„Kinder und Jugendliche stehen unter dem besonderen Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der anderen Träger der öffentlichen Verwaltung.“
Meine Damen und Herren, wir haben bei allen Verfassungsänderungen der letzten Legislaturperiode niemals Fraktionsdisziplin angewendet. Ich sage das auch in Richtung SPD. Es gab auch zwischen
Rot-Grün nie eine Fraktionsdisziplin in diesen Fragen. Es hat gerade bei der Verlängerung der Wahlperiode und Ähnlichem immer abweichende Stimmen gegeben. Ich denke, es wäre falsch, wenn Sie heute hier mit Fraktionsdisziplin gegen Ihre eigene Überzeugung stimmen würden.
Ich kann auch nicht verstehen, dass das in einer großen Koalition notwendig ist. Ich beantrage deshalb exemplarisch - gemeinsam mit der FDP -, nicht weil ich die anderen Paragraphen weniger wichtig finde, sondern damit sich jeder dazu bekennen muss, Artikel 6 a über die Kinderrechte gesondert zur namentlichen Abstimmung zu stellen und bitte den Herrn Präsidenten auch entsprechend der Geschäftsordnung des Landtages, vor der Abstimmung den Gesetzestext noch einmal vorzulesen.
Nun komme ich zu erfreulichen Punkten. Ich freue mich, dass wir als letztes Bundesland endlich ein eigenes Verfassungsgericht bekommen. Es ist gut, dass wir für die seltenen Fälle nicht ein eigenes Gericht schaffen, sondern dass das ehrenamtlich von Richtern an anderen Gerichten mitgemacht wird, wenn ein konkreter Fall auftritt. Das ist kostengünstig und unbürokratisch.
Ich rechne es den beiden Regierungsfraktionen hoch an, dass sie die Möglichkeit schaffen und damit übereinstimmen, dass bei einer abstrakten Normenkontrollklage auch zwei kleine Oppositionsfraktionen einen Antrag stellen können, zwar nicht, wie wir gefordert haben, dass das eine Fraktion kann, aber ich denke wir werden uns in den wichtigsten Fällen zusammenraufen. Wir sind ja drei, und insofern ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei zusammenfinden, relativ hoch.
Zu guter Letzt soll die bereits seit einem Jahr gehandhabte Praxis der Oppositionsführerschaft in die Verfassung aufgenommen werden. Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Wir werden aber - und ich denke, Sie werden das verstehen - darauf hinarbeiten, dass eine solche Konstellation mit einer großen Koalition und zwei gleich starken kleinen Oppositionsfraktionen in Zukunft nicht wieder so schnell auftritt. Ich denke, darauf werden wir alle hinarbeiten.
Unter dem Strich verabschieden wir die Verfassungsänderung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Wir werden unsere Änderungsanträge gemeinsam mit der FDP und dem SSW nach
der namentlichen Abstimmung über Artikel 6 a erneut zur Abstimmung stellen, damit jeder einzelne Abgeordnete die Möglichkeit hat, hier noch einmal nach seinem Gewissen zu entscheiden. Da Sie sich zumindest an einer Stelle bewegt haben, wollen wir das auch belohnen und werden - da die Punkte alle aus unserem Antrag sind, nur eben herausgeschnitten - falls Sie unsere Änderungsanträge ablehnen sollten oder sich nicht die nötige Zweidrittelmehrheit dafür bildet, Ihrer kleinen Verfassungsänderung die Zustimmung unserer Fraktion geben.
Für die Abgeordneten des SSW erteile ich der Frau Vorsitzenden, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verfassungsänderungen sollten immer etwas Besonders sein. Vorbild ist für mich immer noch der Ablauf der Beratungen 1997/98 - solange bin ich schon dabei -, wo die Fraktionen des Landtages sich in einem besonderen Verfassungsausschuss die Zeit nahmen, die vorliegenden Anträge abzuwägen und miteinander ausführlich zu diskutieren. Dieser Gedankenaustausch hat dieses Mal so nicht stattgefunden, wie ich leider feststellen muss. Der Versuch, Überzeugungsarbeit zu leisten, wurde nicht unternommen. Redlicherweise muss ich hinzufügen, dass auch wir vom SSW keinen Vorstoß gemacht haben. Die Fronten waren von Anfang an klar erkennbar und mehr war leider nicht drin.
