Protocol of the Session on January 30, 2008

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke der Frau Abgeordneten Anna SchlosserKeichel und erteile das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Herrn Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir könnten jetzt, nachdem Herr Koch in Hessen eine solche Schlappe erlitten hat, zur Tagesordnung übergehen. Aber ich glaube, dem Thema wird es nicht gerecht, wenn wir zur Tagesordnung übergehen, ich glaube, es ist ausgesprochen wichtig. In einem hat er ja recht: Die Jugendgewalt beunruhigt viele Menschen. Wenn ein Thema viele Menschen beunruhigt, dann müssen wir uns auch mit ihm auseinandersetzen und müssen auch Antworten geben. Dabei geht es nicht darum, ob wir darüber reden, sondern darum, welche Antworten wir geben, welches die richtigen sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die Antworten allerdings, die in Hessen zu geben versucht wurden, sind - das ist auch sehr erfreulich gewesen - von allen Fachverbänden, von allen Fachleuten, von den Anwaltsvereinen, von den Betreuern in den Gerichten, von den Richtern, auf allen Ebenen auf Ablehnung gestoßen. Das ist, denke ich, sehr gut gewesen, und dass diese Debatte so deutlich geführt wurde, ist auch ein Fortschritt. Denn wir haben in der Vergangenheit erlebt, wie mit harten Sprüchen Probleme vereinfacht dargestellt worden sind und man glaubte, mit einfachen Lösungen Menschen bei der Wahl zu gewinnen. Dass das nicht gelungen ist, hat mich sehr gefreut. Ich glaube, es ist ein Fortschritt in der Debatte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich möchte auf einige Punkte eingehen.

Zunächst zur Erhöhung der Höchststrafe von zehn auf 15 Jahre, die es ja für die Heranwachsenden schon gibt. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass diese Erhöhung in keiner Weise zur Abschreckung geführt hat, und alle Psychologen, alle Fachleute sagen, dass gerade im Bereich der Jugendkriminalität eine Abschreckung durch das Strafmaß überhaupt nicht zu erreichen ist, da Jugendliche gar nicht an diese Strafen denken, wenn sie diese Taten begehen, dass umgekehrt aber die

(Anna Schlosser-Keichel)

Erfahrung des Gefängnisses, die Erfahrung des Strafvollzugs auch nicht dazu führt, dass die Jugendlichen kuriert werden. Vielmehr sind die extrem hohen Rückfallquoten gerade im Bereich des Jugendvollzugs darauf zurückzuführen, dass der Freiheitsentzug häufig eine Abkehr von der Gesellschaft eher noch verstärkt.

Das Problem besteht tatsächlich darin, den einzelnen Jugendlichen durch entsprechende Therapien und durch entsprechende Sozialarbeit zu erreichen. Wenn das nicht gelingt, ist der Rückfall vorprogrammiert. Jeder Jugendliche, der nicht im Gefängnis landet, der auf andere Weise gewonnen wird und sozusagen in die Gesellschaft zurückgeführt wird, resozialisiert wird, ist ein Gewinn, auch für die Sicherheit der Bevölkerung.

Das ist ganz wichtig. Es geht ja nicht nur um die Jugendlichen. Es geht auch um die Sicherheit der Bevölkerung. Dafür ist dies ein Gewinn. Zudem spart es natürlich der Gesellschaft auch enorme Kosten. Wenn der Jugendliche nämlich erst einmal eine kriminelle Karriere einschlägt, dann bedeutet das, dass wir im Grunde sein Leben lang immer wieder für ihn bezahlen.

Der Vorschlag, Heranwachsende generell dem allgemeinen Erwachsenenstrafrecht zu unterstellen, ignoriert völlig die lange erhobenen Forderungen der Praktiker, der Jugendstrafjustiz. Gerade der Jugendgerichtstag im September 2007 hat dafür votiert, das Jugendstrafrecht bis auf 25 Jahre auszuweiten. Warum? Nicht etwa, weil dies liberaler ist, das ist überhaupt nicht das Problem, sondern deswegen, weil es differenzierte Instrument gibt. Das Jugendstrafrecht enthält eine Vielzahl von Instrumenten, um schnell zu reagieren, die Jugendlichen über unterschiedliche Maßnahmen zu resozialisieren und eben nicht nur mit Gefängnis zu reagieren. Das ist ganz wesentlich. Alle Richter sagen, es komme darauf an, den Jugendlichen für die Gesellschaft zurückzugewinnen, ihn zu resozialisieren, einerseits durch Härte, andererseits aber auch durch eine entsprechende Betreuung. Wenn das nicht gelingt, zahlen wir sein ganzes Leben lang.

