Protocol of the Session on July 11, 2007

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Torsten Geerdts. Entsprechend einer Abmachung im Ältestenrat bekommt jetzt für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Frau Abgeordneten Monika Heinold als Initiatorin des Gesetzes das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eineinhalb Jahre hat die Große Koalition unseren Gesetzentwurf zur Einführung einer verpflichtenden Vorsorgeuntersuchung parlamentarisch verschleppt. Nun ist die Katze aus dem Sack: CDU und SPD werden den grünen Gesetzentwurf ablehnen. In Schleswig-Holstein wird es zukünftig keine verpflichtende Vorsorgeuntersuchung für Kinder geben. Trotz der aufgedeckten Fälle von Kindesvernachlässigung haben sich CDU und SPD eineinhalb Jahre lang nicht dazu durchringen können zu handeln. Und weil Ihnen dies wohl selbst ein bisschen peinlich war, haben Sie sich nun schnell noch vom Ministerium ein eigenes Kinderschutzgesetz schreiben lassen, damit Sie heute nicht mit leeren Händen dastehen.

Nun liegt das Kinderschutzgesetz der Landesregierung auf dem Tisch, erarbeitet - so die Information der kommunalen Spitzenverbände - von Professor Münder, wahrscheinlich bezahlt von der Landesregierung, die den Auftrag gegeben hat, und nicht aus der Fraktionskasse von CDU und SPD. Das Gebot der Trennung von Legislative und Exekutive scheint für die Große Koalition nicht zu gelten.

Der vorliegende Gesetzentwurf muss sich deshalb auch an den ursprünglichen Forderungen von So

zialministerin Trauernicht messen lassen. Die Ministerin hatte die Messlatte sehr hoch gehängt. Im November 2005 forderte sie in einer Presseerklärung ihres Hauses, Früherkennungsuntersuchungen für alle Kinder zur Pflicht zu machen.

„Eine Pflicht zur Früherkennungsuntersuchung von Kindern von der Geburt bis zur Einschulung ist ein wichtiger Baustein zur Vermeidung von Kindesvernachlässigung.“

Dieses Ziel, Frau Ministerin, wird mit dem vorliegenden Kinderschutzgesetz nicht erreicht. Es wird keine einzige Vorsorgeuntersuchung verpflichtend werden. Stattdessen soll zukünftig ein verbindliches Einladungswesen geschaffen werden, um dann mithilfe einer zentralen Registerstelle zu kontrollieren, welche Eltern die Vorsorgeuntersuchungen mit ihren Kindern nicht wahrgenommen haben. Das ist ein Vorschlag, den die Sozialministerin noch im Dezember 2006 abgelehnt hat. Ich zitiere aus der „taz“, Frau Ministerin:

„Das Saarland hat schon eine eigene Lösung. Eine Screening-Stelle kontrolliert …, ob die Termine eingehalten werden, und gibt dies an den Gesundheitsdienst weiter. Das wäre für Schleswig-Holstein keine gute Lösung, weil es zusätzliche Kosten schafft. Die würde ich lieber für Hilfsangebote ausgeben.“

Das jetzt vorgelegte Kinderschutzgesetz will nun genau dieses Screening in Schleswig-Holstein einführen. Das saarländische Modell soll mithilfe der bestehenden Registerstelle für die Mammographie umgesetzt werden. Meine Fraktion sieht darin im Gegensatz zur Ministerin eine praktikable Lösung für Schleswig-Holstein, auch wenn es zusätzliche Kosten für Verwaltung und Bürokratie sind. Es kann dazu führen, dass das Recht eines jeden Kindes auf gesundes Aufwachsen zukünftig besser gesichert wird als bisher.

Wir haben das Kinderschutzgesetz inzwischen mithilfe des Wissenschaftlichen Dienstes durchleuchtet. Im Ergebnis stellen wir fest, dass Professor Münder, ein profunder und anerkannter Wissenschaftler, der gerade im Jugendbereich viel Anerkennung ernten konnte, gut gearbeitet hat, und dass auch die Belange des Datenschutzes beachtet wurden. Das verbindliche Einladungswesen ist eine echte Alternative zu unserem Vorschlag für eine verbindliche Vorsorgeuntersuchung. Zukünftig wird kein Elternteil uninformiert bleiben. Kein Vater, keine Mutter wird sich darauf zurückziehen können, nicht gewusst zu haben, dass es diese freiwilligen und kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen

(Torsten Geerdts)

der gesetzlichen Krankenkassen für ihre Kinder gibt.

Kein Elternteil kann zukünftig behaupten, nicht zu wissen, dass sein Kind das Recht hat, sich zwischen Geburt und Jugendalter bis zu zwölfmal präventiv gesundheitlich durchchecken zu lassen. Die Eltern sind als Sorgeberechtigte Sachwalter der Interessen ihrer Kinder, sie stehen in der Verantwortung, ihre Kinder zu fördern und zu schützen. Und Kinder haben ein Recht darauf, dass Defizite früh erkannt werden und dass eine notwendige Förderung so früh wie möglich beginnt, um die Heilungschancen voll auszuschöpfen.

Eltern, die ihren Kindern dieses Recht verwehren, handelten bisher oft aus Unwissenheit. Zukünftig handeln sie wissentlich - gegen das Interesse ihres Kindes. Damit ist aus unserer Sicht ein ausreichender Anhaltspunkt gegeben, dass das Kindeswohl gefährdet sein kann. Mit dem verbindlichen Einladungswesen und der Rückmeldung der Ärzte an die Behörde hat der Staat nun eine zusätzliche Möglichkeit, seinem Schutzauftrag nachzukommen.

Die Schwäche des Gesetzes liegt im zweiten Teil, bei der Präzisierung der Kinder- und Jugendhilfeaufgaben. Wäre ich zynisch, würde ich behaupten, der externe Wissenschaftler habe seinen Job „fachmännisch abgearbeitet“, einen Auftrag, der beinhaltet, mit vielen Worten in schönen Paragrafen inhaltsschwanger daherzukommen, ohne dass in der Praxis großartige Konsequenzen ausgelöst werden.

Bestehende Vorgaben des Kinder- und Jugendhilfegesetzes des Bundes werden im Landeskinderschutzgesetz nur konkretisiert. Neue Aufgaben oder neue Verpflichtungen für die öffentliche Hand werden nicht geschaffen.

Man fragt sich, was sich durch das Kinderschutzgesetz zukünftig überhaupt verändern wird. Herr Baasch, vielleicht können Sie das ja beantworten. Aber schon diese Konkretisierung hat die Kommunen als Träger der örtlichen Jugendhilfe auf den Plan gerufen. Sie sehen das Kinderschutzgesetz als rechtswidrige Einmischung und Fremdbestimmung in ihre originären Selbstverwaltungsaufgaben. Damit steckt das Land im Dilemma: Entweder die Konkretisierung der Jugendhilfeaufgaben ist nur Lyrik und bringt nichts Neues - dann kann man sie auch streichen - oder aber, es ist eine Aufgabenausweitung, vom Land veranlasst - dann allerdings müsste der Wirt die Zeche zahlen, also das Land.

Die Ausschussberatung muss zeigen, was die Landesregierung mit ihren Formulierungen überhaupt beabsichtigt.

Eine weitere Ernüchterung folgt in § 16, der deutlich darauf hinweist, das alle Maßnahmen, die durch Landesförderung unterstützt werden sollen, natürlich unter Haushaltsvorbehalt stehen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

- Welche Überraschung! - Deshalb ist zu befürchten, dass sich in der Praxis weder beim Kostenträger Land noch beim Kostenträger Kommune etwas verändert. Ein Beleg dafür könnte unsere Forderung sein, Kindertagesstätten zu Familienzentren weiterzuentwickeln. Dieser Gedanke wird im Kinderschutzgesetz zwar aufgenommen, aber unserem Landtagsantrag, ein Landeskonzept dafür tatsächlich mit Konsequenzen vorzulegen, haben CDU und SPD einen eigenen, völlig nichtssagenden Antrag entgegengesetzt.

Wer nicht den Mut und den Willen hat, Haushaltsmittel in präventive Maßnahmen für Kinder- und Jugendhilfe umzuschichten, kann sich Seiten voller Lyrik auch sparen. Gut gemeinte Absichtserklärungen helfen niemandem. Die grüne Fraktion hat vor eineinhalb Jahren das Thema Kinderschutz ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Ergebnis langer Beratungen ist heute, dass unsere Forderung nach einer verpflichtenden Vorsorgeuntersuchung abgelehnt wird. Ergebnis ist aber auch, dass die Große Koalition nun endlich einen eigenen Vorschlag erarbeitet hat.

