Protocol of the Session on March 24, 2006

Ausnahmsweise, ja.

Weil Sie den Kreis Schleswig-Flensburg erwähnt haben, Herr

(Karl-Martin Hentschel)

Kollege Hentschel, aus dem ich komme, frage ich: Könnten Sie möglicherweise realisieren, dass das, was Sie hier als in 2009 gesetzlich zu regeln kritisieren, im Kreis Schleswig-Flensburg beispielsweise selbstverständlich in vielen Ämtern Realität ist, weil diese Gemeinden das selbst beschlossen haben?

- Herr Astrup, das Problem besteht darin, dass im Kreis Schleswig-Flensburg, wo die Realität bereits so ist, schon heute die Legitimationskette zwischen den Gemeindevertretern, die vom Bürger gewählt sind, und den Entscheidungen, die auf Amtsebene gefällt werden, auf die sie gar keinen Einfluss mehr haben, völlig gebrochen ist.

Nehmen wir ein Beispiel. Für eine Schule, die von einem Amt getragen wird, wird eine Investition getätigt. Was bedeutet das? Wenn die Legitimationskette hergestellt werden muss, müssen alle 20 Gemeinden des Amtes einzeln über diese Frage entscheiden. Wenn Personalentscheidungen im Amt gefällt werden, wofür die Gemeinden letztlich bezahlen sollen, müssen alle 20 Gemeindevertretungen über diese Personalentscheidung entscheiden. Das findet aber nirgends mehr statt. Das heißt, die Legitimationskette zwischen den gewählten Volksvertretern und dem, was an Entscheidungen fällt, ist nicht mehr gegeben, Herr Astrup.

(Holger Astrup [SPD]: Die Gemeinden sind sehr zufrieden damit, dass der Hausmei- ster - -)

Herr Astrup, bitte keinen Dialog.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Unterhaltet Ihr euch jetzt zu zweit?)

Sie können sich zu einem Dreiminutenbeitrag melden.

Skurril sind auch die Zugeständnisse, die das Gesetz an die Formen der Verwaltungszusammenschlüsse macht. Es ist nicht nur so, dass größere Ämter gebildet werden, sondern auch so, dass ein Amt seine Verwaltung gar nicht mehr selber machen muss, sondern einer anderen Gemeinde übertragen kann oder mehrere Gemeinden zusammen eine Verwaltung haben.

Nehmen wir beispielsweise einmal an, ein Gemeindevertreter der Gemeinde Osterby möchte entscheiden, was zu tun ist. Möglicherweise macht künftig die Stadt Eckernförde die Verwaltung für das Amt.

Was bedeutet das? - Das bedeutet, dass sämtliche Entscheidungen, die in der Verwaltung in Eckernförde stattfinden, von allen Gemeinden, die dem Amt angehören, gebilligt werden müssten. Das passiert in der Realität nicht. Die ganze Geschichte wird langsam skurril. Sie wird undurchsichtig. Sie wird chaotisch. Handlungsfähige kommunale Behörden, handlungsfähige kommunale Einheiten werden dadurch nicht hergestellt. Damit schädigt man die Handlungsfähigkeit des ländlichen Raumes in Schleswig-Holstein.

(Holger Astrup [SPD]: Das entspricht zwar nicht der Realität, aber wenn das Ihre Mei- nung ist!)

Am Schluss noch eine Bemerkung zu dem neuen Koalitionskompromiss. Ich zitiere - weil sie so schön ist - die Stellungnahme des Bürgermeisters der Gemeinde Kropp, Herrn Müller:

„Die Schnapsidee,“

- das stammt vom Bürgermeister, nicht von mir; nicht, dass jemand einen Zwischenruf macht

(Heiterkeit - Holger Astrup [SPD]: Vom Bür- gervorsteher!)

- der Bürgervorsteher hat auch mit unterschrieben

„dem ehrenamtlichen Bürgermeister durch Wahl der Gemeindevertretung einen hauptamtlichen Dezernenten zur Seite zu stellen, ist absurd“

- auch das nicht von mir, sondern von dem Bürgermeister

„und wird den Gegebenheiten vor Ort in keiner Weise gerecht.“

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Oder nehmen wir den Bürgermeister von Ellerau:

„Was soll ein Ortsdezernent ohne eigene Mitarbeiter denn leisten? Soll er Telefonist und Poststelle … des ehrenamtlichen Bürgermeisters sein?“

Was mich richtig ärgert, ist: In den vergangenen 15 Jahren haben die Frauenbeauftragten in SchleswigHolstein eine von allen Seiten hoch gelobte Arbeit geleistet. Niemand kann behaupten, dass diese Arbeit erledigt ist. Gerade die aktuelle Diskussion in Berlin um eine neue Familienpolitik zeigt, wie aktuell das Thema ist. So haben sich Frauenbeauftragte um viel mehr als um reine Gleichstellung gekümmert. Sie haben Netzwerke für Frauen- und Familienpolitik in den Gemeinden aufgebaut, sich in Bauplanungen, Kindergartenversorgung und vieles mehr eingemischt und so dazu beitragen, dass

(Karl-Martin Hentschel)

die Wohn- und Lebensqualität der Gemeinden in Schleswig-Holstein gesteigert wurde. Nun will die CDU die Frauenbeauftragten in Gemeinden unter 15.000 Einwohnern abschaffen, um Geld zu sparen.

