Protocol of the Session on May 10, 2007

(Angelika Birk)

SSW nimmt diese Anregungen gern auf und so fußen eine Reihe von Anträgen - sowohl von uns als auch von den Kollegen - auf ihren Analysen und Empfehlungen.

Der Bericht legt wieder einmal den Finger in die Wunde. Ich möchte von den aufgeführten Missständen lediglich drei herausgreifen. Da sind zum einen unverständlich formulierte Bescheide, die von den Betroffenen nicht verstanden werden. Hintergrund der juristisch gehaltenen Texte ist in der Regel die Vermeidung von Rechtsansprüchen. Was gerichtsfest formuliert ist, ist noch lange nicht bürgerfreundlich geschrieben. Wer von uns einmal einen derartigen Bescheid vorgelegt bekommt, muss meist selbst erst zweimal lesen, bevor sich der Sinn erschließt. Dabei gehen wir Abgeordnete tagtäglich mit solchen Texten um. Da kann man sich gut ausmalen, wie oft ein normaler Bürger einen Behördenbrief lesen muss, bevor er überhaupt begreift, ob seinem Antrag stattgegeben worden ist oder nicht.

Diese unhaltbaren Zustände beklagt die Bürgerbeauftragte nicht zum ersten Mal. Es ist sehr bedauerlich, dass sich zwischenzeitlich so wenig an der Gestaltung der Bescheide getan hat. Mir ist nur ein einziger Kreis bekannt, der das zu einem politischen Thema gemacht und versucht hat, seine Bescheide anders zu gestalten. Der SSW erwartet eine entsprechende Initiative der Landesregierung, um die Behörden zu einer bürgerfreundlichen Sprache anzuhalten. Vielleicht muss man es denen tatsächlich erst kleinklein beibringen.

Ein anderer Punkt, den ich exemplarisch herausgreifen möchte, ist das Dauerthema Hartz IV. Die Bürgerbeauftragte erfährt hautnah, was das Knebelgesetz Hartz IV anrichtet. Sie schreibt, dass die Gesetzesänderungen zu Hartz IV insgesamt betrachtet „zu Verschärfungen und Verschlechterungen für die Bürgerinnen und Bürger“ geführt haben. Das ist nicht Sinn vernünftiger Politik.

Verschärfungen und Verschlechterungen ziehen sich durch den gesamten Gesetzesvollzug. Wer früher Sozialhilfe bezog und jetzt auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist, muss um jeden Mehrbedarf streiten. Ob Diabetiker, Gehbehinderter oder ein Mensch nach einer extremen Gewichtszunahme, das spielt für den Entscheider im Amt keine Rolle. Dabei liegt der Mehrbedarf doch auf der Hand; aber normaler Menschenverstand scheint in diesem Zusammenhang sowieso keine Rolle mehr zu spielen und das ist wirklich bedauerlich.

Dass Hartz IV zur kontrollierenden Armenverwaltung pervertiert, zeigt das Verhalten einiger Außen

dienstler bei Hausbesuchen, die die Privatsphäre von Hilfeempfängern systematisch verletzen.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dieses Verhalten kritisiert übrigens auch der Landesdatenschützer in seinem Bericht ausdrücklich. Dieses Problem muss schleunigst beseitigt werden. Es darf eigentlich gar nicht erst der Eindruck entstehen, als kontrolliere ein Obrigkeitsstaat seine Almosenbezieher. Leider befürchte ich, dass sich bereits in vielen Köpfen das Bild von Sozialschmarotzern eingenistet hat, obwohl dies definitiv ein schiefes Bild ist. Es ist unser Auftrag, dieses Bild als Politiker zu korrigieren.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ein weiterer Punkt in dem Bericht betrifft die Eingliederungshilfe für Kinder. Schon zum Bericht des Behindertenbeauftragten habe ich eine Initiative bezüglich der besseren Verzahnung der Eingliederungshilfe angeregt. Im Bericht der Bürgerbeauftragten wird illustriert, welche Folgen die derzeitige willkürliche Anwendung haben kann. Man muss sich nur das Beispiel des Grundschülers anschauen, dessen Eltern für eine zeitlich angemessene Betreuung während der Schulzeit streiten müssen. Solche Fälle gibt es vielfach und gleich gelagerte Fälle werden in unserem Bundesland unterschiedlich beschieden, je nachdem, in welchem Kreis man lebt. Da kann es schon einmal passieren, dass man, wenn man in einen Nachbarkreis umzieht, seine Leistungen auf einmal gestrichen bekommt, obwohl sich am Sachverhalt objektiv nichts geändert hat und immer noch Hilfebedarf besteht. Die derzeitigen Verfahren müssen deshalb gründlich überdacht werden und wir brauchen einen einheitlichen Rahmen, der so etwas, wie das gerade eben Geschilderte, ausschließt.

