Protocol of the Session on October 12, 2006

Wer sich immer für eine Liberalisierung der Märkte einsetzt, darf dies bei den Stromerzeugern nicht aufgeben. Dieses Erzeugeroligopol kontrolliert rund 90 % der Kraftwerke und über 70 % des Absatzes an die Endverbraucher. Deshalb ist die Trennung von Stromerzeugung und Leitungsnetz ein

Schritt, den Wettbewerb zu fördern und Preise zu senken. Ein weiterer Schritt muss beim Wettbewerb der Erzeuger erfolgen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Das Wort für die FDP hat nun der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Harms, ich frage mich, warum wir den Kollegen Schulze nicht als Antragsteller unseres Antrages aufgenommen haben. Denn im Prinzip hat er all das gesagt, wohin wir wollen.

Ich halte die Vermutung des Landeswirtschaftsministers - da haben Sie völlig recht -, die Strompreise würden irgendwann sinken, wenn man die Kernkraftwerke länger laufen lasse, für äußerst kühn angesichts der Tatsache, dass die Strompreise in den letzten sechs Jahren um über 40 % gestiegen sind, obwohl die Kernkraftwerke derzeit alle am Netz sind.

(Beifall bei FDP und SSW)

Selbst Ökonomen, die sich nur im theoretischen Bereich bewegen und gern mit Ceteris-paribusKlauseln arbeiten, erkennen dies. Wenn man da auf etwas hofft, dann hat das mehr mit dem Weihnachtsmann als mit der ökonomischen Realität zu tun.

Lieber Kollege Harms, ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, die Liberalisierung des Strommarktes sei gescheitert. Die Liberalisierung des Strommarktes ist nach wie vor sinnvoll. Sie ist gut gemeint. Aber sie hat bislang nicht gut geklappt.

Deswegen bedanke ich mich ausdrücklich Ihnen, dass Sie die Initiative zu diesem Antrag ergriffen haben. Dass es nicht gut geklappt hat, liegt unseres Erachtens daran, dass die Eigenarten des Angebots am Strommarkt bei der Liberalisierung nicht genügend berücksichtigt wurden.

Denn in der Produktion und im Vertrieb von Strom spielt es eine entscheidende Rolle, wie groß der Anbieter ist. Je größer, desto besser. Das liegt daran, dass die notwendigen technischen Anlagen Kraftwerke und Stromleitungsnetze - sehr teuer sind und sehr lange halten.

Auf Märkten mit diesen Eigenschaften kommt es häufig zur Konzentration beim Angebot. Wenn jemand erst einmal ein Kraftwerk oder ein Stromnetz hat, dann kann er den Markt preiswert mit zusätzli

chem Strom versorgen. Für ihn sind die Anschaffungskosten der Kraftwerke und des Netzes bereits ganz oder teilweise versunken und insoweit ökonomisch irrelevant. Für einen neuen Anbieter jedoch schlagen sie voll ins Kontor. Deshalb kann er mit dem Platzhirsch nicht mithalten und versucht es auch gar nicht erst. Folglich beherrschen irgendwann wenige Anbieter den Markt. Auf dem deutschen Strommarkt sind das bekanntlich EnBw, e.on, Ruhrgas und Vattenfall.

Aus den gleichen Gründen, aus denen es zur Konzentration beim Angebot kommt, teilt sich der Markt auch regional auf, und zwar automatisch, ohne dass sich die Anbieter wettbewerbsrechtswidrig absprechen müssten. Spätestens dann haben die Platzhirsche kaum noch Konkurrenz zu fürchten und könnten auf die Idee kommen, ihre Marktmacht rechtwidrig zum Schaden der Stromkunden auszunutzen, und zwar mit überhöhten Preisen.

Nun ist es inzwischen technisch problemlos möglich, den Strom unterschiedlicher Anbieter gleichzeitig durch ein und dasselbe Netz zu unterschiedlichen Stromkunden zu leiten und die entstehenden Kosten ganz genau zuzurechnen. Aber ein Schelm, der Böses dabei denkt! - die Stromproduzenten haben den Strom lieber, der aus ihren eigenen Kraftwerken durch ihre eigenen Netze zu ihren eigenen Kunden fließt. Am liebsten hätten sie es wahrscheinlich, wenn nur ihre eigenen Kunden an ihren eigenen Netzen hingen.

Diese Zustände ähneln denen im Schienenverkehr. Die Platzhirsche könnten neue Wettbewerber durch ihre Marktmacht über das technische Vertriebsnetz behindern, was ihnen in einem Rechtsstaat von Rechts wegen selbstverständlich nicht unterstellt werden darf, sondern im Einzelfall nachgewiesen werden müsste. Aber im Zusammenhang mit den hohen Fixkosten des Markteintritts schreckt allein diese Möglichkeit schon viele potenzielle Wettbewerber ab. Das lässt den Wettbewerb regional erlahmen oder sogar erliegen, so wie es im Moment der Fall ist. Der Markt ist nur noch dann theoretisch bestreitbar, praktisch nicht mehr; und genau in dieser Situation befinden wir uns derzeit. Dann entfallen auch die segensreichen Wirkungen des Wettbewerbs: ein vielfältigeres Angebot mit besserer Qualität zu niedrigeren Preisen.

