Es ist nicht hinzunehmen, wenn es uns nicht gelingt, allen Kindern ein Aufwachsen in materiell und sozial gesicherten Verhältnissen zu ermöglichen.
Ich habe die Diskussionsbeiträge meines Vorredners, meiner Vorrednerin sehr erfreut zur Kenntnis genommen. Das zeigt, dass sich der Komplexität dieses Themas mit großer Ernsthaftigkeit angenommen wurde. Es zeigt auch, dass man zumindest unter Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern häufig Einigkeit in der Beurteilung von Einzelaspekten des Themas feststellen kann.
Kinder aus armen Familien haben nicht die gleichen Chancen auf Bildung, Erziehung und Gesundheit. Es ist für sie schwierig, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Dies festzustellen, schmerzt uns Sozialdemokraten besonders. Denn fehlende Chancengleichheit steht der Verwirklichung unseres Grundwertes Gerechtigkeit entgegen.
Auch deshalb war uns die Festlegung in unserem Koalitionsvertrag wichtig, die Kinderarmut aktiv bekämpfen zu wollen. Denn Armut schränkt Kinder und ihre Familien ein und grenzt sie sozial aus. Je länger Armut andauert, desto gravierender werden die Folgen für die Betroffenen und für die Gesellschaft. Armut einer Familie ist der zentrale Risikofaktor für eine gute Entwicklung.
Wirksame Verbesserungen der Situation von Kindern und ihrer Familien können nur durch das Zusammenspiel der verschiedenen politischen Ebenen und privater Handlungsträger erreicht werden. Die materiellen Leistungen - die Ministerin hat es angesprochen - für Kinder und ihre Familien werden maßgeblich durch die Bundesgesetzgebung definiert. Wir geben aber in Deutschland jährlich circa 100 Milliarden € aus. Das ist nicht wenig.
Ein weiterer Schritt zur Zusammenführung von Leistungen für Familien, und zwar sowohl der staatlichen Transferleistungen als auch der Leistungen der Sozialkassen, wäre die Einrichtung von Familienkassen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht nicht um den Aufbau einer neuen Bürokratie, sondern um eine bürgerfreundliche, familienfreundliche Zusammenführung der verschiedenen Institutionen, die Beratung anbieten, aber auch dafür zuständig sind, Anträge anzunehmen und zu bescheiden.
Armut lässt sich nicht nachhaltig durch Transferleistungen beheben. Auch das wurde schon angemerkt. Auch ich füge hinzu: Armutsbekämpfung heißt auch Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Kinder in armen Familien wachsen in einem belasteten und belastendem Umfeld auf, das ihnen nur begrenzte Handlungs- und Entwicklungsspielräume bietet. Gerade für Kinder, denen ihre Familien keine optimale Unterstützung geben können, hat die Landesregierung vielfältige Projekte und Initiativen gestartet und unterstützt. Nennen möchte ich hier nur die frühen Hilfen für Familien, Präventionsangebote gegen Verschuldung, aber auch den Ausbau von Kindertagesstätten, die Einrichtung von Betreuten Grundschulen, den Ausbau von Ganztagsschulangeboten. Auch die Bildung zahlreicher lokaler Bündnisse für Familien wird unterstützt, um Familienfreundlichkeit und die Lebensqualität von Familien vor Ort zu erhöhen.
Es wird unsere Aufgabe sein - das sage ich auch im Hinblick auf unsere gestrige Debatte -, über die finanzielle Situation dieses Landes diese Angebote zu sichern und möglichst auszubauen. Kinder müssen in unserem Land eine ausreichende Förderung ihrer sozialen und persönlichen Kompetenzen und Begabungen erhalten, damit sie auf die künftigen Herausforderungen einer selbstständigen Lebensgestaltung gut vorbereitet werden. Sie müssen die Chance haben, in Familien aufzuwachsen, die in der Lage sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Kinder haben einen Anspruch darauf, dass unsere Gesellschaft ihnen unabhängig vom sozialen Status ihrer Familie gleichberechtigte Chancen auf eine gesicherte Lebensgestaltung und eine frühzeitige und verlässliche Unterstützung in Notlagen gewährt.
