Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im Dezember 2006 hat Bundespräsident Horst Köhler die Grundschule „Kleine Kielstraße“ in Dortmund als beste Schule ausgezeichnet. Die Schule des Jahres, die sich unter 481 Bewerbern und 18 Nominierten behauptete, arbeitet unter Bedingungen, die allgemein als ganz besonders schwierig bezeichnet werden. Diese staatliche Schule in einem sogenannten sozialen Brennpunkt, in diesem Fall der Dortmunder Nordstadt, besuchen Kinder aus mehr als 20 Nationen. Für 80 % dieser Schüler ist Deutsch nicht Muttersprache.
Was ist also bemerkenswert an dem Sieger? Da ist die Antwort vielschichtig: zum einen die enge Zusammenarbeit mit Familien und Kindergärten. Bereits Monate vor der Einschulung tauschen sich Lehrer mit Erzieherinnen aus. Eltern werden frühzeitig eingebunden. Es werden sogar sogenannte Erziehungsverträge mit ihnen geschlossen. Die Entwicklung jedes Kindes wird von den Lehrern ausführlich dokumentiert und die Schüler bekommen auf sie zugeschnittene Stundenpläne. Zum anderen sind aber nicht nur Eltern, Lehrer und Erzieher von vornherein mit eingebunden, auch mit dem nachbarlichen Umfeld steht die Schule in engem Kontakt.
Dieses Beispiel macht deutlich, dass neben einem guten Unterrichtsangebot ergänzende soziale und pädagogische Leistungen an den Schulen immer wichtiger werden, wenn sie die Schüler auf das Le
ben vorbereiten sollen. Denn Bildungsdefizite und Defizite im erzieherischen Bereich entstehen unter den heutigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vor allem deshalb, weil Kinder und Jugendliche in den Familien und ihrem sozialen Umfeld zu wenig Förderung und Unterstützung erhalten. Da hat der Kollege Niclas Herbst vollkommen recht, dass ist nicht ausschließlich ein Problem sogenannter sozial schwacher Schichten. Entsprechende Konzepte, wie sie zum Beispiel in einer offenen Ganztagsschule angeboten werden, bieten hier einen erfolgreichen Ansatz, diese Schüler zu erreichen. Der vorgelegte Bericht der Landesregierung zeigt, dass solche ergänzenden Angebote nicht nur als notwendig anerkannt worden sind, sondern es gibt sie in vielen Bereichen in Schleswig-Holstein. Der Bericht nennt hier beispielhaft Lokale Bildungspartnerschaften, Runde Tische, wie es sie zum Beispiel in Kiel in den Stadtteilen Gaarden und Mettenhof gibt, verbesserte und vernetzte Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebote sowie verschiedene Ganztagsangebote.
Das Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber, dass in Schleswig-Holstein die Schulen und ihre Träger noch immer zu sehr mit ihren Problemen allein gelassen werden. Lieber Niclas Herbst, das ist selbstverständlich auch eine finanzielle Frage, Kollegin Redmann hat es ganz deutlich angesprochen und sie hat sich sogar getraut, als Vertreterin einer Regierungsfraktion zu sagen, da muss an manchen Stellen mehr Geld hineingesteckt werden. Dies kann ich an dieser Stelle nur unterstützen und ich will auch sagen, warum.
Es genügt nicht, im Landeshaushalt jährlich jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt Mittel in Höhe von 26.000 € zur Verfügung zu stellen, wie es seit 2001 geschieht. Das reicht vor allem dann nicht, wenn erst seit 2006 Angaben vonseiten des Ministeriums verlangt werden, zu welchen Ergebnissen die verschiedenen Kooperationskonzepte überhaupt gekommen sind. Die Landespolitik macht es sich in diesem Fall zu einfach, wenn sie bei der Frage, wie eine integrierte Bildungs-, Familien- und Sozialpolitik zu gestalten ist, auf die besondere Verantwortung der Kommunen verweist, wie beispielsweise im Bericht geschehen. Wenn wir den Kommunen Unterstützung über Hilfestellung durch Regionalkonferenzen und eine Informations- und Servicestelle hinaus geben wollen, sollten die landesweit existierenden Projekte nicht nur umfassend evaluiert, sondern deren Ergebnisse gemeinsam mit den Kommunen analysiert werden.
