Protocol of the Session on June 30, 2006

Nach § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung erteile ich zunächst dem Oppositionsführer, dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, dass ich mir jetzt nicht den Unmut des ganzen Hauses zuziehe, aber: Ich weiß, worüber ich rede.

(Heiterkeit bei der CDU)

Ich danke zunächst ausdrücklich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Steuerverwaltung, dass sie unsere Große Anfrage so detailliert beantwortet haben. Normalerweise sage ich so etwas nicht, weil dies zum Aufgabenbereich der Mitarbeiter der Häuser gehört, aber in diesem Fall möchte ich dies in besonderer Weise tun und bitte Sie, Herr Finanzminister, das auch zu übermitteln.

Wir haben die Personallage, die Personalentwicklung, die Ausbildung, die Datenverarbeitung und die Ergebnisse der Reform der Personalämter abgefragt. Wegen der Kürze der Zeit beschränke ich mich heute auf die Personallage. Wir werden im Finanzausschuss - wir werden Überweisung beantragen - über die weiteren Dinge noch intensiv reden.

(Präsident Martin Kayenburg)

Die Landesregierung beziffert ihren Personalbedarf in der Steuerverwaltung auf 4.275 Beamtinnen und Beamte; sie hat sich aber nur 3.833 Stellen zugewiesen, auf denen nur 3.648 Beamtinnen und Beamte rechnerisch Vollzeit arbeiten. Die Lücke beträgt also 627 Stellen, fast 15 %.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt muss jeder und jedem sofort klar werden, warum die große Koalition die Steuern erhöht hat und weiter erhöhen wird: Die Großkoalitionäre meinen, der deutsche Staat kranke an zu niedrigen Einnahmen. Sie begründen diese Lücke mit der angespannten Haushaltslage: Der Staat nehme zu wenig Geld ein, weil er zu wenig Finanzbeamte habe - aber weil er so wenig Geld habe, könne er nicht mehr Finanzbeamte einstellen. Um aus diesem großkoalitionären Teufelskreis ausbrechen zu können, müsse der Staat die hohen Steuerausfälle nun, die wegen der dünnen Personaldecke in den Finanzämtern entstünden, durch höhere Steuern ausgleichen.

(Beifall bei der FDP und Heiterkeit bei der CDU)

Und weil die Finanzämter unterbesetzt sind, zwingt die Landesregierung die Finanzbeamten jetzt auch, länger zu arbeiten. Die Mehrarbeit soll 87 Stellen entsprechen. Vermindern wir den Personalbedarf um den relativen Anteil, der vom Stellensoll wegen Mutterschutz, Elternzeit, Krankheit, Fortbildung und Ähnlichem nicht besetzt ist, vermindert sich das Fehl gegenüber diesem bereinigten Personalbedarf auf 331 Stellen oder 8 %.

Als Dank und Anerkennung für die Mehrarbeit der Beamtinnen und Beamten kürzt die Landesregierung ihnen die Gehälter, und das, obwohl von den 3.648 Beamtinnen und Beamten in den Finanzämtern jetzt schon 1.274 oder 35 % für ihre Arbeit unterbezahlt werden: Sie dienen in höherwertigen Funktionen, ohne dass ihnen die entsprechende Dotierung gegeben wird. Von diesen 1.274 Unterbezahlten sind 1.075 oder 82 % so genannte kleine Beamte des mittleren Dienstes. Sie müssen im gewichteten Durchschnitt 7 Jahre und 4 Monate auf die nächste Beförderung warten, die sie in das Amt bringt, das sie gegenwärtig ausfüllen, ohne entsprechend belohnt zu werden. Es sind im Durchschnitt 7 Jahre und 4 Monate, Herr Kollege; das ist schon hammerhart.

Dabei leistet sich Schleswig-Holstein eine preiswerte Steuerverwaltung: Bei uns gibt es je 1.000 Einwohner etwa so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie im Bundesdurchschnitt. Aber der Anteil der Beschäftigten im mittleren Dienst ist bei

uns der Dritthöchste und liegt 13% über dem Bundesdurchschnitt.