Daher möchte ich nun die Gelegenheit nutzen, um ein paar grundsätzliche Betrachtungen loszuwerden. Dass wir mit dem Vorschlag der regierungstragenden Fraktionen durchaus leben können, ist dabei für uns nicht entscheidend. Mit einer großen Koalition ist es immer so eine Sache: Zum einen kann sie alles durchdrücken, wenn sie will, sofern sie sich denn einigen kann, zum anderen kann sie die Opposition immer wieder ausbremsen. Hier im Landtag ist die Regierungsmehrheit so groß, dass die parlamentarischen Rechte der Opposition leicht unter die Räder kommen können. Um eben dies zu verhindern und der Opposition entsprechende parlamentarische Rechte zu sichern, haben wir seinerzeit gemeinsam mit den Grünen einen Gesetzentwurf zur Änderung der Landesverfassung eingereicht. Diesen Antrag haben wir mittlerweile zurückgezogen, weil der Gesetzentwurf zur Landesverfassung
von CDU und SPD eben diese Rechte festschreibt. Kurzum, die Klagemöglichkeit vor einem künftigen Verfassungsgericht wird somit für die Opposition gewährleistet. Das ist gut so, das spricht für die politische Kultur in Schleswig-Holstein.
In diesem Zusammenhang unterstützen wir natürlich, dass Schleswig-Holstein künftig ein eigenes Landesverfassungsgericht bekommen wird. Dadurch müssen Bürger bei verfassungsrechtlichen Streitigkeiten nicht mehr an das Bundesverfassungsgericht verwiesen werden und es bietet sich die Chance, dass die zur Entscheidung berufenen Richterinnen und Richter einen leichteren Zugang zu den landesspezifischen Besonderheiten haben.
Auch das neue Parlamentsinformationsgesetz findet unsere Zustimmung. Auch da müssen wir noch Erfahrungen sammeln. Ich teile die Auffassung der Grünen, dass wir uns das Ganze noch einmal näher daraufhin ansehen müssen, ob es denn so funktioniert, wie wir es gern haben wollen.
In der letzten Legislaturperiode hatten wir vom SSW uns trotz Bedenken für eine Staatszielbestimmung „Schutz und Förderung pflegebedürftiger Menschen“ ausgesprochen. Entscheidend für uns war seinerzeit, dass diese Forderung im Rahmen einer Bürgerinitiative formuliert worden war, sozusagen in einer Bewegung von unten. Unsere Bedenken waren also prinzipieller Art. Denn Staatszielbestimmungen sind nur soweit gut, wie sie umgesetzt werden. Sie sind kein Ersatz für politische Beschlüsse. Schon bei früheren Verfassungsrunden habe ich für den SSW deutlich gemacht, dass Staatszielbestimmungen kein Wunschkatalog sein dürfen. Wir vom SSW stehen also für eine eher restriktive Haltung. Dabei ist es aus unserer Sicht wichtig, dass man sich vor Augen hält, was Sinn und Zweck von Staatszielen ist. Die Sachverständigenkommission des Bundes aus dem Jahre 1981 formulierte es so - ich zitiere -:
„Es sind Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben sachlich umschriebener Ziele vorschreiben. Eine solche Verfassungsnorm ist danach ein Handlungsauftrag an den Gesetzgeber. Er lässt ihm aber einen großen Ermessensspielraum.“
Das also, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unser Auftrag, wenn wir als Parlament neue Staatszielbestimmungen beschließen.
Aus Sicht des SSW heißt dies, dass wir uns immer erst genau überlegen müssen, was die politischen Konsequenzen von neuen Zielen sind. Anders herum wissen wir aber auch, dass es in diesem Bereich nicht die reine Lehre gibt. Verfassungsänderungen müssen zu Recht mit großen Mehrheiten beschlossen werden und werden daher auch immer im Paket beschlossen. Gleichwohl darf es bei Staatszielen keine Aufwertung einzelner Ziele geben. Es darf unseres Erachtens keine Staatsziele erster oder zweiter Ordnung geben.