Die Betonung liegt hier auf: gemeinsam mit den Kommunen. Die Chance hierzu wurde bisher leider verpasst. Andernfalls hätten wir wesentlich konkreter darüber diskutieren können, wie einzelne Schulen an sozialen Brennpunkten noch besser unterstützt werden können.
Stichwort Geld. Wer vor diesem Hintergrund die Forderung der FDP-Fraktion ablehnt, Schulsozialarbeit als Förderaufgabe des Landes im Schulgesetz zu verankern und ein entsprechendes Förderprogramm für Schulsozialarbeit an sozialen Brennpunkten aufzulegen, der muss sich dann eben fragen lassen: Wie tief soll denn eine Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe künftig erfolgen? Diese Frage, Kollege Herbst, haben Sie in Ihrem charmanten Beitrag nicht beantwortet.
Das Fazit aus dem Bericht kann deshalb nur lauten: Die Probleme wurden erkannt. Viele positive Beispiele zeigen, dass die Kooperation von Schule und Jugendhilfe verbessert worden ist. Wenn es aber darum geht, durch konkrete Maßnahmen die Schulen in ihrer Arbeit zu unterstützen, werden sie immer noch zu oft auch vom Land allein gelassen. Genau hieran müssen wir in Zukunft arbeiten, vielleicht über die Fraktionsgrenzen hinaus, zumindest die Jugendpolitiker.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 2001 haben die Oppositionsparteien den Datenschutzbeauftragten gefragt, wie es mit dem Datenschutz aussieht, wenn sich die Schule mit dem Jugendamt in Verbindung setzt, um gegen Verwahrlosung oder andere Probleme vorzugehen. Der Landtag hat sich damals intensiv mit der Frage beschäftigt, ob ein Lehrer sich einfach ans Jugendamt wenden kann, um weiteres Leid vom Schüler abzuwenden. Unisono wurde die Einbindung der Eltern befürwortet. Ihre Einwilligung muss vor einer Datenweitergabe vorliegen, lautete eine zentrale Forderung des Datenschutzbeauftragten. Die Jugendhilfe wurde zu dieser Zeit - das ist noch nicht sehr lange her - weniger als eine Serviceeinrichtung, sondern vor allem als eine Art ho
heitliche Eingriffsbehörde verstanden. Das war sicherlich zu einseitig, aber kein Grund, diesen wichtigen Bereich ganz zu vernachlässigen. Sechs Jahre später ist nämlich dieses Problemfeld komplett aus der ministeriellen Wahrnehmung verschwunden. Jetzt geht es bei der Kooperation Jugendhilfe und Schule ausschließlich um eine Leistungsbilanz zum Ausbau des Ganztagsschulangebotes.
Die Bilanz ist beeindruckend, Schleswig-Holstein hat in den Ausbau der Ganztagsbetreuung viel investiert. Das ist aber beileibe kein Grund, sich darauf zu beschränken. Das Ministerium nahm die vom Antragssteller geforderte Schwerpunktsetzung zum Thema Ganztagsschule zum Anlass, andere Kooperationsbereiche von Jugendhilfe und Schule weitgehend zu ignorieren. Das ist bedauerlich.
Ausdrückliche Anforderungen des Berichtsantrages werden sogar völlig außer Acht gelassen: So fehlen die geforderten Zahlen zum Mittelabfluss in den Kreisen und kreisfreien Städten vollständig und die wären wirklich interessant gewesen. Stattdessen heißt es auf Seite 7 des Berichtes unter anderem:
In welcher Höhe, bleibt offen. Wir haben uns ja inzwischen daran gewöhnt, dass man der Opposition nicht gerne alles offenlegt, aber das rechtfertigt nicht die Außerachtlassung des Berichtsantrages, insbesondere dann nicht, wenn gebeten wird, ein vorhandenes Konzept fortzuschreiben. Ohne konkrete Daten ist dies jedenfalls nicht möglich und damit ist auch kein zielgerichtetes Handeln seitens der Landesregierung möglich. Der Antragsteller hat bereits seine Unzufriedenheit mit dem Bericht deutlich gemacht; das konnten wir hören. Ich möchte darum vorwiegend auf die Bereiche eingehen, wo nach meiner Erfahrung Koordinierungsdefizite zwischen Jugendhilfe und Schule bestehen, Bereiche, die der Bericht übrigens mit keiner Silbe erwähnt. Vorausschicken möchte ich, dass vielerorts ein kurzer Draht zwischen Jugendhilfe und Schulen besteht. Das möchte ich bei aller Kritik am Bericht nicht unerwähnt lassen.
