes müsste sich auch in der Unterschiedlichkeit der Berufe deutlich machen. Darüber kann man nachdenken. Man kann das alles quotieren. Ich will gar nicht bestreiten, dass man das politisch wollen kann.

(Unruhe - Zuruf des Abgeordneten Dr. Hei- ner Garg [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Abgeordneter Stritzl hat das Wort.

Wir wollen das politisch nicht, weil wir dem Prinzip nachhängen und uns ihm verpflichtet fühlen, dass derjenige, der wählen soll, nämlich die Bürgerin oder der Bürger, ein freies Wahlrecht hat, und zwar möglichst uneingeschränkt durch politische Vorgaben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Dass Demokratien, durch unser Grundgesetz und durch uns und durch die Parteien, die nach politischer Betrachtung an der Willensbildung des Volkes mitwirken sollen, getragen, auch in ihrer inneren Ordnung möglichst nach diesem Grundsatz der freien Wahlbetätigung organisiert sein müssen, ist unsere Überzeugung. Auch vor diesem Hintergrund glaube ich, dass Ihr Vorschlag nicht vorzugswürdig ist. Das heißt nicht, dass wir nicht all das tun müssen, um auch aus einem Eigeninteresse der Politik heraus möglichst viele Maßnahmen zu unternehmen, um eine zunehmende Ferne der Menschen jung oder alt, Mann oder Frau, Beamter oder aus der freien Wirtschaft kommend - von der Politik entgegenzuwirken. Ich glaube, das ist unser gemeinsamer politischer Auftrag. Übrigens wird man auch dem durch Quotierungen irgendwelcher Art nicht entgegenwirken. Meine Befürchtung wäre, dass diese Ferne dadurch noch verstetigt würde. Auch das kann im Ergebnis nicht unser gemeinsames Ziel sein.

(Beifall bei der FDP)

Haben wir Zutrauen zu der Urteilsfähigkeit der Menschen. Haben wir Zutrauen zu ihrem Auswahlermessen, das sie ausüben können und müssen! Glauben wir an die Selbstständigkeit der Wählerinnen und Wähler in der Bevölkerung und in den Parteien! All dies trägt im Ergebnis die Zustimmung zur Innen- und Rechtsausschussempfehlung, die vom Ausschussvorsitzenden vorgetragen wurde. Auch wenn Ihr Vorschlag gut gemeint ist, so wird er im Ergebnis nicht das bewirken, was Sie wollen. Deshalb lehnen wir ihn ab.

(Beifall bei CDU, FDP und vereinzelt bei der SPD)

Für die Fraktion der SPD hat Herr Abgeordneter Klaus-Peter Puls das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zielt darauf ab, durch eine gesetzliche Quotenregelung den Anteil der weiblichen Abgeordneten im Schleswig-Holsteinischen Landtag zu erhöhen. Die Parteien sollen durch Gesetz darauf verpflichtet werden, dass auf ihren Listen für die Landtagswahlen jeweils zur Hälfte Männer und Frauen kandidieren. Das soll durch eine Platz für Platz abwechselnde Besetzung der Landeslisten mit

(Thomas Stritzl)

Männern und Frauen im sogenannten Reißverschlussverfahren erreicht werden.

Die SPD-Landtagsfraktion lehnt den Gesetzentwurf ab. Wir finden das Ziel okay. Selbstverständlich sind wir für die Chancengleichheit von Männern und Frauen auch beim Erwerb politischer Mandate. Wir sind auch für eine der gesellschaftlichen Realität entsprechende Repräsentanz der Frauen hier im Landesparlament. Im Jahr 2005 sind in den 69-köpfigen Landtag 22 Frauen gewählt worden. Das ist nur ein knappes Drittel der Abgeordneten. Wir halten es indes für äußerst fraglich, ob eine gesetzlich verordnete Frauenquote auf den Landeslisten der Parteien das geeignete Mittel ist, um der realen parlamentarischen Unterrepräsentanz der Frauen abzuhelfen. 40 von 69 Landtagsabgeordneten, das sind fast 60 %, erreichen den Landtag nämlich nicht über die Parteiliste. Vielmehr kommen sie über ihren Wahlkreis. Im Wahlkreis kandidiert pro Partei immer nur eine Person. Wo nur eine einzige Person aufgestellt wird, kann man nicht quotieren. Auf die Zahl und auf die Zusammensetzung der in den Wahlkreisen direkt gewählten 40 Landtagsabgeordneten kann man also auch mit einer gesetzlich festgelegten Listenquotierung überhaupt keinen Einfluss nehmen. Nur 29 unserer 69 Landtagsabgeordneten gelangen über die Parteilisten in den Landtag. Bei dieser Minderheit setzt der grüne Gesetzentwurf an. Nur für die Aufteilung dieser Minderheit von 29 Abgeordneten könnte die gesetzlich verordnete Quote überhaupt etwas bewirken.

