Protocol of the Session on June 16, 2005

(Beifall)

Zwei Themen des Berichts machen deutlich, dass auch nach Inkrafttreten des Landesbehindertengleich

stellungsgesetzes in der praktischen Umsetzung vor Ort Menschen mit Behinderung nicht immer die notwendige Sensibilität für ihre Bedürfnisse entgegengebracht wird. Dabei handelt es sich zum einen um das, was wir Barrierefreiheit nennen, und zum anderen um die Teilhaberechte von Menschen mit Behinderung, die zwar auf dem Papier stehen, bei konkreter Anforderung im Alltag aber nicht immer entsprechend realisiert worden sind. Die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung darf nicht länger auch in diesen Bereichen ein Lippenbekenntnis bleiben.

Ich komme zu Punkt 1, der Barrierefreiheit. Wer es mit der Barrierefreiheit wirklich ernst meint, darf gesetzliche Anforderungen nicht so einschränken, dass das Ziel der Gleichstellung faktisch ins Leere läuft. Von den Trägern der öffentlichen Verwaltung ist deshalb ganz klar zu erwarten, dass sie mit gutem Beispiel vorangehen und bestehende Barrieren beseitigen. Davon profitieren übrigens nicht nur Frauen und Männer mit Behinderung, sondern - das wurde von verschiedenen Rednerinnen und Rednern gesagt - davon profitieren ältere Menschen, davon profitieren Mütter und Väter mit Kinderwagen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Es ist ärgerlich und völlig inakzeptabel, dass beispielsweise bei den wenigen öffentlichen Neubauten die Maßgaben zur verpflichtenden barrierefreien Gestaltung nicht oder nur unzureichend eingehalten werden. Im Übrigen, wenn von vornherein daran gedacht wird, dann würde das auch erhebliche Kosten sparen.

Ein Beispiel ist das erst kürzlich eingeweihte Globushaus in Schleswig. Wir haben folgende Situation. Der umgebende Park ist nicht barrierefrei. Deshalb bauen wir dann gleich ein nicht barrierefreies Globushaus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist absurd. Anstatt einen barrierefreien Zugang zu dem Park zu schaffen, so wie das jetzt erfolgt, braucht man dazu erst die Anregung von Menschen, die sonst nicht hineinkommen können.

(Beifall bei der FDP)

Dies passiert alles übrigens nur, weil es immer noch Regelungen gibt, die eine Barrierefreiheit eines Gebäudes nur vorschreiben, wenn auch die Umgebung selbst barrierefrei ist.

Die FDP-Fraktion hat aus diesem Grund bereits im Zug der Beratungen zum Landesbehindertengleichstellungsgesetz einen Gesetzentwurf eingebracht, der vorsah, die Barrierefreiheit nach einer Übergangsfrist von 15 Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes auch in bestehenden Gebäuden herzustellen. Dieser Antrag, der auch die Möglichkeit von Zielvereinbarungen mit den Interessenvertretungen vorsah, und somit den

(Dr. Heiner Garg)

Trägern der öffentlichen Verwaltung eine Erweiterung der Übergangsfrist eröffnet hätte, wurde damals bedauerlicherweise abgelehnt, mit der Begründung, dass aufgrund des Konnexitätsprinzips eine solche Regelung nicht gewollt sei. Jetzt empfehle ich denjenigen, die unseren Gesetzentwurf damals abgelehnt haben, einmal einen Blick in den vorliegenden Bericht. Was ist passiert? Der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung wird zum Bittsteller degradiert, er muss in seinem Bericht an das Land appellieren, dass wenigstens das Land selbst auf freiwilliger Basis die Barrierefreiheit in den eigenen Liegenschaften doch herstellen möge. Ich finde es dabei erschreckend, dass auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelte Fachaufsichten nicht immer in der Lage sind, Verstöße gegen das Landesbehindertengleichstellungsgesetz zu kontrollieren geschweige denn, liebe Kollegen, die aufgedeckten Verstöße zu sanktionieren.

