Protocol of the Session on July 11, 2007

Folgender Artikel 6a wird eingefügt:

Schutz von Kindern und Jugendlichen. Kinder und Jugendliche stehen unter dem besonderen Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der anderen Träger der öffentlichen Verwaltung.

Artikel 2

Inkrafttreten.

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.“

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Abgeordneten Niclas Herbst das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben vor der Mittagspause - der eine oder andere Abgeordnete war dabei - die Fachdiskussion zum Thema Kinderschutz geführt und führen jetzt rückwirkend die Grundsatzdiskussion.

Wenn wir über das Thema Aufnahme des Kinderschutzes in die Landesverfassung reden, ist das eigentlich eine traurige Angelegenheit. Denn wir haben offensichtlich Bedarf, darüber zu diskutieren, und eine Selbstverständlichkeit als Staatsziel aufzunehmen.

Es gibt viele tolle Eltern in Schleswig-Holstein keine Frage -, es gibt aber auch überforderte Eltern, deren Kinder wir schützen müssen.

Die Frage ist: Kann eine Staatszielbestimmung in diesem Zusammenhang helfen? Es gibt gute Gründe, Staatszielbestimmungen auf ein Minimum zu beschränken. Es ist ja auch in fast allen Fraktionen durchaus diskutiert worden. Auch in den Verbänden, die als Kronzeugen angeführt werden. Wenn man in sie hineinhorcht und sich mit ihnen unterhält, gab es zu diesem Thema durchaus Diskussionen. Es ist auch keine Schande, seinen Standpunkt im Rahmen einer Diskussion einmal zu ändern. Eine Schande ist es eigentlich nur, wenn man besserwisserisch darauf herumreitet.

(Beifall bei CDU und FDP - Dr. Heiner Garg [FDP]: Es ist nur die Frage, wer auf wem herumreitet!)

- Das ist dein Thema! Damit möchte ich mich nicht beschäftigen.

Insofern ist die Häme der letzten Diskussion ein bisschen fehl am Platz; sie ist auch deshalb fehl am Platz, weil Staatszielbestimmungen nur dann Sinn machen, wenn sie ein einheitliches Signal aus dem Landtag ins Land senden können.

Klar ist natürlich, dass Kinder Grundrechtsträger mit einer eigenen Würde sind. Für mich hat ein tragendes Argument eine Rolle gespielt und mich überzeugt, dass Kinder ihre Rechte nicht selber einklagen können, dass Kinder nicht gegen die Verletzung ihrer Rechte vorgehen können. Deswegen macht eine herausgehobene Stellung der Kinderrechte aus meiner Sicht Sinn und führt hoffentlich auch zur notwendigen Güterabwägung zwischen Elternrechten und Kinderrechten, wie wir sie beim letzten Mal und vor der Mittagspause diskutiert haben.

Das Ganze entbindet uns nicht von der Pflicht, Leistungsverpflichtungen des Staates im Landtag immer wieder neu festzulegen. Trotzdem ist es natürlich in allererster Linie ein Signal staatlichen Handelns, dass wir das Kindeswohl ganz weit oben auf unserer politischen Agenda festsetzen.

Wenn so eine Staatszielbestimmung einen deklaratorischen Wert hat, benutzen wir das ja oft negativ, nach dem Motto: Es hat nur deklaratorischen Wert.

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

Wir reden hier allerdings über ein Thema, das nicht in der alleinigen Verfügungsgewalt des Staates liegt. Wir müssen deshalb - auch wenn das ein bisschen nach Sonntagsrede klingt - auch gesellschaftlich wirken, wir müssen das gesellschaftliche Klima verändern. Deshalb ist das Deklaratorische an dieser Änderung der Landesverfassung durchaus sinnvoll und gut und nicht negativ zu sehen.

