Protocol of the Session on November 30, 2006

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Thema schließt sich nahtlos an die vorhergehende Debatte an.

Die CDU-Landtagsfraktion hat sich in ihrem Familienpapier vom 4. März 2006 für Mehrgenerationenhäuser in den Kreisen sowie kreisfreien Städten ausgesprochen und darüber hinaus auch für die Entwicklung von Kitas zu Nachbarschaftszentren im ländlichen Raum. Dies ist wünschenswert, notwendig und unser Ziel, es muss aber mit der Überprüfung und Evaluierung sämtlicher Projekte und Programme in diesem Bereich einhergehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Karsten Jasper [CDU])

Es ist jedem in diesem Haus klar, dass wir nicht weiter draufsatteln können. Der Ministerpräsident hat gesagt: Neues Geld für neue Aufgaben gibt es nicht. Aber Kinder zu starken, selbstbewussten, leistungsfähigen und glücklichen Erwachsenen zu erziehen, ist sicherlich der Wunsch aller Eltern. Nur stellen wir fest, dass es die Eltern zunehmend an ihre Grenzen führt, dies umzusetzen.

Die Grünen sagen in ihrem Antrag explizit, dass es ein vielfältiges Angebot an Familienberatung, Familienbildung und Familienhilfe in Schleswig-Holstein gibt. Das ist wohl wahr. Das hat auch die Große Anfrage gezeigt.

Die Grünen sagen allerdings nicht, welche dieser Leistungen dann worauf entfallen sollen. Damit wir uns richtig verstehen: Die konsequente und flächendeckende Weiterentwicklung von Kitas zu Nachbarschaft- oder Familienzentren - gekoppelt möglicherweise mit einem niedrigschwelligem Angebot der Mütterberatung - wäre wünschenswert, auch für unsere Fraktion.

(Beifall der Abgeordneten Heike Franzen [CDU] und Karsten Jasper [CDU])

(Monika Heinold)

Die Grünen fordern die Vorlage eines Vorschlages für ein Landeskonzept in der Mai-Tagung 2007. Von beiden Flensburger Modellprojekten der ADS weiß ich, dass eine derartige Weiterentwicklung circa 25.000 € pro Kita kosten wird. Das betrifft die Kosten für das Konzept der ADS, die Kosten zur Umsetzung des Antrages der Grünen werden darüber liegen.

Dass eine Vernetzung der bestehenden Maßnahmen notwendig ist, kann ich nur unterstützen. Ich bin allerdings der Ansicht, dass zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft Deutsches Schleswig bereits vorbildliche Arbeit geleistet hat und in ihrem Konzept vieles von dem, was die Grünen in ihrem Antrag fordern, umgesetzt hat.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Warum sollten hiervon nicht auch andere Träger profitieren? Das Rad muss nicht immer komplett neu erfunden werden. Die Weiterentwicklung von guten Projekten ist häufig ausreichend. Der Antrag der Grünen ist daher in seiner jetzigen Fassung nicht zielführend und auch nicht umsetzbar. Folgende Fragen bleiben unbeantwortet: Welche Projekte werden aufgegeben? Wer trägt die Kosten, und zwar kontinuierlich, nicht projektbezogen?

Außerdem - das halte ich für ganz entscheidend kann nicht ein gleiches Konzept flächendeckend über alle Kitas gestülpt werden.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das steht auch nicht im Antrag!)

Eine Kita in der Flensburger Nordstadt braucht ein ganz anderes Konzept als zum Beispiel eine Kita auf der Westlichen Höhe in Flensburg.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das kann ja die Landesregierung ausarbeiten! - Monika Hei- nold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich vor drei Minuten vorgetragen!)

Wir haben in Schleswig-Holstein sehr unterschiedliche Kitas mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten und Konzeptionen. Da ist vor Ort sehr genau hin zusehen, was das Umfeld der jeweiligen Kita an Familien stützenden Maßnahmen braucht.

Ich habe es bereits in der vorangegangenen Debatte gesagt: Alle unsere Landesprogramme und Projekte müssen überprüft und evaluiert werden. Erst dann kann gebündelt und vernetzt werden. Außerdem können sie nur nachhaltig wirken, wenn sie verlässlich sind und die Projektdauer von drei Jahren überleben.

Meine Damen und Herren, ich frage Sie in diesem Zusammenhang, wo zum Beispiel „Wellcome“ ist. „Wellcome“ wurde mit viel Presse als Unterstützungssystem für junge überforderte Mütter eingeführt und läuft jetzt aus. Das Projekt hat viel Hoffnung und Mut gemacht, jetzt wird oder kann es nicht weiter finanziert werden. Es ist erst Hoffnung geweckt worden, die nun nicht weiter erfüllt werden kann. Das ist für mich keine nachhaltige, verlässliche, familienfreundliche Politik.