Und jetzt kommt der Hohn - das sage ich ausdrücklich -: Auf Seite 9 bewertet die Landesregierung dies so:

„Aufgrund der hohen Leistungsfähigkeit des mittleren Dienstes der Steuerverwaltung des Landes Schleswig-Holstein … hält die Landesregierung die Unterschiede zu anderen Ländern im Hinblick auf die quantitative und qualitative Arbeitserledigung derzeit für gerechtfertigt.“

Ich übersetze das auf Deutsch: Weil die Landesregierung findet, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Steuerverwaltung so gut arbeiten, bezahlt sie sie schlechter, kürzt ihnen das Gehalt und befördert sie später.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Effektivität und Effizienz von Verwaltungen hängen nicht nur davon ab, ob sie zweckmäßig organisiert sind. Das Können und vor allem das Wollen der Menschen, die dort arbeiten, bestimmen die Leistungsfähigkeit ganz entscheidend. Das Wollen - die Motivation - der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hängt davon ab, ob sie sich gerecht behandelt fühlen.

Die „Elmshorner Nachrichten“ berichteten am 27. Juni 2006 auf Seite 1 unter der Überschrift „Hier demonstrieren Finanzbeamte“ darüber, dass über 150 Finanzbeamte, einige Lehrer und wenige Polizisten in Elmshorn gegen die Personal- und Lohnpolitik der Landesregierung demonstriert haben. Das inoffizielle Motto soll gelautet haben - ich zitiere, Herr Präsident, die „Elmshorner Nachrichten“ -:

„Peter Harry heißt er, uns bescheißt er.“

Das spiegelt die Stimmung der Beamtinnen und Beamten des Landes ziemlich gut wider, aber insbesondere die der Steuerverwaltung, denn sie sind im Rahmen der Verwaltungen, Herr Minister, im Vergleich mit der Polizei, mit der „normalen Verwaltung“ tatsächlich schlechter gestellt.

(Beifall bei FPD und SDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Neugebauer, wir haben im Finanzausschuss schon oft darüber gesprochen, dass wir, wenn wir die Steuererhebung optimieren wollen, entsprechend gut ausgebildetes und ausreichendes Personal benötigen. Möglicherweise wäre eine Investition hier für das Land tatsächlich eine Investition, die sich am

(Wolfgang Kubicki)

Ende lohnt. Wir werden das im Ausschuss weiter beraten.

(Beifall bei FDP und SSW)

Herr Oppositionsführer, ich schlage vor, hier gewählte Zitate auf Parlamentstauglichkeit zu prüfen.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

Nunmehr erteile ich dem Herrn Finanzminister Rainer Wiegard für die Landesregierung das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Wolfgang Kubicki, ich kann Ihnen in den meisten Teilen überhaupt nicht widersprechen - das wäre auch dumm -, bis auf die eine oder andere Zahl, die Sie genannt haben. Da muss man bei Ihnen immer vorsichtig sein, ob die Zahlen auch stimmen. Wir werden sie noch einmal nachprüfen.

Ich bin Ihnen aber auch dankbar, einerseits für den Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses, die den Bericht ausgearbeitet haben, andererseits aber auch für den Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Steuerverwaltung überhaupt. Ich glaube, dass sie unter den Bedingungen, die sie vorfinden, eine ganz hervorragende Arbeit leisten.

Die Bedingungen kann man vielleicht mit einem Beispiel beschreiben. Es soll Heinz Rühmann gewesen sein, der sich einen Tag lang auf die Besucherbank eines Finanzamtes gesetzt hat. Als er nach mehreren Stunden höflich von einem Finanzbeamten gefragt wurde, ob man ihm helfen könne, hat er gesagt: Nein, danke schön. Ich wollte nur einmal die Herren kennen lernen, für die ich täglich arbeite. - Das war natürlich ein typischer Rühmann. Aber das ist doch ein Eindruck, der gern vermittelt wird. Der ist aber völlig falsch, denn es sind nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Steuerverwaltung, die die Gesetze machen, die die Menschen erschrecken. Es ist die Politik, die die Gesetze macht.

(Beifall der Abgeordneten Ingrid Franzen [SPD] und Günter Neugebauer [SPD])

Für das Steuerrecht sind unter anderem auch wir zuständig und verantwortlich, jedenfalls dort, wo wir mitwirken. Wenn man heute die Zeitung aufschlägt - nicht nur die „Elmshorner Nachrichten“, sondern viele andere Zeitungen auch -, dann weiß man, in welcher Debatte wir uns im Augenblick befinden.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: So ist es!)

Wenn wir die Steuerbeschlüsse der letzten Wochen Revue passieren lassen - ich denke nur an die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten -, dann sage ich, dass uns noch einholen wird, was wir uns an steuerrechtlichem und Administrationsaufwand geleistet haben. Ich denke, es wird ganz erheblich sein, was da noch auf uns zukommen wird. Es sind also nicht die Menschen in den Finanzämtern, die die Verantwortung dafür tragen, sondern es ist die Politik.