Ich finde es absurd, wenn Sie einerseits - da muss ich dem Bürgermeister aus Ellerau zustimmen - bei Gemeinden ab 4.000 Einwohnern einen hauptamtlichen Dezernenten für den ehrenamtlichen Bürgermeister anschaffen wollen und andererseits die Frauenbeauftragten in Gemeinden unter 15.000 Einwohnern abschaffen wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jutta Schümann [SPD]: Gleichstellungsbe- auftragte! - Wolfgang Baasch [SPD]: Es geht um Gleichstellung, nicht um Frauen!)

- Darüber, dass Sie das mitmachen, will ich jetzt gar nicht reden.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Du weist gar nicht, um was es geht!)

Das ist nicht nur skurril, das ist geradezu unverschämt. Damit, meine Damen und Herren von der CDU - ich spreche Sie an, Sie können auch hergucken -, bestätigen Sie alle Vorurteile in der Gesellschaft über Ihre Partei. Ihr Laden ist nicht nur patriarchalisch, sondern er ist auch altmodisch und verklemmt.

(Frauke Tengler [CDU]: Sie kennen ihn nicht!)

Ich lehne das vorliegende Gesetz ab. Meine Fraktion wird das auch tun.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hentschel. Das Wort für den SSW im Landtag hat deren Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

(Claus Ehlers [CDU]: Es gab keine personel- len Veränderungen bei den Grünen! Das merkt man an allen Ecken und Enden! - Karl- Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich finde es gut, dass du endlich auf- gewacht bist!)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Halbwertzeit politischer Aussagen zum Thema Verwaltungsstrukturreform liegt zurzeit bei ungefähr drei Monaten. Mitte Dezember haben wir vom Innenminister noch Aussagen wie die gehört, dass seine Vorgabe, nämlich 8.000 Einwohner für haupt

amtliche Verwaltungen, von zentraler Bedeutung sei. Ich zitiere den Minister:

„Ich möchte vor diesem Hintergrund übrigens dringend davon abraten, die genannte Mindesteinwohnergrenze in Frage zu stellen. Eine solche Diskussion würde den bisherigen Verhandlungen der Kommunen die Basis entziehen und den Reformprozess nachhaltig beeinträchtigen.“

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, war am 14. Dezember 2005, also vor 14 Wochen.

Die Landesregierung hat uns erzählt, sie habe einen Grundsatz, dass nämlich Gemeinden mit eigener Verwaltung einen hauptamtlichen Bürgermeister und Gemeinden ohne hauptamtliche Verwaltung lediglich einen ehrenamtlichen Bürgermeister haben. Dieser einfache und konsequente Grundsatz wird der Koalitionsräson geopfert, weil sich die beiden großen Volksparteien nicht einigen konnten.

Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frage an Radio Eriwan: Haben Gemeinden ohne eigene Verwaltung eine ehrenamtliche Struktur? Antwort: Im Prinzip ja, aber. Wenn eine Gemeinde mehr als 4.000 Einwohner hat, kann sie beschließen, neben dem ehrenamtlichen Bürgermeister und dem hauptamtlich geführten Amt - als Schreibstube der Gemeinde - einen hauptamtlichen Gemeindedezernenten zu wählen, der dem Bürgermeister die Bleistifte anspitzt. - So viel zur Haltbarkeit von Grundsätzen.

Weder die Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses noch das Verfahren an sich kann man somit nach Meinung des SSW als seriös betrachten. Das, was vorgeschlagen wird, ist unvernünftig, diffus und bürokratisch, also mit heißer Nadel gestrickt.

Die große Koalition ist angetreten, die Verwaltung wirtschaftlicher, professioneller und bürgernäher zu machen. Zusätzliche kommunale Wahlbeamte - genau als das ist ja der Gemeindedezernent angelegt sind eine starre Zusatzausgabe und beim bestem Willen nicht als wirtschaftlich darzustellen.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Von der Kernforderung der CDU-Fraktion, die Herr Kollege Wengler noch Mitte Dezember formulierte, nämlich die Senkung der Verwaltungskosten, und von der Aussage, dass seine Fraktion die Landesregierung drängen werde, die Einsparpotenziale nachvollziehbar zu beziffern, ist nichts nachgeblieben.

(Karl-Martin Hentschel)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bürgernähe wird von der Koalition chronisch als Bürgermeisternähe ausgelegt. Ob sich die Bürger künftig an den offiziellen Bürgermeister oder den geheimen Bürgermeister wenden sollen, wird wohl durch den lokalen Machtkampf und nicht durch eine klare Verwaltungsstruktur entschieden werden.

Einem Neubürger, der aus einem anderen Bundesland zugereist ist, kann man nun die schleswig-holsteinischen Kommunalalternativen wie folgt aufzählen: