sprechen, die wir den Verbänden angeblich nicht einräumen wollten. Das ist schlichtweg lächerlich, was Sie hier vorgetragen haben.
Das Wort für die Landesregierung hat nun in Vertretung der beurlaubten Sozialministerin Frau Ministerin Ute Erdsiek-Rave.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung will - das ist hier von Frau Trauernicht schon mehrfach gesagt worden - die Politik für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein zu einem neuen Gesamtkonzept weiterentwickeln. Insofern besteht wohl Einigkeit im Parlament. Das ist aber kein Thema für ein paar Monate, das ist ein Thema für mehrere Jahre und das wird uns möglicherweise fast die ganze Legislaturperiode beschäftigen.
In der Debatte im Dezember wurde der Plan aus dem Jahr 1995, auf den auch hier wieder Bezug genommen wurde, als Vorbild erwähnt. Wenn Sie in den noch einmal genau hineinschauen, werden Sie feststellen, dass dieser Bericht nicht das ist, was der Landtag zu Recht als neues Konzept von einer Landesregierung erwarten kann. Wir müssen uns heute viel mehr mit den Einzelheiten der Eingliederungshilfe befassen, als dies im damaligen Plan der Fall war.
Der gesamte Prozess braucht Beteiligung, er braucht Diskussion, vor allen Dingen mit den Kommunen, mit den Verbänden, mit den Trägern und den Menschen selbst, den Menschen mit Behinderung, ihren Eltern und ihren Freunden. Das macht deutlich, wie umfänglich und langwierig dieser Prozess sein muss.
Wir sollten uns noch einmal die Dimension des Themas, über welches wir hier reden, in Erinnerung rufen. Insgesamt leben in Schleswig-Holstein rund 250.000 Menschen mit Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz. Das sind rund 8 %, also ein ganz erheblicher Teil der Bevölkerung. Das gesamte Leistungsvolumen der Eingliederungshilfe beträgt ungefähr 625 Millionen €. Die Kosten für die stationären Hilfen in Höhe von 520 Millionen € übernimmt nach dem im Dezember vom Landtag beschlossenen Gesetz das Land, die Kosten für die ambulante Hilfe in Höhe von etwa
Wenn wir den gesetzlichen Auftrag von „ambulant vor stationär“, der ja nicht nur in diesem Bereich gilt, sondern auch in vielen anderen Bereichen zu einem Grundsatz moderner Sozialpolitik geworden ist, jetzt umsetzen wollen, dann müssen Land und Kommunen in einem gemeinsamen Ausschuss zusammenarbeiten, auch um das sozusagen zu korrigieren und zu verhindern, was Sie angesprochen haben, Frau Heinold. Trotzdem muss ich sagen: Mich stört dabei - das haben wir ja schon beim Kindertagesstättengesetz immer wieder diskutiert - dieses abgrundtiefe Misstrauen gegenüber der kommunalen Ebene, als ob alles das, was vom Land auf die Kommunen verlagert wird - das werden wir ja in Zukunft im Zuge der Verwaltungsstrukturreform noch häufiger diskutieren -, automatisch zu Verschlechterungen für die Betroffenen führt. Ich meine, ein bisschen mehr Vertrauen in das, was in der Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen möglich ist, sollten wir schon haben.
Trotzdem gilt es natürlich zu verhindern, dass dabei einseitige Kostenverlagerungen zulasten eines anderen Partners herauskommen. Das ist eine zentrale Voraussetzung für die Entwicklung eines behindertenpolitischen Gesamtkonzeptes, das wir in den nächsten Monaten natürlich mit den Kreisen und kreisfreien Städten verhandeln werden. Die Entwicklung muss sorgfältig und abgestimmt erfolgen. Nach der Sommerpause soll im Ausschuss eine erste Bestandsanalyse vorgelegt werden.
Natürlich braucht ein Konzept, das vorgelegt wird, definierte Ziele - das ist ganz klar -, an denen wir uns orientieren werden. Es muss wohnortnahe, differenzierte Hilfen aus einer Hand geben. Alle Leistungen der Eingliederungshilfe gehen in kommunale Verantwortung über. Die Hilfeplanung muss verbessert werden. Es soll natürlich keine Verschiebebahnhöfe für ambulante und stationäre Leistungen geben. Wir wollen und müssen - ich glaube, darüber gibt es auch keine zwei Meinungen - die Frühförderung stärken und die Frühförderstellen landesweit zu Leistungseinheiten entwickeln, die interdisziplinär tätig sein können. Übrigens gibt es eine analoge Entwicklung im Bildungsbereich bei der Weiterentwicklung der Förderzentren. Auch die entwickeln sich derzeit zu einem Kompetenzzentrum für die unterschiedlichen Behinderungen
Wir müssen - das ist das weitere große Ziel - die Finanzierung stärker an der Ergebnisqualität ausrichten. Vereinfachung und Entbürokratisierung sind die Stichworte dafür. Die Menschen mit Behinderung müssen stärker als bisher zu Handelnden in eigener Sache gemacht werden.
