Protocol of the Session on July 13, 2007

Schleswig-Holstein hat mit dem Thesenpapier des Justizministers vom 16. Januar 2007 Stellung bezogen: Die aktive Sterbehilfe wird ausdrücklich abgelehnt. - Ich glaube, da sind wir uns hier in diesem Haus einig: Wir wollen auch nicht, dass der aktiven Sterbehilfe in irgendeiner Form Tür und Tor geöffnet wird.

Unter Punkt 2 des Thesenpapiers heißt es:

„Die überfällige Regelung dieses Bereiches darf allerdings nicht zu einer übermäßigen ‚Bürokratisierung des Sterbens’ führen.“

Auch wenn klar ist, was gemeint ist, hat mir der Begriff der „Bürokratisierung des Sterbens“ ein unangenehmes Gefühl bereitet. Sterben ist ebenso wie das Geborenwerden ein ganz natürlicher Prozess und muss auch als ein solcher wieder in unser Bewusstsein gerückt werden.

Unter Punkt 4 des Papiers des Justizministeriums kommt es zu einer der Kernfragen, die auch laut

(Minister Uwe Döring)

Bericht der Landesregierung von den Bundestagsabgeordneten unterschiedlich bewertet werden. Es geht um die Reichweite der Patientenverfügung. Sie soll sich nach Auffassung des Justizministers von Schleswig-Holstein sowohl auf Erkrankungen mit irreversibel tödlichem Verlauf als auch auf Erkrankungen ohne zwingend tödlichen Verlauf erstrecken können. An diesem Punkt, meine Damen und Herren, scheiden sich die Geister, da einige eine Patientenverfügung nur eingeschränkt für irreversible tödliche Krankheitsverläufe und für Patienten mit dauerhaftem Bewusstseinsverlust - zum Beispiel Komapatienten und bei schwersten Demenzerkrankungen - anerkennen wollen.

In der letzten Ausgabe der Zeitschrift des Bundesverbandes der Deutschen Wachkoma-Gesellschaft las ich zum Thema Patientenverfügung unter anderem: „Längst ist es erwiesen, dass Patienten im Wachkoma nicht hirntot und auch keine Sterbenden sind. Vielmehr sind es kranke Patienten, die Solidarität und Hilfe benötigen und erwarten können.“ Sie merken, welch schwierige Diskussion vor uns steht.

Einige stellen die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung sogar ganz infrage, so auch der Vorstand der Bundesärztekammer und der Deutsche Ärztetag, die sich kritisch dazu geäußert und sich gegen umfangreiche rechtliche Regelungen ausgesprochen haben, da schon nach geltendem Recht der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille grundsätzlich verbindlich und es illusorisch ist anzunehmen, dass alle denkbaren Fälle mit einer Patientenverfügung geregelt werden können. Es wird jedoch auch vom Präsidenten der Ärztekammer Schleswig-Holstein geraten, dass diese Gesetzesinitiative nicht hinter die in der Bundesrepublik Deutschland jetzt geltende sowie allgemein anerkannte Rechtslage zurückfallen soll.

Ärztinnen und Ärzte nehmen eine Schlüsselposition bei der Begleitung Todkranker und Sterbender ein. Ein Arzt kann nicht zu einer seinem Gewissen widersprechenden Behandlung oder zu bestimmten Maßnahmen gezwungen werden. Der ärztliche Auftrag heißt: Leben erhalten, Leiden lindern und Sterbenden im Tode beistehen.

Nur wenigen Menschen ist es gegeben, im Kreise der Familie friedlich zu entschlafen, wie es so tröstlich heißt. Da die meisten Menschen Angst vor dem letzten Teil des Lebens, dem Sterben, haben, ist Sterbebegleitung ein großes Thema. Einsamkeit, Pflegebedürftigkeit und starke krankheitsbedingte Schmerzen verstärken die Ängste.

