Jetzt kommt der Vorschlag, die Mehrwertsteuer zu erhöhen und dadurch dann über niedrigere Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung die Lohnnebenkosten zu senken. Ich sage Ihnen, Kollege Müller - das ist übrigens das, was ich immer gesagt habe -: Am Anfang steht die Reform der Sozialversicherung.
- Nein, nein, bei Ihnen steht erst immer die Erhöhung der Mehrwertsteuer und dann wollen Sie das an die gesetzliche Sozialversicherung überweisen. Das funktioniert aber nicht, wie wir alle miteinander wissen. - Wir müssen erst einmal die Strukturen in der Sozialversicherung neu ordnen und müssen genau sortieren: Was hat eigentlich mit Krankheit des Arbeitnehmers zu tun und was hat nichts damit zu tun? Dann können wir darüber nachdenken: Soll das, was nichts mit der Krankheit des Arbeitnehmers zu tun hat, von der gesamten Gesellschaft getragen werden? Ich nenne als Beispiel die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern. Wenn die Gesellschaft dies will, dann muss diese Gesellschaft das leisten, aber es nicht nur von denen bezahlen lassen, die Beiträge zum Beispiel zur Krankenversicherung zahlen. Es gibt eine Vielzahl von Vorschlägen, wie man hier ansetzen kann. Wenn dieser Zusammenhang im Rahmen einer gesamten Neuordnung der Strukturen unseres Steuersystems bei der Einkommensteuer, der Unternehmensbesteuerung, der Mehrwertsteuer und unter Einschluss der Finanzierung der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme hergestellt wird, dann sind wir auf einem guten Weg. Daran muss gearbeitet werden.
Nach § 56 unserer Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben die merkwürdige Situation in Deutschland, dass die Notwendigkeit, umzufinanzieren und endlich die Lohnnebenkosten zu senken, weiten Kreisen der Gesellschaft und auch in der Politik bewusst ist, sich aber niemand traut, es auszusprechen. Wir haben diese Diskussion auch in unserer Partei geführt. Es hat lange gedauert, bis der Programmentwurf fertig gestellt war, der jetzt vorliegt, in dem das deutlich steht.
In der Vergangenheit war es immer so, dass die Angst bestand, zu sagen: Wir machen eine Steuererhöhung. Die Diskussion um die Senkung der Steuern hat sich in Deutschland in einer Weise verselbstständigt, als sei es ein Segen an sich, wenn Sozialsysteme abgebaut werden und Steuern gesenkt werden. Das ist ein falscher Weg. Die skandinavischen Länder haben sehr deutlich bewiesen, dass man mit hohen Steuern, aber mit niedrigen Lohnnebenkosten sehr erfolgreich Wirtschaftspolitik machen kann und damit auch den Arbeitsmarkt sehr erfolgreich beeinflussen kann. Dänemark hat 1993 eine große Steuerreform gemacht. Damals hatte Dänemark eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie Deutschland. Seitdem hat sich die Arbeitslosigkeit in Dänemark halbiert, während sich die Arbeitslosigkeit in Deutschland verdoppelt hat. Dies zeigt, dass ein solcher Weg möglich und erfolgreich ist.
Es ist sehr wichtig, da diese Diskussion in allen Parteien geführt wird, dass wir an diesem Punkt einen Schritt vorankommen. Ich würde mir wünschen, dass von Schleswig-Holstein, wo diese Diskussion am weitesten ist, weil wir am nächsten an den skandinavischen Ländern dran sind und hier die Diskussion anders geführt wird, bundesweit ein Signal ausgeht, dass wir uns daran orientieren wollen. Es wäre ein guter Schritt, wenn dies möglich wäre, auch in dieser neuen Konstellation im Landtag.
Eine Anmerkung noch zum Gesundheitssystem, Herr Garg! Man kann über die verschiedenen Möglichkeiten der Finanzierung des Gesundheitssystems sehr viel diskutieren, es gibt unterschiedliche Modelle, die
sinnvoll sind. Das will ich gar nicht bestreiten. Aber ich halte einen Kernpunkt für entscheidend. Ein allgemeines Gesundheitssystem ist nur gut, wenn auch die Eliten der Gesellschaft an diesem Gesundheitssystem beteiligt sind. Gesundheitssysteme, in denen die Eliten der Gesellschaft ein anderes Gesundheitssystem haben als die Masse der Bevölkerung, neigen immer dazu, dass das System, das für die Masse der Bevölkerung vorgesehen ist, zunehmend verludert.
