Protocol of the Session on May 9, 2007

Ich bitte um Überweisung des Berichts an den Innen- und Rechtsausschuss zur abschließenden Beratung, aber wegen der Vielfalt der Themen natürlich auch zur Mitberatung an alle anderen Ausschüsse.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Herrn Abgeordneten Thomas Rother und erteile für die FDP-Fraktion dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Wolfgang Kubicki, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Jahr geht von der FDP-Fraktion ein besonderer Dank an das Team von Dr. Weichert vom ULD. Zwar leistet die Landesdatenschutzbehörde jedes Jahr hervorragende Arbeit, aber im letzten Jahr mit den verschiedenen Gesetzentwürfen zum Informationsfreiheitsgesetz und insbesondere zum neuen Polizeirecht lagen doch politische Schwerpunkte, denen der Landesdatenschützer mit seiner Fachkompetenz seinen eigenen Stempel aufgedrückt hat.

Kollege Rother, Sie erinnern sich vielleicht noch daran, wie der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein, Ihr neuer Landesvorsitzender, in der Frage des neuen Polizeirechts den Datenschützer sagen wir einmal sehr vorsichtig formuliert - als alleinstehend im Rahmen der von ihm sonst ausgewiesenen Fachkompetenz bezeichnet hat.

War die Kritik der Mannschaft um Herrn Dr. Weichert beim Gesetzentwurf der Landesregierung zum Informationsfreiheitsgesetz zumindest noch teilweise erfolgreich, so stieß seine Kritik zum Polizeigesetz nur auf taube Ohren, wie im Übrigen auch auf die Kritik der gesamten Fachwelt.

Dennoch hat die Stellungnahme des Landesdatenschützers eines offengelegt: Um die Sache ist es der Großen Koalition beim neuen Polizeirecht nicht gegangen, sondern um das Gesicht. Der Koalitionsvertrag, der ja an anderen Stellen bereits heute nicht das Papier wert ist, auf dem er steht, musste umgesetzt werden, egal, ob dies rechtlich zulässig ist oder nicht. Herr Minister, ich sage nichts Neues, dass es in dieser Frage mit Sicherheit eine juristische Überprüfung geben wird. Jedenfalls hat mir der Kollege Burkhard Hirsch dies mitgeteilt.

Wir haben es immer wieder gesagt und es gilt heute mehr denn je: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Datenschutz sind kein Luxusgut. Das gilt auch in Zeiten der Bedrohung durch internationalen Terrorismus.

Die Aussage, dass niemand, der nichts zu verbergen habe, sich vor ungerechtfertigten Maßnahmen fürchten müsse, ist intellektuell eher schlicht. Sie trifft darüber hinaus auch nicht zu. So ziemlich je

(Thomas Rother)

der hat etwas zu verbergen, das sie oder er der Öffentlichkeit nicht preisgeben will und auch nicht preisgeben muss. Auch ich will nicht alles, was mein Leben bestimmt, der Öffentlichkeit preisgeben. Das gilt auch für unsere Runde hier insgesamt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen Sie sich einfach mal um und denken sie darüber nach, wer Ihnen gelegentlich einmal etwas im Vertrauen mitgeteilt hat.

Dabei möchte ich eine Textzeile aus dem Bericht des Landesdatenschützers zitieren, die ich als sehr treffend empfinde:

„Wenn viele Menschen meinen, sie hätten nichts zu verbergen, so mag dies ihre persönliche Überzeugung sein... Niemand kann daran gehindert werden, sein Innerstes nach außen zu wenden... Wer meint, nichts zu verbergen zu haben, darf von anderen nicht verlangen, dass auch sie sich nackt ausziehen... Mag sein, dass ein Mensch nichts dagegen hat, dass bei der Polizei - gut abgeschottet gegen Missbrauch durch Dritte - alles über sie gespeichert ist. Es ist aber nicht vorstellbar, dass irgendjemand wirklich damit einverstanden ist, dass er unberechtigt als Terrorismusverdächtiger gespeichert und behandelt wird.“

Lassen Sie mich an dieser Stelle zur geplanten Online-Durchsuchung durch das BKA etwas sagen. Herr Innenminister, der Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass gerade die Polizei auf ein Mindestmaß reduziert geheime Aktionen gegen Bürgerinnen und Bürger durchführen kann; der Rest muss prozessual ordentlich geregelt werden. Mir ist es völlig wurscht - meiner Frau übrigens auch -, ob ein Krimineller in unsere Wohnung oder in unseren Computer einbricht oder das Bundeskriminalamt. Es ist eingebrochen worden, das ist mein Empfinden und das Empfinden vieler Menschen. Das muss verhindert werden.