Deswegen sind alle Fachleute auch hier in Schleswig-Holstein einhellig der Auffassung, dass das Jugendstrafrecht weitaus besser als das allgemeine Strafrecht geeignet ist, den notwendigen Opfer- und Rechtsgüterschutz zu gewährleisten.

Auch die Diskussion um die sogenannten Erziehungscamps geht am Thema vorbei. Die Erfahrungen in den USA sind, wenn man sich die Rückfallquoten ansieht, keineswegs positiv. Etwas anderes

ist der Vollzug in freien Formen, wie er zum Teil in Baden-Württemberg durchgeführt wird, wo man anstelle des Gefängnisses versucht, Jugendliche durch entsprechende Betreuung in Erziehungsgruppen zurückzugewinnen. Diese Ansätze sind erfreulich. Wir unterstützen sie. Wir haben ebenso wie die FDP versucht, sie in das Gesetz einzubringen. Ich denke, darüber muss man reden. Aber diese Erziehungscamps bewirken, so wie sie proklamiert worden sind, aller Erfahrung nach das Gegenteil.

Hier ist von vielen - übrigens auch von Herrn Lehnert von der CDU; das hat mich sehr gefreut -, gesagt worden, dass man vorbeugend wirken muss, dass wir alles tun müssen, um zu verhindern, dass die Jugendlichen auf diese Laufbahn abrutschen. Es geht um die Frusterfahrung, die Situation an den Schulen, das Gefühl, dass sie keine Chance haben, dass sie abgeschoben werden, dass sie noch einmal abgeschoben werden und anschließend ohnehin ein schlechtes Gefühl haben.

Ich habe im letzten Herbst wieder die Hauptschulklassen hier im Landtag erlebt, als sie die Fraktionen besucht haben. Ich habe die Schüler gefragt. Sie haben erzählt: Ich habe 20 Bewerbungen geschrieben. Ich habe 30 Bewerbungen geschrieben. Fast alle haben keine Zusage bekommen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Und wieso glau- ben Sie, dass eine andere Schulform das än- dern wird?)

Jugendliche sind mit 15 Jahren dieser Situation ausgesetzt. Hinzu kommt die Situation in den Stadtvierteln, die Situation, dass sie sich als Ausländer nicht wahrgenommen fühlen. Auch das Vorbild aus dem Elternhaus ist häufig nicht gewaltfrei. Wenn man sich dann darüber wundert, dass Gewalt ausgeübt wird, so ist man am falschen Platz.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das ist eine ganz gefährliche Argumentation, Herr Kolle- ge!)

Ich denke, wir müssen daraus die Konsequenzen ziehen und alles tun, um diese Jugendlichen für die Gesellschaft zurückzugewinnen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für den SSW erhält die Abgeordnete und Vorsitzende Anke Spoorendonk das Wort.

(Karl-Martin Hentschel)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine gewisse Logik hatte der Vorstoß von Roland Koch: Wenn man junge Straftäter häufiger wegsperrt und den Strafrahmen bis auf 15 Jahre erhöht, dann ist keiner von ihnen mehr jugendlich, wenn er aus dem Knast kommt. Erneute Straftaten werden die entsprechende Statistik nicht mehr belasten, und die Jugendkriminalität sinkt offiziell.