Es sind im Wesentlichen drei Kritikpunkte: Erstens. Die Schule kann nicht für alle möglichen Angelegenheiten eingespannt werden. Wir muten bereits jetzt den Pädagogen einiges zu. In einer Ganztagsschule kann man Belastungen entzerren und auf mehrere Schultern verteilen. Deshalb gilt es, diese weiter zu unterstützen.
Dazu möchte ich ein Beispiel unter vielen bemühen: Wenn der richtige Umgang mit Geld - in Zeiten enormer Handy-Schulden vieler Jugendlicher ist dies sehr wichtig - nicht im Unterricht untergebracht werden kann, kann das am Nachmittag gut nachgeholt werden, eine entsprechende sachkundige pädagogische Betreuung vorausgesetzt. Die Experten der Jugendhilfe sind hier gefragt, nicht die Lehrer. Das sieht die Landesregierung glücklicherweise genauso. Die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ soll genau in diesen Bereichen ansetzen und pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Nachmittagsbereich entsprechend fortbilden. Ich bezweifele allerdings, ob das mit einer einzigen Personalstelle im ganzen Land zu bewerkstelligen ist. Denn die Fortbildungsveranstaltungen sind schließlich nur eine von insgesamt vier Arbeitsbereichen der Serviceagentur, von denen jeder für sich bereits eine Stelle verdient hätte. Das nenne ich ein ministeriell geschaffenes Paradoxon: Lehrer vor Überforderung schützen, indem man Servicestellen überfordert.
Der zweite Kritikpunkt am Bericht betrifft eine besondere Form der Ausgrenzung. Zunehmend beklagen sich Eltern, dass ihre Kinder von der Schule gewiesen oder beurlaubt werden, weil sich die Lehrer von deren Verhalten überfordert fühlen. Dieses zeitweise Aussortieren all derjenigen, die nicht ins Raster passen, hinterlässt bei den Betroffenen Ohnmachtsgefühle, Scham und führt zur Stigmatisierung. Klärende Gespräche, gerade auch mit Experten aus der Jugendhilfe, könnten sicherlich helfen, dass sich diese Praxis nicht verfestigt. Schüler und Lehrer können sich schon einmal in eine ausweglose Situation hineinmanövrieren. Sachkundiges Coaching von außen kann hier helfen und die Situation entspannen. Der SSW fordert darum das Ministerium auf, entsprechende Verfahren zu koordinieren und hier einen Arbeitsschwerpunkt zu setzen und dann auch Geld zu investieren.
Drittens gibt es ohne Zweifel Probleme bei der Integration von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung an sogenannten Normalschulen. Ich denke, dass hier nicht nur ein Qualifikationsdefizit der Pädagogen vorliegt, sondern sich der Selektionsgedanke des dreigliedrigen Schulsystems auf eine besonders traurige Art manifestiert. Auch hier sehe ich ein Einsatzgebiet für die Jugendhilfe. Es darf nicht sein, dass Eltern für Integrationsleistungen, die ihren Kindern zustehen, kämpfen müssen und viel irgendwann am Wust von Zuständigkeiten und am Spardrang der kommunalen Ebene schei
tern. Dies schadet den Kindern und hilft auch den betroffenen Schulen nicht weiter. Deshalb muss auch hier das Sozialministerium steuernd eingreifen, damit die Kinder zu ihrem Recht kommen.
Der SSW wird die weitere Verzahnung von Jugendhilfe und Schulen in allen Bereichen weiterhin kritisch beobachten und dabei betone ich ausdrücklich, in allen Bereichen, auch in denen, die nicht im Bericht angesprochen wurden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/1072, federführend dem Sozialausschuss und mitberatend dem Bildungsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist einstimmig so beschlossen.
