Protocol of the Session on June 1, 2006

Meine Damen und Herren, dies sind Beispiele, über die wir uns noch unterhalten müssen, wenn dieser Gesetzentwurf Sinn machen soll.

Aus negativer Sicht könnte man also sagen: Es ist Stückwerk. Bei positiver Betrachtungsweise - und das will ich gern tun - ist es ein guter Anfang, um sich der Gesamtproblematik zu nähern. Dabei spielt natürlich die Fünfprozenthürde eine zentrale Rolle.

In diesem Zusammenhang erinnere ich sehr gern noch einmal an das seinerzeitige Verhalten der grünen Fraktion in der Sitzung des Sonderausschusses Kommunalverfassung am 3. Juni 2002 zu einem Entschließungsantrag der FDP, der bereits damals die Abschaffung der Fünfprozentklausel forderte. Die Grünen haben diesen Antrag seinerzeit abge

lehnt. Sie haben ihn seinerzeit abgelehnt, obwohl sie die Fünfprozentklausel bereits damals zutreffenderweise als verfassungswidrig bezeichnet haben. Die Grünen haben also seinerzeit selbst durch eigene Erklärung von Herrn Hentschel den Koalitionsfrieden über die Verfassung gestellt. Daher ist ihr heutiger Einsatz für dieses Mehr an Demokratie nicht unbedingt glaubwürdig.

Liebe Kolleginnen und lieber Kollege von den Grünen, damals hätten Sie zustimmen müssen. Das wäre glaubwürdig gewesen.

(Beifall bei der FDP)

Dieses Glaubwürdigkeitsproblem der Grünen ändert allerdings nichts an der Richtigkeit ihres heutigen Anliegens. Auch die FDP ist nach wie vor selbstverständlich überzeugt davon, dass die Fünfprozentklausel im Kommunalwahlrecht verfassungswidrig ist. Bisher gab es mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Fünfprozenthürde im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlrecht. In keiner dieser Entscheidungen hat sich das Verfassungsgericht allerdings jemals inhaltlich mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Fünfprozenthürde befasst; alle Klagen waren wegen formaler Mängel unzulässig, sodass eine materielle Überprüfung der Klausel nie stattgefunden hat.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb kann sich hier auch niemand in der altbewährten Form hinstellen und behaupten, die Fünfprozentklausel sei verfassungsgemäß, wie es der Herr Kollege Wengler gesagt hat. Um diese Frage hat sich das Verfassungsgericht für das Kommunalwahlrecht in Schleswig-Holstein nämlich immer fein herumgedrückt.

Meine Damen und Herren, für die Abgeordneten der großen Koalition gegen mehr Bürgerbeteiligung erkläre ich gern noch einmal die Voraussetzungen für die Beibehaltung der Fünfprozentklausel, die der heutige Präsident des Bundes der Steuerzahler in einem Aufsatz als Geschäftsführer des schleswig-holsteinischen Gemeindetages aus dem Jahr 2002 richtigerweise als Angstklausel bezeichnet hat:

„Die Fünfprozentklausel ist eine Beschneidung des Wahlrechts der Bürgerinnen und Bürger. Zulässig ist diese Beschneidung nur dann, wenn ein überragendes Gemeingut geschützt werden soll. Für die staatliche Ebene hat das Bundesverfassungsgericht diese Frage materiell entschieden und den Schutz der Funktionsfähigkeit des Parlaments durch die Fünfprozenthürde als ein solches Gut angese

(Günther Hildebrand)

hen. Bei der Funktionsfähigkeit der Kommunalverwaltung gilt hingegen etwas anderes, insbesondere auch nach der Einführung der Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeister und Landräte. Durch die Direktwahl dieser Verwaltungschefs wird immer die Wahl eines Amtsinhabers erreicht. Verzögerungen bei der Besetzung dieser Position durch Uneinigkeiten oder mangelnde Mehrheiten in den Vertretungen gibt es dadurch nicht. Übrigens hat es sich gezeigt, dass Gemeindevertretungen auch ohne absolute Mehrheiten durchaus arbeitsfähig sind, sodass die Funktionsfähigkeit von Kommunalverwaltungen auch nach der Abschaffung der Fünfprozentklausel sichergestellt bleibt.“

Ich denke mir, das Kommunalwahlrecht sieht ja auch ausdrücklich nicht Regierungsfraktionen und Opposition vor, sondern die Gemeindevertretung soll als Ganzes gemeinsam entsprechende Beschlüsse erarbeiten und letztlich nachher beschließen, damit sie durchgesetzt werden können.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Den Grund, warum diese Klausel trotzdem immer noch besteht, umschreibt Dr. Borchert in seinem Aufsatz in so beeindruckender Weise, dass ich Ihnen seine Worte nicht vorenthalten möchte. Ich zitiere:

„Der Grund liegt darin, dass zumindest die beiden großen Parteien offenbar befürchten, dass der Wähler den kleinen Parteien und vor allem den Wählergemeinschaften seine Stimme geben wird, wenn er nicht von vornherein befürchten muss, dass diese wegen der Fünfprozentklausel im Ergebnis unter den Tisch fallen. Es ist also eine ausgesprochene Angstklausel der großen Parteien, die die Mündigkeit und die Entscheidungsfreudigkeit des Wählers fürchten.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei wird häufig genug übersehen, dass das Grundgesetz den Parteien im Staat nur ein Mitwirkungsrecht einräumt, aber keineswegs die stärkere Mitwirkung der Bürger verhindern will.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Dr. Borchert ist - glaube ich - völlig unverdächtig, dass er hier eine falsche Meinung abgibt.

(Lachen bei CDU und SPD)

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Grünen beinhaltet aber noch weitere wichtige Punkte, die die FDP mit unterstützt. Das gilt sowohl für die Mandatsberechnung bei Kommunalwahlen nach dem Verfahren Sainte Laguë/Schepers als auch für die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens. Beim Verfahren Sainte Laguë/ Schepers ergibt sich in den allermeisten Fällen eine identische Verteilung der Mandate wie beim Verfahren Hare/Niemeyer. Letztlich ist Hare/Niemeyer aber in Extremfällen ein wenig ungenauer. Sainte Laguë/Schepers erfüllt die Forderung nach Erfolgswertgleichheit der abgegebenen Stimmen optimal. Die Erfüllung der Erfolgswertgleichheit der abgegebenen Stimmen bedeutet dabei nichts anderes, als dass annähernd immer die gleiche Anzahl an Wählerstimmen für die Erringung eines Mandates benötigt wird. Das ist heute bei dem im Kommunalwahlrecht genutzten d'Hondtschen Verfahren sehr häufig nicht der Fall. Nicht umsonst kommt der Bundeswahlleiter in einer Studie vom 4. Januar 1999 zu dem Fazit, dass das Verfahren nach Sainte-Laguë/ Schepers sowohl dem Verfahren nach Hare/Niemeyer als auch dem Verfahren nach d'Hondt vorzuziehen ist. Wir unterstützen den Gesetzentwurf also auch in diesem Punkt.

Gleiches gilt für die gewünschte Einführung des Kumulierens und Panaschierens sowie das Verbinden von Listen.

In dem Entschließungsantrag meiner Fraktion aus der letzten Wahlperiode, der seinerzeit auch von den Grünen abgelehnt wurde, war dieses Verfahren auch vorgesehen.

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ja, ich komme gleich zum Schluss. - Dabei können die Bürgerinnen und Bürger direkten Einfluss auf die Listen der Parteien nehmen, weil sie eben nicht eine von der Partei oder Wählervereinigung vorgegebene Liste wählen, sondern nämlich direkt Kandidatinnen und Kandidaten wählen, ganz gleich, auf welchem Listenplatz sie von der jeweiligen Partei positioniert wurden.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So kann es sich zum Beispiel ergeben

(Günther Hildebrand)

Bitte formulieren Sie jetzt Ihren letzten Satz, Herr Kollege!

- ja, jetzt der letzte Satz -, dass eine Kandidatin auf dem Listenplatz 6 mehr Stimmen erhält als der Kandidat auf Platz 1 und dadurch in die Vertretung einzieht und eben nicht der Spitzenkandidat. Dies sind letztlich Rechte, die wir den Wählerinnen und Wählern einräumen wollen. Wir freuen uns auf eine intensive und hoffentlich auch von den beiden großen Parteien besser geführte Diskussion im Ausschuss.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich der Vorsitzenden, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Redebeiträge der Kollegen Wengler und Puls anhört, sollte man meinen, dass das Kommunalwahlrecht niemals mit Mehrheit irgendwo und irgendwann beschlossen worden ist, sondern eher von Gott gegeben ist. Wer sich einmal Wahlsysteme in Europa anguckt, wird sehen, das es große Unterschiede gibt, dass es ganz verschiedene Wahlsysteme gibt. Es gibt Länder in Europa, die demokratischer sind als wir, wenn es darum geht, den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit zu geben, auf kommunaler Ebene mitzubestimmen. Lasst uns das also bitte etwas niedriger hängen und uns die Diskussion ein bisschen versachlichen.

