Protocol of the Session on February 23, 2006

Menschenhandel und Frauenhandel sind in keiner Weise zu bagatellisieren. Ich bitte um Ihre Unterstützung.

(Beifall)

Für die Fraktion der CDU erteile ich dem Herrn Abgeordneten Peter Lehnert das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Monaten haben wir in Deutschland die Welt zu Gast. Wir alle freuen uns, dass die Fußballweltmeisterschaft hier bei uns stattfindet. Die Vorbereitungen laufen überall auf Hochtouren. Nach Einschätzung des Organisationskomitees der WM 2006 werden insgesamt circa 3 Millionen Besucher, davon allein 1 Million aus dem Ausland, erwartet.

Doch leider hat dieses sportliche Großereignis auch Schattenseiten. Erfahrungen bei vergleichbaren Veranstaltungen zeigen, dass man in diesem Zusammenhang leider auch von einer Ausweitung des Menschenhandels und der Zwangsprostitution ausgehen muss.

Zahlreiche Frauen werden aus diesem Grunde aus dem Ausland nach Deutschland einreisen, und viele von ihnen werden mit Gewalt zur Prostitution gezwungen. Denn Zwangsprostitution und Menschenhandel sind heute nicht nur das lukrativste, sondern meist auch das risikoärmste Geschäft der organisierten Kriminalität. Die „Ware Frau“ bringt dem international organisierten Verbrechen Milliardengewinne, welche inzwischen höher sind als die aus illegalem Drogen- oder Waffenhandel.

Der Handel mit Frauen zum Zweck der Ausbeutung, insbesondere bei der Prostitution, ist ein wirklich besonders verabscheuungswürdiges und menschenverachtendes Verbrechen. Daher gilt es jede Möglichkeit zur Aufklärung und Verhinderung sowie zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit zu nutzen und zu unterstützen, um den Machenschaften

der organisierten Kriminalität den Nährboden zu entziehen.

Aus diesem Grunde freue ich mich, dass es uns gelungen ist, einen fraktionsübergreifenden Antrag zu formulieren, in dem dieses Ziel unmissverständlich formuliert wird. Dies ist insbesondere im Hinblick auf unsere Debatten bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen und die Ausstattung unserer Ermittlungsbehörden von besonderer Bedeutung.

Gerade die CDU-Landtagsfraktion ist bei Fragen der inneren Sicherheit immer für ein entschlossenes Vorgehen gegenüber der organisierten Kriminalität eingetreten, vielfach auch gegen den massiven Widerstand aus anderen Fraktionen. Dabei müssen alle rechtsstaatlich zulässigen Mittel angewendet werden, um Ermittlungserfolge überhaupt erst zu ermöglichen. Damit schaffen wir die Grundlage, Verbrechen zu verhindern und effektiv zu bekämpfen. Wichtige Voraussetzungen dafür sind unter anderem ein umfassendes Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes und bessere Regelungen bei der Gewinnabschöpfung im Bereich der organisierten Kriminalität. Aber auch die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung und eine Telekommunikationsüberwachung, die verfassungsgemäßen Grundsätzen entspricht, sind hierbei wichtig.

Die Opfer von Zwangsprostitution brauchen Aufmerksamkeit und Hilfe. Nur sehr wenige der meist aus Osteuropa stammenden Frauen arbeiten freiwillig und ohne Zuhälter oder Bordellbetreiber. Wir wissen vielmehr, dass die meisten mit Erpressung und Gewalt gefügig gemacht und von ihren Peinigern schamlos missbraucht werden.

In der „FAZ“ vom 11. Januar 2006 erschien unter dem Titel ,,Gefangen mitten in Berlin - Wie eine junge Frau aus Rumänien in Deutschland zur Prostitution gezwungen wurde“ ein Artikel, der uns sehr deutlich vor Augen führt, welche menschenverachtenden Zustände in diesem Bereich herrschen.

Gerade den vielen jungen Frauen, die insbesondere aus Osteuropa zur Zwangsprostitution verschleppt werden, muss durch entschlossenes staatliches Handeln geholfen werden. Aber dieses Handeln darf sich nicht auf die Fußball-WM beschränken. Es sollte vielmehr darüber hinaus seine Gültigkeit behalten, um die gefährdeten Frauen vor dieser widerwärtigen Art von Kriminalität auch zukünftig zu schützen.

Die CDU-Landtagsfraktion begrüßt ausdrücklich die Teilnahme des Deutschen Fußballverbandes an der Kampagne gegen Zwangsprostitution. Insbesondere die Spieler der Nationalelf sind für viele

(Anne Lütkes)

Menschen Idole und Vorbilder, die durch ihr persönliches Eintreten gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution zu einem wichtigen Bewusstseinswandel beitragen können.