Nun zum vorliegenden Gesetzentwurf von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW: Dort geht es uns um Schutz und Förderung sozialer Minderheiten. Wir erweitern somit den Vorstoß von CDU und SPD mit einem Antidiskriminierungsansatz. Darüber hinaus heben wir den Tierschutz hervor, und wir wollen die Rechte von Kindern und Jugendlichen stärken. Gerade was die Rechte von Kindern und Jugendlichen angeht, müssen wir erkennen, dass es wachsende Defizite in unserer Gesellschaft gibt. Schlechte Bildungschancen stehen im engen Verhältnis zur materiellen Armut. Von Armut sind in Deutschland rund 10 % aller Kinder betroffen. Diese enge Verbindung zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft sprach ja auch der Bundespräsident in seiner letzten Berliner Grundsatzrede an. Aber auch aufgrund der demografischen Entwicklung werden Kinder und Jugendliche immer mehr zu einer Minderheit und ihre Belange finden immer weniger Gehör. Daher ist die Umsetzung der Kinderrechte eine Querschnittsaufgabe unserer Gesellschaft und muss hohe Priorität haben.
Um die Rechte der Kinder zu sichern, wurde die UNO-Kinderrechtskonvention bereits 1992 von der Bundesrepublik ratifiziert. Damit ist Deutschland die Verpflichtung eingegangen, die Konvention in nationales Recht umzusetzen. In einer Gesellschaft mit immer weniger Kindern erhält die Festschreibung von Kinderrechten damit eine besondere Qualität. Die Aufnahme von Kinderrechten in die Landesverfassung bedeutet eine Stärkung der Kinder. Hinzu kommt die Erweiterung des Artikels 5 der Landesverfassung um die Minderheit der Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit.
Bei den genannten Staatszielen handelt es sich, wie eingangs angesprochen, also auch um ein Paket. Für den SSW sage ich vorweg, dass wir wie in der
Vergangenheit keiner Verfassungsänderung zustimmen, die nicht diese Erweiterung des Artikels 5 beinhaltet. Sinti und Roma in die Verfassung aufzunehmen, ist aus unserer Sicht längst überfällig und wird auch vom Landesverband der Sinti und Roma seit der Änderung der Landesverfassung im Jahre 1997/1998 mit Nachdruck gefordert. Mit der Ratifizierung der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten sind die deutschen Sinti und Roma eine anerkannte nationale Minderheit in Deutschland. Die Entwicklung auf Bundesebene, liebe Kolleginnen und Kollegen, wo die vier in der Bundesrepublik beheimateten nationalen Minderheiten in einem Minderheitenrat zusammenarbeiten, spricht wirklich für sich. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, wenn Schleswig-Holstein seiner Verpflichtung endlich nachkommt und den Sinti und Roma diese Anerkennung zugesteht,
indem ihnen der rechtliche Anspruch auf Schutz und Förderung gewährleistet wird. Hier hat die große Koalition leider keine Größe gezeigt. Nachvollziehen kann ich daher das Unverständnis beim Landesverband der Sinti und Roma über den Sinneswandel der SPD, da sich gerade die SPD in zwei Anläufen dafür eingesetzt hat, die Gleichbehandlung der Minderheiten in Schleswig-Holstein zu regeln. Ich weiß, der Kollege Puls hat erklärt - ich nehme das positiv auf -, dass es nicht um einen Sinneswandel, sondern um Koalitionsräson geht.
Ein Wort an die CDU, die immer damit argumentiert hat, dass Sinti und Roma nicht landestypisch seien: Sinti und Roma können auf eine 600-jährige Geschichte in Schleswig-Holstein zurückblicken. Ich meine, dass das Zeit genug ist, um als landestypisch zu gelten. Aber grundsätzlich ist das wesentliche Merkmal unserer Minderheitenregelung im deutsch-dänischen Grenzland, in Schleswig-Holstein, dass die Identität ausschlaggebend ist und nicht das geografisch abgegrenzte Siedlungsgebiet.
