Protocol of the Session on May 3, 2006

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Henschel und erteile für die CDU-Fraktion der Frau Abgeordneten Heike Franzen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist grüne Bildungsideologie vom Feinsten:

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Vom Feinsten ist er nicht!)

Lasst alle machen, was und wie sie es wollen!

Ich kann Ihnen von vornherein sagen, dass die CDU-Fraktion einer Aufhebung der Pflicht zur äußeren Differenzierung an Gesamtschulen nicht zustimmen wird.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Unglaublich!)

Damit Kinder entsprechend ihrer Begabungen und Leistungsfähigkeit individuell gefördert und gefordert werden können, ist neben einer Binnendifferenzierung selbstverständlich auch eine äußere Leistungsdifferenzierung notwendig. Bereits am Ende der Grundschule kann man feststellen, dass die Binnendifferenzierung allein den Leistungsmöglichkeiten von Schülerinnen und Schülern kaum noch gerecht werden kann, da das Leistungsvermögen der einzelnen Kinder zu stark auseinander driftet.

In der Begründung Ihres Antrages gehen Sie davon aus, Herr Hentschel, dass sich viele Schulen und Verbände dafür einsetzen, dass die Pflicht für die Gesamtschulen aufgehoben wird, Unterricht auf unterschiedlichen Leistungsebenen zu erteilen. Ich frage mich: Wo sind diese Gesamtschulen hier

im Land? Ich kann mich noch lebhaft an die Debatte im letzten Jahr erinnern, als der Koalitionsvertrag bekannt wurde, in dem steht, dass sich die Gesamtschulen zu Gemeinschaftsschulen entwickeln sollen. Ich kann mich in diesem Zusammenhang allerdings nicht an laute Hurra-Rufe erinnern, wohl aber an die Protestschreiben, die wir alle hier im Haus von Vertretern der Gesamtschulen erhalten haben, in denen vehement gegen die Aufhebung der äußeren Leistungsdifferenzierung an Gesamtschulen protestiert wurde.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP] - Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Sie treten dafür ein, dass die Kinder so lange wie möglich gemeinsam unterrichtet werden, und das möglichst schnell. Wie die personelle Ausstattung dieser Lerngruppen aussehen soll, sagen Sie aber nicht. Und das aus gutem Grund!

Gehen wir einmal von den aktuellen Rahmenbedingungen aus, also einer Klassenstärke von 25 bis 30 Schülerinnen und Schülern und einer Lehrkraft. Die Lehrkraft unterrichtet zeitgleich die Gymnasiasten, die Realschüler und die Hauptschüler, nach Ihrer Idealvorstellung erfolgt auch noch die Integrationsmaßnahme, in der 8. Klasse in Deutsch, selbstverständlich zielgerichtet auf die jeweiligen Bildungsstandards der KMK und ausgerichtet auf die unterschiedlichen zentralen Abschlussprüfungen. Entschuldigen Sie bitte, meine Damen und Herren: Die Lehrkraft, die das leisten würde, entspräche einer eierlegenden Wollmilchsau.

(Beifall bei der CDU)

Ferner führen Sie in Ihrer Begründung neben den Vergleichsarbeiten ausgerechnet die zentralen Abschlussprüfungen, die Sie hier im Oktober als nicht erforderlich abgelehnt haben, als Argument dafür an, dass eine bestimmte Organisationsform der Schule nicht mehr zu begründen ist. Zudem weisen Sie sogar auf die positiven Effekte von zentralen Abschlussprüfungen hin, mit denen eine Umstellung des Systems hin zu mehr Messung des Ergebnisses verbunden ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wirklich erstaun- lich!)

Heißt das, dass sich Ihre Fraktion im letzten halben Jahr nun doch für die Durchführung zentraler Abschlussprüfungen entschieden hat? Wenn dem so ist, dann hätten Sie das auch den demonstrierenden Schülerinnen und Schülern vor unserer Tür sagen können. Wir - ich ganz persönlich - hätten Sie dabei tatkräftig unterstützt.

(Karl-Martin Hentschel)

(Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, wir sind so! Wankelmütig! Immer hin und her!)

Sie wollen den Schulkonferenzen mehr Kompetenzen geben, um über die Organisationsform der Schule zu entscheiden, und Sie weisen darauf hin, dass die erfolgreichen Schulsysteme - wie zum Beispiel in Skandinavien - in Deutschland explizit untersagt sind.

Diese Aussagen treffen insbesondere für Schleswig-Holstein nicht zu. Zum einen haben bei uns in Schleswig-Holstein die Schulkonferenzen ein hohes Maß an Selbstbestimmung, gerade was die Organisation der Schule betrifft. Sie entscheiden beispielsweise über die Grundsätze der Erziehungsund Unterrichtsarbeit, den Einsatz von Stundentafeln und die Lehrmethoden. Sie entscheiden auch über die Grundsätze des schulart-, jahrgangs-, fächer- und lernbereichsübergreifenden Unterrichts. Das gilt für alle Schulen. Zum anderen können insbesondere die kooperativen Gesamtschulen bereits jetzt laut Schulgesetz über die gemeinsame Orientierungsstufe hinaus schulartunabhängigen Unterricht erteilen.

Ich kann nicht erkennen, dass davon in den letzten Jahren in großem Umfang Gebrauch gemacht worden ist - weder von den Schulzentren, wo sich das aufgrund der räumlichen Nähe anbieten würde, noch von den kooperativen Gesamtschulen. Offenbar sind die Fachleute vor Ort, insbesondere die Lehrkräfte, ebenso wie wir davon überzeugt, dass eine äußere Leistungsdifferenzierung gut und notwendig ist, um unsere Kinder auf den Schulabschluss vorzubereiten und sie entsprechend ihrer Begabung fördern und fordern zu können.

Unserer Auffassung nach ist eine äußere Leistungsdifferenzierung insbesondere in den Kernfächern Deutsch, Mathematik, erste Fremdsprache und Naturwissenschaften notwendig, um den jeweiligen Begabungen und Leistungsfähigkeiten der Kinder gerecht werden zu können.

Ihre Einstellung, dass sich leistungsschwächere Schüler nach oben orientieren und die leistungsstärkeren Schüler gleich gut bleiben, ist uns nicht genug. Wir sprechen uns für eine individuelle Förderung aller Leistungspotenziale aus. Menschen sind eben nicht alle gleich und es gibt nichts Ungerechteres als die Gleichbehandlung von Ungleichem.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Detlef Buder das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben bei zahlreichen Debatten in diesem Haus im Landtagswahlkampf, der manchen noch in Erinnerung ist, und bei anderen Gelegenheiten deutlich gemacht, dass es unter den politischen Parteien sehr unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, welche Konsequenzen hinsichtlich der Schulstruktur aus den Problemen unseres Schulwesens gezogen werden müssen, die uns durch PISA und weitere Untersuchungen aufgezeigt wurden.

Die schulpolitischen Vorstellungen der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind nicht identisch. Das haben wir inzwischen alle festgestellt. Sie liegen aber im Grundsatz doch nahe beieinander und gehen dahin, dass wir ein längeres gemeinsames Unterrichten der Schülerinnen und Schüler für richtig halten. Unser Vorschlag zu einer Gemeinschaftsschule, den wir daraus erarbeitet haben, liegt auf dem Tisch und wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass sie dort entstehen kann und soll, wo die Schulträger dies beantragen. - Dies zunächst zur Grundlage.

Dennoch muss zum Antrag der Grünen leider gesagt werden, dass er wieder einmal ein schönes Beispiel dafür ist, wie man auf dem Weg zu einem richtigen Ziel über die eigenen Füße stolpern kann.

(Claus Ehlers [CDU]: Das haben wir öfter gehabt!)

Zum einen ist den einzelnen Schulen im Rahmen ihrer Gestaltungsfreiheit nach Genehmigung durch das Ministerium die Aufhebung der äußeren Differenzierung bereits heute möglich, wie wir schon gehört haben. Das Problem besteht aber darin, dass bisher keine unserer Gesamtschulen einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Daran würde auch eine Aufhebung der Verpflichtung zur äußeren Differenzierung in der Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz nichts ändern.

Zum Zweiten müsste auch den Antragstellern klar sein, dass ihr Antrag auf einer falschen Annahme hinsichtlich der Rechtslage basiert. Dass die Kultusministerkonferenz in ihrer derzeitigen Zusammensetzung nicht unbedingt ein Fanclub von Anhängern des längeren gemeinsamen Lernens ist, auch oder gerade weil die Zahl der grünen Bildungsminister sehr überschaubar ist, setze ich als bekannt voraus. Vielleicht haben Sie sich hier allzu

(Heike Franzen)

sehr vom großen Steuermann Mao Zedong leiten lassen, der gesagt haben soll: Die Niederlage akzeptieren, heißt den Sieg vorbereiten. Wir sehen jedenfalls keinen Sinn darin, in diesem Zusammenhang eine Taktik der kalkulierten Niederlage zu verfolgen.

Wenn aber eine neue Vereinbarung über die Gestaltung der Sekundarstufe I nicht zustande kommt, weil sich die 16 Kultusminister nicht auf eine gemeinsame Formulierung einigen können, bedeutet dies keineswegs, dass die Pflicht zur äußeren Differenzierung damit hinfällig wäre. Dies würde vielmehr bedeuten, dass mangels einer neuen Vereinbarung die alte einfach unverändert in Kraft bliebe. Es würde also so oder so keine Änderung der geltenden Rechtslage eintreten.

Wir haben zwar große Sympathien für das dahinter stehende Anliegen, sehen aber, so Leid es mir tut, keine Möglichkeit, dem Antrag als taugliches Objekt in der Sache zuzustimmen. Wir werden ihn deshalb ablehnen.

(Beifall bei der SPD - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Buder, kommen Sie einmal her!)

Keine Drohungen!

(Heiterkeit)

Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Konzept der integrierten Gesamtschule werden Schülerinnen und Schüler von der siebten Klassenstufe an entsprechend ihrer Neigung und Leistungsfähigkeit in verschiedene Kurse aufgeteilt, wobei allerdings ein Wechsel zwischen den Niveaustufen möglich bleibt und sogar gewünscht ist.

In einem Beitrag der „Lübecker Nachrichten“ vom 11. Januar dieses Jahres wird hierzu der Schulleiter der IGS Neumünster, Brachenfeld, mit folgenden Worten zitiert: Diese Differenzierung innerhalb des Systems ist der richtige Weg. Auch der Leiter der IGS Eckernförde bekräftigt dieses eigenständige Profil der Gesamtschulen, wie übrigens auch der Landeselternbeirat der Gesamtschulen. So weiter nachzulesen im Artikel der „Lübecker Nachrichten“.

Mit anderen Worten: Was die Grünen mit ihrem Antrag am liebsten abschaffen wollen, nämlich die

äußere Differenzierung im Rahmen der Gesamtschule, sehen gerade profilierte Vertreter des Gesamtschulkonzepts als ein wichtiges, Profil gebendes Strukturmerkmal ihrer Schulart an. Womit Sie sie beglücken wollen, ist also genau das, was sie nicht wollen, um das noch einmal klar zu sagen, Kollege Hentschel.

Im Übrigen ist die Initiative der Grünen auch deshalb fragwürdig, weil eine Abkehr vom Differenzierungsgebot eine Verletzung des schleswig-holsteinischen Schulgesetzes darstellte. Nach den Vorstellungen der Grünen, also nach diesem Entschließungsantrag der Grünen, soll sich die Landesregierung im Rahmen der Kultusministerkonferenz für die Abschaffung einer Strukturvorgabe einsetzen, zu deren Einhaltung sie nach dem hier zu Lande geltenden Schulgesetz geradezu verpflichtet ist. Das ist komisch. Anstatt die Landesregierung zu gesetzwidrigem Handeln aufzufordern, Kollege Karl-Martin Hentschel, hätten Sie, wenn Sie schon dieser Auffassung sind, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes einreichen müssen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das sieht er nicht so eng!)

Das als rechtliche Information an Sie.

Meine Damen und Herren, ich füge hinzu - und das geht natürlich über diese Kritik hinaus -: Auch in der Sache halte ich die Vorstellungen der Grünen für falsch. Wie soll zum Beispiel im zehnten Jahrgang, also gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem es beispielsweise darum geht, die Eignung für die Oberstufe festzustellen, Unterricht undifferenziert für alle Leistungsstufen zusammen, also für jedes Leistungsniveau, in ein und derselben Lerngruppe stattfinden? Das halte ich schlicht und ergreifend für unmöglich. Es ist einfach eine Tatsache, dass die Anforderungen in der Schule von Jahrgang zu Jahrgang steigen. Das kann man nicht ungestraft ignorieren.

Die Beibehaltung undifferenzierter Lerngruppen würde die Arbeitsbedingungen der Schulen in wachsendem Maße erschweren. Leistungsbezogene Differenzierung wird daher zunehmend wichtiger. Schließlich kommt ja auch niemand auf die Idee, in eine Olympiamannschaft alle Teilnehmer des letzten Volkslaufs aufzunehmen, nur aus irgendwelchen Gerechtigkeitsempfindungen heraus, die die Grünen in diesem Fall auf die Schulpolitik übertragen.

In diesem Zusammenhang darf ich mir, so denke ich, durchaus eine kleine Anmerkung zum Thema Gemeinschaftsschule erlauben. Nach der inzwi

(Detlef Buder)

schen als Referentenentwurf vorliegenden Fassung des neuen Schulgesetzes soll ja für die Gemeinschaftsschule die Differenzierung nur im Rahmen einer Kann-Vorschrift möglich sein. Das heißt, dort wird dann im zehnten Jahrgang - zumindest theoretisch - das denkbar sein, was ich eben als Extremfall beschrieben habe. Da sage ich: Das ist aus meiner Sicht eine Form von Schule, in der das Risiko eines extremen Leistungsabfalls so hoch ist wie noch nie zuvor.