Viel mehr als diese verquere Logik lässt sich dem Vorstoß der CDU aber auch nicht entlocken. Denn es ist nun einmal so, dass die Androhung drakonischer Strafen Jugendliche nicht von Gewalttaten abhält. Kein Jugendlicher kalkuliert vor dem Zuschlagen den Nutzen und die Kosten und kommt aufgrund der Höhe der Strafandrohung zu dem rationalen Schluss, es doch lieber sein zu lassen. Kein Jugendlicher wird den Unterschied zwischen zehn oder 15 Jahren Haft überblicken können, geschweige denn in seinem Handeln berücksichtigen. Wenn es einen präventiven Effekt der Strafe gibt, dann, wenn das Bestrafungsrisiko hoch ist und die Strafe der Tat auf dem Fuße folgt.

(Beifall bei SSW)

Mit anderen Worten: Es muss das Ziel sein, möglichst viele Straftaten zu entdecken und sie zügig zu ahnden. Die Instrumente hierfür sind schon vorhanden. Eine konsequente Verfolgung von Jugendkriminalität erfordert keine Änderung des Strafrechts, sondern entsprechende Mittel im Landeshaushalt für Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte und Bewährungshelfer und für eine bessere Betreuung im Jugendstrafvollzug, nicht zuletzt, wenn es um den Übergang in die Freiheit geht. Denn andererseits wissen wir auch, dass ein Gefängnisaufenthalt allein nicht auf den geraden Weg zurückführt. Solange junge Menschen im Knast sitzen, haben sie zwar weniger Möglichkeiten, rückfällig zu werden; aber dort lernen sie nicht unbedingt, wie ein anderes, rechtschaffenes Leben aussieht. Im Gegenteil. Sie sehen vor allem, wie andere Kriminelle so leben. Das soziale Umfeld der Gleichaltrigen hat den größten Einfluss darauf, ob jemand kriminell wird. Dieser Einfluss wird auch an den hohen Rückfallquoten nach der Entlassung aus dem Strafvollzug sichtbar. Das haben alle meine Vorredner bereits angesprochen.

Ein verlängerter Gefängnisaufenthalt oder auch der Warnschussarrest sind also nicht geeignet, um straffällig gewordene Jugendliche von der Begehung ihrer Straftaten abzuschrecken oder sie zu resozialisieren. Demnach bleiben nur zwei Möglichkeiten:

Entweder wir sperren die Kinder und Jugendlichen - ich sage einmal: - für ihr ganzes Leben weg oder wir suchen andere Mittel und Wege. Dass wir es besser machen können, ist offensichtlich.

Wir haben Probleme mit einer gestiegenen Zahl von Rohheitsdelikten in dieser Altersgruppe, und wir haben Integrationsprobleme, die das Verhalten junger Männer aus Einwandererfamilien mitprägen. Deshalb brauchen wir eine stärkere Prävention gegen die sozialen Ursachen der Gewalt, und wir brauchen Methoden der Sanktionierung, die nicht nur bestrafen, sondern auch neue Lebensperspektiven aufzeigen. Wer etwas gegen Jugendkriminalität unternehmen will, muss von den Jugendlichen ausgehen, die man verändern will.

Koch und Co. haben aber mit ihrer Forderung nach Strafverschärfung ganz andere Teile der Bevölkerung im Blick. Dass sie dabei für sich beanspruchen, den Opfern besser gerecht zu werden, ist nicht viel mehr als rhetorisches Blendwerk. Am Ende ist eine solche Politik sogar gefährlich, weil sie offensichtlich ihr Ziel nicht erreichen kann und so in Kauf nimmt, dass weitere Menschen zu Opfern werden. Deshalb begrüßt der SSW auch ausdrücklich, dass die Minister Döring und Hay nicht am aktuellen Überbietungswettbewerb um das beste Folterinstrument für jugendliche Straftäter teilnehmen wollen. Ich hätte mir gewünscht, dass der Ministerpräsident von vornherein mit der gleichen Nüchternheit in die Debatte eingestiegen wäre. Leider ist auch er der Versuchung erlegen, auf Kosten der Sachlichkeit härtere Strafen zu fordern. Ich gehe aber davon aus, dass die beiden Fachminister für die gesamte Regierung sprechen und erwarte nun, dass die Große Koalition letztlich dem gemeinsamen Antrag der Opposition zustimmen wird. Aber wir stimmen natürlich auch erst einmal der Ausschussüberweisung zu.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich danke Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk und erteile für einen Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung dem Fraktionsvorsitzenden der FDP-Fraktion, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass wir in der Debatte einige Sachen