Natürlich müssen wir uns auch die Frage stellen, was wir bisher getan haben. Für die Große Koalition kann ich auf das verweisen, was wir vor der Mittagspause diskutiert haben: Das Kinderschutzgesetz ist auf dem Weg. Wenn eine Staatszielbestimmung ein besseres Fundament für Frühwarnung, für Prävention bietet, umso besser.

Der Kinder- und Jugendaktionsplan ist einhellig gelobt worden, auch von den damit befassten Verbänden. Das haben wir im Koalitionsvertrag so verabredet.

Die Ministerin führt das mit viel Elan durch. Das ist ein Lob wert. Wir sind an der Stelle gut aufgestellt.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Es reicht nicht, wenn wir immer nur schlaglichtartig, wenn etwas passiert ist, das Thema in den Mittelpunkt rücken und dann ganz betroffen sind. Ein gutes Beispiel, dass das in der Großen Koalition und in der Landesregierung nicht so ist, ist das Thema UNICEF-Studie. Das haben wir in einer der letzten Landtagssitzungen in einer Aktuellen Stunde diskutiert. Wir sind da am Ball. Die Ministerin hat zu einem Fachgespräch eingeladen. Dass der Referent, der Verfasser der Studie, Herr Professor Bertram, erkrankt ist, haben nicht wir in der Gewalt. Wir werden an dem Thema dranbleiben und das Fachgespräch weiter führen. Ich bin da ganz zuversichtlich. Wir diskutieren nicht immer nur schlaglichtartig, wenn etwas passiert ist, sondern umfassend.

Wichtig ist mir auch, dass wir das Thema auf der einen Seite ganzheitlich angehen müssen, wie es im Kinder- und Jugendaktionsplan ja auch getan wird, dass wir auf der anderen Seite aber die einzelnen Bereiche manchmal auch trennen und sie in der politischen Diskussion nicht beliebig nutzen sollten. Wir können gern über die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen diskutieren, wir sollten aber nicht so tun, als hätten wir mit den Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen etwas gegen Kindesmissbrauch oder Kindesmisshandlung getan. Wir müssen das schon sauber trennen und dürfen das nicht politisch willfährig benutzen.

Ich glaube, dass wir mit der Staatszielbestimmung den leichtesten Teil der Übung erledigt haben. Die Fachdiskussion ist schwieriger. Es wird weiter Extremfälle geben; die sind heute schon mehrfach genannt worden. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen.

Ich verstehe die Änderung der Landesverfassung in allererster Linie als Auftrag an uns selbst, den Kinderschutz auch in Zukunft ernst zu nehmen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mir als Motto für meinen kleinen Redebeitrag die Überschrift: „Kinderschutz nicht nur formulieren, sondern praktizieren!“, ausgesucht. Ich glaube, Herr Kollege Herbst, damit treffe ich auch den Tenor Ihres Redebeitrages von soeben.

Wir verankern heute in der Tat den Schutz unserer Kinder und Jugendlichen als Staatsziel in der Landesverfassung. Staatsziele sind landespolitische Leuchttürme. Sie sind Leitlinien für die Entscheidungsgremien nicht nur des Landes, sondern auch der Kreise, Städte und Gemeinden. Sie sind zwar keine einklagbaren Rechte, aber doch verbindliche Richtschnur und objektive Selbstverpflichtung für uns Politikerinnen und Politiker, wenn es um konkrete Gesetze und Verordnungen, Beschlüsse oder Erlasse geht.

Angesichts vorhandener Kinderarmut mitten in unserer Wohlstandsgesellschaft, angesichts immer wieder aufgedeckter Fälle der Vernachlässigung elterlicher Fürsorgepflichten bis hin zu Kindesmisshandlungen und Kindesmissbrauch, angesichts zunehmender Jugendgewalt und -aggression und anhaltender Jugendkriminalität insbesondere an sozialen Brennpunkten, angesichts intensiver Bedrohung immer jüngerer Kinder und Jugendlicher durch Drogen und Alkohol und offenbar zunehmender Alkoholexzesse freue ich mich, dass wir heute nicht nur mit der erforderlichen verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit, sondern mit einhundertprozentiger Zustimmung aller fünf Fraktionen des Landtages ein Zeichen für den Kinderund Jugendschutz in Schleswig-Holstein setzen. Mehr kann eine Staatszielbestimmung auch nicht leisten.