(Beifall bei der FDP)

Ich bin sehr wohl der Auffassung, dass Politik eine überzeugende Antwort darauf liefern muss, warum gerade Verstöße gegen das bestehende Gleichstellungsgebot keinerlei Sanktionen nach sich zieht, während sie in fast allen anderen Fällen, sei es beim Umweltrecht, sei es beim Vergaberecht und überall dort, wo man sich an Recht und Gesetz hält, Sanktionen nach sich ziehen. Dies ist eigentlich selbstverständlich. Nur in diesem Bereich ist dies nicht der Fall. Darüber sollten wir einmal nachdenken.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer die Durchsetzung von Bürgerrechten, die Herstellung von Barrierefreiheit mit der Begründung verweigert, man könnte durch eine entsprechende Regelung in Artikel 49 Abs. 2 der Landesverfassung vereinbarte Konnexitätsprinzip auslösen, der zeigt, dass Barrierefreiheit bedauerlicherweise auch in Schleswig-Holstein, obwohl hier viel passiert ist, noch viel zu häufig nur auf dem Papier existiert und oft an rein fiskalischen Überlegungen scheitert.

Das Konnexitätsprinzip hat die Signalfunktion, dass der Landesgesetzgeber nicht einfach zulasten der Kommunen kostenträchtige Beschlüsse fast. Ja, so weit, so gut, so richtig, Frau Kollegin Heinold, das durfte ich bei Ihnen im Finanzausschuss lernen. Aber ich sage Ihnen als Sozialpolitiker, der ich schon davor war, eines: Dies darf Politik nicht davon abhalten, kostenauslösende Entscheidungen zu treffen, wenn die Zielsetzung der Barrierefreiheit tatsächlich erreicht werden soll.

Zweitens: Teilhabe. Der Bericht macht deutlich, dass Menschen mit Behinderung und ihre Verbände und Vertretungen im Vorfeld zu wenig gefragt werden, was ihre Bedürfnisse angeht, und zwar nicht nur bei Bauvorhaben. Statt sie bereits im Vorfeld einzubinden, bei Gesetzentwürfen anzuhören oder aber bei Ausschreibungen bereits bestimmte Kriterien der Barrierefreiheit festzuschreiben, wird zu oft erst im Nachhinein nachgebessert. So verkommt der Gedanke der Barrierefreiheit zu einem kostenträchtigen Sonderfall, den man in der Praxis gerne beiseite schiebt oder sogar ignoriert.

Welche kostenträchtigen Probleme dabei entstehen können, zeigt die angeführte Diskussion um das Schleswiger Globushaus, das bis heute bedauerlicherweise nicht allen Menschen offen steht. Auch bei der Ausschreibung von Bahnstrecken durch das Land stellt die Barrierefreiheit von Fahrzeugmaterial kein Ausschreibungskriterium dar, nach dem sich die Bewerber zu richten haben.

Das alles gilt nicht nur für Gebäude oder Fahrzeuge, sondern auch für Formulare, Internetpräsenzen, Schilder, Farb- und Lichtgestaltung oder für die Installation von Lautsprecheranlagen. Gerade hier könnte bereits im Vorfeld nicht nur viel Geld gespart werden, wenn man rechtzeitig Menschen, die davon betroffen sind, anhörte, wenn man ihnen zuhörte, wenn man sich fragte, welche Bedürfnisse sie haben, sondern es könnten auch Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Know-how hierfür entwickelt wird, um uns in einer älter werdenden Gesellschaft einen weiteren Zukunftsmarkt zu erschließen.

Wir müssen uns klarmachen, dass Menschen mit Behinderung unter Barrierefreiheit je nach Art ihrer Behinderung etwas anderes verstehen. Blinde und Sehbehinderte haben andere Ansprüche an ihre Umgebung als Querschnittsgelähmte oder Menschen mit einer taubheitsbedingten Behinderung.

Umso mehr müssen nicht nur die Betroffenen, sondern auch die verantwortlichen Architekten, Designer, Ingenieure und Behörden mit eingebunden werden, um den skizzierten Anforderungen rechtzeitig gerecht zu werden und uns in diesem Bereich vielleicht einen bundesweiten Vorsprung zu erarbeiten.