Ich hoffe, dass wir im Sozialausschuss zügig beraten. In der Mittagspause wird heute glücklicherweise schon das Verfahren beschlossen.

(Zuruf: Morgen!)

Entschuldigung: morgen! - Ich hoffe, dass wir zügig beraten, damit es noch in diesem Jahr tatsächlich eine verbindliche Lösung für Schleswig-Holstein gibt, damit alle Kinder in Schleswig-Holstein zukünftig die Gewissheit haben: Auch die Gesellschaft kümmert sich um mich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ich danke der Frau Abgeordneten Monika Heinold. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun die Frau Abgeordnete Siegrid Tenor-Alschausky.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Heinold, ich muss gestehen: Ich war ein wenig enttäuscht von Ihrer Rede.

(Monika Heinold)

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das kann ich mir gut vorstellen! Ich war auch eineinhalb Jahre lang von Ihnen enttäuscht!)

- Sie wissen ja noch gar nicht, was ich zu sagen gedenke. Vielleicht warten Sie es einmal ab. - Ich war enttäuscht darüber, dass Sie sich doch sehr mit einem Erstgeburtsrecht der Grünen an einem Gesetzentwurf beschäftigten und weniger das machten, was wir, glaube ich, alle eineinhalb Jahre lang betrieben haben, uns nämlich mit dem Thema Kinderschutz auseinanderzusetzen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich will das jetzt auch im Rahmen dieser Rede tun und nicht auf weitere Details Ihres Redebeitrages eingehen.

Meine Damen und Herren, alle Kinder haben, unabhängig von ihrer sozialen und ethnischen Herkunft, Anspruch darauf, gefördert und unterstützt zu werden, um gesund aufzuwachsen. Dafür tragen in erster Linie die Eltern die Verantwortung und sie werden ihr in den allermeisten Fällen gerecht. Die staatliche Gemeinschaft hat die Pflicht, sie dabei zu unterstützen. Um das Kindeswohl zu gewährleisten und zu stärken, müssen alle zur Verfügung stehenden Mittel genutzt werden, wenn die Kernfamilie versagt.

Unsere Fraktion hat die Anhörung im Sozialausschuss zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Änderung des Gesetzes über den Öffentlichen Gesundheitsdienst sorgfältig ausgewertet und zahlreiche Gespräche mit Vertretern der Kommunalpolitik, Fachverbänden und natürlich auch den Praktikerinnen und Praktikern vor Ort darüber geführt, wie wir diese grundsätzlichen Aussagen konkretisieren können. Wir haben daraufhin gemeinsam mit der CDU und in Abstimmung mit dem Sozialministerium den Ihnen heute vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein eingebracht.

Seine Eckpunkte sind: Erstens. Die Prävention soll tragfähig und verlässlich gestaltet werden.

Zweitens. Durch höhere Verbindlichkeit der Früherkennungsuntersuchungen, durch das Angebot früher Hilfen und durch die Vernetzung sozialer Frühwarnsysteme soll Kindern und Eltern in schwierigen Lebenssituationen geholfen werden.

Drittens. Dort, wo Intervention erforderlich ist, soll sie rasch, verbindlich und vorrangig niederschwellig erfolgen.

Viertens. Mit der Hilfe des Landeskinderschutzberichtes wollen wir den Kinderschutz unter Einbeziehung neuer Erfahrungen und Erkenntnisse weiterentwickeln.

Nach sorgfältigen Beratungen legen wir Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, der den Schutz von Kindern und Jugendlichen nicht vorrangig unter sicherheitspolitischen, sondern unter sozialpädagogischen Aspekten betrachtet.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir wollen erreichen, dass Familien durch Prävention und frühe Hilfen, durch verbindliche Kooperation der Beteiligten vor Ort befähigt und unterstützt werden, dem Wohl ihrer Kinder gerecht zu werden. Wir wollen aber auch das Instrumentarium von Staat, Kommunen und Verwaltung stärken, einzugreifen und rasch zu handeln, wenn das Kindeswohl gefährdet ist.

Immer wieder rütteln Berichte über vernachlässigte und verwahrloste Kinder die Öffentlichkeit auf. Und allzu rasch folgt dann der Ruf nach „schärferen Gesetzen“, für mich ein Ausdruck des natürlich vorhandenen Wunsches, die Schwächsten in unserer Gesellschaft, die Kinder, zu schützen. Der Gesetzgeber wäre aber nicht gut beraten, diesem Ruf durch populistische Gesetzesvorschläge zu folgen. Deshalb ist es richtig und notwendig gewesen, das Thema Kinderschutz sorgfältig und unter Beteiligung vieler Fachleute zu beraten.