Leider ist es auch auf dem deutschen Strommarkt so weit gekommen. Deshalb fordern wir jetzt, die Stromerzeugung und das Stromleitungsnetz von Gesetzes wegen unternehmerisch zu trennen, genauso übrigens, wie wir es für den Schienenverkehr fordern.

(Olaf Schulze)

(Beifall bei FDP und SSW)

- Lieber Kollege Harms, ich bedanke mich dafür, dass Sie das schon sehr deutlich gemacht haben. Wir sind dagegen, die Stromnetze zu verstaatlichen. Wir möchten, dass sie von Privaten betrieben werden.

Die zuständigen Regulierungsbehörden sollen erstens für diskriminierungsfreien Zugang zum Stromnetz sorgen, zweitens dafür, dass die Netzbetreiber ihre notwendigerweise vorhandene Marktmacht gegenüber den Stromproduzenten und Stromverbrauchern nicht wettbewerbsrechtswidrig ausnutzen können.

Lieber Kollege Callsen, ich glaube, an dieser Stelle würde man der Regulierungsbehörde sogar einen Gefallen tun und ihre Arbeit erleichtern, wenn wir genau diese Regelung auf den Weg brächten.

Der diskriminierungsfreie Zugang soll selbstverständlich auch für Offshore-Windparks gelten. Ich finde, das ist eine Selbstverständlichkeit, die wir als Formulierung ausgedrückt haben, indem wir Offshore-Windparks zulassen wollen. Die Formulierung ist aus unserer Sicht also eine Selbstverständlichkeit. Genauso selbstverständlich ist es aber auch, dass wir uns in dem zuständigen Fachausschuss darüber noch unterhalten.

Wo der Anschlusspunkt festgelegt wird - am Windpark, an Land oder dazwischen auf hoher See -, ist für die Stromverbraucher unerheblich. Bezahlen müssen sie die Durchleitung des Stroms sowieso.

Das alles sollte aus unserer Sicht bundesweit gelten. Deshalb kommt es zu einer Bundesratsintiative.

In diesem Zusammenhang begrüßen wir, dass die Bundesregierung ihre EU-Präsidentschaft offensichtlich auch dafür nutzen möchte, die europäischen Energiemärkte zu liberalisieren. Genau bei dieser Liberalisierung möge sie bitte die Fehler vermeiden, die bei der Liberalisierung des deutschen Strommarktes geschehen sind. Wir wollen sie jetzt zum Nutzen der Menschen endlich ausbügeln.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Detlef Matthiessen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Eröffnung der sogenannten Demarkationsge

biete, der ausschließlichen Versorgungsgebiete der Energieunternehmen durch die Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes 1998, genannt Rexrodt-Novelle - nach dem damaligen Bundeswirtschaftsminister -, in Verbindung mit den Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und anderer Gesetze ist in Deutschland der Strommarkt liberalisiert, jedenfalls der Form nach. Das geschah keineswegs freiwillig, sondern weil es die Vorschriften des Europäischen Parlaments und des Rates der EU für den Elektrizitätsbinnenmarkt verlangten, und zwar in der Richtlinie 9692. Darin wurde bereits das sogenannte Unbundling verlangt, also die Trennung von Netz, Erzeugung und Vertrieb.

Die vertikale Integration war also als Problem erkannt und die EU schrieb die buchhalterische Trennung vor. Das Stromnetz sollte nicht zur Diskriminierung weiterer Marktteilnehmer genutzt werden können.

Mehr wurde den deutschen Energieversorgern, obwohl es gar nicht vorgeschrieben war, tatsächlich nicht abverlangt. Die Liberalisierung führte nicht zu dem, was man erwarten durfte: sinkende Preise, neue unabhängige Akteure auf dem Markt und so weiter. Das Gegenteil war der Fall: Konzentration der Energiegiganten, zum Beispiel PreussenElektra mit den Bayernwerken zu e.on. Die Hamburger HEW wurden gekauft, die Berliner BEWAG wurde gekauft, neben vielen anderen gingen sie in Vattenfall auf. Die Mängel im Wettbewerb führten zu überhöhten Preisen. Insbesondere die Netznutzungsentgelte treiben in Deutschland den Strompreis nach oben.

Die EU verschärfte, dies erkennend, ihre Anforderungen in der Richtlinie 2003 und verlangte eine informelle und operationelle Trennung bei Unternehmen. Gerade bei den Unternehmen mit mehr als 100.000 Kunden wurde sogar die gesellschaftsrechtliche Trennung verlangt.