Diese Gefahr besteht. Das erleben wir zum Beispiel in England, das erleben wir ganz deutlich in den USA, wo es zwei verschiedene Gesundheitssysteme gibt.
Deswegen glaube ich, dass Ihr Weg falsch ist, Herr Garg, und deswegen glaube ich, dass der Weg der Bürgerversicherung richtig ist, ganz gleich, wie man sie finanziert und wie man sie konstruiert. Ein Gesundheitssystem, an dem alle beteiligt sind, auch die Eliten der Gesellschaft, wird dazu führen, dass ein großes Interesse innerhalb der Eliten besteht, dass dieses Gesundheitssystem eine gute Qualität bietet. Das ist die Garantie dafür, dass wir auch in Zukunft ein soziales und gerechtes Gesundheitssystem haben werden, das allen Bedürfnissen gerecht wird. Deswegen plädiere ich unbedingt dafür, diesen Weg zu gehen und nicht den Weg der FDP.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Hentschel sagte eben sinngemäß, es sei eine sehr schwierige Diskussion, sozusagen den Wandel in der Debatte dahin zu führen, dass wir, was das nationale Steueraufkommen anbelangt, eine Umschichtung brauchen weg von der direkten Steuer und hin zu den indirekten Steuern. Herr Hentschel, ich glaube das nicht. Ich glaube sogar eher das Gegenteil. Im Steuerrecht und in der Steuerrechtsdebatte ist es immer außerordentlich einfach, sich im Grundsatz zu einigen, aber Schwierigkeiten tauchen auf, wenn man in die Details geht.
Der Grundsatz - das hat auch Ihr Fraktionskollege Müller zutreffend festgestellt - ist in der Debatte durchaus konsensfähig: Umschichtung zugunsten der indirekten Steuern, weg von den direkten Steuern.
Nur, meine Damen und Herren, rücken wir doch einmal die Mehrwertsteuerdebatte in den Zusammenhang zu den anderen Mehrwertsteuerdebatten und auch zu den anderen Steuerdebatten insgesamt, die wir an anderer Stelle geführt haben.
Thema Subventionsabbau, Abbau steuerlicher Subvention, steuerlicher Förderung! Sie fordern in Ihrem Antrag eine Erweiterung beziehungsweise eine Absenkung des halben Steuersatzes bei der Mehrwertsteuer. Was ist der halbe Steuersatz anderes als eine steuerliche Subvention, als ein ganzer Sack voll Leistungen, der gegenüber anderen Leistungen begünstigt ist?
Herr Müller, Sie argumentieren zwar sozialpolitisch und aus Ihrer Sicht möglicherweise auch schlüssig, aber steuerpolitisch ist das ein Widerspruch zu all dem, was Sie bisher zum Thema Subventionsabbau hier gesagt haben.
Im Übrigen waren auch die Einleitungsworte unseres Kollegen Lothar Hay natürlich nicht ganz richtig. Denn immerhin steht im Koalitionsvertrag, dass sich die Koalition darauf vereinbart, steuerliche Subventionen abzubauen. Die weitere Reduzierung des halben Steuersatzes wäre dann eben auch etwas, was wir vereinbaren müssten. - Das möchte ich nicht als Belehrung sagen, sondern ich möchte das Bewusstsein dafür schärfen, was heute alles steuerliche Subvention ist.
Meine Damen und Herren, worüber haben wir in der Vergangenheit bei der Mehrwertsteuer noch gesprochen? Erinnern Sie sich an die Debatten nicht nur hier im Hause, sondern in der ganzen Bundesrepublik zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Wenn wir über Mehrwertsteuerreform sprechen, haben wir auch die Abstufung in der öffentlichen Darstellung zu Herrn Minister Stegner, der sehr offensiv für eine Anhebung der Mehrwertsteuer streitet, während wir argumentieren, man müsse es in einem Gesamtzusammenhang sehen. Die Bekämpfung der Schwarzarbeit - so ist dies auch diskutiert worden - hat sehr viel damit zu tun, dass die Mehrwertsteuer für personalintensive Dienstleistungen gesenkt werden muss, wenn wir die Versuchung der Bürger, Schwarzarbeit in Anspruch zu nehmen, reduzieren wollen. Wenn man die Schwarzarbeit wirkungsvoll bekämpfen will, so ist dies ebenfalls eine Größenordnung, die sich im Milliardenbereich bewegt.