(Beifall bei CDU und FDP - Zuruf des Abge- ordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Einen Moment, Herr Hentschel. - Wir halten den Weg der Weiterentwicklung der Kitas zu Nachbarschafts- oder Familienzentren für richtig. Aber das geht nicht in einem Ruck-Zuck-Verfahren und Ruck-Zuck-Konzept bis Mai 2007.

Wir sollten den Weg einschlagen, aber ohne Aktionismus. Wir wissen, dass es einen Bedarf an Familien unterstützenden Maßnahmen gibt. Die Kitas und Familienbildungsstätten sind daher die natürlichen Partner der Familien. Wir brauchen sehr wohl einen Bericht, nämlich über die ganzheitliche Förderung, Frau Kollegin Heinold. Schaffen wir das fachlich und sachlich richtige Fundament! Suchen wir im Ausschuss mit beiden Anträgen, die ich bitte an den Ausschuss zu überweisen, und dem Bericht, den wir dann von der Landesregierung im Mai erwarten, nach einem gemeinsamen, realisierbaren Weg für unsere Kitas und Familien in SchleswigHolstein!

(Beifall bei der CDU sowie der Abgeordne- ten Wolfgang Baasch [SPD] und Regina Poersch [SPD])

Ich denke, dass klar ist, dass nun ein Antrag auf Ausschussüberweisung gestellt ist. Wir fahren aber in der Aussprache fort. Das Wort für die Fraktion der SPD erhält Frau Abgeordnete Astrid Höfs.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinder sind unsere Zukunft und sie haben ein Recht auf Schutz und Chancengleichheit. Diesen Schutz und diese Chancengleichheit müssen wir - die Erwachsenen - ihnen verlässlich bieten und gewähren. Deshalb sind auch die Erfahrungen, die sie in den Kindertagesstätten machen, von großer Bedeutung. Sie werden verlässlich betreut, sie erfahren Zuverlässigkeit in der Erziehung und

(Frauke Tengler)

durch den Bildungsauftrag der Kindertagestätten erfahren sie hier auch die ersten Bildungsangebote. Kindertagesstätten sind eben das Tor zur Bildungslandschaft, der Einstieg in unser Bildungssystem.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU)

Diese Aufgaben und Angebote an die Kinder werden schon gut umgesetzt, wenngleich auch noch nicht alle Kinder eine Kindertagesstätte besuchen was ich sehr bedauerlich finde - und vor allen Dingen auch noch zu wenige Plätze für Kinder unter drei Jahren im Angebot sind. Da haben wir noch in allen Regionen unseres Landes reichlich Nachholbedarf. Ich hoffe auch, dass eines Tages alle Kinder eine Kindertagesstätte besuchen werden. Es ist gut, wenn die Kinder rechtzeitig dorthin gehen und ihre frühe Aufnahmefähigkeit gefördert werden kann.

Doch wie sieht es denn eigentlich mit den Eltern aus? Wenn Kinder einen guten Lebensstart und gute Lebenschancen haben sollen, brauchen auch Eltern Unterstützung und Hilfe, um ihren Kindern überhaupt gerecht werden zu können. Das können heute nämlich nicht mehr alle Eltern. Junge Eltern leben heute in einer sich rasant verändernden Gesellschaft. Großfamilien wie in früheren Zeiten gibt es nicht mehr, wo viele Probleme und Fragen früher aufgefangen werden konnten. Eltern wissen oft nicht von Hilfen, die sie in Anspruch nehmen können oder in Anspruch nehmen müssten, obwohl diese Hilfeangebote vorhanden sind. Sie fragen häufig auch gar nicht erst bei anderen nach. So sind Sie weitestgehend auf sich allein gestellt.

Dringende Fragen bleiben ungeklärt, nötige Hilfen bleiben aus. Vieles, was unter Umständen schnell geklärt werden könnte, weitet sich zu einem großen Problem aus, vor allen Dingen zu einem großen Problem für die Kinder. Das ist das Problem, das wir heute haben. Das zeigen aber auch viele traurige Beispiele, die viel zu spät bekannt werden. Wirksame Hilfe ist dann nicht mehr zu leisten. So wird oft erst reagiert, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Das kann so nicht weitergehen. Vielerlei Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden, damit Kinder in einer gesunden Atmosphäre aufwachsen können.

Zusätzliche Familien unterstützende Maßnahmen in Kindertagesstätten können hilfreich sein. Die Hemmschwelle, diese Angebote in Kindertagesstätten anzunehmen, wäre deutlich geringer, als eine Beratungsstelle an einem anderen Ort aufzusuchen. Das zeigen Erfahrungen mit anderen Einrichtungen. Die bisherigen Erfahrungen und die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft Deutsches Schleswig kann

hier als beispielhaft genannt werden. Dabei wollen wir dieses Modell nicht anderen Trägern überstülpen. Aber von dem, was bereits gut läuft, können auch andere profitieren. Man muss das Rad ja nicht immer wieder neu erfinden.