(Beifall bei der FDP)

Nun schauen wir einmal, was in dem Anti-TerrorDateien-Gesetz der Großen Koalition in Berlin festgeschrieben ist. Die Sicherheitsbehörden können Personen, die mit anderen Personen in Verbindung stehen, die wiederum rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter Gewalt befürworten, in die Datei aufnehmen. Frau Kollegin Sassen, was heißt denn das? Soll Angela Merkel in eine Anti-Terror-Datei aufgenommen werden, weil sie in einer Rede den Einmarsch George Bushs im Irak unterstützt hat, den viele als völkerrechtswidrig deklariert haben? Übrigens in

einer nachlesenswerten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verweigerung des weiteren Dienstes eines Bundeswehrangehörigen mit durchaus zutreffenden juristischen Argumenten unterstützt. Wegen einer nach dem Grundgesetz freien Meinungsäußerung? - Wohl eher nicht. Aber nach dem Anti-Terror-Dateien-Gesetz könnte man den Tatbestand als erfüllt ansehen.

Was ich damit sagen will, ist, dass wir schon seit Langem in Fragen des Datenschutzes Grenzen überschritten haben. Wir haben Gesetze geschaffen, die es den Sicherheitsbehörden möglich machen, praktisch jedermann, wenn es nur gewollt ist, auch ohne dessen Wissen in Dateien aufzunehmen und entsprechende Ermittlungshandlungen zu verursachen. Wir sind schon seit Langem zu weit gegangen. Frau Sassen, ich empfehle auch Ihnen als Lektüre die Rede des Vorsitzenden des Verbandes der Verwaltungsrichter zur Abgrenzung zwischen angeblichen Sicherheitsanforderungen und rechtsstaatlichen Notwendigkeiten, die es der Verwaltungsgerichtsbarkeit immer schwerer machen, Anregungen der Sicherheitsbehörden zu folgen, weil sie mit rechtsstaatlichen Mindeststandards nicht in Übereinstimmung stehen.

Wir haben als FDP schon seit Dezember 2005 mit einem Antrag im Landtag die im Bericht aufgeführte Vorratsdatenspeicherung thematisiert und abgelehnt. Unser Antrag liegt heute noch im Ausschuss und war mittlerweile Auslöser für einen Rechtsstreit des Landtages gegen die EU-Kommission zur Herausgabe von Unterlagen, die uns die Kommission vorenthalten will.

Diese Vorratsdatenspeicherung greift nach einem Gutachten unseres Wissenschaftlichen Dienstes verfassungswidrig in die Unabhängigkeit der Abgeordneten ein, weil jede Telekommunikationsverbindung zunächst einmal gespeichert werden muss und dadurch Bewegungsprofile, Kontaktpersonen von Abgeordneten und anderes offengelegt werden können.

Was geschieht hier künftig mit Journalisten, Rechtsanwälten, Ärzten, Geistlichen und sonstigen Berufsgeheimnisträgern, deren Tätigkeit auf einem besonderen Vertrauensverhältnis zu den sie aufsuchenden Personen basiert?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird Zeit, dass wir ein wenig zurück in die Zukunft gehen. Es wird Zeit, dass die persönliche Freiheit nicht weiter einem kollektiven Sicherheitswahn geopfert wird. Denn machen wir uns eines nicht vor: Diese kollektive Sicherheit wird es nicht geben, egal, wie weit wir unsere Gesetze noch ausweiten. Die per

(Wolfgang Kubicki)

sönliche Freiheit aber, das Gut, um das viele Menschen in der Welt noch kämpfen, könnte dabei verloren gehen.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Herrn Abgeordneten KarlMartin Hentschel.

Werte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Landesdatenschutzbeauftragte hat wie in jedem Jahr seine Aufgabe sehr ernst genommen. Ich bedanke mich ausdrücklich für die damit geleistete Arbeit. Er hat in seinem Bericht sehr viele Details zu unterschiedlichen Bereichen dargestellt, wie er es immer gemacht hat. Das sind wichtige Anregungen für unsere weitere Arbeit.

Ich werde an dieser Stelle nicht darauf eingehen, sondern möchte mich auf die Seiten 13 bis 16 des Berichts konzentrieren. Da geht es um die Großwetterlage. Man kann auch sagen: Die Großwetterlage wirft die Frage auf, wie es in dieser Republik mit den Bürgerrechten steht.

Um es mit meinen Worten zu sagen: Der staatliche Kampf gegen den Terror wird immer mehr selber zu einer Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat.

(Beifall bei der FDP)

Da ist beispielsweise die Umsetzung der Europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zu nennen, von der schon die Rede war und gegen die sich eine breite Bewegung formiert.

