Protocol of the Session on June 7, 2007

Es ist schon lange her, dass in diesem Umfang Zahlen und Fakten zum Strafvollzug in Schleswig-Holstein gebündelt zusammengetragen worden sind. Bereits das verdient große Anerkennung, denn dadurch gibt es endlich wieder eine gemeinsame Grundlage, auf der wir auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Strafvollzug über Strafvollzug in Schleswig-Holstein diskutieren können. Denn das stand für die FDP-Fraktion schon bei Einreichung der Großen Anfrage fest: Wir werden uns mit den Vertreterinnen und Vertretern aus dem gesamten Justizvollzugsdienst fachlich unterhalten müssen, um ein realistisches Bild von dem zu erhalten, wie Strafvollzug heute funktioniert, was im Strafvollzug tatsächlich geleistet wird und vor allem was geleistet werden kann. Allein das statistische Material reicht dafür nicht, kann es auch nicht, aber es bietet, wie gesagt, eine gute Grundlage. Dafür meinen herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Bei so viel Datenmaterial zum Thema Strafvollzug ist es nicht anders zu erwarten, dass sich sowohl Positives wie Negatives dazu anmerken und ableiten lässt. Statistisch positiv ist sicherlich hervorzuheben, dass die Zahl der einsitzenden Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten eher rückläufig ist, dass statistisch die Gesamtzahl der Stellen im Justizvollzug erhöht wurde und auch stetig an einer Verbesserung der baulichen Situation in den Justizvollzugsanstalten gearbeitet wird.

Auch der Landesrechnungshof weist in seinen jüngsten Bemerkungen darauf hin, dass „das Justizministerium … im Justizvollzug eine Vielzahl von Reformprojekten begonnen“ hat, um allerdings im gleichen Atemzug darauf hinzuweisen: „ohne sie … abzuschließen“. Genau das ist das Dilemma. Denn es ist ja nicht so, dass in Schleswig-Holstein

(Minister Uwe Döring)

in Sachen Strafvollzug nichts getan wird; nur, was getan wird, ist nach meiner Auffassung zu wenig.

Eine Vielzahl engagierter Kolleginnen und Kollegen im Justizvollzug macht immer noch das Beste aus den schwierigen Bedingungen in den verschiedenen Anstalten. Aber mit „immer noch“ können wir uns nicht zufriedengeben. Dabei fehlt die Perspektive.

Aber was ist die Perspektive? Was soll Strafvollzug leisten? Was sind wir bereit zu tun - Klammer auf, zu zahlen, Klammer zu -, damit er das auch leisten kann?

Noch bestimmt folgender Satz im Strafvollzugsgesetz bundeseinheitlich das Vollzugsziel - ich zitiere -:

„Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“

Es soll dem Gefangenen ermöglichen, künftig ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu führen.

Als Liberaler fühle ich mich diesem Ziel in besonderem Maße verpflichtet. Jedem verantwortlichen Innen- und Rechtspolitiker muss klar sein: Einen Häftling nur zu verwahren, ihn ungebessert zu entlassen, ist weitaus gefährlicher, als ihn bereits im Vollzug auf das Leben danach vorzubereiten.

Ich sage einmal: Wenn man jemanden aus der Haftanstalt entlässt, ihn vor die Tür schickt, aber ihm nicht einmal erklärt, dass sich zwischenzeitlich die Bedingungen bei der Einlösung eines Fahrscheins für Busse geändert haben - es ist so; das hat sich im öffentlichen Personennahverkehr geändert -, der muss sich nicht wundern, dass jemand einsteigt und glaubt, er kann im Bus bezahlen, anschließend erwischt wird, um möglicherweise ein Ermittlungsverfahren wegen der Benutzung öffentlicher Personennahverkehrsmittel ohne Bezahlung zu erhalten. Das ist keine Chimäre. Das ist tatsächlich alles schon passiert.

Leider birgt die mit der Föderalismusreform verbundene Verlagerung der Regelungskompetenz im Strafvollzugsrecht jedoch die Gefahr, dass dieses Vollzugsziel zunehmend durch einen Verwahrvollzug abgelöst wird, weil die für eine erfolgreiche Resozialisierung erforderlichen personellen und sachlichen Mittel fehlen.

