schweige denn eine Familie ernähren können? Interessanterweise hat die bereits angesprochene Anhörung im Wirtschaftsausschuss gezeigt, dass die Branche, die bereits Erfahrung damit sammeln konnte, die sich also nicht nur theoretisch und ideologisch mit Mindestlöhnen auseinander setzt, dies sowohl aufseiten der Arbeitgeber als auch aufseiten der Arbeitnehmer gelobt und unterstützt hat.
Durch die Erweiterung der EU um neue Mitglieder wird die Mobilität von Arbeitnehmern zu Recht zunehmen, eine Entwicklung, die wir begrüßen, weil sie das Zusammenwachsen Europas fördert und das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell unterstützt. Die Antwort muss allerdings sein, umfassende Regelungen für Mindestarbeitsbedingungen, die für inländische wie für ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichermaßen gelten, einzuführen, damit wir gerechte Arbeitsbedingungen und einen fairen Wettbewerb haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Berlin herrscht allerdings zurzeit ein Mindestlohnchaos. Gestern wurden öffentlich 6 € gefordert, mal gesetzlich, mal tariflich. Der Generalsekretär der SPD - wie nannte ihn Alexander Möller im neuesten „Rotkielchen“?
- Gute Zeitung; ich glaube, es war Hubertus „Nullsatz“ Heil - hat heute von Angela Merkel öffentlichkeitswirksam Klarheit gefordert. Auf Nachfrage der Journalisten musste er einräumen, dass diese auch in der SPD noch nicht herrscht.
Wir brauchen ein Bundesgesetz, das Lohndumping verhindert und gesellschaftlich akzeptierte Mindestarbeitsbedingungen für inländische und ausländische Arbeitnehmer in Deutschland festlegt. Ich persönlich hege dabei große Sympathie für das Modell, das unser Landesarbeitsminister Döring seit einiger Zeit vertritt. Ich glaube, dass eine Kopplung mit einem Prozentsatz - ob das 20 % sein müssen, darüber kann man lange mit Experten streiten -, die automatisch ein regionalisiertes, branchenspezifisches Niveau festlegt - was dem Ursprungsantrag der grünen Fraktion in diesem Hause entspricht -, eine sehr vernünftige Geschichte ist. Ich gebe zu, dass ich mir gewünscht hätte und auch versucht habe, das in der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses so auftauchen zu lassen. Sie müssen in der Koalition noch etwas daran arbeiten, dass das tatsächlich mitgetragen wird.
Es gibt auch weitere Baustellen in der Diskussion. Dazu gehört das Arbeitnehmerentsendegesetz, um eine Ausweitung des Lohndumpings durch die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland zu verhindern. Dazu gehört die Frage von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen im Tarifvertragsgesetz und auch die Frage nach dem Gesetz über Mindestarbeitsbedingungen von 1952, das reformiert und vor allem vereinfacht werden muss. All dies sind weitere Flankierungen, um einen fairen Wettbewerb für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu erreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der jüngste Kompromiss bei der europäischen Dienstleistungsrichtlinie - egal, wie man ihn im Einzelfall bewerten will - zwingt zum Handeln. Denn die ausländischen Dienstleister müssen den Mindeststandards des Gastlandes Rechnung tragen. Diese Mindeststandards gibt es in Deutschland an entscheidenden Stellen aber noch nicht. Mindestlohnregelungen oder allgemein verbindliche Branchentarifverträge sind also absolut notwendig.
Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses hat den Beschlussvorschlag des Ausschusses vorgetragen und zu Recht gelobt. Auch wir tragen ihn mit. Unser Ursprungsantrag wollte natürlich wesentlich mehr, aber wir ziehen an dieser Stelle den legendären Spatz in der Hand der Taube auf dem Dach vor, in der Hoffnung, dass Minister Döring nicht müde wird, seine Vorstellungen auch beim größeren Koalitionspartner zu verankern. Unsere Unterstützung hat er an der Stelle klar, laut und deutlich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Müller, das Thema „Autokraft“ hat nichts mit Mindestlöhnen, sondern eher mit dem Thema Tariftreuegesetz zu tun. Aber auch das ist für Sie ja ein Zauberwort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem wir im vergangenen Jahr bereits hier im Plenum ausführlich über Mindestlöhne und Entsendegesetzes diskutiert haben, hat der Wirtschaftsausschuss zu die
sem Thema eine Anhörung mit den betroffenen Verbänden und Institutionen durchgeführt. Ich danke an dieser Stelle allen Teilnehmern für ihre verantwortungsbewusst und sachlich vorgetragenen Argumente, die für die politische Bewertung durchaus hilfreich waren.