Aus Sicht des SSW gilt weiterhin, dass Staatsziele niemals den politischen Willen zur Gestaltung ersetzen können. Daher noch einmal zur Klarstellung: Die Aufnahme der Sinti und Roma in den Minderheitenartikel der Landesverfassung ist kein Symbolakt. Sie ist vor dem Hintergrund der Minderheitenpolitik in Europa und in der Bundesrepublik längst überfällig.
können gut mit dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition leben. Wir haben inhaltlich gesehen das ja auch in den Antrag der Oppositionsfraktionen übernommen. In der Schlussabstimmung werden wir uns dennoch der Stimme enthalten. Wir werden dem Koalitionsgesetzentwurf nicht zustimmen, weil wir nur einer Verfassungsänderung zustimmen werden, die auch die Aufnahme der Sinti und Roma in die Landesverfassung beinhaltet. Das ist unsere Position in der Vergangenheit gewesen und das ist immer noch unsere Position.
Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal die Kolleginnen und Kollegen beider großen Fraktionen bezüglich des neu einzufügenden Artikel 6 a zum Schutz und zur Förderung der Kinder und Jugendlichen um etwas bitten. Ich bitte Sie, kurz in sich zu gehen und einmal über den eigenen Schatten zu springen - unabhängig davon, was man sich in irgendwelchen Runden versprochen oder ausgehandelt hat. Ich meine, dass es notwendig ist, kurz zu überlegen, ob man dieses Verfassungsziel wirklich nicht in das Gesetz aufnehmen will.
Ich habe nun noch eine Frage an die Frau Abgeordnete Ute Erdsiek-Rave, an die Frau Abgeordnete Trauernicht, an den Herrn Abgeordneten Ralf Stegner: Was glauben Sie, wie würde die Vorsitzende von UNICEF Deutschland, würde sie noch in diesem Parlament sitzen, in dieser Frage entscheiden? - Ich sage zu den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion: Die ehemalige Ministerpräsidentin Heide Simonis wäre stolz auf ihre ehemalige SPDFraktion, wenn sich bei der Abstimmung über den Artikel 6 a jeder Abgeordnete der SPD-Fraktion in dieser Frage frei nach seinem und ihrem Gewissen entscheiden dürfte.
Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich der Frau Abgeordneten Monika Heinold das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich argumentiere in die gleiche Richtung wie Herr Garg. Wir haben uns bei der Frage der verpflichtenden Vorsorgeuntersuchung von Kindern immer wieder darüber unterhalten, wie wir das Elternrecht, das in Deutschland eine sehr starke Stellung hat, um eigenständige Rechte der Kinder ergänzen können. Das heißt: Wie schaffen wir es, dass sich der Staat notfalls zum Wohle des Kindergesundheitsschutzes und gegen Vernachlässigung des Kindes durchsetzen kann?
Wir haben im Landtag des Öfteren den Beschluss gefasst, die Landesregierung möge prüfen, welche gesetzlichen und rechtlichen Veränderungen notwendig wären, damit das Recht der Kinder gestärkt wird. Ich finde, dass ein eigenständiges Recht von Kindern und Jugendlichen in der Verfassung eine sehr starke Argumentation für uns wäre, um in dem weiteren Verfahren an der einen oder anderen Stelle dem Elternrecht etwas entgegenzusetzen. Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, meine Damen und Herren von der SPD, die es gern tun würde, und von der CDU: Geben Sie sich einen Ruck, stimmen Sie der Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung zu. Das würde uns bei der zukünftigen Diskussion tatsächlich helfen.
Im Radio wurde heute Morgen wieder von einem Fall von Kindesvernachlässigung berichtet. Wir alle stehen dann immer etwas sprachlos daneben und fragen uns: Was können wir tun? Hier haben wir eine Möglichkeit, die Kinderrechte in der Verfassung zu stärken, um bei späteren Gesetzgebungsverfahren dem Elternrecht das eine oder andere entgegenzusetzen, wo es notwendig ist.