Wir müssen Barrierefreiheit endlich auch als Wirtschaftsfaktor verstehen, uns dieses Know-how sichern und es uns zunutze machen.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Dabei geht es mir gar nicht darum, das alles ,,orthopädisch, klinisch, fleischfarben“ zu gestalten. -

(Dr. Heiner Garg)

Das ist kein Zitat von mir, sondern ein Zitat von Ulrich Hase. - Vielmehr gehr es um die Vernetzung und um die Vermittlung des Wissens. Dann kann barrierefreies Gestalten nämlich auch schön sein.

Wie das geht, zeigt eine Firma aus SchleswigHolstein: Die Firma enter-aktiv ist bundesweit führend in der barrierefreien Gestaltung von Internetseiten. Vielleicht schauen Sie in der Mittagspause einmal hinein.

Drittens. Zur Umsetzung des Berichts. Der Bericht macht deutlich, dass wir im Land bereits jetzt konkret und pragmatisch vieles ohne großen Mehraufwand für die Gleichstellung tun können. Viele Kriterien sind bereits jetzt umsetzbar und dürfen nicht daran scheitern, dass diese, auf welcher Ebene auch immer, noch nicht angekommen sind. Ich nenne das Stichwort Partizipation. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lassen Sie es uns zur Regel machen, dass wir Behindertenverbände bei Gesetzentwürfen anhören.

Warum werden einheitliche Standards zur Barrierefreiheit, wie die BIT-Verordnung, die nur für Internetauftritte von Bundesbehörden gilt, nicht auch bei der Neukonzeption von Internetauftritten des Landes berücksichtigt?

Warum werden angehende Architekten und Ingenieure in der Ausbildung noch zu wenig für das Thema der Barrierefreiheit sensibilisiert, auch wenn sich in der Vergangenheit einiges getan hat?

Warum werden die Träger der Servicestellen nach SGB IX bei dem von der Politik gewollten Paradigmenwechsel in der Umsetzung zu sehr alleine gelassen und damit natürlich indirekt auch die Betroffenen?

Der Bericht des Landesbeauftragten zeigt, dass allein mit wenig Aufwand viel erreicht werden könnte, wenn das Thema durch uns alle anders betrachtet würde.

Frau Präsidentin, mein letzter Satz: Hier sind nicht länger Sonntagsreden gefordert, ob von Rednerpulten aus oder auf Veranstaltungen, sondern hier ist die praktische Umsetzung gefordert. Das heißt, wir alle sind hier gefordert. Ich denke, gerade im Sozialausschuss haben wir richtig Lust darauf anzupacken. Ich finde es im Übrigen ausgezeichnet, dass sich die Kolleginnen und Kollegen aller anderen Ausschüsse ebenfalls mit diesem Bericht befassen müssen.

(Beifall)

Ich danke dem Abgeordneten Dr. Garg. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Monika Heinold das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Hase! Behindertenpolitik ist Menschenrechtspolitik. Die Arbeit Herrn Hases und seines Teams steht voll und ganz in dieser Tradition. Ich möchte dem Behindertenbeauftragten und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus ganzem Herzen für ihre gute und unermüdliche Arbeit danken, eine Arbeit, welche nicht immer leicht ist, deren Wege lang und länger sind, deren fassbare Ergebnisse eher selten und niemals ein Selbstgänger sind.

Wir brauchen dieses Engagement auch in der Zukunft, trotz Bundes- und Landesgleichstellungsgesetz, trotz SGB IX und XII. Sollte das Antidiskriminierungsgesetz in seiner jetzigen Fassung in Berlin scheitern, brauchen wir diese Arbeit mehr denn je; den dann bleiben die Menschen mit Behinderung bei den Gesetzen außen vor.