Zwei Drittel der Weltsteuerliteratur ist in deutscher Sprache verfasst. Wir haben im vergangenen Jahr in Deutschland die unglaubliche Zahl von viereinhalb Millionen Einsprüchen gegen Steuerbescheide gehabt. Das ist eine unvorstellbare Zahl, die kein Beleg für Rechtsklarheit bei den Bürgern, sondern vielmehr für Rechtsunsicherheit ist, die beseitigt werden muss und die im Wesentlichen durch eine sehr ausgeprägte, komplizierte und für niemanden zu durchschauende Steuergesetzgebung entsteht.

(Beifall des Abgeordneten Axel Bernstein [CDU])

Die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der schleswig-holsteinischen Steuerverwaltung, die Herr Kubicki genannt hat - fast viereinhalbtausend Menschen, die nur damit beschäftigt sind, die Steuern von 2,8 Millionen Einwohnern einzutreiben, von denen nicht einmal alle Steuern zahlen -, ist objektiv zu gering, um mit dem geltenden Steuersystem einigermaßen sachgerecht zu walten. Es sind aber zu viele, als dass wir sie alle aus den Steuern, die uns Herr und Frau Bürger zur Verfügung stellen, bezahlen könnten. Das ist genau die Problematik, in der wir stecken.

Herr Kubicki, Steuerverwaltung befindet sich im Spannungsverhältnis von „Wünsch dir was“ und dem, was möglich ist. Personalbedarf und tatsächliche Stärke stehen in einem Widerspruch, zumindest aber nicht im Einklang. Das ist überhaupt keine Frage. Dass sich das in einer anderen Form von Koalition kurzfristig geändert hätte, kann ich mir kaum vorstellen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Eher unwahr- scheinlich!)

- Eher unwahrscheinlich! - Sie haben den Beförderungsstau angesprochen. In der Tat übertrifft der Beförderungsstau bei den Steuerbeamten mit den circa sieben Jahren, die Sie genannt haben, noch um ein paar Monate die Zeit, die die Abgeordneten dieses Hauses auf die Entwicklung ihrer Abgeord

(Wolfgang Kubicki)

netenentschädigung gewartet haben. Das ist ein Trauerspiel.

Ich glaube auch, dass manche Lösungsdiskussionen, die derzeit geführt werden, keinen Beitrag zur Lösung leisten. Wir haben uns gestern im Finanzplanungsrat in Berlin erneut mit dem ausdrücklichen Wunsch, der Bitte, der Forderung des Bundesfinanzministers nach einer gemeinsamen Bundessteuerverwaltung auseinander gesetzt. Ich warne dringend davor, diese Diskussion zu vertiefen. Eine noch größere Riesenbundesbehörde mit deutlich mehr als einhundertfünfzigtausend Beschäftigten wäre ein Moloch, der anderen ähnele, mit denen wir meiner Einschätzung nach schon Schiffbruch erlitten haben.

(Vereinzelter Beifall)

Ich bin dankbar dafür, dass wir diesen Bericht geben durften, weil er die Gelegenheit gibt, im Finanzausschuss noch einmal die Probleme zu beleuchten und vielleicht zu der einen oder anderen Einsicht zu gelangen, wo wir Verbesserungen erreichen können und möglicherweise im politischen Bereich Verbesserungen erreichen müssen, wenn es um die Gestaltung von Steuerrecht und Steuerpolitik geht. Das ist der eigentliche Ansatz, um den wir uns bemühen müssen. Mein Dank gilt allen Beschäftigten in diesem Bereich, die unter diesen sehr schwierigen, einschränkenden Bedingungen ihren Dienst tun.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Frank Sauter das Wort.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Na gut, der lebt ja davon!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass es nicht gut ist, mit einem Mangel zu leben. Der Mangel an Transparenz in Gesetzen, im materiellem Recht, ist etwas, was die Gesellschaft so stark belastet, dass wir uns alle - auch die steuerberatenden Berufe - darauf freuen, dass es irgendwann zu den grundlegenden Steuerrechtsvereinfachungen kommt, die wir alle auch in der täglichen Arbeit als Steuerbürger und Steuerberater spüren, Herr Kubicki. Dann wird der Kollege Neugebauer sicherlich nicht mehr im Parlament sein und ich glaube auch, dass unsere jungen Abgeordneten dann nicht mehr im Parlament sein werden.