Protocol of the Session on March 21, 2007

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich bin gegen eine Verstaatlichung der Erziehung; aber dazu gehört auch, Menschen, die mit der Erziehung der Kinder überfordert sind, von staatlicher Seite Hilfen anzubieten, damit sich diese Fälle nicht wiederholen, damit wir eine kinderfreundliche und lebenswerte Gesellschaft werden.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und SSW)

In diesem Sinn hoffe ich, dass zumindest eine große Einigkeit im Parlament besteht und dass wir in Zukunft daran arbeiten, dass diese Fälle der Vergangenheit angehören, sodass man sagt: SchleswigHolstein ist ein kinderfreundliches Land. Hier möchten die Menschen gern Kinder bekommen, weil es sich lohnt, hier zu leben.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Vereinzelter Beifall bei der CDU)

(Wolfgang Kubicki)

Ich erteile nun dem Herrn Abgeordneten Torsten Geerdts das Wort. Die Redezeit - verbliebene Redezeit plus Redezeit nach § 56 Abs. 6 der Geschäftsordnung - beträgt fünf Minuten.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Trotz des für meine Fraktion abenteuerlichen Auftritts des Kollegen Puls werde ich mich ausschließlich um das Sachthema kümmern, denn es geht um die Zukunft von Kindern und Jugendlichen in diesem Land. Das muss die Botschaft sein, die heute von diesem Landtag ausgeht.

(Beifall bei CDU und SPD)

Die Lebenssituation von Kindern soll mit der Aufnahme des Staatsziels in die Verfassung in die Gesellschaft, in die Köpfe der Menschen gebracht werden. Ich finde, wir sollten nicht nur darüber reden, worüber Sie sich geärgert haben. Wir hätten uns mehr gewünscht. Bei Ihnen, Herr Puls, haben wir die Frage vermisst: Worin bestehen eigentlich die Handlungsfelder, wenn wir die Verfassung geändert haben?

(Beifall bei der CDU)

In dem meisten reichen Nationen wächst die Anzahl der Kinder, die in Armut leben müssen. Das ist das Kernthema, über das wir reden. Wir reden nämlich nicht nur über die Verfassung, nicht nur über neue Gesetze, sondern ganz konkret auch über Geld. Auch das sollten wir nicht in den Hintergrund treten lassen.

Nach einer Studie von UNICEF hat sich in 17 von 24 OECD-Staaten die Lebenssituation von Kindern in den letzten Jahren verschlechtert. In Deutschland leben 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche in relativer Armut. In Schleswig-Holstein gelten 64.000 Kinder als arm. Diese Armut zu bekämpfen, ist der Auftrag, den wir haben. Wenn die Änderung der Verfassung hilft, dann sollten wir sie ändern, und wir werden sie ändern. Aber wir müssen auch die Schlussfolgerungen daraus ziehen und wir werden Geld in die Hand nehmen müssen. Das ist die Botschaft des heutigen Tages.

(Beifall bei der CDU)

Armut, meine Damen und Herren, grenzt nämlich aus. Dabei herrscht nicht nur ein Mangel an materiellen Dingen. Häufig bestehen Defizite in den Bereichen Bildung und Erziehung. Aber auch die durch falsche Ernährung verursachten Gesundheitsprobleme sind gravierend. Diese „Kältewelle“ setzt

sich über beengte Wohnverhältnisse, das Leben in vernachlässigten Stadtteilen, Probleme bei der Schulbildung bis hin zu den schlechteren Chancen im Berufsleben fort. Von Chancengerechtigkeit kann also, wenn wir über Kinder im Allgemeinen sprechen, noch nicht überall die Rede sein.

Wir alle sagen, Schleswig-Holstein solle das Familienland Nummer eins werden. Das kann allerdings nur gelingen, wenn wir darauf achten, dass es eine Chancengerechtigkeit für Kinder in diesem Land gibt. Wir brauchen eine Wahlfreiheit zwischen Berufstätigkeit und Kindererziehung für Väter und Mütter gleichermaßen. Da werden wir irgendwann nicht nur sagen können: Wir wollen das dritte KitaJahr kostenfrei haben. Das haben wir letztes Jahr hier beschlossen. Irgendwann werden wir sagen müssen, wie wir es finanzieren wollen, und daran wird man uns messen, auch in der Diskussion über die Aufnahme des Schutzes von Kindern in die Landesverfassung.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Meine Damen und Herren, wir wollen eine Parallelität von Beruf und Erziehung ohne Unterbrechung der Berufstätigkeit. Diese Diskussion führen wir gleichermaßen. Wir sollten sie nicht ausblenden.

Bei all dem, was wir jetzt tun, werden wir uns an folgenden vier Punkten messen lassen müssen:

Erstens ist es unser Ziel, die Kinderarmut zu bekämpfen.

Zweitens müssen wir alles tun, um Gewalt in Familien auszuschließen. Das bedeutet aber auch: Wir müssen ganz konkret Haushaltsmittel in die Hand nehmen, weil wir dafür überall vor Ort Beratungsstellen vorhalten müssen. Auch darüber reden wir, wenn wir über die Landesverfassung reden.

(Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Wir haben viel zum Thema Vernachlässigung von Kindern gehört. Es gilt, sie aufzudecken und ihr entgegenzuwirken. Aber wir brauchen niederschwellige Beratungsangebote, die aufgesucht werden können. Wir können uns in den kreisfreien Städten und in den Kreisen umschauen, wie es dort ganz konkret aussieht. In einigen Bereichen befinden wir uns noch in den Haushaltsberatungen. Dort stehen wir vor der Entscheidung, ob wir kürzen oder nicht. Das ist der Kern der Diskussion, die wir jetzt führen müssen.

(Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen diese Beratungsangebote wohnortnah. Bei allem, was wir weiterhin tun, bei jedem Gesetz, das wir künftig auf den Weg bringen, müssen wir uns die Frage stellen: Ist dieses Gesetz kindgerecht, lebensweltbezogen, gemeinschaftsstiftend und geschlechtergerecht? Auch diese Frage werden wir verstärkt beantworten müssen.

Viertens. Wir reden über das Thema Kindergesundheit, wir reden über Frühwarnsysteme zwischen Jugendhilfe und dem Gesundheitsbereich. Das „Schutzengel“-Projekt, das auf den Weg gebracht wurde und jetzt so weit ist, dass es landesweit anlaufen kann, ist wunderbar als ein Baustein, sodass man auch sagen kann: Die Landesregierung arbeitet an diesem Problem schon sehr aktiv.

Wir brauchen eine Zusammenarbeit zwischen Arztpraxen, Kliniken, Kirchengemeinden, Kindertagesstätten, Schulen, Beratungs- und Frühförderungseinrichtungen. Alle nehmen wir mit dieser Änderung der Landesverfassung in die Pflicht. Auch das sollten wir sagen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Peter Lehnert [CDU])

Wir finanzieren immer noch mit. Manche Kreise fragen immer: Müssen wir das eigentlich dauerhaft in dieser Weise tun? Im Land Schleswig-Holstein gibt es drei Kinderschutzzentren. - Wir sind jetzt in der Pflicht, wenn wir über die Verfassung reden, sie dauerhaft abzusichern. Auch diese klare Botschaft senden wir am heutigen Tage aus.

(Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Geerdts, denken Sie an die Redezeit?

Ich bin gleich fertig. - Bekämpfung von Gewalt und Vernachlässigung. Wir brauchen Elterntelefone. Wir brauchen Kinder- und Jugendtelefone. Wir müssen dafür Ehrenamtliche unterstützen und weiter ausbilden können. Auch Mittel hierfür müssen zur Verfügung stehen. Und wir reden über pädagogische Mittagstische, die es in den Kreisen gibt, die von vielen Ehrenamtlichen geleitet werden.

Eine Abschlussbemerkung. Wir brauchen die Fachberatungsstellen für Eltern, für Kinder, wo es Gewalt in Familien gibt. Das alles kostet Geld. Heute reden wir fröhlich über die Landesverfassung. Dar

in nehmen wir die Änderung auf. Wir bringen sie auf den Weg. Aber die Hausarbeit in Sachen Kinder und Jugend beginnt jetzt erst.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach § 56 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung erhält nun die Frau Abgeordnete Spoorendonk für dreieinhalb Minuten das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meinem früheren Leben habe ich jahrelang versucht, Jugendlichen beizubringen, was Demokratie ist und was das Wesen von Demokratie ausmacht, dass Demokratie kein System ist, sondern eine Lebensform.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was ist dabei herausgekommen?)

Oft genug war es schwierig zu erklären, warum es so etwas wie Fraktionszwangs gibt und wieso bei Abstimmungen zwischen Fraktionszwang und Gewissensfreiheit von Parlamentariern unterschieden wird. Daher sage ich: Bei allem Verständnis für die koalitionsinterne Verärgerung ist diese Debatte eigentlich eine Sternstunde der Demokratie.

(Manfred Ritzek [CDU]: Na, na! - Jürgen Feddersen [CDU]: Das kann man so nicht sa- gen!)

Denn nur so können wir jungen Leuten deutlich machen, wie politische Meinungsbildung vor sich geht. Nur so können wir erklären, dass das Parlament dazu da ist, Meinungen auszutauschen und auch eine politische Auseinandersetzung zu führen.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Im nächsten Monat werden wir den 60. Jahrestag eines gewählten Landtages feiern. Ich denke, unsere parlamentarische Demokratie kann das aushalten. Was wir erlebt haben, ist ein Sturm im Wasserglas.

(Beifall beim SSW)

Daher sage ich noch einmal - man mag das bitte so akzeptieren -, dass mir das, was wir hinsichtlich der Landesverfassung miteinander besprochen haben, im Moment wichtiger ist. Wichtig ist es aus Sicht des SSW, deutlich zu machen, dass Kinderrechte nicht nur mit Kinderschutz zu tun haben. Kinderschutz ist wichtig. Der Schutz und die Förderung

(Torsten Geerdts)

von Kindern sind wichtig. Wichtig ist eben auch, dass Kinderrechte gestärkt werden, dass Kinderrechte auch gegenüber den Elternrechten gestärkt werden, dass Kinder nicht nur für die Zukunft unserer Gesellschaft, sondern auch um politische Diskussionen in unserer Gesellschaft so breit wie möglich führen zu können, wichtig sind.

Weil die Vergangenheit bewegt wurde, möchte ich noch einmal daran erinnern, dass Schleswig-Holstein gerade in dieser Hinsicht ein Vorreiterland war. Es gab die Demokratiekampagne, es gab die Kampagne „Kinderland Schleswig-Holstein“. Ich habe die Bücher noch. Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir dieses alles, was einmal von engagierten, tüchtigen Leuten hier im Land geschrieben wurde, wieder herausgraben und uns angucken, was heute noch aktuell ist.

(Beifall bei SSW, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf in Drucksache 16/1291 federführend dem Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenenthaltungen? Dann ist einstimmig so beschlossen.