Abschließend möchte ich mich noch einmal bei der Bürgerbeauftragten und ihrem Team bedanken. 80 % „gewonnene“ Fälle sprechen eine deutliche Sprache und sind für uns Ansporn genug, noch bessere Gesetze zu machen und weiter soziale Schieflagen beim Namen zu nennen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei der SPD)

Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Uwe Döring das Wort.

(Lars Harms)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Wille-Handels, ich kann mich den Glückwünschen und Danksagungen seitens der Landesregierung, insbesondere auch meiner Kollegin, der Sozialministerin Gitta Trauernicht, nur anschließen. Dank und Anerkennung für die geleistete Arbeit, Ihnen persönlich, aber auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mit hohem fachlichen Engagement bei der Arbeit sind. Das zeigt der Bericht jedes Jahr wieder. Ich kann mich nur dem anschließen, was hier gesagt worden ist: Wie wichtig diese Funktion ist, zeigt das, was Sie uns in Ihren Berichten immer wieder mitteilen.

Die Bürgerinnen und Bürger haben in Ihnen eine kompetente Ansprechpartnerin und eine neutrale, aber auch - wie ich persönlich einmal festgestellt habe - kämpferische Mittlerin zwischen den Menschen und der Verwaltung in allen sozialen Angelegenheiten und das ist gut so. Sie ergreifen Partei und beraten die betroffenen Dienststellen, wie sie im Einzelfall für Gerechtigkeit sorgen können und wie konkret Hilfe geleistet werden kann.

Meine Damen und Herren, leider ist das Recht der sozialen Sicherung immer noch schwer überschaubar, für manche ist es gar ein Buch mit sieben Siegeln.

Ich möchte auf etwas zurückkommen, was Herr Garg eben gesagt hat. Wir sollten ja auch selbstkritisch sein. All die Gesetze sind nicht wie die Gebote vom Himmel gefallen, sondern von der Politik gemacht. Sie sind von Regierungen gemacht und von Parlamenten beschlossen worden. Das machen wir alle miteinander. Aber hinterher bedauern wir, was wir geregelt haben. Einzelne Gesetze gewinnen durch permanente Änderungen an Unzulänglichkeit. Das kommt ja noch hinzu.

Viele Betroffene können die Entscheidungen jedenfalls nicht verstehen. In vielen Fällen müssen Missverständnisse aufgeklärt, falsche Entscheidungen korrigiert, Ermessensentscheidungen und Unverstandenes erläutert werden.

Ein wichtiger Grund dafür ist, wie gesagt, der nicht abreißende Strom von Gesetzesänderungen und Reformen, die auch die Verwaltung in erheblichem Maße belasten und weiterhin belasten werden. Dies führt leider immer wieder dazu, dass individuelle Anliegen nicht sachgerecht und in Ruhe bearbeitet und entschieden werden können.

Dennoch konnte in einer beeindruckenden Zahl von Fällen geholfen werden. Das ist schön und gut so.

Meine Damen und Herren, unter den tausend Eingaben bezog sich jede dritte Anfrage im Jahr 2006 auf das SGB II. Das ist der Grund, warum ich hier heute als Arbeitsminister rede und nicht meine Kollegin Gitta Trauernicht.

Ich möchte auf diesen Bereich etwas näher eingehen. Denn auch zweieinhalb Jahre nach der Einführung knirscht es immer noch hier und da im Gebälk.

Ich habe gerade heute die Zahlen der Sozialgerichte mitgeteilt bekommen. Die Flut der Klagen reißt nicht ab. Wir haben gehofft, es würde weniger, aber das Gegenteil ist eingetreten. Wir werden erneut prüfen müssen, ob wir nicht eventuell das Sozialgericht Kiel zusätzlich in die Bearbeitung der Fälle mit einbeziehen; denn es darf eigentlich nicht sein, dass Eilentscheidungen zwei Monate und Urteile noch länger brauchen. Die Entwicklung ist jedenfalls so, wie wir sie nicht haben einschätzen können. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Das deckt sich mit dem, was hier berichtet worden ist.

Einiges hat sich verbessert, aber die Probleme sind noch längst nicht alle gelöst.

Eines ist sicher: Wir werden uns weiterhin mit der hochproblematischen und schwierigen Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft auseinandersetzen müssen. Hier liegt der Kern all dieser Probleme, also der Abgrenzungsprobleme und dessen, was hier im Einzelnen auch schon von anderer Seite gesagt worden ist und was ich nicht wiederholen will.

Die meisten Kritikpunkte im Einzelnen sind bekannt. Wir versuchen, sie zu beheben. Grundlage dafür ist auch, dass wir im Lande - man muss sagen: in einem überschaubaren Lande - ein Netzwerk haben, nämlich unter dem Titel „Chancen für Arbeit in Schleswig-Holstein“. ARGEn und Optionskommunen sitzen gemeinsam am Tisch. Wenn uns Problemfälle bekannt werden, werden wir versuchen, schnell Abhilfe zu leisten. Allerdings kann nicht jedem Kritikpunkt direkt abgeholfen werden. Manchmal braucht es sehr lange, bis dies möglich ist.