Ich möchte kurz auf die aktuelle Debatte zur Kürzung von Kindergeldzahlungen eingehen, um Infrastruktur ausbauen zu können. Ich glaube, das ist ein
Ansatzpunkt einer Diskussion. Es ist aber nicht so einfach. Es muss uns darauf ankommen, einerseits ein Gleichgewicht zwischen einer ausreichenden finanziellen Ausstattung der Familien und andererseits der Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur herzustellen, um Kindern insbesondere auch in Notlagen Hilfe und Unterstützung geben zu können.
Um unser Land kinderfreundlich zu gestalten, bedarf es des Engagements vieler, des Landes, der Kommunen, der Betriebe, der Nachbarschaften und vieler anderer. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen. Ich glaube, in diesem Sprichwort steckt viel Weisheit.
Zum Verfahren: Wir beantragen, den Bericht und den Antrag zur weiteren Beratung an den Sozialausschuss zu überweisen, um detaillierter, als es im Rahmen dieser Debatte möglich ist, einzelne Aspekte und Handlungsfelder zu beraten und weiter zu bearbeiten.
Ich danke Frau Abgeordneter Tenor-Alschausky. Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, ich brauche nicht alles zu wiederholen, was die Vorrednerinnen und Vorredner gesagt haben. Ich will es auch nicht tun, denn das meiste teile ich. Ich möchte aber gern mein Unverständnis darüber in die Debatte einbringen, dass ein Vorschlag, der von Finanzminister Steinbrück gemacht wurde, geradezu reflexartig und im Übrigen auch von Vertretern meiner Partei im Bund in Bausch und Bogen verworfen wird. Ich finde das falsch. Ich finde es richtig, dass die Debatte angestoßen ist.
Ich finde es auch richtig, dass diese Debatte vor dem Hintergrund geführt wird, dass sich alle Parteien mehr oder weniger darin einig sind. Die einen sprechen davon, das letzte Kindergartenjahr kostenfrei zu gestalten, andere davon, alle Kindergartenjahre und möglichst auch die Betreuung der unter Dreijährigen so schnell wie möglich kostenfrei zu gestalten. Alle wollen das machen. Wenn dann aber jemand kommt und einen konkreten Beitrag dazu leistet, wie man beginnen könnte, so etwas zu finanzieren, dann sagen fast alle: Nein, so geht das nicht. Ich glaube, dies muss man vor der Tatsache
sehen, dass am nächsten Sonntag in drei Bundesländern Landtagswahlen sind. Anders kann ich mir nicht erklären, wieso auch aus den Reihen der Sozialdemokraten gleich eine abwehrende Haltung gekommen ist.
Frau Kollegin Heinold, ich halte einen Mix aus steuersystemtechnischen Instrumenten, wie wir sie haben und wie Sie das unter dem Stichwort Freibeträge dargestellt haben, und Transferelementen wie dem Kindergeld zur Finanzierung einer Infrastruktur sehr wohl für richtig. Es ist nicht bei allen und hoffentlich nicht bei der Mehrheit der Fall, aber ich will gar nicht fragen, wofür das Kindergeld in manchen Familien im Zweifel ausgegeben wird. Ich weiß, diese Frage sollte man vielleicht nicht stellen, aber ich finde, zu einer ehrlichen Debatte gehört, dass man diese Frage stellt. Ich halte den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für konsequent. Ich halte ihn auch für konsequenter als den Berichtsantrag der großen Koalition, weil ich feststelle: Wir haben doch kein Erkenntnisdefizit!
Wir müssen uns doch nicht darüber streiten, was Armut im Zweifel heißt. Wir müssen uns doch nicht darüber streiten, wie hoch oder wie niedrig im Zweifelsfall die Dunkelziffer ist. Das ist doch völlig egal, wenn wir das Problem haben, wie wir gegen Kinderarmut ganz konkret vorgehen wollen und welche Umsetzung wir angehen wollen.