(Niclas Herbst)

Es ist folgerichtig - auch darauf hat der Kollege Herbst hingewiesen - und ein Beleg für die Ernsthaftigkeit unseres Anliegens, dass wir gleichzeitig als Koalitionsfraktionen von CDU und SPD ein umfassendes Landesgesetz zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein auf den parlamentarischen Weg gebracht haben. Es ist ein Gesetz, das die Rechte und Pflichten für das Wohl von Kindern und Jugendlichen verantwortlicher Institutionen und Personen auf Landesebene und auf kommunaler Ebene erfasst und für die Praxis konkretisiert und präzisiert. Genau das ist der Sinn eines verfassungsrechtlichen Staatsziels: Es geht darum, das Staatsziel durch konkrete Gesetzgebung und Verwaltung in gesellschaftliche Realität umzusetzen. Das gilt auch für andere Regelungsbereiche und unabhängig davon, ob wir als Landesgesetzgeber oder Landesregierung unmittelbar zuständig sind oder nicht.

Wir können beispielsweise die Familienpolitik des Bundes über unsere Landesregierung im Bundesrat unterstützen, wenn und soweit die Politik des Bundes zur Verbesserung der familiären, sozialen und wirtschaftlichen Situation unserer Kinder und Jugendlichen beiträgt. Wir können und sollten landesseitig alle bundespolitischen Maßnahmen unterstützen, die geeignet sind, Jugendgewalt und Jugendkriminalität einzudämmen. Wir müssen auch - und vielleicht sogar verstärkt - alle landesinternen Maßnahmen zur Umsetzung von kinder- und jugendschützenden und -fördernden Gesetzen des Bundes oder des Landes ergreifen, und zwar insbesondere dann, wenn es darum geht, die Durchführung und den Vollzug unserer hehren gesetzlichen Aufträge durch konkrete Kontrollen vor Ort in den Elternhäusern, auf den Schulhöfen, in den Gaststätten und an den sozialen Brennpunkten organisatorisch und finanziell zu gewährleisten.

Dabei muss nicht alles von Landes- oder Kommunalbehörden und -institutionen selbst und allein getan werden. Es kann auch die Unterstützung gesellschaftlicher Initiativen sein, wie zum Beispiel die des Projekts „Armut: Schau nicht weg!“, einer vom Deutschen Jugendrotkreuz gegründeten Initiative zur Bekämpfung von Kinderarmut, über die heute Lobenswertes und Förderungswürdiges in der „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung“ zu lesen ist.

Kinder- und Jugendschutz ist eine Daueraufgabe. Uns der Herausforderung mit besonderem Gewicht und in besonderer Weise zu stellen, mahnt uns das heute formulierte Staatsziel. Lassen Sie uns alle gemeinsam mit allen verfügbaren Mitteln und Mög

lichkeiten wirksam für den Schutz und die Förderung unserer Kinder und Jugendlichen in Schleswig-Holstein sorgen!

(Beifall)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie es mich einfach so sagen, wie ich es empfinde: Ich freue mich, dass ein fünf Jahre dauernder Diskussionsprozess über die Aufnahme der Rechte von Kindern und Jugendlichen in die Verfassung heute mit einem einstimmigen Beschluss in diesem Landtag abgeschlossen wird.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich bedanke mich bei Ihnen allen, weil ich weiß, dass manch einer über seinen Schatten gesprungen ist. Es ist schließlich nicht selbstverständlich, dass ein Antrag der drei Oppositionsfraktionen so angenommen wird, wie dieser angenommen werden wird. Insofern bedanke ich mich für Ihren Mut und dafür, dass es möglich geworden ist, in einer solchen Atmosphäre mit Ihnen zu diskutieren.