In Schleswig-Holstein leben circa 225.000 Schwerbehinderte. Sie erfahren Tag für Tag technische, bauliche und soziale Beeinträchtigungen ihrer Lebensführung. Diese alltäglichen Erfahrung stehen im Widerspruch zum Grundgesetz. Artikel 3 des Grundgesetzes postuliert als Grundrecht: ,,Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Menschen mit Behinderung müssen also ihre Rechte auf der gleichen Grundlage wahrnehmen können wie alle Bürger und Bürgerinnen in diesem Land. Politik für Barrierefreiheit, für Teilhabe am wirtschaftlichen Leben, für Gleichberechtigung und Gleichstellung und für den Schutz vor Diskriminierung ist Menschenrechtspolitik.

In den letzten Jahren sind dank der rot-grünen Bundesregierung entscheidende Fortschritte erzielt worden. Das neue Schwerbehindertenrecht und das Bundesgleichstellungsgesetz bieten den Rahmen, um die gesellschaftliche Integration von Menschen mit Behinderung Stück für Stück voranzutreiben.

In Schleswig-Holstein sind wir ebenfalls auf einem guten Weg. Im Jahre 1995 haben wir mit Herrn Ulrich Hase einen sehr guten und engagierten Landesbeauftragen für Menschen mit Behinderung gewählt. Im Jahre 2003 haben wir als eines der ersten Bundesländer ein Landesgleichstellungsgesetz verabschiedet. Das ist einer unserer Erfolge in unserer Regierungszeit in Schleswig-Holstein. Die CDU hat damals da

(Monika Heinold)

gegen gestimmt, hat aber - das will ich nicht verschweigen - eigene Vorschläge gemacht.

Das Landesgleichstellungsgesetz sieht vor, dass der Landesbeauftragte alle zwei Jahre über die Umsetzung des Gesetzes, über seine Tätigkeit berichtet. Der aktuell vorgelegte zweite Tätigkeitsbericht und gleichsam erste Umsetzungsbericht zum Landesgleichstellungsgesetz ist sehr umfangreich, sehr vielfältig. Er macht eindrücklich die Aufgabenvielfalt und die Notwendigkeit der Arbeit, aber auch die Notwendigkeit der Berichterstattung deutlich, damit wir uns mit den Ergebnissen kritisch und intensiv auseinander setzen können.

Rechtliche Grundlagen für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung sind notwendig, aber sie sind eben erst der Anfang. Ihre Umsetzung braucht immer wieder die Wachheit, das Interesse, braucht Engagement und Unterstützung.

Die grüne Landtagsfraktion unterstützt den Ansatz des Behindertenbeauftragten, die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung als Querschnittsaufgabe zu begreifen. Dazu brauchen wir, wie Ulrich Hase es anmahnt, Interessenvertretungen, Beauftragte und Beiräte auf allen politischen Ebenen. Sie können durch ihre praktische und rechtliche Kompetenz helfen, die Anwendung und Kontrolle der bestehenden Gesetzgebung für diese Menschen zu verbessern. An dieser Stelle hapert es, wie der Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten deutlich macht. Die Mitwirkung von Betroffenen ist immer dann erfolgreich, wenn sie in der Planungsphase beginnt. Gerade hier beginnt sie zu selten. Aber genau dadurch könnten spätere Mehrkosten vermieden werden.

Ein positives Beispiel ist die Erleichterung der Teilnahme an Wahlen. Frau Trauernicht ist darauf eingegangen. Um unser Ziel, die Förderung von Teilhabe und Selbstbestimmung in allen Politikbereichen umzusetzen, bleibt viel zu tun.

Aus dem vorgelegten Bericht möchte ich nun ergänzend ein paar Punkte ansprechen.

Die Integrationsunternehmen in Schleswig-Holstein sind sehr erfolgreich. Auch dies wurde bereits erwähnt. Ich möchte aber auch den Tourismus noch einmal ansprechen, der in dem Bericht beleuchtet wird. Wir können in Schleswig-Holstein tatsächlich Akzente als barrierefrei gestalteter Urlaubsstandort setzen und ein attraktives Angebot für Menschen mit Handicap machen.

(Beifall)

Auch hierzu benennt der Bericht einige Dinge, die schon geschehen sind: Beherbungsbetriebe „rolli