Um das Bild ausgewogen darzustellen, möchte ich noch etwas hinzufügen. Bei all der gerechtfertigten Kritik im Einzelfall, die für den jeweils Betroffenen schlimm ist, muss man auf der anderen Seite wieder sagen: Auch in den ARGEn und den Optionskommunen sind engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nach wie vor motiviert werden müssen. Wir können nicht sagen: Alles, was dort gemacht wird, ist falsch. Diese Menschen versuchen, in einem schwierigen System vernünftige Arbeit zu leisten. Das ist nicht einfach.

Die Landesregierung unterstützt die Bemühungen der ARGEn und der Optionskommunen um eine verbesserte Umsetzung, insbesondere die Verständlichkeit und die Rechtmäßigkeit von Leistungsbescheiden. Interessant ist - man mag es kaum sagen -, dass uns bezüglich der Anwendungssoftware die Bundesagentur mitgeteilt hat, sie werde ab Jahresmitte den rechtlichen Erfordernissen entsprechen. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Ab Jahresmitte wird sie den rechtlichen Erfordernissen entsprechen.

Der atypische Bedarf ist etwas, was wir im Sozialausschuss intensiv diskutieren müssen. Wir haben uns als Landesregierung im Gesetzgebungsverfahren dafür eingesetzt, dies flexibler zu handhaben. Leider, so muss ich sagen, haben wir damit keinen Erfolg gehabt, aber wir werden darin nicht nachlassen.

Einzelne Punkte möchte ich jetzt nicht aufzählen; dann müsste ich die Zeit überschreiten.

Aber zum Schluss sage ich noch zwei Dinge, die für mich wichtig sind. Einmal zeigt auch dieser Bericht - ich sage das sehr prononciert -, dass wir im Land ein Problem haben, weil ich als Landesarbeitsminister mangels einer Fachaufsicht über die SGB-II-Träger und wegen der Zuständigkeit des Bundes bei den meisten Regelungen nicht selbst Abhilfe schaffen kann. Das heißt, wir werden in der Zeit, die wir uns gemeinsam gesetzt haben, über die Rollen nachdenken müssen, was ARGEn und Optionskommunen anbelangt.

Das alles wird uns nicht daran hindern, den Bericht, der uns gegeben worden ist, weiterhin als Ansporn zu nehmen und die Verwaltungspraxis, soweit es in unserer Hand liegt, Stück für Stück zu verbessern. Ich darf mich herzlich für die Hilfestellung bedanken, die der Bericht uns gibt.

(Beifall bei SPD und CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Bericht Drucksache 16/1350 dem Sozialausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Aufkommensneutrale Unternehmensteuerreform

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1361

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die antragstellende Gruppe im Schleswig-Holsteinischen Landtag der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits in der März-Tagung haben wir das Thema „Unternehmensteuerreform“ im Rahmen einer Aktuellen Stunde im Landtag diskutiert. In der damaligen Debatte wurde von Rednern sowohl der CDU als auch der SPD betont, dass die Unternehmensteuerreform die öffentlichen Haushalte nicht in unvertretbarer Weise belasten darf. Nun kann man lange darüber streiten, was „unvertretbar“ bedeutet. Aber wenn man sich die Haushaltslage des Landes ansieht, kann es aus Sicht des SSW nur bedeuten, dass diese Reform unbedingt aufkommensneutral gestaltet werden muss. Deshalb haben wir den heutigen Antrag eingebracht.

Die bisherigen Pläne der Bundesregierung sind nämlich in keiner Weise aufkommensneutral, da die Unternehmen insgesamt über fünf Jahre mit jährlich mindestens 5 Milliarden € entlastet werden sollen. Nach Angaben der Landesregierung kostet die Reform das Land mindestens 80 Millionen € Steuereinnahmen und die schleswig-holsteinischen Kommunen fast 40 Millionen € pro Jahr.

Das ist vor dem Hintergrund der harten Sparmaßnahmen im Doppelhaushalt 2007/2008 aus Sicht des SSW einfach nicht hinnehmbar.

Die Kommunen, die Landesbediensteten und viele soziale und kulturelle Organisationen haben den massiven Sparkurs der Landesregierung im letzten Jahr am eigenen Leib zu spüren bekommen. Deshalb wäre es aus Sicht des SSW geradezu ein Hohn für die Betroffenen, wenn man jetzt den Unternehmen in dieser guten konjunkturellen Phase weitere Steuergeschenke machen wollte.

In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass die Gewinne der 30 größten DAX-Unternehmen nach Presseangaben in diesem Jahr gegenüber 2006 mit einer zweistelligen Rate zunehmen und damit einen neuen Rekord erreichen. So schlecht sieht es also nicht aus.

Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, wenn der Bundesfinanzminister ohne Not auf die zusätz

(Minister Uwe Döring)

lichen Steuereinnahmen bezüglich großer Konzerne verzichten will. Denn die wirtschaftliche Lage und die Konjunkturaussichten sind so gut wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr.