Protocol of the Session on May 25, 2005

Ich appelliere an die Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Verbände, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Kirchen und an alle, die sich begeistern lassen, jetzt mit anzupacken. Es geht um Schleswig-Holstein. Ich verspreche Ihnen, dass ich mit ganzer Kraft und Leidenschaft, mit Verantwortungsgefühl und Augenmaß an die Arbeit gehe - für unsere Kinder, für unsere Enkel, für unsere Heimat, für Schleswig-Holstein und für eine bessere Zukunft.

(Anhaltender Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen und eröffne nunmehr die Aussprache. Das Wort hat die Vorsit

zende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Abgeordnete Anne Lütkes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Politik muss gemeinwohlorientiert sein, sie muss handeln und nicht appellieren. Diesen Anspruch erfüllen Sie nicht.

Meine Damen und Herren, am 20. Februar dieses Jahres haben die Wähler und Wählerinnen von Schleswig-Holstein den politisch Verantwortlichen eine schwierige Aufgabe gestellt. Das Vorhaben von SPD und Grünen einer vom SSW tolerierten Minderheitsregierung für Schleswig-Holstein wäre für Deutschland ein ungewöhnliches, aber ein demokratisch legitimiertes Unterfangen gewesen.

Zum 17. März 2005 ist viel, alles gesagt, aber nichts vergessen. Wir alle, auch Sie, Herr Ministerpräsident, sind im politischen Alltagsgeschäft angekommen. - Das dachten wir - Sie wahrscheinlich auch - bis zum vergangenen Sonntag. Nun geht der Wahlkampf als Bundeswahlkampf weiter. Neuwahlen zum Bundestag stehen an und viele in einer kleineren Partei freuen sich, dass durch diesen Wahlkampf die eklatanten Verluste hier im Lande und auch in NordrheinWestfalen nebensächlich erscheinen, nämlich die FDP.

Aber, meine Damen und Herren, für die hier im Lande regierende große Koalition offenbart sich jetzt sehr schnell, kaum dass sie geschlossen ist, das politische Dilemma Ihrer Formelkompromisse und ihrer Prüfaufträge. Das mag im Wahlkampf ein Kniff sein; für Regierungspraxis reicht das nicht aus. Herr Ministerpräsident, es wird nicht ausreichen, die Grünen als Feinde aufzubauen und daraufzuschlagen. Da braucht es mehr. Das Land erwartet nun die Einlösung all der vollmundigen CDU-Ankündigungen, die Sie im Wahlkampf gemacht haben.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Schleswig-Holstein - das sagen Sie zu Recht - hat einen guten Namen in Deutschland und in Europa. Aber Sie wollen nun alles anders, besser machen. So lautete die Parole. Andere Antworten auf alte Fragen. Wir waren sehr gespannt und ich muss sagen, wir sind enttäuscht.

(Thomas Stritzl [CDU]: Das ist aber schade!)

Ihren Koalitionsvertrag haben wir ziemlich genau studiert und durften feststellen, dass viel aus unserem, aus dem rot-grünen Vertrag einfach abgeschrieben

(Anne Lütkes)

worden war. Das haben wir Ihnen aufgelistet und das liegt aus. Wir schicken es Ihnen aber auch gern zu.

Wir können Ihre Grundsatzerklärung nur begrüßen, denn sie stammt weitgehend aus unserer Feder.

(Lachen bei der CDU)

Auch die Bestimmung der wichtigsten Problemkreise für Schleswig-Holstein ist im Wesentlichen von Grün-Rot abgeschrieben.

(Thomas Stritzl [CDU]: Geben Sie der Wahrheit eine Chance!)

Bildungsreform, Arbeitsplätze schaffen, Wirtschaftswachstum voranbringen,

(Zuruf von der CDU: Infrastruktur!)

Finanzpolitik und Haushaltskonsolidierung, Verwaltungsstrukturreform und Funktionalreform.

(Zurufe von der CDU)

Das sind natürlich die Aufgaben, die zu erfüllen waren und sind. Dass Sie das hier so vortragen, freut mich, Herr Ministerpräsident, aber die große Koalition muss langfristige Lösungswege aufzeigen.

(Thomas Stritzl [CDU]: Hat er doch!)

Arbeit schaffen, Wachstum garantieren, Haushaltskonsolidierung - vordergründig schlüssig, das Wesentliche, auf das Sie sich zu konzentrieren haben, wie Sie sagen.

Meine Damen und Herren, ganz grundsätzlich: Was erwarten wir, was erwartet man denn von einer Regierungserklärung? - Keine Wahlkampfrede, keine Haushaltsrede, nein, eine programmatische Grundsatzerklärung für die nächsten fünf Jahre. Die wollen Sie doch durchhalten, das haben Sie doch wohl vor, nicht wahr?

(Zurufe)

Eine kurze Ausführung zu Ihren langfristigen politischen Zielvorstellungen wäre schon angebracht gewesen.

Schleswig-Holstein ist ein wunderschönes Land; es lohnt die Kraftanstrengungen. - Sehr wahr, Herr Ministerpräsident, aber das wissen die SchleswigHolsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner, das wissen wir, das wissen Sie. Aber was sind denn die Kriterien, an denen Sie das politische Handeln ausrichten? An welchen politischen Leitlinien messen Sie Ihre Maßnahmen für das Land?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: An den Men- schen!)

Sie setzen auf Freiheit, Verantwortung, soziale Gerechtigkeit und Leistungsbereitschaft. Aber wie deklinieren Sie Ihre Maßnahmen an diesen Werten ? Die Zitate im schwarzen Vertrag aus dem Rot-Grünen SSW-Vertrag enden in der Regel dort, wo Konsequenzen gezogen werden, wo deutlich das Ziel und der Weg genannt waren.

(Zuruf des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

Ihr 100-Tage-Programm hilft da wenig. Es ist im Wesentlichen laufende Verwaltung, Aufstellung eines Nachtragshaushalts, Fortführung E-Government - um nur zwei Beispiele zu nennen - und es ist im Wesentlichen die Fortsetzung der Arbeit von Rot-Grün:

(Lachen bei der CDU)

Novellierung des Kindergartengesetzes, Startschuss für die Verwaltungsstrukturreform. Sie können nahtlos an die Aufgabenkritik anknüpfen, die geleistet worden ist. Sie haben sie in der Staatskanzlei sicherlich vorgefunden. Da müssen Sie nur weitermachen, keinen Startschuss geben. In Ihrem 100-Tage-Programm zeigen Sie mit massiven Angriffen auf die ökologischen Grundlagen dieser Gesellschaft, wohin es gehen soll. Die Reduzierungskonzepte für Tierarten als einen der wesentlichen Punkte für 100 Tage - mein lieber Herr Ministerpräsident!

Sie geben der Energiewende und der Verkehrswende keinen Platz. Sie setzen auf Flugverkehr und Deregulierung und Sie bringen eine lange Liste von Verkehrsprojekten, die alt sind. Aber wo ist der Metrorapid von Kiel nach Hamburg geblieben, mit dem Sie so viel Wahlkampf im Hamburger Rand gemacht haben? Ist er schon zu den Akten gelegt? Ging das nicht?

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir deshalb, zu Beginn Ihrer Regierungszeit die Frage nach den Grundsätzen zu stellen.

(Zuruf des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

Herr Stritzl, Ihr formuliertes Bekenntnis zu christlicher und humanistischer Verantwortung ist nur dann glaubwürdig, wenn es sich niederschlägt in dem Anerkenntnis eines jeden Einzelnen, einer jeden Bürgerin, eines jeden Bürgers, gleich welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welchen Alters oder welcher Staatsbürgerschaft, in dem Anerkenntnis des Anspruchs auf ein gerechtes Zusammenleben. Entgegen dem neoliberalen Mainstream ist der Freiheit wenig gedient, wenn sie beliebig viel Entscheidungsfreiheit postuliert, aber in Ermangelung der elementarsten Existenzvoraussetzungen von der wirtschaftlichen

(Anne Lütkes)

Freiheit beispielsweise kein Gebrauch gemacht werden kann. Gerecht ist eine Gesellschaft dann, wenn als Menschenrecht anerkannt ist, dass eine materielle Existenzsicherung gewährleistet ist, dass geistige Entfaltung, eigene Lebenspläne, Eigenständigkeit möglich sind.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist doch hier kein Ortsparteitag der Grünen! - Unruhe)

- Es sollte eine FDP interessieren, wann eine Gesellschaft gerecht ist. Gerecht ist eine Gesellschaft dann, wenn sie den anderen oder die andere respektiert, aber auch Differenzen zulässt und die ökologischen Grundlagen der Menschheit achtet. Freiheit, Wohlstand, soziale Sicherheit und die natürlichen Lebensgrundlagen bewahren - das formulieren alle Parteien und die Fraktionen hier im Landtag als Ziel ihres politischen Handelns. Herr Ministerpräsident, bei Ihnen fehlt aber die soziale und die ökologische Gerechtigkeit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die wurden beim Abschreiben gestrichen. Es fehlt die Vision der zukunftsfähigen Zivilgesellschaft, einer gerechten Gesellschaft.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Das haben wir ja in den letzten Jahren erlebt!)

Aber an dem Verhältnis zur Gerechtigkeit ist eine moderne Regierung zu messen. Dabei gehen wir von einem Gerechtigkeitsbegriff aus, der umfassend ist, der Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit und Gerechtigkeit gegenüber Natur und Umwelt beinhaltet und sich nicht in sozialdemokratischer oder christsozialer Verteilungsgerechtigkeit erschöpft.

(Zuruf des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

- Sie sollten einmal darüber nachdenken, Herr Stritzl, vielleicht kommen Sie dann weiter.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das macht er die ganze Zeit!)

- Er schafft es nur nicht.