In Ihrem Antrag nennen Sie ganz konkrete Maßnahmen, die weiterhelfen und die weiterführen. Es werden konkrete Maßnahmen genannt, um der zunehmende Verarmung von Kindern und Familien begegnen zu können. Es ist kein Geheimnis: Sie alle wissen, dass ich in einem Wahlkreis im Kieler Osten mit sehr hoher Arbeitslosigkeit wohne. Dort sind fast ein Viertel aller Familien Familien mit Kindern, die in der dritten oder sogar vierten Generation in das System der Sozialhilfe hineingeboren werden. Diese Kinder erleben eben nicht den Alltag, den die Kollegin Heinold Ihnen geschildert hat, nämlich dass Vater und/oder Mutter morgens zur Arbeit gehen und abends nach Hause kommen. Vielmehr erleben sie frustrierte Eltern und im Zweifel schon frustrierte Großeltern, die ihre ganze Kultur aus einem viereckigen Kasten beziehen, der immer größer wird. Ich meine das Fernsehen und dass sie den ganzen Tag davor sitzen.
Kinderarmut ist in der Bundesrepublik Gott sei Dank nicht in allererster Linie eine Frage, ob Kinder bei uns verhungern oder nicht. Es wäre noch schöner, wenn wir in diesem Land über so etwas
diskutieren müssten. Kinderarmut ist aber, wenn das Kind morgens ohne Frühstück in den Kindergarten geschickt wird oder gar nicht mehr in den Kindergarten kommt, weil man ihn sich nicht mehr leisten kann oder will. Kinderarmut ist, wenn Kinder Kultur, musische Bildung oder sportliche Aktivitäten nicht mehr erleben, sondern nur noch aus dem Fernsehen entgegengebracht bekommen.
Kinderarmut ist, wenn Kinder nicht mehr an einer Klassenfahrt teilnehmen können, weil das Geld dafür nicht da ist. Hier müssen wir ansetzen. Ich sage es ganz deutlich: Ich finde, hier haben Sie richtige Vorschläge gemacht. Frau Ministerin, ich freue mich ausdrücklich darauf, sowohl den Bericht als auch die einzelnen sehr konkreten Vorschläge, die im Zweifel auch zum Umdenken zwingen, im Ausschuss gemeinsam zu beraten.
Frau Tenor-Alschausky, ich glaube, Sie haben Recht. Unter den Fachpolitikern gibt es keinen großen Streit. Ich würde mir wünschen, dass wir nach den Landtagswahlen in den drei Bundesländern noch einmal in Fragen der Finanzierung zu der Einigkeit kämen, die an dieser Stelle geboten ist, damit wir endlich einen Schritt vorankommen und damit wirklich etwas passiert.
Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Bevor wir in der Diskussion fortfahren, möchte ich auf der Besuchertribüne sehr herzlich Schülerinnen, Schüler und ihre Lehrer der Humboldt-Schule, Kiel, begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kinderschutzbund, Arbeiterwohlfahrt, Landesjugendring, Sozialverband Deutschland und Unicef haben im Januar acht Thesen vorgelegt, um die Kinderarmut in Schleswig-Holstein zu bekämpfen. Die Initiative heißt „Gemeinsam gegen Kinderarmut“ und wird bis in den Sommer hinein im ganzen Land zur Diskussion gestellt.
Der SSW begrüßt ausdrücklich, dass diese Initiative in dem vorliegenden Antrag durch die Grünen aufgegriffen wird. Dabei wird den Kindern nicht nur eine minimale Existenzsicherung in Aussicht gestellt, sondern auch die Eltern sollen niederschwellige und unbürokratische Hilfe erhalten. Genau das entspricht dem Anspruch der eben genannten Verbände, die in ihrer Arbeit täglich mit Kindern in Armut zu tun haben. Sie sahen sich zu einem gemeinsamen Aufruf und zu einer Reihe von Veranstaltungen gezwungen, damit endlich etwas geschieht. Wir dürfen uns mit der wachsenden Zahl armer Kinder nicht abfinden.
Ich will hier nur wenige konkrete Beispiele nennen: Arme Kinder werden seltener zum Arzt geschickt. Übergewicht und Zahnprobleme werden nicht behandelt. Arme Kinder gehören überproportional zu den Sitzenbleibern, weil schulische Probleme in der Familie oftmals ignoriert werden. Arme Kinder bleiben von der demokratischen Teilhabe ausgeschlossen, da sie sich oft schämen, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Sie haben kaum Zugang zu Musikunterricht, Vereinssport oder ähnlichen Veranstaltungen.
