Wenn die landesverfassungsrechtliche Verankerung dazu beitragen kann, beispielsweise den Druck auf die Jugendämter zu erhöhen, das staatliche Wächteramt nach Artikel 6 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz ernster zu nehmen und damit die Eingriffsschwelle für fürsorgliche Maßnahmen zu senken, dann hätten wir schon viel erreicht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für Schleswig-Holstein und insbesondere für die Kinder und Jugendlichen in Schleswig-Holstein. Und auch das will ich mit einigem Selbstbewusstsein sagen: Es ist ein großer Erfolg für eine kleine Opposition, dass sie eine Verfassungsänderung erreicht, die heute einstimmig verabschiedet wird.
Auch ich möchte mich dafür bedanken, dass dies möglich wird. Wir brauchen diese Verfassungsänderung. Denn auch beim Kinderschutzgesetz - wir haben vorhin darüber diskutiert - stellen sich verschiedene Fragen. Können wir tatsächlich die Ärzte verpflichten zu melden, ob die Kinder mit ihren Eltern zur Untersuchung gekommen sind oder nicht? Haben wir das Recht, die Eltern zu kontrollieren? Oder vielmehr: Wann hat der Staat das Recht zu kontrollieren, ob Vorsorgeuntersuchungen mit Kindern in Anspruch genommen werden? Für diese schwierigen Fragen, in denen es immer auch um die Rechte der Eltern geht, ist es ganz wichtig, dem starke Rechte der Kinder entgegenzusetzen, und dies werden wir mit der heutigen Verfassungsänderung tun.
Diese Verfassungsänderung verpflichtet uns aber auch zum Handeln, denn wir als Vertreter des Staates müssen immer auch berücksichtigen, dass die Aussage, dass die Familie unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes steht, nur solange richtig ist, wie die Familie auch den Schutz der Kinder gewährleistet und nicht zum Gefahrenraum für Kinder wird. Notfalls, meine Damen und Herren, müssen Kinder auch vor ihren eigenen Eltern geschützt beziehungsweise besser geschützt werden.
Wir haben die Diskussion nicht nur im Land - da schaffen wir es ja heute gemeinsam, die Verfassung zu ändern -, sondern die Debatte gibt es auch auf Bundesebene. Hier gibt es die Forderung der Kinderkommission, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Inzwischen hat sich in Berlin eine relativ breite Mehrheit zusammengetan - vom ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog bis zu Bundeskanzlerin Merkel. Ich appelliere an CDU und SPD, nun auch in Berlin Druck zu machen,
Es sind nur wenige Bundesländer - bisher gehörte Schleswig-Holstein dazu -, die die Kinderrechte noch nicht in der Landesverfassung verankert haben. Bremen, Hamburg und Niedersachsen bilden jetzt das Schlusslicht, wir jedoch zum Glück nicht mehr.
Ich hoffe, dass wir bei zukünftigen Beratungen über Kinderschutz, über Kinder- und Jugendhilfen, über notwendige Angebote immer berücksichtigen, dass wir eine Stärkung der Kinderrechte haben, die nicht nur auf dem Papier steht, sondern in der Konsequenz in der Tagespolitik auch ein schlagkräftiges Argument für unser Handeln bietet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorweg: Ich möchte mich ausdrücklich im Namen des SSW dem vom Kollegen Garg ausgesprochenen Dank anschließen. Ich halte es für wichtig, dies zu Beginn meiner Rede deutlich zu machen. Wir müssen uns jedoch auch eingestehen: Wenn es um die konkrete Verbesserung der Lebenssituation von Kindern geht, dann wird der vorhergehende Tagesordnungspunkt - das Kinderschutzgesetz - vermutlich mehr praktische Konsequenzen haben als eine Änderung der Landesverfassung. Trotzdem ist es eine wichtige Entscheidung, die wir heute fällen. Also noch einmal herzlichen Dank allen, die dazu beigetragen haben!
Mit der Verankerung von Kinderrechten in der Landesverfassung unterstreicht der Landtag einmütig, dass Schleswig-Holstein Verantwortung für die Kinder im Land übernimmt. Die Kleinsten in unserer Gesellschaft können ihre Rechte nicht selbst einfordern. Leider müssen wir feststellen, dass auch diejenigen, die es eigentlich für sie tun müssten - ihre Mutter, ihr Vater, ihr Sorgeberechtiger-, nicht immer in der Lage sind, die Rechte ihrer Kinder zu vertreten. Im Gegenteil, traurige Fälle belegen immer wieder, dass manche mit ihrer Elternrolle derart überfordert sind, dass sie selbst die Rechte ihrer Sprösslinge missachten. Viel zu viele
Kinder leiden stumm. Deshalb muss das Land ihnen einen besonderen Schutz bieten und für sie die Stimme erheben, wenn es niemand anders tut.
Kinder haben eigene Rechte, die nicht weniger wiegen als die Rechte der Erwachsenen. Dazu gehören natürlich zuerst das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit und der Anspruch auf eine angemessene Förderung ihrer Entwicklung. Das sind die Themen, die wir mit dem Kinderschutzgesetz und auch mit dem Kinder- und Jugend-Aktionsplan der Landesregierung anpacken.
Kinderrechte sind aber mehr als der Schutz vor Gewalt und Vernachlässigung. Sie betreffen auch die Förderung und die Teilhabe der Kleinsten. So gehört zu den Kinderrechten zum Beispiel auch die Mitsprache in politischen Fragen, die den Alltag der Kinder betreffen. Der SSW hat schon häufiger davor gewarnt, dass Schleswig-Holstein seine Vorreiterrolle bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen verliert. Wir brauchen neue Impulse für diese Debatte, die hier im Haus - ich sage das ausdrücklich - einmal zu den Sternstunden gehörte.
Ein Vorschlag könnte sein, das Wahlalter auch bei Landtagswahlen auf 16 Jahre herabzusetzen. Zumindest müsste man das ernsthaft diskutieren.
Außerdem kann das Land noch viel mehr tun, um Kinder und Jugendliche über ihre Rechte und Pflichten altersgemäß zu informieren. Sie müssen wissen, wo sie sich beschweren können, wenn sie sich in ihren Rechten verletzt fühlen. So kann man das Bewusstsein der Kinder dafür stärken, dass sie den Erwachsenen nicht ausgeliefert sind.
Der SSW begrüßt ausdrücklich - das möchte ich auch hervorheben -, dass die CDU in den letzten Monaten in dieser Frage noch einmal in sich gegangen ist und ihren Widerstand gegen eine Änderung der Landesverfassung aufgegeben hat. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie diesen Sinneswandel auch auf Bundesebene einleiten könnten.
Es ist außerordentlich bedauerlich, dass die Große Koalition in Berlin die Empfehlung der Kinderkommission ignoriert, Kinderrechte auch im Grundgesetz zu verankern; denn erst hier würden sie wirklich ihre volle Wirkung entfalten können und auch in der rechtlichen Praxis ein Gegengewicht zu den Rechten der Eltern und der anderen Erwachsenen darstellen können. Insofern können wir nur hoffen, dass von der Entscheidung des Landtages eine Signalwirkung ausgeht, die irgendwann dann doch im Bundestag ankommt.
Angesichts der neuen Offenheit der CDU möchte ich abschließend gern noch der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die Union bald zu der Erkenntnis kommt, dass die Anerkennung unserer Sinti und Roma als Minderheit durch die Landesverfassung ebenso angebracht wäre wie die Verankerung von Kinderrechten. Erst wenn sich die CDU dieser Verfassungsänderung nicht mehr verweigert, werden wir eine Landesverfassung haben, die wirklich auf der Höhe der Zeit ist und die schleswig-holsteinische Gesellschaft verfassungsrechtlich widerspiegelt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Dies ist ein Tag der Freude - auch für die Landesregierung. Ich sage das ganz besonders im Namen meiner Kollegin, der Jugend- und Familienministerin, deren inhaltliche Vorstellungen ja bei dem Tagesordnungspunkt vor der Mittagspause diskutiert worden sind. Diese Ergänzung der Landesverfassung ist etwas Besonderes. Ich würde es auch nicht geringschätzen und sagen, dass das einen Handlungs- und Orientierungsrahmen darstellt, auch wenn sozusagen die Mühen der Ebene in den einzelgesetzlichen und in den fachlichen Bereichen zu suchen sind. Aber zum Ausdruck zu bringen, dass Kinder und Jugendliche nicht nur unsere Zukunft, sondern unsere Gegenwart sind und dass sie teilweise nicht stark genug sind, sich selbst zu vertreten und deswegen unseren Schutz brauchen und wir das auch als Priorität erkennen, finde ich sehr weise. Die Vernunftbegabung der Menschen ist unermesslich groß.
Frau Präsidentin, wenn Sie vorhin angemerkt haben, ich sei möglicherweise auf der falschen Seite gewesen, will ich einmal Folgendes in Kinderform sagen. Die Kinder würden nämlich, wenn hier alle Fraktionen zustimmen, sagen: Eene meene muh, auch mit der CDU, eene meene meck, der Widerstand ist weg! Dass alle Fraktionen das heute miteinander beschließen, ist gut und verdient Lob und Anerkennung von allen Beteiligten.
Es wird übrigens auch nicht dadurch gemindert ganz im Gegenteil! -, dass der Vorschlag von der Opposition kommt. Ich finde, die Regierung und die regierungstragenden Fraktionen vergeben sich dadurch nichts, dass sie einen guten Vorschlag der Opposition aufgenommen haben.
Bezogen auf die Debatte, was den Deutschen Bundestag angeht - viele der von Frau Heinold angesprochenen Punkte werden ja eher eine Rolle spielen, wenn es darum geht, ob es ins Grundgesetz kommt oder nicht, weil wir es da mit dem Kinderund Jugendhilfegesetz des Bundes zu tun haben -, muss ich auch sagen: Gerade in einer Zeit, in der man fast täglich etwas darüber lesen kann, was alles an Dingen aus dem Grundgesetz gestrichen werden soll, die vernünftigerweise darin stehen, begrüße ich es sehr, dass wir über vernünftige Ergänzungen des Grundgesetzes nachdenken, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Das ist auch etwas, was einen vielleicht einmal daran erinnert, dass in 90, 95 oder 99 % der Fälle die Eltern dafür Sorge tragen, dass die Rechte ihrer Kinder gewahrt bleiben, dass aber die verbleibenden Fälle so schlimm und gravierend sind, dass auch sichergestellt werden muss, dass der Kinderschutz sozusagen keinen minderen Rang gegenüber dem Elternrecht hat, weil die Eltern den Schutz nicht brauchen; die Kinder brauchen ihn jedoch sehr wohl.
Sie müssen ihn dann auch von diesem Staat bekommen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir ein sozialer, ein humaner Staat sind, dass wir dieses in der Bundesrepublik Deutschland hinbekommen.
Zu den Punkten, die Frau Spoorendonk angesprochen hat, weil wir nicht nur über Kinder, sondern auch über Jugendliche reden: Es ist nicht so, dass die Beteiligungsrechte für Jugendliche in Schleswig-Holstein nicht vorhanden wären. Sie müssen genutzt werden. Ich bin diesem Hohen Hause sehr dankbar, dass die Versuche, unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung Beteiligungsrechte abzu
schaffen, gescheitert sind, und dass es sie in Schleswig-Holstein weiterhin gibt. Darauf können wir stolz sein. Da sind wir weiter als andere.
Dazu gehört Transparenz, dazu gehört, dass man dafür aktiv wirbt und dass man sich das auch gefallen lässt. Kinder und Jugendliche sehen Dinge nämlich anders als Erwachsene und komischerweise wird seit 2000 Jahren immer darüber geredet, dass die nachfolgende Generation weniger Verantwortung habe als man selbst. Das ist schon seit 2000 Jahren falsch. Wir sollten uns dem öffnen, auch im Sinn dessen, was wir als demografischen Wandel beschreiben und in der Regel nur als Problem darstellen, und die Chance zu nutzen, dass sich Kinder und Jugendliche, die teilweise deutlich weniger Vorurteile als Erwachsene haben, in diese Prozesse einbringen. Das ist eine Bereicherung für unser Land. Deswegen ist ein solcher Hinweis und die Tatsache, dass das Verfassungsrang hat, etwas ganz besonders Gutes.
Es ist also etwas, worüber wir uns alle vorbehaltlos freuen sollten, wofür wir übrigens auch nach außen werben sollten, damit es auch dort, wo es noch nicht in der Verfassung steht, in die Verfassung hineinkommt. Wir haben eine Menge Staatsziele, aber ich finde, dieses ist ein ganz besonders wichtiges. Jeder, der selbst Kinder hat, wird das aus eigener Anschauung sagen können. Wer sie nicht hat, wird das auch sagen können. Es ist ein guter Tag, wenn Kinder und Jugendliche den Rang bekommen, den sie verdienen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf Drucksache 16/ 1291 in der vom Ausschuss geänderten Fassung abstimmen. Ich weise darauf hin, dass für die Annahme der Verfassungsänderung eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder erforderlich ist.
Wer der Ausschussempfehlung folgen und dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? Keine. Ich stelle fest, dass der Gesetzentwurf in der Fassung der Drucksache 16/1490 einstimmig beschlossen wurde. Damit ist die Verfassungsänderung angenommen. Auch das Präsidium freut sich über diesen einstimmigen Beschluss.