Schleswig-Holstein soll Vorreiter in der Palliativmedizin werden, haben wir parteiübergreifend im Landtag beschlossen. Dieser Beschluss ist ein weiterer Impuls für die Hospizarbeit, die in großartiger Weise oft ehrenamtlich geleistet wird.

(Beifall bei CDU und SPD)

Sie ist gestützt von palliativmedizinischer Betreuung und Schmerztherapie, dem wichtigsten Element für natürliches, würdevolles Sterben. Mit Palliativmedizin und ganzheitlicher fürsorglicher Pflege und mitmenschlicher Betreuung werden Leiden umfassend gelindert. Palliativmedizin ist eine klare Absage an die aktive Sterbehilfe. Ich danke allen, die sich der Begleitung der Menschen im Sterben widmen.

Bei Diskussionen zum Thema „Patientenverfügung“ wird immer wieder beklagt, dass Patientenverfügungen nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Liegt die Patientenverfügung im Notfall nicht vor oder ist sie niemandem bekannt und ist mit dem Aufschub von Therapiemaßnahmen Gefahr für den Patienten verbunden, kann es auch in Zukunft dazu kommen, dass der in Patientenverfügungen niedergelegte Wille nicht umgesetzt werden kann. Weitere Gründe sind oft zu allgemeine Formulierungen und geänderte medizinische Situationen, bei denen es zu überlegen gilt, ob der Wille des Patienten unter Kenntnis der veränderten Lage ein anderer gewesen wäre als bei Verfassen der Patientenverfügung.

Das gestrige 6. Fördeforum der CDU-Landtagsfraktion hat sich dem Thema „Der Mensch im Sterben, Patientenverfügung, Palliativmedizin, Sterbehilfe?“ gewidmet. Ziel der Veranstaltung war, neue Standpunkte kennenzulernen, dazu beizutragen, das Sterben aus der Tabuzone herauszuholen und dieser letzten Phase des menschlichen Lebens Raum zu geben. Der Plenarsaal, in dem alle gesellschaftspolitischen Fragen erörtert und Entscheidungen für die Zukunft angestrebt werden, ist so recht geeignet, auch einmal das Sterben in den Mittelpunkt zu rücken.

Patientenverfügungen sollen mehr als eine juristische Absicherung gegen Kontrollverlust am Lebensende sein. Allerdings muss ein neues Gesetz auch in einer umfassenden Aufklärungskampagne an die Bürgerinnen und Bürger sowie die Ärzteschaft, die Pflegenden und die Vormundschaftsgerichte kommuniziert werden. Nur dann kann sich der klare, rechtssichere Umgang mit Patientenverfügungen tatsächlich einspielen.

Seitens der Ärzteschaft wird noch zu diskutieren sein, ob der weite Bereich der Sterbebegleitung, un

(Ursula Sassen)

ter den auch ein souveräner Umgang mit sterbenden Menschen und mit Patientenverfügungen fiele, endlich verpflichtender Teil des Lehrplans wird.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn die Angst der Menschen vor einer Lebenserhaltung um jeden Preis, die in vielen Patientenverfügungen zum Ausdruck kommt, wird nur dann gemildert werden, wenn sich die Ärzte der Angst davor stellen, einen Patienten sterben zu lassen.

Wir dürfen also mit Spannung erwarten, wie das Gesetz ausfällt, und können nur hoffen, dass etwas Gutes für die Patienten dabei herauskommt.

(Beifall bei CDU, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich danke der Frau Abgeordneten Ursula Sassen und erteile für die SPD-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Warum befasst sich der Schleswig-Holsteinische Landtag mit einem Thema, das in die gesetzgeberische Zuständigkeit des Bundestages fällt und das dort seit geraumer Zeit diskutiert wird?

Erstens. Wir können und sollten als Landtag mit einem möglichst gemeinsamen fraktionsübergreifenden Appell in Richtung Bundestag versuchen, darauf hinzuwirken, dass nicht weitere geraume Zeit verstreicht, in der nur diskutiert und nicht entschieden wird.