Herr Minister, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür, dass Sie erklärt haben - das nehme ich Ihnen auch ab -, dass Sie an dem eigentlichen Vollzugsziel der Resozialisierung festhalten wollen,

soweit es geht. Aber ich befürchte, dass wir auch in Schleswig-Holstein unter erheblichen Druck geraten werden.

Bevor Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, mir widersprechen, lassen Sie mich das an zwei Beispielen deutlich machen.

Seit 2002 hat sich die Gesamtzahl der Stellen im Justizvollzug ausweislich der Großen Anfrage von 841 auf 865 im Jahr 2006 erhöht. Tatsächlich sind von diesen Stellen aber nur 836 besetzt, mithin 29 Stellen weniger als vorgesehen. Gleichzeitig hat sich jedoch die Anzahl der Haftplätze von 2002 bis 2006 um 161 erhöht. Genau das ist Ausdruck fehlender personeller Mittel.

Noch deutlicher wird die „Trendwende“ unter Berücksichtigung des im Entwurf vorliegenden Jugendstrafvollzugsgesetzes der Landesregierung, auf das in der Großen Anfrage so oft Bezug genommen wird und das wir noch gesondert beraten werden. Gemäß § 2 versucht die Landesregierung allen Ernstes, als Ziel und Aufgabe des Jugendstrafvollzugs, die Gleichrangigkeit zwischen dem Resozialisierungsziel und der Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, festzuschreiben.

Herr Minister, ich will es an dieser Stelle noch einmal sagen: Das geht so nicht. Wir werden das bei den Beratungen des Jugendstrafvollzugsgesetzes auch nicht so stehenlassen wollen, weder beim Jugendstrafvollzugsgesetz noch in einem neuen Strafvollzugsgesetz für Erwachsene.

Zurück zur Anfrage! Mit großem Erstaunen habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Regierung in dem großzügigen Zeitrahmen von September bis April, den sie zur Beantwortung der Großen Anfrage erbeten hatte, just den 6. Dezember 2006 als Stichtag für die Bezifferung der tatsächlichen Belegungszahlen in den Justizvollzugsanstalten gewählt hat. Nicht der 6. November 2006 oder der 6. Januar 2007, nein, der Nikolaustag musste es sein. Kollege Stritzl, ich sage auch gleich warum. Wir sind ja nicht blöd.

Dies ist sicherlich nicht zufällig, wenn man berücksichtigt, dass auf Erlass des Ministeriums alle Strafgefangenen in Schleswig-Holstein auf entsprechenden Antrag bereits am 7. November vorzeitig entlassen werden können, wenn die Vollstreckung ihrer Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafe in den Zeitraum vom 8. November 2006 bis zum 18. Januar 2007 fällt und bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Diesen „Gnadenerweis zu Weihnachten“ - eine sehr vernünftige Regelung - haben selbstverständlich einige in Anspruch genommen und das

(Wolfgang Kubicki)

hat natürlich Auswirkungen auf die tatsächlichen Belegungszahlen zum 6. Dezember 2006.

Zwar werden deshalb nicht gleich die Belegungsspitzen von durchschnittlich über 1.700 Gefangenen aus den vergangenen Jahren erreicht werden. Aber die tatsächliche Überbelegung wird verschleiert, wenn für die Stichtagszählung genau der Zeitpunkt gewählt wird, an dem die meisten der Inhaftierten schon wieder „ausgeflogen“ sind.

Doch die Anzahl der Gefangenen ist nur eines der Probleme. Wesentlich gravierender als die Quantität der Strafgefangenen in den Justizvollzugsanstalten wirkt sich die Qualität der von ihnen begangenen Delikte aus. Darauf haben Sie, Herr Minister, was den Jugendstrafvollzug angeht, wie ich denke, zutreffend hingewiesen. Ich war wirklich schockiert zu lesen, dass sich die Anzahl der Gewaltdelikte durch jugendliche Strafgefangene von 19,1 % im Jahre 2004 auf 35,9 % im Jahre 2006 fast verdoppelt hat. Zudem hat sich die Straflänge erhöht.

Es ist nachvollziehbar, dass dementsprechend die Gewaltbereitschaft im Gefängnis auch spürbar größer geworden ist und dass dies auf die Stimmung im Gefängnis insgesamt wirkt, ja wirken muss. Dies ist ein Faktor, der übrigens nur sehr beschränkt durch Statistik fassbar ist.

Ich kann allerdings die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vollzugsdienst gut verstehen, die sich vor diesem Hintergrund mehr Personal wünschen, um der Situation Herr zu bleiben. Bestimmte Vorkommnisse in Jugendvollzugsanstalten müssen uns in bestimmten Bereichen zum Nachdenken Anlass geben.

Gefreut habe ich mich allerdings in diesem Zusammenhang, dass nach dem Entwurf des neuen Jugendstrafvollzugsgesetzes die Einrichtung einer sozialtherapeutischen Abteilung für die jugendlichen Strafgefangenen vorgesehen ist. Bleibt zu hoffen, dass die neue Abteilung auch mit dem erforderlichen Personal ausgestattet wird. Herr Minister, darüber wird auch noch im Rahmen der weiteren Haushaltsplanberatungen zu reden sein. - Vielleicht oder hoffentlich ein Hinweis, der so selbstverständlich ist, dass es deshalb dazu keine weiteren Ausführungen im Bericht gibt.

Was den baulichen Zustand der Justizvollzugsanstalten angeht, so knüpft die Antwort auf die Große Anfrage geradezu nahtlos an die Informationen aus vorangegangenen Berichten an. Es ist zwar nicht mehr von „menschenunwürdigen Unterbringungen“ die Rede, wie es einst die grüne Justizministerin Anne Lütkes formulierte. Aber auch nach Jahren der Sanierung gibt es immer noch mangelhaft be

wertete Gebäude. Das wirft wahrlich kein gutes Licht auf den Sanierungsprozess.

Bereits seit Gerd Walter wird die Sanierung im Justizvollzug als Schwerpunktthema definiert und werden Mängel beklagt. Es ist höchste Zeit, dass das Klagen und die Sanierung endlich zu einem Ende kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich nun zum Schluss komme, möchte ich noch kurz auf die Situation des Personals in den Justizvollzugsanstalten eingehen. Kurz nur deshalb, weil wir für die weiteren Beratungen im Ausschuss nicht nur eine Anhörung wünschen, in der den Betroffenen die Gelegenheit gegeben wird, uns nicht nur weiter über die vielschichtigen tatsächlichen Belastungen zu informieren, sondern weil wir auf deren Grundlage auch nach Lösungsansätzen suchen wollen. Das fängt bei der Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 41 Stunden ohne die Festlegung eines Berechnungszeitraums an, setzt sich über die Diskrepanz zwischen vorgesehenen und besetzten Stellen fort, greift die Fragen nach dem Einsatz von Frauen auf, die Streichung des Anwärtersonderzuschlags, den Einsatz von Waffen und so weiter.

Denn leider zeichnen sich die Antworten insbesondere im dritten Teil der Großen Anfrage durch viele allgemeine Ausführungen und Definitionen aus, die der Fragestellung mehr formal als inhaltlich gerecht werden.

Konkret ist allerdings die Aussage, dass die Prüfung einer ÖPP für den Küchenneubau in der JVA Lübeck nicht weiterverfolgt wird. Es geht also, Herr Minister.

Ich freue mich auf die Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss, beantrage die Überweisung des Berichtes und werde im Ausschuss weitere Ausführungen machen.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Thomas Stritzl das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch die Große Anfrage der FDP haben wir heute relativ aktuell nach den Veränderungen der Föderalismusreform - der Minister hat darauf hingewiesen - die Möglichkeit, über Aspekte des Strafvollzugs in Schleswig-Holstein zu reden. Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass auch meine Fraktion kein Befürworter der Dezentralisie

(Wolfgang Kubicki)

rung der Zuständigkeiten für den Strafvollzug war, weil natürlich die Gefahr zu besorgen ist, dass es einen Wettbewerb um den schärfsten und auch billigsten Strafvollzug in der Bundesrepublik gibt. Wir hoffen, dass er nicht stattfindet; denn unser Ziel ist klar: Wir wollen einen humanen Strafvollzug, und wir wollen nach wie vor den Schwerpunkt bei der Resozialisierung. Stichwort: Das Leben in Freiheit vorbereiten.