Armut geht uns alle an. Wir müssen etwas dagegen unternehmen, denn Armut unterhöhlt das demokratische Gefüge. Wenn sich immer mehr Menschen ausgegrenzt fühlen, dann gerät das demokratische Fundament ins Rutschen. Kinder, die keine Winterstiefel haben, wegen fehlender Unterstützung durch die Eltern die Schule schwänzen oder wegen vermeintlich unmoderner Kleidung dem sozialen Spott ausgesetzt sind, erwarten konkrete Hilfe.
Sie erwarten Hilfe, die sich nicht in der Anrufung neuer sozialer Netze erschöpft, sondern sie erwarten konkrete Unterstützung für sich und ihre Eltern. Die Kolleginnen und Kollegen von den Bündnisgrünen haben das in einen klaren Antrag umgesetzt. Die Vorschläge können auf Landesebene unmittelbar umgesetzt werden. Sie kosten aber kräftig Geld. Allein ein beitragsfreies letztes Kindergartenjahr würde in einer einzigen schleswig-holsteinischen Kommune, nämlich Rendsburg, 300.000 € im Jahr kosten.
Das ist nur ein Punkt. Ein anderer ist die Unterstützung durch den regelmäßigen Besuch von Familienhebammen. Ein niedersächsisches Modellprojekt schätzt die Kosten für den Einsatz von Familienhebammen für nur 200 Kinder in Hannover auf 60.000 € im Jahr. In Skandinavien reicht eine solche Betreuung über die ersten Monate und Jahre im
Kindesleben hinaus und hat dort zu einer hohen Akzeptanz geführt. Um dies aber finanzieren zu können, müsste das Sozialsystem völlig umgekrempelt werden.
Punkt für Punkt kommen wir damit zu einer erheblichen Summe, deren Volumen allenfalls geschätzt werden kann. Daher fordert der SSW schnellstens eine bundespolitische Wende, denn das Land kann die Lasten einer effektiven Armutsbekämpfung nicht allein schultern. Der SSW lässt aber keineswegs den Einwand, dass eine vernünftige Familienförderung derzeit nicht zu finanzieren ist, gelten. Das Geld ist da, fließt aber in die komplett falsche Richtung. Wir leisten uns unter anderem ein Trauschein-Subventionierungsprogramm, nämlich das Ehegattensplitting. Der SSW fordert seit Jahren eine vernünftige Familienförderung, die unter anderem mit den Splitting-Milliarden finanziert werden könnte. Die Bundespolitik muss generell umsteuern: weg mit der Förderung der vermögenden Steuerzahler, die sich ihre Ausgaben via Steuerbescheid wieder zurückholen, hin zu einer institutionellen und finanziellen Unterstützung für Kinder und arme Familien, um diese vor der Ausgrenzung zu bewahren.
Hartz IV hat das Problem zugespitzt. Denken wir nur an die ersten Monate nach Inkrafttreten, als der Ausbildungsplatzvermittler der Arbeitsagentur Kinder von ALG-II-Beziehern nach Hause geschickt hat. Nicht, weil er keine Ausbildungsplätze vermitteln konnte, sondern weil die Eltern des jungen Menschen, der vor ihm saß, das falsche Einkommen bezogen. Neben dieser Ausgrenzung, die inzwischen durch eine bessere Koordinierung weitgehend verschwunden ist, kommt die materielle Ausgrenzung mit zu niedrigen Regelsätzen: Regelsätze, die es Ein-Eltern-Familien schwer machen, eine Schultüte zu finanzieren.
Wir brauchen einen konkreten Handlungsplan zur Bekämpfung der Kinderarmut in Schleswig-Holstein. Das Land darf angesichts steigender Armutszahlen den Kopf nicht in den Sand stecken. Die Landesregierung muss darlegen, welche konkreten Maßnahmen sie im Rahmen der Landeskompetenzen bereits mit dem Haushalt 2007/2008 in Gang setzen kann.