klarstellen sollten. Lieber Kollege Hentschel, zunächst müssen wir uns vor dem Versuch hüten - wir schaden uns im Zweifel damit selbst -, Erklärungen zu Entschuldigungen werden zu lassen. Ein Teil Ihres Debattenbeitrags hörte sich so an, als würden jugendliche Straftäter, die mit hoher Gewaltbereitschaft ausgestattet waren oder sind, nichts dafür können, dass sie zu Straftätern geworden sind. Eine solche Debatte führt in die Irre.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Die Erklärungen sind keine Entschuldigungen, sie dürfen auch nicht als solche gewertet werden. Sie dienen nur dazu, mit den richtigen Maßnahmen darauf zu reagieren.

Herr Kollege Lehnert, da ich sicher weiß, dass Sie ein fachkundiger Kenner der Materie sind: Wir sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass der Migrationshintergrund bei der Frage der Gewaltbereitschaft keine Rolle spielt, sondern die Frage des sozialen Bedingungsgefüges und der Bildung.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen darüber, dass der Anteil der deutschen gewalttätigen Jugendlichen aus einer bestimmten, relativ überschaubaren, homogenen sozialen Gruppierung mit einem entsprechenden Bildungsniveau in etwa gleich groß ist wie der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei sonst gleichen sozialen Bedingungen und gleichen Bildungsstandards.

Herr Pfeiffer hat das für Niedersachsen untersucht, auch für Berlin ist das untersucht worden. Die Abweichungen sind nicht sehr groß.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das ist ein stati- stischer Trick!)

- Herr Kayenburg, das hat mit Statistik gar nichts zu tun. Das Entscheidende ist nur, dass das soziale Bedingungsgefüge vieler Jugendlicher mit Migrationshintergrund ein anderes ist als das soziale Bedingungsgefüge der meisten Jugendlichen mit Nicht-Migrationshintergrund. Aber in vergleichbaren Gruppen ist es wie gesagt ähnlich.

(Zuruf)

- Herr Kollege, ich bin gern bereit, die entsprechenden Untersuchungen zur Verfügung zu stellen, damit man die zur Kenntnis nimmt. Dann kann die Frage, die Kollege Wadephul zu Recht stellt, was da erhoben worden ist, durch eigene Lektüre selbst beantwortet werden. Das muss ich nicht tun.

Herr Kollege Wadephul, ich will davor warnen zu glauben, dass der Übergang von Jugendstrafrecht zum Erwachsenenstrafrecht in dem Straffolgenausspruch etwas Signifikantes bedeuten würde. Sie müssen Entwicklungsverzögerungen über die Anwendung des § 21 des StGB möglicherweise einbeziehen und Sie haben deutlich weniger Maßnahmen zur Verfügung, um auf die jugendlichen oder heranwachsenden Straftäter angemessen zu reagieren. Das Jugendstrafrecht bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, die das Erwachsenenstrafrecht nicht bietet. Die Überlegung, die dahintersteht, man müsse nur die Strafen erhöhen und damit würden die Strafaussprüche auch bei Gericht erhöht werden, ist relativ kindisch, weil sie mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun hat. Auch ein erwachsener Straftäter, der in eine Gewalttat verwickelt ist, kommt bei der Ersttat beispielsweise mit einer vergleichsweise geringen Strafe davon, weil immer noch die Hoffnung besteht, ihn möglicherweise auch über eine Bewährungsauflage in die Gesellschaft zurückzuholen anstatt dauerhaft im Knast zu belassen.

Lassen Sie uns im Ausschuss bei diesen wunderbaren Sätzen, die ich im Wahlkampf auch immer wieder gehört habe, einige Abstriche machen und die Sache inhaltlich wirklich aufgrund von Unterlagen - möglicherweise aufgrund von Anhörungen - debattieren. Ich bin sicher, wir kommen relativ zügig - wenn auch nicht auf eine identische - auf eine sehr ähnliche Grundlage.

(Beifall bei FDP, CDU, SPD und SSW)

Das Wort für die Landesregierung erhält Herr Minister Uwe Döring.