Zweitens. Wir können als schleswig-holsteinische Volksvertretung werbend und anregend auf unsere Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein einwirken, sich mit dem Thema zu befassen, weil es jeden Menschen altersbedingt, krankheitsbedingt oder durch einen schweren Unfall bedingt treffen kann, Patient zu sein oder zu werden und nicht mehr selbst verfügen zu können.

Beide Punkte werden in dem Antrag aller fünf Fraktionen dieses Hauses angesprochen. Wir fordern die Landesregierung auf, sich für eine zügige bundesgesetzliche Regelung des Anwendungsbereichs und der Bindungswirkung von Patientenverfügungen einzusetzen, und wir betonen die Bedeutung klarer und eindeutiger Regelungen für Patientinnen und Patienten, ärztliches Personal, Angehörige, Betreuende und Bevollmächtigte.

Eine klare und eindeutige bundesgesetzliche Regelung ist notwendig, weil es bei Entscheidungen über Leben und Tod Rechtssicherheit für alle Beteiligten geben muss. Geregelt werden muss insbesondere, unter welchen konkreten Voraussetzungen und in welcher Form der erklärte Verzicht sterbenskranker Menschen auf künstlich lebenserhaltende oder lebensverlängernde medizinische Maßnahmen rechtswirksam und verbindlich ist. Überregulierung sollte dabei im Interesse von Patientenselbstbestimmung einerseits und ärztlicher Eigenverantwortung andererseits vermieden werden. Jede Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme einer ärztlichen oder pflegerischen Maßnahme ist immer eine für einen konkreten Einzelfall unter Beachtung und Wahrung der Menschenwürde und in ethischer Verantwortung zu treffende Entscheidung. Das muss auch so bleiben. In diesem Sinn ist sicherlich das Zitat mit der Bürokratisierung gemeint, Frau Kollegin Sassen. Ich glaube, besser wäre es zu sagen: Wir wollen keine Bürokratisierung der Sterbebegleitung.

Allen Bürgerinnen und Bürgern in Schleswig-Holstein sollten wir unabhängig von der auf Bundesebene laufenden Diskussion empfehlen, nicht auf das Ergebnis der Debatte zur warten, sondern die zwar unvollkommenen, aber insbesondere durch obergerichtliche Entscheidungen immerhin skizzierten vorhandenen rechtlichen Grundlagen zu nutzen, um unverzüglich für sich selbst Vorsorge zu treffen. Hilfreich können dabei in der Tat die Hinweise und Empfehlungen der Bundesärztekammer und der dortigen zentralen Ethikkommission sein, aus denen ich sechs Punkte hervorheben möchte.

Erstens. Vor der Erstellung der Patientenverfügung wird ein ärztliches Beratungsgespräch empfohlen, da der verfügenden Person medizinische Fachkenntnisse für die Beschreibung eines bestimmten Krankheitszustandes in aller Regel fehlen.

Zweitens. Die Patientenverfügung sollte mit Blick auf konkrete Situationen und Maßnahmen formuliert werden, nicht zu allgemein.

Drittens. Die Patientenverfügung sollte zum Zweck des Nachweises schriftlich erstellt, mit Datum versehen und von dem Verfügenden unterschrieben werden.

Viertens. Die Unterschrift auf der Patientenverfügung sollte regelmäßig erneuert werden, um zu dokumentieren, dass die Verfügung weiterhin dem aktuellen Willen entspricht.

Fünftens. Die Patientenverfügung muss leicht auffindbar sein. Es empfiehlt sich beispielsweise, bei dem Hausarzt eine Kopie der Verfügung zu hinter

(Ursula Sassen)

legen, auf der vermerkt ist, bei wem sich die Originalurkunde befindet.

Sechstens. In der Patientenverfügung sollte zudem eine Vertrauensperson benannt werden, mit der die Patientenverfügung und der darin erklärte Wille besprochen wurden. Dort sollte sich auch die Originalurkunde befinden.