Auch wenn wir heute diesen Antrag gemeinsam beschließen, sollten wir uns über alle weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution im zuständigen Innen- und Rechtsausschuss berichten lassen. Dabei sollten wir auch mit Vertretern der Ermittlungsbehörden und Vertreterinnen der Frauenschutzorganisationen sprechen und prüfen, wie wir ihre Arbeit angemessen unterstützen können.

Ich hoffe, dass durch unseren heutigen Beschluss nicht nur ein nachhaltiges Signal gegen eine der schlimmsten Formen der organisierten Kriminalität gesetzt wird, sondern dass es uns auch gelingt, die Öffentlichkeit für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren.

(Beifall)

Für die Fraktion der SPD erteile ich der Frau Abgeordneten Ingrid Franzen das Wort.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Fußballweltmeisterschaft ist ein sportliches Großereignis, auf das sich viele Menschen im In- und Ausland freuen. Das tue ich auch. Wir haben ein Motto gewählt: Zu Gast bei Freunden. Auch das finde ich gut.

Herr Lehnert, wir haben dasselbe Bild für den Beginn unserer Rede gewählt. Auch ich möchte von den Schattenseiten dieses Großereignisses reden, und ich finde, die Zwangsprostitution, die zu erwarten ist, ist ein dunkelschwarzer Schatten. Da gibt es keine Diskussion.

Im März-Journal von amnesty international wird die Situation von Frauen, die von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffen sind, ausführlich, dargestellt. Kolleginnen und Kollegen, dabei geht es um Westeuropa, bei amnesty international geht es um Deutschland. Ich finde, das ist wirklich nachlesenswert.

Neben allen Strafandrohungen, die mangels Beweisen fast nie durchsetzbar sind, lieber Herr Lehnert, finde ich es einfach eine Schande, dass in diesem freien Land, in dieser gefestigten Demokratie Deutschland, solche Verbrechen mit all den Mitteln, die wir haben, offensichtlich nicht gestoppt werden können.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin deshalb dem Netzwerk „Stoppt Zwangsprostitution“ und dem Deutschen Frauenrat für die anlässlich der Fußballweltmeisterschaft ergriffenen Initiativen außerordentlich dankbar. Dahinter steckt geballte Frauenpower. Das darf man einmal sagen. Denn im Deutschen Frauenrat, der bereits im Jahre 1952 gegründet wurde, sind 55 Frauenorganisationen und -verbände mit insgesamt 11 Millionen Mitgliedern vereinigt. Ich finde, das ist schon etwas.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Das Ziel der Kampagne - das haben meine Vorgängerin und mein Vorgänger in der Debatte schon gesagt - ist insbesondere die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der potenziellen Freier.

Ich kann mir eine Anmerkung zu diesem Wort „Freier“ nicht verkneifen. Deutsch ist eine wunderbare Sprache, aber Sprache ist auch verräterisch. Warum nennen wir diese Männer Freier? Sind sie etwa auf Freiers Füßen? Sind sie auf Brautschau? Wohl kaum. Das ist ein äußerst romantisches Getue um die einfache Tatsache, dass Befriedigung gegen Geld gesucht wird. Um nichts weiter geht es. Das ist auch nicht schlimm. Aber es sind Männer, es sind keine Freier.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD] und Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Den Männern kommt in dieser Kampagne eine zentrale Bedeutung zu, denn sie sind oft - das muss man sich klarmachen - die Einzigen, die unkontrollierten Zugang zu diesen Frauen haben, die keinen Ausgang haben, die keinen Pass haben, die oft nicht einmal das Nötigste zum Essen haben. Etwa die Hälfte der Frauen, die Beratungsstellen aufsuchen dies sind leider nur sehr wenige -, geben an, dass sie mehrfach um Hilfe gebeten haben. Hier gilt es aufzuklären, und hier gilt es nicht, den Helden zu spielen, sich nicht mit der Unterwelt anzulegen. Das kann man niemandem empfehlen. Aber Hinweise auf Zwang und Gewalt weiterzugeben, wäre vielleicht eine Möglichkeit.

Natürlich ist auch die Politik angesprochen. Ich bin dankbar, dass sich der Schleswig-Holsteinische Landtag in dieser Frage interfraktionell geeinigt hat. Mein Dank gilt selbstverständlich auch den Initiatoren und Initiatorinnen des Antrages, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Landtag und Landesregierung können gemeinsam mit Verbän

(Peter Lehnert)

den die Kampagne verbreiten und unterstützen. Uns allen ist aber auch klar, dass das Problem erhalten bleibt, wenn die Scheinwerfer nach der Weltmeisterschaft wieder abgebaut sind.

Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang einen Hinweis auf den Koalitionsvertrag in Berlin. Dort heißt es:

„Ebenso werden wir die Opfer von Zwangsprostitution mit den Möglichkeiten des Strafrechts noch besser schützen und die Strafbarkeit der Freier der Zwangsprostituierten regeln.“

Das ist ein mutiger Satz. Last but not least die neueste Meldung über den Presseticker lautet: Schweden macht einen Vorstoß gegen Sexkäufer am Rande der Fußball-WM. Das kommt zwar etwas spät und läuft nach schwedischem Muster ab: Die Insider wissen, dass Schweden die Freier, das heißt die Männer, bestraft und nicht die Prostituierten. Wichtiger für uns und für die zukünftige Beratung ist, dass auch die EU-Kommission dabei ist, einen Aktionsplan zur Beseitigung jeglicher Form von Ausbeutung, einschließlich der sexuellen Ausbeutung, zu erarbeiten. Das stünde Europa wirklich gut zu Gesicht.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich komme am Schluss meiner Rede noch einmal auf die Weltmeisterschaft zurück. Ich hoffe, dass die Aktion am Rande der Fußballweltmeisterschaft möglichst konkret Frauen hilft. Ich würde mich freuen, wenn prominente Spieler das unterstützen würden. Ich glaube, dass das ihrer Kondition nicht schadet. Herr Wowereit hat die Schirmherrschaft übernommen; das ist schon gesagt worden. Anpfiff für diese Aktion wird der Internationale Frauentag, der 8. März 2006, sein. Pfeifen wir mit!

(Beifall)

Für die Fraktion der Freien Demokratischen Partei erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Auffassung, wenn es eine interfraktionelle Initiative gibt und beachtenswerte Beiträge der Kollegin Lütkes, die diese Initiative gestartet hat, und der Kollegin Franzen, die dazu beigetragen hat, dass es einen interfraktionellen Antrag gibt, braucht sich hier nicht jeder an seinem Manuskript festzuhalten und alles noch einmal von vorn zu er

zählen. Deshalb möchte ich mich auf die Kernpunkte, die mir ganz besonders wichtig sind, konzentrieren.

Erstens. Herr Kollege Lehnert, ich finde, Sie haben völlig Recht. Das ist ein guter Aufhänger für diese Initiative, aber die Fußballweltmeisterschaft ist irgendwann vorbei und die Zwangsprostitution geht bedauerlicherweise weiter. Auch Ereignisse wie die Kieler Woche sollten in unserem Fokus stehen und auch dort müssen wir mit derselben Härte, mit derselben Schärfe und mit derselben Entschlossenheit dagegen vorgehen, so wir das gerade hier zusammen machen.

(Beifall)

Zwangsprostitution gehört nicht zur Prostitution als anerkannte sexuelle Dienstleistung. Frau Kollegin Lütkes, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, dass sie noch einmal klipp und klar gesagt haben, dass wir hier keine Debatte über das anerkannte Dienstleistungsgewerbe führen, sondern dass es hier schlicht und ergreifend - wenn ich das einmal so sagen darf - um Sklaverei, um Sklaverei an Frauen, geht.

(Beifall der Abgeordneten Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Zwang wird auf die Opfer zumeist durch psychische, physische Gewalt, durch Täuschung, durch Erpressung oder durch Ausnutzung einer Zwangslage sowie Ausnutzung der Hilflosigkeit des Opfers ausgeübt. Dabei stammen die meisten, viele der weiblichen Opfer aus dem osteuropäischen Ausland.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es war der Kollege Lehnert, der darum gebeten hat, sich noch einmal im Ausschuss unabhängig von der gemeinsamen Initiative intensiv mit diesem Thema auseinander zu setzen. Ich möchte mich dieser Bitte anschließen und habe an den Innenminister die Bitte, dass er möglicherweise im Rahmen dieser Debatte oder auch im Rahmen der Ausschussberatung folgende Fragen beantwortet: Ich frage mich, inwieweit die Mitarbeiter der Ermittlungsbehörden bereits bei ihrer Ausbildung mit diesem Thema befasst werden, wieweit sie geschult werden. Wie oft im Jahr führt die Polizei entsprechende Razzien durch? Gibt es ein Zeuginnenbetreuungsprogramm? Wenn ja, wie ist dieses strukturiert? Räumt man den illegal eingereisten Frauen ausreichend Überlegungsfristen ein, damit sie sich entscheiden können, gegen Menschhändler und Zuhälter auszusagen? Wie werden die Frauen nach einer Entdeckung durch die Polizei betreut? Gibt es hier ausreichend muttersprachlich ausgebildete Kräfte?

(Ingrid Franzen)

Ich möchte mit einem besonderen Dank an die Frauenberatungsstelle contra schließen, die für Opfer von Menschenhandel psychosoziale Betreuung und Beratung im Umgang mit den Behörden leistet. Und ich würde mich freuen, wenn wir uns im Ausschuss im Rahmen der Befassung mit diesem Thema die Erfahrungen dieser Frauenberatungsstelle noch einmal anhören könnten.