Protocol of the Session on March 22, 2006

(Anke Spoorendonk)

Ich rede nicht über irgendwelche Zeiträume jenseits von 2050 oder 2060. Ich rede von den nächsten zehn Jahren. Einige von Ihnen wollen das in diesem Hause noch erleben. Deshalb gibt es keine Alternative dazu, in einem konzentrierten und sehr zielstrebigen Prozess jährlich die Neuverschuldung nicht die Schulden, sondern nur den Zuwachs an neuen Schulden - um 200 Millionen € zu verringern, und auch dies wird noch bedeuten, dass die Zinslasten bis zum Jahre 2012 auf 1,3 Milliarden € ansteigen, 400 Millionen € mehr als wir heute rechnen. Das gilt nur unter der Voraussetzung, dass am Zinsmarkt in Deutschland und in Europa nichts passiert.

Das ist die Situation, die wir haben. Diese Situation ist im Übrigen nicht im Jahr 2005 oder 2006 entstanden, sondern - da komme ich zu Ihnen als Antragsteller, Herr Minister a. D. Müller -, sie ist im Wesentlichen zu einem bedeutenden Teil in der Zeit entstanden, in der Sie Regierungsverantwortung in diesem Land getragen haben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Da muss ich jetzt sagen, dass Ihr Kurzzeitgedächtnis verdammt leidet. In der Zeit, in der Sie persönlich in Schleswig-Holstein regiert haben, ist die Neuverschuldung von jährlich 500 Millionen € auf 1,5 Milliarden € gestiegen. Das ist in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung geschehen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Geschichtsklitterung! - Zuruf von der CDU: Schöne Geschichte!)

In der Zeit, in der Sie regiert haben, haben Sie in keinem Jahr weniger ausgegeben als im Vorjahr weder bei den Nettoausgaben, noch bei den Primärausgaben -, aber Sie haben in jedem Jahr die Investitionen gesenkt. Sie haben in keinem Jahr mehr investiert als im Vorjahr. Herr Müller, das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Ich bestreite nicht das Recht der Opposition, den Finger in Wunden zu legen, auch in schwierigen Situationen, zu denen ich gleich noch etwas sagen werde. Ich bestreite aber Ihre moralische Legitimation, sich in dieser Frage sozusagen zum Chefankläger zu erheben. Das steht Ihnen nicht zu, Herr Müller!

(Beifall bei CDU, FDP und des Abgeordne- ten Holger Astrup [SPD])

Es gab auch eine Zeit vor Ihrer Regierungstätigkeit. Ich will daran erinnern, weil Sie das auch sehr schnell verdrängt haben. Sie waren Mitglied des Deutschen Bundestages und finanzpolitischer Sprecher von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wie man

nachlesen kann, haben Sie an der Steuerreform 2000 mitgewirkt.

(Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie haben immer mehr gefordert!)

Sie haben an der Steuerreform 2000 mitgewirkt, die uns im Jahr 2002 in Schleswig-Holstein bei der Körperschaftsteuer eine Mindereinnahme von 300 Millionen € beschert hat. Sie haben hinterher gesagt, da hätten Sie irgendetwas falsch gemacht. Damit war Ihre Verantwortung erledigt. Bei 300 Millionen € reden wir von ganz anderen Beträgen, lieber Herr Müller.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wie Sie Ihren Beitrag eingeleitet haben, finde ich bemerkenswert, weil Sie Ihre bisherige Politik genau so weiter betreiben wollen. Sie haben gerade als erstes gesagt, im November sei die Steuerschätzung besser gewesen. Mein lieber Scholli, haben Sie denn überhaupt nichts verstanden? - Wir haben Mitte des Jahres 2005 die bisherigen Steuerannahmen - Ihre übrigens - um 634 Millionen € nach unten korrigiert. Wenn wir das am Jahresende auf nur noch 550 Millionen € korrigieren konnten - also geringfügig verbessern -, ist das in Wahrheit keine deutliche Verbesserung. Deshalb sage ich: Sie wollen genau das Gleiche fortsetzen. Ihre Anträge zum Haushalt 2006 im Landtag waren genau die Anträge, die zeigen, dass Sie Ihre Politik fortsetzen wollen. Sie wollen an einigen Stellen sparen und kürzen und verwenden diese Kürzung gleich für Mehrausgaben an anderen Stellen und ansonsten verlassen Sie sich auf Mehreinnahmen.

(Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist falsch, schlicht falsch!)