So haben die Vertreter der Bauwirtschaft, in der bereits jetzt Mindestlöhne gelten, darauf hingewiesen, dass hierdurch der Strukturwandel abgefedert wurde. Insbesondere der Bauindustrieverband hat vor dem Hintergrund der EU-Erweiterung für Übergangsregelungen und Mindestlohnregelungen plädiert, um einen unvermeidbaren Anpassungsprozess zu begleiten.
So positiv die Auswirkungen von Mindestlöhnen im Baugewerbe offenbar sind, so distanziert haben sich allerdings auch Vertreter der Bauwirtschaft gegen eine generelle Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf alle Branchen ausgesprochen. Insbesondere der Wirtschaftsverband Handwerk sieht für eine branchenübergreifende Ausweitung des Entsendegesetzes keine Notwendigkeit und befürchtet dadurch eine Schwächung der Tarifautonomie mit der Folge einer aus seiner Sicht nicht tragbaren Verstaatlichung. Auch die Problematik der so genannten Scheinselbstständigen aus den EU-Beitrittsstaaten könnte damit nicht gelöst werden.
Der Baugewerbeverband Schleswig-Holstein trug vor und befürchtet, dass eine Ausweitung des Entsendegesetzes auf andere Branchen negative Auswirkungen auf die Effizienz der Kontrolle der Einhaltung von Mindestlöhnen im Baugewerbe haben würde. Er plädiert deshalb dafür, dass die Lohnfindung in jedem Fall den Tarifvertragsparteien vorbehalten bleiben sollte, und hat sich ausdrücklich gegen Lösungen ausgesprochen, wonach es Mindestlohnregelungen geben soll, auch wenn keine Gewerkschaften oder Verbände bestehen.
Unter dem Strich also hat die Bauwirtschaft durchaus positive Erfahrungen mit diesem Instrument gesammelt, steht einer Ausweitung auf andere Branchen aber skeptisch gegenüber und fordert richtigerweise - das muss man einräumen - bessere Kontrollen zur Einhaltung der Mindestlöhne.
Im Gegensatz zur Bauwirtschaft befürchten allerdings die Unternehmen aus der Gastronomiebranche, dass bei Einführung eines Mindestlohnes zahlreiche Jobs im Niedriglohnbereich vernichtet würden und auch die Arbeitgeber der Land- und Forstwirtschaft sehen eine Ausweitung des Entsendegesetzes mit vielen Problemen, Risiken und rechtlichen Fragestellungen behaftet.
Das Institut für Weltwirtschaft hat darauf hingewiesen, dass eine Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Branchen nicht der geeignete Weg zur Sicherung, geschweige denn zur Schaffung von Arbeitsplätzen sei, weil hierdurch ein zusätzlicher Anreiz entstehe, Produktion in benachbarte Niedriglohnländer zu verlagern.
Meine Damen und Herren, ein Unternehmer hat mir heute Morgen ein wenig ironisch gesagt, Mindestlöhne seien eine prima Idee, wenn sie weltweit gelten würden.
Sie sehen: Die Argumentation um die Einführung von Mindestlöhnen ist ausgesprochen vielschichtig und auch wir werden in dieser Debatte sicherlich keine einheitliche Sprachregelung finden. Für mich gilt daher, was ich bereits in der Mai-Tagung des vergangenen Jahres gesagt habe: Eine Ausweitung des Entsendegesetzes darf nicht zu einer Schwächung der Tarifautonomie führen. Ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit, mehr Schwarzarbeit und zusätzliche Verlagerungen von Produktion und Arbeitsplätzen ins Ausland, die eine unbegrenzte Erweiterung des Entsendegesetzes nach sich ziehen würde, müssen verhindert werden.
Insofern - das habe ich damals bereits gesagt - kann es nur um eine punktuelle Erweiterung des Entsendegesetzes gehen, allerdings nur dann, wenn soziale Verwerfungen durch Entsendearbeitnehmer nachgewiesen und die Tarifvertragsparteien entsprechend beteiligt werden. Diesen Aspekten hat die Regierungskoalition in Berlin Rechnung getragen, indem sie eine Ausweitung des Entsendegesetzes auf die Tarifverträge der Gebäudereiniger vereinbart hat. Wir werden sehr genau beobachten, welche Auswirkungen sich hieraus ergeben, damit es nicht zu unerwünschten volkswirtschaftlichen Effekten kommt. Denn Mindestlöhne sind aus meiner Sicht kein Allheilmittel, sondern Arzneimittel mit Nebenwirkungen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Menschen müssen ein Existenz sicherndes Einkommen haben. Darüber besteht weit über die Parteigrenzen hinaus Einigkeit und danach ist auch das Minimum der staatlichen Transferleistungen be
messen. Eine andere Bemessungsgrundlage für dieses Minimum sind die Niedrigeinkommen. Denn sie sollen - nach dem Lohnabstandsgebot - deutlich über diesem Existenzminimum liegen.
Existenz sichernde Mindestlöhne durch einen Rückgriff auf Transferleistungen zur Lohnergänzung zu ersetzen, greift zu kurz.
Eine solche Herangehensweise geht darüber hinweg, dass Arbeitsverhältnisse aus mehr als nur Lohnzahlungen bestehen. Werden Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe als De-facto-Mindestlohn angesehen, trifft dies möglicherweise auf die ökonomischen Aspekte von Arbeit zu, nicht aber auf die sozialen.
Meine Damen und Herren, Herkunftslandprinzip, Mindestlohn oder Kombilohn - all dies sind Aspekte einer Debatte über soziale Gerechtigkeit.
Die Erweiterung des Entsendegesetzes auch auf andere Branchen - wie in dem Beschluss des Wirtschaftsausschusses formuliert - ist nur ein Schritt, um Lohndumping zu vermeiden. Das Entsendegesetz hilft sowohl den ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als auch den deutschen. Erstere erhalten ein Existenz sicherndes Einkommen und Letztere haben auch in Branchen mit hohem Anteil ausländischer Firmen wieder eine faire Chance auf einen Arbeitsplatz. Ich freue mich, dass Mindestlöhne - auch auf Bundesebene - wieder eine Rolle im arbeitsmarktpolitischen Diskurs spielen.
Meine Damen und Herren, wir wissen nicht, ob Mindestlöhne Arbeitslosigkeit verursachen oder beseitigen. Es gibt empirische Beispiele für eine sinkende wie für eine steigende Arbeitslosigkeit nach Erhöhungen des Mindestlohns. Unser Wirtschaftsgefüge ist komplex und die Auswirkungen einzelner Elemente lassen sich schwer nachweisen. Zahlreiche Länder wie die Niederlande, Großbritannien und Frankreich verfügen über eine Mindestlohnregelung, ohne dass signifikante Verschlechterungen der Arbeitsmarktsituation beobachtbar wurden - im Gegenteil.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hier nicht darum, Bürokratie willkürlich aufzubauen oder Arbeitgeber zu gängeln. Es geht um die Menschen in Deutschland, denen wir alle verpflichtet sind. Wir Sozialdemokraten werden uns auch weiterhin für die Menschen einsetzen und dafür, dass sie über genügend Erwerbseinkommen verfügen, um damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Lassen Sie uns mal die theoretischen Ansätze beiseite lassen und zu den praktischen Erfahrungen kommen. In der Baubranche, wo das Entsendegesetz bereits gilt, herrscht eine große Akzeptanz. Arbeitgeberverbände wie Gewerkschaften ziehen eine positive Bilanz. Beide wünschen sich noch schärfere Kontrollen, aber man war sich einig, dass ohne das Entsendegesetz mehr Bauarbeiter arbeitslos wären; dies wurde auch vom Weltwirtschaftsinstitut bestätigt. Daher ist ein Ausweiten des Entsendegesetzes auf andere Branchen richtig, weil hier die Tarifparteien beteiligt sind und je nach Branche individuelle Mindestlöhne ausgehandelt werden können.
Ob wir uns für oder gegen einen gesetzlichen Mindestlohn aussprechen - wir sollten dafür sorgen, dass die Tarifparteien gestärkt werden und ihre Chancen, aber auch ihre Pflichten kompetent und verantwortungsbewusst wahrnehmen können.
Wir sehen den Beschluss des Wirtschaftsausschusses als einen ersten Schritt. Wir müssen über weitere Vorschläge diskutieren. Auch der von Minister Döring in die Debatte eingebrachte Vorschlag für relative Mindestlöhne wird noch kritisch auf Praxistauglichkeit hin zu untersuchen sein. Die Diskussion zeigt, dass wir uns auf jeden Fall weiterhin gegen Lohndumping und für ein Existenz sicherndes Einkommen einsetzen werden und selbstverständlich werden wir auch der Beschlussempfehlung zustimmen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen: Würden wir heute über das Papier des Arbeitsministers debattieren, und zwar über den Vorschlag, den er heute, am 23. Februar, gemacht hat, dann würde ich mit Sicherheit eine andere Rede halten, als ich sie gleich zum Bericht und zur Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses halten werde. Ich sage das ganz deutlich. Das, was Minister Döring hier vorschlägt, halte ich - zum Teil jedenfalls - für außergewöhnlich diskussionswürdig.
- Kollege Müller, ich finde es erstaunlich, dass dort zum Beispiel folgender Satz, den ich zitieren darf, steht:
„Der Lohn muss in einem fairen Verhältnis zu dem Ertrag stehen, den der Arbeitgeber mit der Arbeitsleistung wirtschaftlich erzielen kann.“