Besondere Bedeutung messen Bundesärztekammer und zentrale Ethikkommission der Vorsorgevollmacht bei, mit der ein Patient eine Person seines Vertrauens ausdrücklich zum Bevollmächtigten in Gesundheitsangelegenheiten erklärt. Damit hat der Arzt einen Ansprechpartner, der den Willen des Verfügenden zu vertreten hat und vertreten kann und der bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens mitwirkt.

Die Praxis hat gezeigt, dass ein grundsätzlicher Unterschied besteht, ob Menschen in gesunden Tagen und ohne die Erfahrung ernsthafter Erkrankungen eine Verfügung über die Behandlung in bestimmten Situationen treffen oder ob sie in der existenziellen Betroffenheit durch eine schwere, unheilbare Krankheit gefordert sind, über eine Behandlung zu entscheiden. Eine Kombination aus Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung ist daher ratsam und einer Patientenverfügung ohne Vorsorgevollmacht vorzuziehen. All das ist jetzt schon möglich und sollte von jedem Menschen genutzt werden, weil es für jeden Menschen unerwartet, unvorhergesehen und unvorhersehbar schon morgen von existenzieller Bedeutung sein kann.

Ich danke dem Justizminister für seine Berichterstattung zur aktuellen politischen Diskussion auf Bundesebene, die hoffentlich zeitnah weitere Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bringt.

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Tod wird - auch aufgrund des medizinischen Fortschritts - nicht nur als schicksalhaftes Ereignis, sondern in vielen Fällen mittlerweile auch als Ergebnis einer von Menschen getroffenen Entscheidung verstanden. Viele Menschen verbinden mit wachsendem medizinischem Fortschritt nicht nur größere Erwartungen, sondern eben auch die

Befürchtung vor einer Übertherapie, und zwar insbesondere dann, wenn es darum geht, Sterben weiter hinauszuzögern. Manche Menschen befürchten, dass zur Lebensverlängerung eine Verlängerung des Leidens hinzutritt. Genau das wollen einige Betroffene nicht.

Zur Angst vor dem eigenen Tod tritt die Angst hinzu, ohne Einflussmöglichkeiten einem hoch technisierten und unpersönlichen Gesundheitsbetrieb ausgeliefert zu sein, in dem der Sieg über den Tod ohne Berücksichtigung der persönlichen Bedürfnisse als Ziel definiert wird. Gerade deshalb wird seit Jahren gefordert, die Willenserklärung von Patientinnen und Patienten gesetzlich besser abzusichern, insbesondere dann, wenn diese keine lebensverlängernden Maßnahmen wollen. Der Wunsch nach mehr Rechtssicherheit ist dabei mit der Hoffnung verbunden, dem Selbstbestimmungsrecht eines jeden Einzelnen mehr Nachdruck zu verleihen.

Ein Instrument hierfür ist die Patientenverfügung. Schätzungsweise 8 Millionen Menschen in Deutschland haben bereits in einer schriftlichen Erklärung vorab festgelegt, welche medizinische Behandlung sie wünschen, wenn sie an einer schweren Krankheit leiden oder einen Unfall erlitten haben. Viele fordern den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen, was in der Konsequenz nichts anderes bedeutet, als dass sie sterben werden, wenn ihr Wille umgesetzt wird.

Die zentrale Frage hierbei lautet: Ist das Instrument der Patientenverfügung dafür tatsächlich geeignet? Muss - das ist der Kern des derzeitigen Streites ein in der Vergangenheit geäußerter Wille durch Ärzte und Betreuer umgesetzt werden, wenn der Patient tatsächlich so erkrankt ist und sich nicht mehr äußern kann?

Auf diese grundlegende Frage haben sich drei verschiedene Antworten herauskristallisiert:

„Ja, man muss“, sagen diejenigen, die für ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht plädieren. Sie verweisen zu Recht darauf, dass eine Patientenverfügung bereits heute für Ärztinnen und Ärzte bindend ist. Mit einer klaren gesetzlichen Regelung zur Patientenverfügung sollen aber Grauzonen und damit letzte Unsicherheiten beseitigt werden.