Reden wir doch einmal Tacheles. Ihre Vorschläge zur Erhöhung der Erbschaftsteuer - würde man sie umsetzen - würden Schleswig-Holstein 15 Millionen € mehr bringen, 15 Millionen €!

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Tolle Sum- me!)

Das ist ein gewaltiger Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts, wenn wir über eine Deckungslücke von 1,5 Milliarden € reden!

Ich sage Ihnen gern etwas zu meiner persönlichen Verantwortung, zu dem, was ich wirklich sehr bedauere. Ich habe im vergangenen Jahr - das muss ich zugeben - die Möglichkeit überschätzt, durch Veränderung bei Leistungsgesetzen sowohl des Bundes als auch des Landes diese 200 Millionen € plus zwingendem Zuwachs bei den Ausgaben nämlich mindestens 100 Millionen € Zinsen und

(Minister Rainer Wiegard)

Pensionen pro Jahr -, also 300 Millionen € als Minimum, zu erbringen. Es ist offensichtlich nicht möglich, das in diesem Volumen zu erreichen. Das habe ich überschätzt. Ich bedauere das außerordentlich.

Deshalb sehe ich keine Alternative zu dem Vorgehen, das wir jetzt vorgeschlagen haben. Wir werden alles daransetzen, nach Kompensationsmöglichkeiten zu suchen, insbesondere im kommunalen Bereich. Wir werden verstärkt darüber nachdenken müssen, wie wir die Kommunen von Aufgaben entlasten können, die wir ihnen übertragen haben. Wie können wir an Standards herangehen, sie absenken? Wie können wir ihnen behilflich sein, auf der Einnahmenseite zu Verbesserungen zu kommen und bei vielen anderen Möglichkeiten mehr? Wie können wir durch Straffung von Verwaltungsstrukturen erreichen, dass wir weniger Geld für Verwaltung ausgeben und mehr Geld für Investitionen verfügbar haben?

Das ist der neue Weg. Diesen neuen Weg müssen wir konsequent gehen. Diesen Weg werden wir auch weitgehend im Einvernehmen mit den Betroffenen gehen. Ihr Weg führt zurück in den Schuldenstaat, führt zurück in die Haushaltsnotlage. Das ist für Schleswig-Holstein keine Perspektive.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Abgeordneter Monika Heinold das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Aktuellen Stunde geht es um die Frage, welche Auswirkungen die angekündigte Sparpolitik der Landesregierung hat. Natürlich ist Teil einer solchen Debatte auch immer die Frage: Wie sind wir gestartet? Natürlich kann man auch darüber streiten, wer welche Schuld trägt. Die SPD hat das Land damals verschuldet von Stoltenberg übernommen, wir haben es verschuldet von der SPD übernommen.

(Lachen bei der CDU)

- Lesen Sie die Zahl nach, dann sehen Sie, wer damals die Verschuldung exorbitant in die Höhe getrieben hat. - Und Sie haben dieses Land jetzt verschuldet von uns übernommen.

Der Kurs von der CDU in den letzten Jahren, den ich hier miterlebt habe, war immer darauf gerichtet:

Mehrausgaben sind möglich und weniger Steuereinnahmen müssen sein. Diesen Kurs haben Sie hier neun Jahre lang vertreten. Jede strukturelle Sparmaßnahme, die wir beschlossen haben, haben Sie nicht nur abgelehnt, sondern Sie haben dazu die Demonstration vor dem Landeshaus mit organisiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Weihnachtsgeld, das Urlaubsgeld, das Landesblindengeld, aber auch Konzepte zur Straffung der Unterrichtsversorgung - all dies haben Sie kritisiert. Sie haben über neun Jahre lang viele Versprechungen gemacht. Das ist Ihr Problem, Herr Wiegard, weil Sie damals finanzpolitischer Sprecher waren. Sie haben neun Jahre lang versprochen, dass diese strukturellen Einschnitte nicht nötig seien und dass Sie ein anderes Konzept hätten. All dies haben Sie als Wahlversprechen in Ihr Wahlprogramm geschrieben. Jetzt stellen Sie fest, dass das alles nicht mehr gilt. Mich wundert, meine Damen und Herren von der CDU, Herr Sauter, dass von Ihnen kein Wort der Selbstkritik kommt, keine Entschuldigung bei den Betroffenen, bei den Lehrern, bei der Polizei, dass Sie ihnen schlicht wissend vor der Wahl die Unwahrheit gesagt haben.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Da gesteht der Ministerpräsident einen Wortbruch ein - so etwas habe ich schon lange nicht mehr erlebt

(Zuruf von der CDU: Da war er ehrlich!)

und Sie tun so, als sei dies eine Selbstverständlichkeit.