Selbst die im Ausschussverfahren angehörten Frauenorganisationen melden Zweifel an der Zwecktauglichkeit des von den Grünen vorgeschlagenen Mittels an. Der Deutsche Juristinnenbund erwartet allenfalls den Effekt einer - so wörtlich - „sehr bescheidenen Verstärkung der Frauenrepräsentanz im Landtag“. Der Landesfrauenrat rechnet angesichts der Tatsache, dass der größte Teil der Abgeordneten in den Wahlkreisen direkt gewählt wird, ebenfalls - wenn überhaupt - nur mit einer „dezenten Anhebung des Frauenanteils im Parlament.“

Rechtlich gibt es wie immer unterschiedliche Auffassungen. Der Wissenschaftliche Dienst des Landtages hält die von den Grünen beantragte Festlegung einer landesgesetzlichen Fünfzig-ProzentQuote für zulässig. Aus dem Staatsziel, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf bestehende Nachteile hinzuwirken, so steht es in Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes -, ergebe sich jedenfalls die verfassungsrechtliche Möglichkeit ei

ner gesetzlichen Quotierung, obwohl damit unstreitig Verfassungsgrundsätze wie die Gleichheit der Wahl, die Wahlvorschlagsfreiheit der Parteien und sogar das materielle Grundrecht der Gleichberechtigung von Frauen und Männern beeinträchtigt würden. Letzteres gilt, so der Wissenschaftliche Dienst wörtlich, „weil sich eine Quotenregelung zugunsten von Frauen“ - ich füge ein: natürlich immer „gleichzeitig als Benachteiligung von Männern auswirkt“.

Der für die Ausschussberatungen schriftlich angehörte Professor Dr. Rupert Scholz kommt zu dem Ergebnis, dass jede - auch eine geschlechtsspezifische - Differenzierung im grundgesetzlich gewährleisteten Wahlvorschlagsrecht der Parteien und jede Differenzierung in Form von Begünstigungen von Frauen oder Männern beziehungsweise umgekehrt schlicht verfassungswidrig ist. Scholz hält auch das von den Grünen vorgesehene Alternierungsgebot zwischen Männern und Frauen bei der Aufstellung von Wahllisten für verfassungswidrig, weil - so Scholz wörtlich - „ein solches Alternierungsgebot in die demokratische Wahlrechtsfreiheit und Wahlrechtsgleichheit der jeweils zuständigen Parteimitglieder eingreift“.

Ich komme zum Schluss. Unsere Argumente gegen den Gesetzentwurf der Grünen sind nicht formal rechtlicher Natur. Wir teilen und unterstreichen die Einschätzung des Landesfrauenrats, dass der vorliegende Gesetzentwurf nicht nach den Ursachen fragt, sondern lediglich die Symptome bekämpft. Wir teilen und unterstreichen die Auffassung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes SchleswigHolstein, der in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Grünen wörtlich sagt - das soll mein letztes Zitat sein -:

„Eine wesentliche Ursache für die geringe und sogar rückläufige Beteiligung der Frauen an der Politik liegt in der traditionellen Rollenverteilung und in den herkömmlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Frauen mit Familienpflichten haben es schwerer als Männer, sich politisch zu engagieren. Dabei darf die Familienarbeit kein Hindernis für ein politisches Engagement sein.“

Hier sollten wir mit unserer Politik in Parteien und Parlamenten ansetzen. Konstruktive Vorschläge zur besseren Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Politik sind gefragt. Formelles Kurieren an den Symptomen hilft uns nicht weiter. Vor allem unseren Frauen hilft es nicht weiter.

(Beifall bei SPD und CDU)

(Klaus-Peter Puls)

Für die Fraktion der FDP hat der Oppositionsführer, der Herr Abgeordnete Wolfgang Kubicki, das Wort.

(Jürgen Weber [SPD]: Jede Stimme für die SPD ist ein Stück Quotierung!)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Kollege Weber, den Zwischenruf habe ich nicht verstanden. Vielleicht wiederholen sie ihn. Jede Stimme für die SPD ist was?

(Jürgen Weber [SPD]: Jede Stimme für die SPD ist ein Stück Quotierung!)

- Aha. Die Sozialdemokraten haben quotierte Listen. Warum halten Sie das nicht ein?

(Zurufe)

Die FDP-Fraktion wird der Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses zustimmen und den Gesetzentwurf der Grünen zur Einführung einer Geschlechterquote bei der Aufstellung zur Liste im Landeswahlrecht ablehnen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das überrascht nicht!)

Wir sind uns mit allen anderen Fraktionen und dem SSW hier im Landtag einig, dass die von den Grünen im Gesetzentwurf angebotene Lösung erstens ein untaugliches Mittel ist, um tatsächlich eine fünfzigprozentige Geschlechterquote hier im Landtag zu erreichen, zweitens, dass es eine gesellschaftliche Aufgabe bleibt, verstärkt Frauen für Politik zu interessieren, sie drittens den Mitgliedern der Parteien die Möglichkeit nimmt, an jeder Stelle der Liste frei zu kandidieren, und viertens es selbst nach den Ergebnissen der Anhörungen zumindest ein nicht unerhebliches rechtliches Risiko darstellt, wenn wir dem Gesetzentwurf der Grünen zustimmen würden. Herr Kollege Kalinka, ich teile die Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes nicht. Ich halte es ähnlich wie Professor Scholz schlicht für verfassungswidrig.