Das ist ein großes Rad, an dem gedreht wird. Deswegen ist eine breite Diskussion über die Weiterentwicklung notwendig. Dafür gibt es eine enge Abstimmung mit den Wohlfahrtsverbänden, mit der Lebenshilfe, mit dem Verein für Körper- und Mehrfachbehinderte, aber auch mit vielen Trägern und Einrichtungen selbst. Also nicht nur mit den Verbänden, sondern auch mit den Einrichtungen selbst muss immer wieder verhandelt und gesprochen werden.
Im Übrigen gibt es noch eine weitere Ebene, die wir im Blick haben müssen. Die betrifft die Bundesebene. Es gibt natürlich Gespräche zwischen der Landesregierung und dem Bundesministerium. Die Bundesregierung hat nämlich Ihrerseits die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe auf die Tagesordnung gesetzt.
Das sind eigentlich alles gute Voraussetzungen für die Entwicklung eines Gesamtkonzeptes. Die Landesregierung - das will ich noch einmal sagen - begrüßt ausdrücklich jenseits der Kritik an irgendwelchen Antragsformulierungen, die heute geübt worden ist, dass dieses Thema eine so große Aufmerksamkeit in diesem Parlament findet.
Ich danke der Frau Ministerin. - Es gibt eine Wortmeldung. Für einen Dreiminutenbeitrag hat Frau Abgeordnete Monika Heinold das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nur noch eine Frage an die Landesregierung. Ich war davon ausgegangen, dass das mit beantwortet wird. Es ist aber nicht mit beantwortet worden. Wir haben gestern im Rahmen der Diskussion über die Armutsbekämpfung darüber gesprochen, was mit den 50.000 € passiert, die im Landeshaushalt für einen Bericht über die soziale Lage der Bevöl
kerung in Schleswig-Holstein stehen. Da hat die Landesregierung gesagt, dass ein Großteil des Geldes für das Gesamtkonzept „Menschen mit Behinderung“ ausgegeben wird. Mich würde schlicht interessieren, wie das gestaltet werden soll. Werden dort Aufträge vergeben oder was macht die Landesregierung mit diesem Geld? Wir hatten ja gestern auch darüber diskutiert, wofür es verwendet wird. Ich meine, dass es für das Parlament wichtig ist, das zu erfahren.
Soweit ich Ihren Ausführungen als auch dem, was mir der Staatssekretär dazu gesagt hat, folgen konnte, ist es notwendig und auch vorgesehen, dass sich die Landesregierung externer Unterstützung bei der Vorlage dieses Zwischenberichtes nach der Sommerpause bedient. Ich glaube, das ist bei diesem komplexen Themenfeld auch akzeptabel und notwendig.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Da wir eine relativ schwierige Beschlussfassung des Sozialausschusses haben, was die Berichterstatterin vorgetragen hat, wiederhole ich noch einmal: Der Ausschuss empfiehlt uns die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP, Drucksache 16/ 424, ergänzt durch den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 16/446, und Annahme des Antrages Drucksache 16/462. Wer so abstimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist so beschlossen worden mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW.
Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/568 (neu)
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort für den ersten Antragsteller der Abgeordneten und Vorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Anne Lütkes.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fußball war ja lange Zeit eine reine Männersache. Aber das ist ziemlich lange her. Die Frauen sind besser, sie sind Weltmeisterinnen. Insofern wäre das natürlich alles eine sehr freudvolle Angelegenheit. Aber, meine Damen und Herren, leider hat diese sehr schöne Nebensache für das Leben doch eine sehr ernste und nach wie vor sehr männliche Seite, die das Leben mancher Frauen ohne deren Willen schwer beeinträchtigt.