Ein wichtiger Aspekt war und ist die Nutzung der Vorsorgeuntersuchungen, um die Kinder, deren Wohl gefährdet sein könnte, zu identifizieren. Unser Gesetzentwurf regelt in § 7 das Verfahren, nach dem sichergestellt werden soll, dass alle Kinder zu den vorgesehenen Terminen an Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen. Eine zentrale Stelle, über deren Zuordnung wir mit den Beteiligten im weiteren Verfahren sicherlich noch ausführlich beraten werden, lädt die gesetzlichen Vertreter eines Kindes, dessen Früherkennungsuntersuchung für die Altersstufen vom dritten Lebensmonat bis zur Vollendung von fünfeinhalb Lebensjahren ansteht, zur Teilnahme ein.

Erfolgt trotz Erinnerung keine Teilnahme, wird das zuständige Jugendamt informiert, das dann zunächst die Eltern mit dem Ziel unterstützt, die Untersuchung durchführen zu lassen.

Erst bei fehlender Bereitschaft der Sorgeberechtigten prüft das Jugendamt, ob gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Kindeswohls vorliegen, bietet geeignete und notwendige Hilfen an und ruft erforderlichenfalls das Familiengericht an.

(Siegrid Tenor-Alschausky)

Dieses abgestufte Verfahren bietet für uns die größtmögliche Gewähr, dass kein Kind verloren geht, und schafft die geeigneten Rechtsgrundlagen, um eine umfassende Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen für Kinder sicherzustellen.

Die SPD-Fraktion ist sich natürlich der Tatsache bewusst, dass die Befunde dieser Untersuchungen nur Momentaufnahmen darstellen und dass auch eine hundertprozentige Teilnahme aller Kinder nicht sicherstellen kann, dass kein Kind in unserem Land vernachlässigt oder misshandelt wird. Deshalb kommen den Angeboten zur Unterstützung von Familien in belastenden Situationen, den konkreten Hilfsangeboten und einem niedrigschwelligen Zugang zu den schon zahlreich vorhandenen Hilfsangeboten eine bedeutsame und vielleicht eine entscheidende Rolle zu. Wir halten die Jugendämter für die zentrale Stelle für die Aufgabenwahrnehmung bei Kindeswohlgefährdung. Erfreulich waren für uns in den letzten Wochen die Gespräche mit den kommunalen Landesverbänden, die zwar nicht in allen Punkten dem Gesetzentwurf zustimmen, die mit uns aber in dem Bemühen um den konkreten Schutz eines jeden Kindes vor Vernachlässigung einig sind.

In § 8 wird beschrieben, dass die Jugendämter gewährleisten, dass junge schwangere Frauen, junge Mütter und Väter, Kinder, Jugendliche und Eltern in belasteten Lebenslagen, mit sozialer Benachteiligung oder bei individueller Beeinträchtigung frühzeitig auf Beratung, Unterstützung sowie Hilfen und Leistungen hingewiesen werden. Es geht uns um die Verknüpfung gesundheitlicher und sozialer Hilfen durch Personen, die unkomplizierten Zugang zu Eltern in schwierigen Lebenslagen haben. Auch das Land übernimmt einen Teil der gemeinschaftlichen Verantwortung für das Kindeswohl, indem in § 8 Abs. 3 die Förderungen früher und rechtzeitiger Hilfen und Leistungen für Eltern und Kinder, die gemeinsam von Jugendhilfe, Gesundheitshilfe und Sozialhilfe anzubieten sind, formuliert werden.

Um zu erreichen, dass Hilfen und Leistungen im Kontext des Kinderschutzes früh und rechtzeitig erbracht werden, haben sich die an vielen Orten des Landes bestehenden lokalen Netzwerke als besonders hilfreich erwiesen. Die in diesen Netzwerken organisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vieler Organisationen und Einrichtungen gehen gemeinsam von einem ganzheitlichen Ansatz aus und schaffen jeweils vor Ort die geeigneten Strukturen für ihre Zusammenarbeit. Diese Netzwerke funktionieren bisher vorrangig durch informelle Strukturen. Das wollen wir stärken. Ihre Aufgaben werden in § 9 beschrieben. Sie können selbst regeln, bei