Es sind auch die geplanten Online-Durchsuchungen von Festplatten. Der in der vorletzten Woche verhängte einstweilige Stopp kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bundesinnenminister die Online-Durchsuchung immer noch als wichtigen Teil seiner Strategie des Generalverdachts betrachtet. Wir lehnen dieses Projekt ganz klar ab. Der Staat ist kein Hacker und darf es auch nicht werden.

Zu nennen ist auch die Speicherung biometrischer Daten. Niemand konnte bisher begründen, warum diese erforderlich ist und welcher Art die Probleme zurzeit mit dem Bundespersonalausweis sind.

Im Gegenteil, mit den Fingerabdrücken und dem Online-Zugriff auf die Passfotos werden sogar neue Gefahrenquellen eröffnet. Man denke nur an die Verwendung der Daten durch dubiose Drittstaaten.

Wir dürfen auch uns selbst nicht vergessen. Auch in Schleswig-Holstein hat dieser traurige Trend mit dem kürzlich verabschiedeten Polizeigesetz Fuß gefasst. Das war kein Glanzstück, Herr Minister.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Der Datenschutzbeauftragte hat bei diesen Gelegenheiten sehr deutlich Stellung genommen. Dafür bedanke ich mich außerordentlich.

Wir werden tagtäglich mit den Wünschen der Sicherheitsbehörden konfrontiert, die alles im Sinne unserer Sicherheit tun und entsprechend neue Wünsche formulieren. Es gibt aber keine Expertisen von Fachleuten, die das stützen. Im Gegenteil, es gibt genügend Experten, die davor warnen, dass sogar neue Gefahrenquellen eröffnet werden.

Das Ziel des Bundesinnenministers ist die Verknüpfung möglichst vieler Daten der Bürgerinnen und Bürger mit dem Ziel, am Ende den gläsernen Bürger zu haben. Ich bin davon überzeugt, dass das nicht mehr die Welt des Grundgesetzes, sondern die neue Welt des Dr. Schäuble ist. Das ist aber keine fachlich fundierte Politik. Ich habe den Eindruck: Das wird zunehmend zu der regierungsamtlich zelebrierten Paranoia.

Wer Wind säht, wird Sturm ernten. Ich erinnere mich sehr gut an das Jahr 1982. Damals hatten wir eine breite Volksbewegung gegen die Volkszählung. Was damals in Vorbereitung war, ist aber nichts im Vergleich zu dem, was wir zurzeit hier erleben. Ich glaube nicht, dass sich die liberale Öffentlichkeit dieses Landes solches bieten lassen wird. Ich warne Sie davor, so weiter vorzugehen. Wenn es so weitergeht, werden Sie sich unweigerlich eine entsprechende Volksbewegung einkassieren. Die Demonstration in Frankfurt war nur der erste Anfang.

Auch die Gerichte schlagen Alarm. Man muss sich einmal die Zeitspanne bis zu den Urteilen überlegen. Die Zeitspanne zwischen den gesetzgeberischen Maßnahmen der Regierung und der Erklärung von Gesetzen für verfassungswidrig wird immer kürzer.

Der große Lauschangriff 2004, die präventive Telekommunikationsüberwachung 2005, die Überwachungsbefugnis des Zollkriminalamts 2004, der europäische Haftbefehl 2005, der Fluggastdatentansfer an US-Sicherheitsbehörden 2006, die Rasterfahndung ohne konkrete Gefahrenlage 2006 - das sind allein in drei Jahren sieben Fälle, wo Gesetze der Bundesregierung aus verfassungsrechtlichen

(Wolfgang Kubicki)

Gründen kassiert worden sind. Soll das so weitergehen?

Wenn wieder und wieder Regierungen und Parlamente - Frau Sassen, Sie müssen sich einmal vor Augen führen, was hier passiert - den Verfassungsbruch bescheinigt bekommen, dann untergräbt das auch das Vertrauen der Bürger in die Urteilsfähigkeit der Politik.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn die Regierung die Bürgerrechte gering achtet, gefährdet sie die Bürgergesellschaft, die das Fundament bildet, auf dem unsere Sicherheit gegründet ist.

Meine Damen und Herren, wir haben heute Morgen sehr interessante Vorträge zu diesem Thema gehört. Was ist Parlament, und was ist Verfassung? Wir müssen uns über das Thema Parlament nicht nur in einer Feierstunde etwas anhören, sondern wir müssen auch die Praxis dieses Parlaments ernst nehmen.

Die Abgeordneten der Großen Koalition, Sie alle also, die Sie hier sitzen, wären ausgesprochen gut beraten, wenn Sie den Bericht des Datenschutzbeauftragten, insbesondere die Seiten 13 bis 16, einmal läsen. Das würde Ihnen guttun.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für den SSW hat die Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.