Die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland, ein Mega-Event, wird zumeist männliche Gäste haben. Sie werden sich nicht nur in Stadien und Kneipen vergnügen. Große Sportereignisse führen auch zu einer erhöhten Nachfrage nach so genannten sexuellen Dienstleistungen. Es wird freiwillige Prostitution geben, aber es werden auch Frauen zur Prostitution gezwungen werden; davon müssen wir ausgehen, meine Damen und Herren. Dabei geht es uns - ich darf „uns“ sagen, denn es ist dankenswerterweise ein gemeinsamer Antrag geworden - hier nicht um Moral und gute Sitten. Es geht hier um organisierte Kriminalität. Im Bundeslagebericht Menschenhandel aus dem Jahre 2005 schätzt das BKA aufgrund der Ermittlungen in vielen Einzelverfahren, dass die gemeldeten Opfer - 972 in Deutschland - einen Umsatz von bis zu 100 Millionen € erbringen. Das sind nur die gemeldeten Zahlen. Das Dunkelfeld ist groß und Opfer sind, wie gesagt, die Frauen.
Die Möglichkeit der Ausbeutung ist zum Beispiel durch die Erpressbarkeit oder Abhängigkeit aufgrund des aufenthaltsrechtlichen Status gegeben. So erklärt sich, das deutsche Frauen nur sehr selten Betroffene von Frauen- und Menschenhandel sind. Die Arbeitsbedingungen von Betroffenen von Menschenhandel zeichnen sich aus durch eine Art Sklaverei. Ein Einfluss auf die Arbeitsbedingungen ist diesen Frauen unmöglich.
Meine Damen und Herren, warum sprechen wir dieses Thema heute hier im Landtag an? Was kann der Landtag dazu tun? - Ein illegaler Markt ist, wie
jeder Markt, abhängig von der Nachfrage. Die Nachfrage wird durch die Freier bestimmt. Genau diese müssen wir sensibilisieren. Sie sind diejenigen, die am ehesten die Notlage der Frauen bemerken können, wenn nicht gar müssen. Sie können Bordelle, in denen es untrügliche Hinweise auf Zwangsprostitution gibt, boykottieren, sie können vielleicht sogar auch einmal mit anderen Männern darüber sprechen, welche Zustände sie erkannt haben. Um diese Männer allerdings als Helfer vor Ort zu sensibilisieren, müssen wir uns den moralischen Zeigefinger sehr wohl verkneifen.
Ich bin sehr froh, dass dieser interfraktionelle Antrag deutlich macht, dass wir hier nicht die Prostitution in ihrer gesellschaftspolitischen Funktion in Frage stellen - das ist ein eigenes Thema -, sondern dass wir sehr deutlich sagen: Es geht darum, denjenigen Frauen zu helfen, die verschleppt werden und unter Zwang sexuelle Dienste anbieten müssen.
Der Deutsche Frauenrat hat eine Kampagne gegen die Zwangsprostitution anlässlich der FußballWeltmeisterschaft 2006 initiiert. Damit setzt er seine Aktivitäten gegen diese Form der Gewalt gegen Frauen sehr gut fort. Für die Kampagne ist ein bundesweites Netzwerk gegründet worden, um insbesondere an den zwölf Austragungsorten Aktionen zur Sensibilisierung gerade der Frauen durchzuführen.
Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften und sehr viele Einzelpersonen beteiligen sich an dieser Kampagne, dankenswerterweise auch der Regierende Bürgermeister von Berlin und - das halte ich persönlich für besonders wichtig - Herr Dr. Zwanziger für den Deutschen Fußballbund. Dass gerade der organisierte Fußball, der Vorstand, der Präsident deutlich Stellung beziehen, hat eine große symbolische Bedeutung. Denn im Deutschen Fußballbund organisierte Fußballspieler sind für viele junge Männer Vorbilder. Sie können glaubwürdig vermitteln, dass Zwangsprostitution und Fairplay nun einmal nicht zusammengehören.
Unser Part, meine Damen und Herren, ist es - damit meine ich den Landtag und die Landesregierung von Schleswig-Holstein -, das Thema in die Öffentlichkeit zu holen, deutlich zu machen, dass es nicht um ein Kavaliersdelikt, sondern darum geht, schwerste Menschenrechtsverletzungen aufzufangen, zu verhindern und den Betroffenen zu helfen.
Um es noch einmal zu sagen: Ich freue mich sehr, dass wir durch den gemeinsamen Antrag betonen, dass wir diese Zielsetzung deutlich nach außen tragen wollen, und ich bedanke mich insbesondere bei Ingrid Franzen, die sozusagen die Moderation gemacht hat, sodass es zu dieser gemeinsamen Erklärung kommen konnte.
Menschenhandel und Frauenhandel sind in keiner Weise zu bagatellisieren. Ich bitte um Ihre Unterstützung.