Überzeugend war meiner Meinung nach die Argumentation der Opposition. Denn der jetzt verankerte Schutzanspruch hat nichts mit Symbolpolitik zu tun. Kinder haben Rechte. Die Regelungen des SGB VIII konkretisieren beispielsweise die im Grundgesetz den Eltern auferlegte Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder. Der erst im Oktober 2005 eingefügte § 8 a SGB VIII formuliert sogar einen besonderen Schutzauftrag des Staates bei Kindeswohlgefährdung.

Die Frage, die wir uns während der Beratungen gestellt haben, ist: Kommen diese Regelungen bei einer Rechtsgüterabwägung so zum Tragen, wie sie es sollten? - Wir müssen leider feststellen, dass sie in der Praxis so nicht immer zum Tragen kommen; dies haben auch die traurigen Fälle in jüngster Vergangenheit gezeigt.

Dass Kinder aus therapeutischen Gründen zur sozialen Stabilisierung des drogensüchtigen Sorgeberechtigten ohne ausreichende Kontrolle und ohne professionelle Betreuung bleiben dürfen, macht deutlich, dass eine Rechtsgüterabwägung nicht stattgefunden hat. Denn Kinderrechte bieten derzeit nicht das notwendige Gegengewicht zum grundgesetzlich verbrieften Elternrecht, das im Zweifel bei

(Klaus-Peter Puls)

der konkreten Entscheidung schwerer wiegt. Es geht deshalb mit der Aufnahme des neuen Artikel 6 a, Schutz von Kindern und Jugendlichen, in die Landesverfassung nicht um Symbolpolitik. Es geht um eine konkrete Handlungsanweisung. Sie gibt den Verwaltungen, Behörden und Gerichten Hilfestellung, wenn es um die Abwicklung von Schutztatbeständen geht.

Die Staatszielbestimmung stellt damit sicher, dass das verbriefte Elternrecht nicht nur eingefordert wird, sondern auch besser überwacht werden kann. Denn mit der besonderen Betonung des Schutzes der Kinder und Jugendlichen können staatliche Institutionen zumindest auf Landesebene erstmalig eine präzise Rechtsgüterabwägung vornehmen. Wenn wir davon ausgehen, dass Prävention, verbindliche Frühwarnsysteme und Intervention ein stabiles Fundament brauchen, um ihre Wirkung entfalten zu können, dann wird dieses Fundament heute mit der Aufnahme von Schutzrechten in die Landesverfassung gelegt.

Natürlich ist auch mir und meiner Fraktion bewusst, dass die Verankerung des Staatsziels kein Allheilmittel ist. Vielmehr ist es jetzt unsere Aufgabe als Landespolitiker, dieses Staatsziel mit Leben zu erfüllen. Ein solches Staatsziel kann allerdings durchaus Ausgangsbasis für die künftige Gesetzgebung im Bereich der Kinder- und Jugend- sowie Familienpolitik sein. Entsprechende Vorschläge liegen bereits vor.

Eines muss an dieser Stelle ebenfalls deutlich sein: Es geht nicht darum, Eltern in ihren Rechten willkürlich zu beschneiden. Es soll auch nicht die Basis dafür geschaffen werden, durch staatliches Handeln in intakte Strukturen einzugreifen. Es geht vielmehr darum, dem Staat die Möglichkeit zu geben, Strukturen zu schaffen und Regelungen festzuschreiben, die den Schutz von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt rücken. Es geht nicht um mehr, aber auch nicht um weniger.

Wenn die landesverfassungsrechtliche Verankerung dazu beitragen kann, beispielsweise den Druck auf die Jugendämter zu erhöhen, das staatliche Wächteramt nach Artikel 6 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz ernster zu nehmen und damit die Eingriffsschwelle für fürsorgliche Maßnahmen zu senken, dann hätten wir schon viel erreicht.