Der SSW kann dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN grundsätzlich zustimmen. Dabei geht es um die Erhöhung der Repräsentativität der Kommunalparlamente sowie um die Erweiterung der Einflussmöglichkeiten der Wählerinnen und Wähler auf die personelle Zusammensetzung der Vertretungen. Der Entwurf lehnt sich dabei an die neueren Entwicklungen im Kommunalwahlrecht der Bundesrepublik an und macht sich gezielt die Erfahrungen der anderen Länder zunutze.

Die Modernisierung des Kommunalwahlrechtes ist nachdrücklich zu begrüßen. Ich möchte jedoch zu Beginn klarstellen, dass die Erweiterung der Mitwirkungsrechte der Bürger über die Wahl zu

den kommunalen Vertretungskörperschaften nicht davon ablenken darf, dass die aktuellen Vorhaben der Landesregierung die Substanz der kommunalen Selbstverwaltung selbst weiter aushöhlen.

Die rein formale Strukturreform ohne Demokratisierung und Optimierung von Entscheidungsprozessen, die Verlagerung von Aufgaben ins BürokratenNirwana und die willkürlichen Eingriffe in die Finanzkasse der Kommunen reduzieren auf dramatische Weise die Bereiche, über die die direkt gewählten Selbstverwaltungsorgane bestimmen können. Das schwächt und schädigt nachhaltig die kommunale Selbstverwaltung, die lokale Demokratie.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Doch nun zum vorliegenden Gesetzentwurf: Durch sechs Kernelemente sollen die Gestaltungsmöglichkeiten der Bürger bei der Wahl und der personellen Zusammensetzung der kommunalen Vertretungen verbessert werden. Ich zähle die einzelnen Punkte noch einmal auf: erstens die Abschaffung der Fünfprozentklausel, zweitens die Änderung des Verfahrens der Sitzverteilung, drittens die Einführung des Kumulierens und Panaschierens, viertens die Einführung von Listenverbindungen, fünftens die Nutzung von Blindenschablonen und sechstens die so genannte Unterbrechungspause für Kommunalpolitiker.

Zur Abschaffung der Fünfprozenthürde bei Kommunalwahlen möchte ich klar sagen, dass dies in Schleswig-Holstein überfällig ist.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Man muss sich nur vor Augen halten, dass de facto ohne gesetzliche Hürde bereits in über 95 % der Gemeinden Schleswig-Holsteins eine Partei oder Wählerliste mindestens 5 %, wenn nicht sogar viel mehr der gültigen Stimmen erreichen muss, um ein Mandat zu erhalten. In über 1.000 Gemeinden sind nämlich weniger als 20 Sitze zu verteilen. So liegt die Grenze für die Erringung eines Mandates in einer Gemeinde mit 1.000 Einwohnern und 11 Sitzen bei rund 10 % der Stimmen. Wer das nicht glaubt, kann die Debatte aus der letzten Wahlperiode nachlesen.

Die gesetzliche Fünfprozenthürde greift also nur in 50 Gemeinden beziehungsweise Städten des Landes. Zugespitzt lässt sich sagen: Sie hat nur praktische Bedeutung bei Kreistagswahlen und Wahlen zu den Vertretungen der kreisfreien Städte. Das

Problem besteht darin, dass es Gemeinden gibt, in denen man viel mehr als 5 % erreichen muss.

Im Ländervergleich stellt man fest, dass von den Flächenländern nur noch das Saarland und Thüringen die Fünfprozenthürde auf kommunaler Ebene kennen. Neun Bundesländer haben die Fünfprozentklausel ganz abgeschafft und Rheinland-Pfalz hat nur noch eine Dreiprozenthürde.

Es ist zum Beginn des 21. Jahrhunderts offensichtlich schwer, für Kommunalparlamente eine Fünfprozenthürde mit der drohenden Gefahr der staatsschädigenden Zersplitterung der Willensbildung zu legitimieren. Das ist ja die historische Begründung für die Fünfprozenthürde und diese Begründung kann heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Der SSW begrüßt das und spricht sich für Pluralismus und die größtmögliche Chancengleichheit der Stimmen aus.

(Beifall beim SSW)