(Beifall der Abgeordneten Manfred Ritzek [CDU] und Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Schleswig-Holstein wird auch weiter versuchen, möglichst bundeseinheitliche Regelungen zu finden, die dem Grundgedanken genügen, den ich eben gerade vorgestellt habe. Ich glaube, ein gutes Beispiel dafür, wie man insoweit arbeiten kann, sind die Verhandlungen zum Jugendstrafvollzugsgesetz, für das im Ergebnis die Eckpunkte auf Bundesebene vereinbart beziehungsweise zwischen den Ländern abgesprochen worden sind. Allerdings finde ich es auch richtig, dass der im Land zuständige Minister Döring weitere, eigene, zusätzliche Akzente setzt. Ein Stichwort ist hierbei die Mehrfachunterbringung und auch andere Bereiche. Das sind vernünftige und auch angemessene Bereiche.

Ich sage das auch vor dem Hintergrund der bedauerlichen Vorfälle in Schleswig, einerseits mit dem Vorkommnis der menschenverachtenden Quälerei und auf der anderen Seite mit Vorkommnissen bis hin zum Suizid. Es besteht also Bedarf, weitsichtig zu handeln.

Grundsätzlich muss auf die Arbeit der Jugendvollzugsanstalten ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Nicht zuletzt und gerade in diesem Bereich wird natürlich auch über Karrieren, über Lebenswege entschieden. Hier wird entschieden, ob am Anfang eine Resozialisierung gelingt, oder ob sich eine Karriere in einem kriminellen Bereich anbahnt, nicht nur mit den entsprechenden persönlichen und menschlichen, sondern vor allem auch volkswirtschaftlichen Schäden.

Deshalb ist dem Bereich der Bildungs- und Ausbildungsangebote besonderes Augenmerk zu widmen. Ich entnehme der Antwort zu der Großen Anfrage, dass diese im Ergebnis durchaus umfangreich sind und vom Erwerb eines Schulabschlusses über ein vielfältiges Ausbildungsplatzangebot bis hin zum Bewerbungstraining reichen. Man muss, glaube ich, sagen: Im Jugendstrafvollzug wird - im positiven Sinne dieses Wortes - im Lande einiges geboten.

Gemeinsamer Ansatz ist es auch, die Jugendlichen gleichwohl stärker in die Pflicht zu nehmen. Das bedeutet, dass sie selbst an dem auch vom Gesetzgeber gewünschten Erfolg mitarbeiten müssen. Ohne das eigene Zutun des jeweils Betroffenen gelingt nirgends etwas; das gilt auch für den Jugendstrafvollzug.

Insgesamt kann man also feststellen, dass die Ausund Weiterbildungsangebote in den Justizvollzugsanstalten des Landes ausreichen, auch wenn dies noch verbesserungsfähig ist.

Der Bericht stellt ferner fest, dass darüber hinaus das mag als kleiner Beleg für die eben genannte These dienen - auch im Rahmen der Befragung der Gefangenen selbst keine großen Lücken sichtbar werden, wenn es um die Frage geht, welche der gewünschten Qualifikationsmöglichkeiten nicht angeboten werden. In Einzelfällen kommt dies - das ist auch nachzulesen - sicherlich vor, aber eine geballte Häufung dieser Beobachtung scheint uns hier nicht vorzuliegen. Das spricht auch ein Stück weit dafür, dass das Ministerium und seine Mitarbeiter sowie die Verantwortlichen in den Anstalten selbst die notwendigen Schwerpunkte setzen können und hierbei über das erforderliche Fingerspitzengefühl verfügen.

Erfreulich ist darüber hinaus, dass die norddeutschen Bundesländer zwar im Rahmen unterschiedlicher Programme, aber doch auf gemeinsamer Basis tätig werden, und zwar insbesondere im Bereich der schulischen Programme und der beruflichen Bildung.