Seitdem hat die e.on AG eine Tochter e.on Netz GmbH, Vattenfall hat Vattenfall Transmission Europe, RWE hat RWE Energy als Netzbetreiber. Auch das erweist sich als nicht hinreichend.

Der Bundesgesetzgeber hat daraufhin eine Netzaufsichtsbehörde geschaffen. Das ist zwar gut gemeint, aber nicht ausreichend. Wenn der Netzbetreiber seinen Gewinn - so hoch zumeist, dass von Monopolrenten zu reden ist - an den Mutterkonzern transferiert, dann wird dies dem Netzbetrieb entzogen und weitere Netznutzer bezahlen so den Profit des Mitbewerbers.

(Beifall bei SPD, FDP und SSW)

(Dr. Heiner Garg)

Der Dresdener Energiewissenschaftler Christian von Hirschhausen formulierte das Problem so: Vertikal integrierte Infrastrukturunternehmen hätten einen dauernden Reiz, die Schwesterunternehmen aus dem eigenen Konzern beim Infrastrukturzugang zu bevorzugen und Drittunternehmen zu diskriminieren. - Mit unserem gemeinsamen Antrag setzen wir genau da an, wo die Wurzel des Problems ist: Nur die Entflechtung im Eigentum heilt diesen dauernden Reiz des Netzbetreibers.

Dass es sich bei diesen Thesen nicht um Theorie handelt, lässt sich leicht nachweisen. Hätten wir Märkte mit wirksamem Wettbewerb, gäbe es nicht diese gigantischen Gewinne der großen Konzerne.

Meine Damen und Herren, weitere Erfahrungen machen wir gerade hier in Schleswig-Holstein, wo der Netzbetreiber nicht - wie es das Gesetz verlangt - sein Netz ausbaut und verstärkt, sondern mit den Anträgen auf Freileitungsgenehmigung nur Zeit schindet und Millionen Investitionen von unabhängigen Erzeugern verhindert. Wir erleben das hautnah in der Diskussion um die Erdkabel.

Ein Rechtsanwalt aus Brunsbüttel vertritt seit vielen Jahren Erzeuger und erzwingt vor Gericht den Anschluss seiner Klienten an das elektrische Netz. Das geht über Jahre mit immer gleichen Textbausteinen in Hunderten von Fällen. Ein Beispiel: Dem Kunden wird ein Preis für bestellte Leistung abverlangt. Wer seine Leistung überschreitet, zahlt richtig viel dafür, auch wenn seine Leistung gar nicht die Leistung des Lieferanten in die Höhe treibt, sondern sich im Netz der unterschiedlichen Nachfrager verliert. Das Ganze heißt zeitungleiche Leistungsmessung - auf Deutsch Abzocke. Und dies ist nur denkbar, wenn der Netzbetreiber mitspielt.

Wer das Netz hat - das sagte bereits der Kollege -, hat die Macht am Energiemarkt. Diese Macht findet ihren Ausdruck in weit überhöhten Preisen, die wir alle bezahlen. Daher muss das Netz unabhängig betrieben werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, der Ansatz der Landesregierung Hessen, die Stromkonzerne sollten Kraftwerke an Dritte verkaufen, ist durchaus einen Vorstoß wert. Das zeigt zumindest, dass auch andere das Problem erkannt haben. Erzeugung ist das eine, entscheidend ist jedoch die Lösung der Netzfrage. Eine Kombination beider Maßnahmen ist durchaus denkbar und wünschenswert.

Dem dient unser Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen. Er ist klar und einfach und vor allem gilt: Es

wird höchste Zeit, die Oligopole der Energieversorger, die wie Mehltau auf unserer Volkswirtschaft liegen, zu knacken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Matthiessen.Für einen Kurzbeitrag hat nun der Herr Abgeordnete Ritzek das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier noch etwas zur Preisbildung der Netzkosten sagen, weil die Vorredner nur zu den Oligopolen gesprochen haben. Es ist richtig, dass wir vier Oligopole haben, aber wir haben etwa 750 kommunale Stromversorger, zum Beispiel die Stadtwerke.

Wie sieht es beispielsweise bei den Stadtwerken in Norderstedt aus? - Die Stadtwerke beantragen für die Netzdurchleitung bei der Bundesnetzagentur 18 Millionen €, die sie von den Konsumenten wiederhaben möchten; das sind rund 32 % des Endpreises. In diesen 18 Millionen € sind rund 5 Millionen € enthalten, die die großen Oligopolisten den Stadtwerken Norderstedt in Rechnung stellen und diese 5 Millionen € sind in den Preisen der Stadtwerke Norderstedt enthalten. Das heißt, die Bundesnetzagentur hat jederzeit die Möglichkeit, auf diese 5 Millionen € Einfluss zu nehmen und zu überprüfen, ob diese Kosten überzogen sind oder nicht.