Ich komme zum Schluss. - Wenn ich einmal zusammenrechne, wie viel eigentlich bei den Sozialversicherungssystemen als Reduzierungsvolumen ankommt, so frage ich mich, ob am Ende tatsächlich eine Entlastung im Bereich der Lohnnebenkosten stattfindet, wie wir uns das alle wünschen. Ein Prozentpunkt Mehrwertsteuer bringt etwa 8 Milliarden € in die Staatskasse.
Bei der Reduzierung des halben Steuersatzes macht ein Prozentpunkt 1,7 Milliarden € weniger, die Bekämpfung der Schwarzarbeit macht ebenfalls mehrere Milliarden weniger aus. Das heißt, wir brauchen ein Gesamtkonzept; sonst reformieren wir die Mehrwertsteuer und am Ende kommt bei der Sozialversicherung trotzdem nichts an. - Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich nun der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wirklich nicht das erste Mal, dass wir dieses Thema miteinander diskutieren. Viele Argumente haben wir dazu schon ausgetauscht. Neues gibt es vielleicht nicht zu sagen. Trotzdem glaube ich, es ist wichtig, die Positionen noch einmal deutlich zu machen.
Für uns gilt auf jeden Fall, dass das Projekt der Senkung der Lohnnebenkosten durch eine maßvolle Erhöhung der Mehrwertsteuer nur Teil eines Gesamtvorhabens sein kann, das die Reform unseres Sozialstaates bedeutet. Dabei wird es sich um ein Projekt handeln, das nicht in einer Legislaturperiode zu Ende gedacht sein wird, das also weitere Jahre in Anspruch nehmen wird. Vorraussetzung aber ist unserer Meinung nach - ich sagte es bereits in meinem Beitrag -, dass man endlich weiß, worüber man diskutiert, und nicht in jeder Diskussion wieder alles infrage stellt.
Ich schaue jetzt noch einmal den Kollegen Garg an. Ich finde, Ihr Beitrag war symptomatisch. Die FDP
hat, zurückblickend betrachtet, diese Diskussion auf Bundesebene mitgeprägt. Steuersenkungsdebatten hat es immer wieder gegeben, auch unter der Überschrift: Wie hätten Sie es denn gern? Könnte es noch ein bisschen mehr sein?
- Ja. Könnte es noch ein bisschen weniger sein? - Man kann nicht immer sagen: „Haltet den Dieb“, wenn es noch gar keinen Dieb gibt. Denn ein aufkommenneutraler Umbau des Sozialsystems, wie wir ihn heute angesprochen haben, mag ja, isoliert gesehen, zu Steuererhöhungen führen; aber entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist nicht die Steuerquote, sondern sind die Sozial- und die Steuerquote. Diese würden durch einen Umbau insgesamt nicht geändert werden.
Ich sage der FDP: Hören Sie jetzt endlich damit auf, immer wieder das Gespenst der Steuererhöhung an die Wand zu malen. Denn - auch das wurde schon gesagt - die direkten Steuern sind in Deutschland in den letzten fünf Jahren um 50 Milliarden € gesenkt worden und das Ergebnis für die Wachstums- und Arbeitslosenzahlen in Deutschland war gleich null. Es ist nichts dabei herausgekommen.
Es kommt also nicht mehr darauf an, einfach Steuersenkungsmodelle herunterzubeten, sondern es kommt wirklich auf intelligente Lösungen an, die zu einer Reform unseres Sozialstaates führen.
Letzte Bemerkung! Der Kollege Hentschel spielte auch noch einmal die dänische Karte. Es ist immer wieder schön zu hören, wie er das kann. Er kann das besser als ich, aber das soll auch nichts heißen.
Ich möchte ganz vorsichtig darauf hinweisen, dass die Situation, wie wir sie in der Bundesrepublik heute haben, eher mit der Situation nördlich der Grenze in den 80er-Jahren vergleichbar ist. Aber dort haben alle gemeinsam erkannt, dass etwas getan werden muss.
Ich vermisse wirklich diesen Konsens. Der Unterschied zwischen den Debatten nördlich und südlich der Grenze ist auch immer daran festzumachen, dass wir hier von der Zukunft des Sozialstaates sprechen -