(Claus Ehlers [CDU]: Der Mann hat Charak- ter!)

Sie haben die Zahlen vor der Wahl gekannt und Sie haben wissentlich den Menschen Sand in die Augen gestreut und behauptet, dass die von uns damals beschlossenen strukturellen Sparmaßnahmen nicht hätten sein müssen, die Sie jetzt verdoppeln und verdreifachen.

Die Frage der Aktuellen Stunde ist: Was gilt noch? - Meine Damen und Herren von der großen Koalition, welche Versprechen nehmen Sie morgen zurück? Was beabsichtigen Sie mit den Leitlinien, die das Kabinett jetzt zum Haushalt beschlossen hat?

Ich möchte noch einmal den kommunalen Finanzausgleich erwähnen. Herr Müller hat es gesagt, wir haben damals im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs gegen Ihren erheblichen Widerstand gekürzt. Dafür ließen sich viele Zitate finden. Wir haben das getan, weil wir damals ein Gesamtkonzept

(Minister Rainer Wiegard)

hatten, um die Nettoneuverschuldung nicht über die Verfassungsgrenze anwachsen zu lassen. Die Verfassungsgrenze haben Sie längst durchbrochen. Das ist überhaupt nicht mehr Ihr Problem. Sie brauchen von den Kommunen das Geld, um Ihren Schleswig-Holstein-Fonds zu finanzieren. Sie nehmen für den Schleswig-Holstein-Fonds in etwa neue Schulden in der gleichen Höhnte der Beträge auf, die Sie den Kommunen anschließend wieder aus den Kassen ziehen. Ich sage Ihnen: Das ist eine Frechheit. Es kann nicht sein, dass die Kommunen dafür bezahlen müssen, dass die Minister und Ministerinnen durchs Land reisen und Geschenke in Form von Zuwendungen aus dem Schleswig-Holstein-Fonds verteilen. Dies werden wir immer wieder thematisieren. Wir werden dies auch hart kritisieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit kommen wir zu der Frage, welche strukturellen Einsparmöglichkeiten wir zusätzlich zu dem, was wir im letzten Haushalt mit unterstützt haben, und dem, was wir selbst beschlossen haben, sehen. Natürlich ist das die Kreisgebietsreform. Wenn Sie aus 15 Kreisen und kreisfreien Städten vier bis fünf machen, dann haben Sie ganz eindeutige Spareffekte. Sie wollen dies nicht, aber es ist eine große strukturelle Sparmaßnahme.

(Zurufe von der CDU)

Und wir schlagen noch in dieser Sitzung den Nordstaat vor. Wenn Sie aus zwei Bundesländern ein Bundesland machen, wenn Sie aus zwei Parlamenten ein Parlament machen, dann haben Sie nachhaltige strukturelle Sparauswirkungen. Sie werden dies heute und in den nächsten Tagen abstreiten, meine Damen und Herren von der CDU. Irgendwann, wenn die Not noch größer sein wird, dann werden Sie genau dies tun. Sie werden dann sagen: Sorry, das ist leider ein Wortbruch, aber wir haben das vorher nicht gewusst. - Weiter so! Machen Sie sich weiter unglaubwürdig!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mir liegen noch Wortmeldungen der Abgeordneten Spoorendonk und des Abgeordneten Weber sowie des Fraktionsvorsitzenden der CDU, Herrn Dr. Wadephul, vor. Die für die Fraktionen der vereinbarten Redezeit wäre dann abgelaufen. Es bleibt der Regierung dann vorbehalten, weitere Wortbeiträge zu halten.

Für die Abgeordneten des SSW rufe ich jetzt zunächst dessen Vorsitzende, die Kollegin Anke Spoorendonk, auf

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kubicki, wer zu spät kommt … und so weiter! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich finde, dass die Debatte sehr unerfreulich ist, wenn eigentlich nur Vergangenheitsbewältigung betrieben werden soll. Darum nenne ich noch einmal einen anderen Ansatz. Ich will dabei nicht verhehlen, dass es zumindest aus meiner Sicht zum Pfund der großen Koalition gehört, dass der Finanzminister sehr glaubwürdig herüberkommt.