(Beifall bei der SPD)

Erzieherinnen und Erzieher können hier vermittelnd tätig werden und Eltern auf wichtige unterstützende Maßnahmen hinweisen, obwohl hier deutlich gesagt werden muss: Zusätzliche Aufgaben können die Erzieherinnen und Erzieher nicht übernehmen. Sie müssen das auch nicht. Das ist nicht ihre Aufgabe. Sie können es auch gar nicht leisten, diese Aufgabe in den Kindertagesstätten zu übernehmen.

Bei den Familien unterstützenden Maßnahmen kann es sich zum Beispiel um Angebote der Erziehungsberatungsstellen oder Familienbildungsstätten handeln, die zu bestimmten Zeiten in Kindertagesstätten vor Ort ihre Angebote konzentriert präsentieren und für Kontakte mit Eltern zur Verfügung stehen, um Eltern und Familie zu stärken.

Sicher ist in jedem Fall: Für verschiedene Regionen sind unterschiedliche Maßnahmen notwendig. Man kann nicht sagen, dass an jedem Ort alles gleich sein soll. Es gibt soziale Brennpunkte, die mit Sicherheit andere Angebote nutzen. Auch wenn es in räumlicher Nähe viele Kindertagesstätten gibt, muss nicht jede Kindertagesstätte das gleiche Angebot vorhalten. Wichtig ist, dass die Träger von Kindertagesstätten, die sich für eine Weiterentwicklung ihrer Kindertagesstätte interessieren, ihre Angebote der Familien unterstützenden Maßnahmen zu einem Netzwerk ausbauen können, damit Hilfen für Familien auch wirklich sinnvoll eingesetzt werden können.

(Beifall bei der SPD)

Dazu sollten wir sie ermuntern. Es muss alles getan werden, damit Kinder auch wirklich unsere Zukunft sind und sie als Erwachsene ein selbstbestimmtes Leben führen können. - Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Für die Abgeordneten der FDP erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel des Antrages von BÜNDNIS 90/DIE

(Astrid Höfs)

GRÜNEN - nur den meine ich - ist klar: Ob Babybetreuung, frühkindliche Bildungsangebote, Familien- und Sozialberatung oder Anlaufstelle bei Fragen zur Gesundheitsförderung - in einer zentralen Anlaufstelle sollen Hilfen zu allen Problembereichen von Familien abgerufen werden können. Das alles möglichst in einem Gebäude und niedrigschwellig konzipiert. Denn in solchen Einrichtungen können gerade die Familien, die besonderer Unterstützung bedürfen, einfach und unbürokratisch erreicht werden - aber eben nicht nur diese, sondern alle Familien können dort zusammentreffen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das besonders Interessante an diesem Ansatz.

Lars Harms brauche ich erst nicht zu erzählen: Beispielsweise „Schutzengel“ in Flensburg arbeitet nach diesem Konzept oder - wie von der Kollegin Heinold erwähnt - Kiel-Mettenhof. Dort werden nicht nur die Kinder erreicht, sondern auch die Eltern entsprechend begleitet.

In den sogenannten Early Excellence Centers, die seit 1997 in Großbritannien entstanden sind, wird diese Idee sogar noch ausgeweitet. Kindertagesstätten sollen nicht mehr nur für die Betreuung der Kinder genutzt werden, sondern Gesundheitsvorsorge, Elternschulung für Erziehung und gesellschaftliche Integration werden dort miteinander verbunden. Gleichzeitig ist dieses Zentrum Anlaufstelle für Arbeitsberater, Kinderpsychologen, Hebammen und Logopäden. Denn es handelt sich nicht nur um ein erweitertes Kindergartenangebot, in das die Eltern eingebunden sind, sondern um ein innovatives Konzept aus frühkindlicher Bildung und Erziehung, das mit Familienhilfen intelligent kombiniert wird.

Während wir hier noch abwägen, wie Kindeswohl und Elternwille bei bestimmten Problemen zu berücksichtigen sind, wird in solchen Zentren diese Fragestellung ganz pragmatisch gelöst: Sobald Kinder und Eltern in einem solchen Zentrum erscheinen, wird ihnen unbürokratisch geholfen. Das spricht sich dann herum. Das spricht für sich, und zwar für solche Zentren.

Erfahrungen zeigen, dass Eltern diese Angebote annehmen, und zwar dann, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen nicht irgendetwas übergestülpt wird, sondern dass sie je nach ihren Fähigkeiten eingebunden werden. In solchen Einrichtungen werden alle sozialen Schichten und alle Altersgruppen erreicht. Davon sind wir hier in Schleswig-Hol

stein in vielen Bereichen noch ein ganzes Stück entfernt.