Es ist ein mündlicher Bericht der Landesregierung für die heutige Tagung erbeten worden. Ich erteile nunmehr der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit dem 1. Januar 2007 gibt es das neue Elterngeld. Das sichert Vätern und Müttern für das erste Lebensjahr ihres Kindes eine finanzielle Unabhängigkeit.
Ganz unabhängig davon, wie man zum Elterngeld steht - wir hatten dazu im Parlament schon Debatten -, ist es ohne Zweifel eine Leistung, die jetzt intensiv nachgefragt wird.
Das Landesamt für soziale Dienste hat in Schleswig-Holstein die Aufgabe, dieses Gesetz umzusetzen. Das bedeutet für dieses Amt eine große Herausforderung. Wir wollten eine reibungslose Abwicklung garantieren. Deshalb haben wir das Landesfamilienbüro Schleswig-Holstein in Neumünster mit seinen Außenstellen in Kiel, Lübeck, Schleswig und Heide gegründet. Diese Büros beraten und informieren über alle Fragen des neuen Elterngeldes und der Elternzeit. Sie vermitteln Kontakte und leisten kompetente Hilfe. Es sind insgesamt knapp 50
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dieses Landesfamilienbüro bilden. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden seit Mitte letzten Jahres fortgebildet und auf diese Aufgabe vorbereitet, es gibt also eine gute Ausstattung, die wir durch Prioritätensetzung innerhalb des Landesamtes vorgenommen haben.
Bisher gibt es nur Positives von der Arbeit des Landesfamilienbüros zu berichten und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Die Hilfe wird gut angenommen.
Wir haben Anfang Dezember letzten Jahres eine Hotline eingerichtet, damit sich Eltern schon im Vorfeld des Elterngeldes informieren können. Die Zahl der Anrufer bei dieser Hotline beläuft sich inzwischen auf über 650 Eltern. Wir können anhand der Fragen sehen, dass wir es mit einem komplexen Gesetz zu tun haben, auch wenn wir bemüht waren, die Umsetzungsverordnung und die Anträge möglichst einfach zu strukturieren. Es haben weitere circa 250 Eltern die Außenstellen besucht und inzwischen wurden 100 Anträge eingereicht. Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten Tagen die ersten zehn Anträge werden bewilligen können.
Diese Anfragen kommen insgesamt übrigens nicht nur von Privatpersonen. Es rufen auch Krankenkassen und Steuerberater an. Auch unser Informationsmaterial wird eifrig mitgenommen, Informationsmaterial, das wir zeitgerecht auf den Weg gebracht haben.
Dass das Landesfamilienbüro so gut angenommen wird, hat nicht zuletzt mit der intensiven Öffentlichkeitsarbeit zu tun, die uns wichtig war, damit Eltern wissen, an welche Stelle sie sich wenden können, wenn sie Fragen rund ums Elterngeld haben. Wir haben Vordrucke und Infoblätter, die über den Internetauftritt des Landesfamilienbüros heruntergeladen werden können, und wir haben darüber hinaus Plakate, Flyer und Broschüren auf den Weg gebracht. Ich habe Ihnen die Broschüre des Landesfamilienbüros in Ihre Fächer legen lassen, damit Sie sie auch vor Ort publik machen können, sofern das nicht ohnehin schon geschehen ist, denn diese Broschüre wird gewaltig nachgefragt.
Seit letzter Woche haben wir ein Infomobil, das im Auftrag des Landesfamilienbüros bis März im Land unterwegs ist. In drei Monaten werden 36 Orte besucht. Drei Tage die Woche ist das Infomobil unterwegs und stellt sicher, dass keine Lücken in der Information entstehen. Wir wollen, dass alles weiter so gut läuft wie bisher.
Weil das Familienbüro auf so positive Resonanz gestoßen ist, könnte es im Rahmen der Neuordnung des Familienleistungsausgleichs auch noch ausgebaut werden. Wir haben einen Knotenpunkt für die Familienpolitik im Land geschaffen. Naheliegend wäre dies, da die derzeitige Situation - wie wir sie hier schon öfter debattiert haben - von einer starken Aufsplitterung und Unübersichtlichkeit der Förderung der familienpolitischen Leistungen gekennzeichnet ist.
Die gesetzliche Harmonisierung aller familienpolitischen Leistungen und die organisatorische Bündelung ihrer Arbeit muss politisch vorangetrieben werden.