Protocol of the Session on September 17, 2009

lichkeit dazu, dass man einen fairen Ausgleich für diese Gemeinden finden muss.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Energiepolitik macht nicht nur in Wahlkampfzeiten Spaß, sondern sie ist eine der Zukunftsfragen unserer Gesellschaft schlechthin. Ich glaube nicht - soviel zu den von Ihnen, Herr Minister Biel, vorgelegten Leitlinien -, dass man die Zukunft der Energiepolitik mit Kohle und Kernkraft bestreiten können wird.

(Beifall bei FDP, SPD und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg und bitte das Plenum, gemeinsam mit dem Präsidium Schülerinnen und Schüler des Thor-HeyerdahlGymnasiums aus Kiel sowie deren begleitende Lehrkräfte sehr herzlich zu begrüßen.

(Beifall)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erhält der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Klimawandel stellt uns vor große Herausforderungen, die keinen Aufschub in irgendeiner Form dulden. Es gilt, in der Klima- und Energiepolitik umzusteuern, wenn wir nicht sehenden Auges ins Verderben rennen wollen. Wir haben politische Beschlüsse, wie der Klimawandel gebremst werden soll, und zwar auf internationaler Ebene genauso wie auf nationaler Ebene.

Die nächste große Klimakonferenz findet Ende des Jahres in Kopenhagen statt, und es bleibt abzuwarten, was das Ergebnis der Konferenz sein wird. Dort finden die Verhandlungen über ein umfassendes Klimaschutzabkommen für die Jahre nach 2012 statt, also für die Zeit nach dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls. Es geht dort unter anderem um die weitere Reduzierung der Treibhausgase sowie um die Entwicklung von klimafreundlichen Techniken und die Förderung des Technologietransfers.

Es bewegt sich viel, geredet wurde auch viel, und jetzt gilt es, die erschreckenden Ausmaße des Klimawandels wirklich zu stoppen. Dass dies gänzlich nicht mehr machbar ist, wissen wir. Nach derzeitigem Kenntnisstand der Klimaforscher darf der An

(Dr. Heiner Garg)

stieg der globalen Durchschnittstemperatur 2 % nicht übersteigen. Umso wichtiger ist, dass er gebremst wird. Die Erwartungen an die Klimakonferenz sind entsprechend groß, aber auch die Erwartungen an uns selbst sind groß.

Als Hauptverursacher des Klimawandels tragen die Industriestaaten die größte Verantwortung für den Klimaschutz. Weil gerade die sogenannten Schwellenländer jetzt auf dem Sprung sind und der Energiehunger dort massiv wächst, liegt es auch in unserer Verantwortung, gute Beispiele aufzuzeigen, wie es anders geht. Wir haben das Know-how und die Möglichkeiten, und diese müssen wir nutzen.

Der erste wichtige Schritt ist der Ausstieg aus der Atomenergie. Wir wissen, dass die Atomenergie nicht dazu beiträgt, das Klima zu schützen. Zum einen, weil sie eben nicht CO2-neutral ist, denn die Gewinnung von Uran ist sehr aufwendig, und die Emissionen pro Kilowattstunde schwanken - je nach Herkunftsland der Rohstoffe - zwischen 30 und 160 g CO2. Zum anderen liegt der Anteil der Atomenergie an der Deckung des weltweiten Energiebedarfs bei nur 2,5 %. Würde man den Anteil massiv steigern, wären die begrenzten Uranvorkommen schnell erschöpft.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Atomstrom ist auch nicht billig, wie seine Befürworter immer wieder gern behaupten. In einer aktuellen Studie von Greenpeace wird davon ausgegangen, dass die Nutzung der Atomenergie in Deutschland die Bundesbürger von 1950 bis 2008 mindestens 165 Milliarden € an staatlichen Fördermitteln gekostet hat und noch mindestens 92,5 Milliarden € an Ausgaben hinzukommen werden.

Müssten die Betreiber von Atomkraftwerken für eine Haftpflichtversicherung für den Fall eines nuklearen Unfalls aufkommen - wenn für sie also die gleichen Haftungsregeln gelten würden wie für andere Wirtschaftsbereiche -, dann würde die Kilowattstunde Atomstrom um bis zu 2,70 € teurer werden. Im Vergleich dazu liegt der mittlere Nettostrompreis für Haushalte durchschnittlich bei circa 12 bis 13 ct pro Kilowattstunde. Damit ist Atomstrom weder bezahlbar noch wettbewerbsfähig. Atomstrom ist also nur deshalb billig, weil die Atomkraftwerke abgeschrieben sind und die Kosten vom Steuerzahler getragen werden. Ohne staatliche Subventionen und Garantien sind Atomkraftwerke nicht wirtschaftlich zu betreiben, und deshalb gehören sie abgeschaltet.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Schwerwiegender ist aber die Tatsache, dass Atomenergie keine sichere Energieform darstellt. Die alten Atommeiler sind nicht so sicher, wie es ihre Betreiber und die politischen Atombefürworter immer gern darstellen. Insbesondere wird dies an den beiden Meilern in Krümmel und Brunsbüttel deutlich. Sie zeichnen sich immer wieder dadurch aus, dass sie aufgrund von Störfällen entweder abgeschaltet werden oder bereits über einen längeren Zeitraum abgeschaltet sind.

Daher ist unser gemeinsamer Antrag ein erster richtiger Schritt, um die Position der Aufsichtsbehörden gegenüber den Betreibern zu stärken und um die Atomkraftwerke letztendlich vom Netz zu nehmen. Dass dies bisher nicht geschehen ist, ist keinem Bürger zu vermitteln. Ebenso ist niemandem zu erklären, dass ein Betreiber einer staatlichen Atomaufsichtsbehörde so auf der Nase herumtanzen kann, wie Vattenfall es getan hat. Daher ist es an der Zeit, dass wir ein scharfes Schwert bekommen. Die Hürden für einen Entzug der Betriebsgenehmigung sind derzeit eindeutig zu hoch. Bereits vor zwei Jahren haben wir als SSW uns dafür eingesetzt, dass den Betreibern von Atomkraftwerken die Betriebsgenehmigung leichter entzogen werden kann; damals haben wir noch keine Mehrheit dafür zusammenbekommen.

Diese Lücke im Gesetz muss jetzt geschlossen werden. Es kann nicht angehen, dass ein Atomkraftwerk bei immer wiederkehrenden Verfehlungen weiter betrieben werden darf. Da stimmt etwas nicht in der Gesetzgebung. Wenn die Atomaufsicht nachweisen und dokumentieren kann, dass man seine Atomanlage in der Vergangenheit nicht entsprechend den Bestimmungen betrieben hat, muss sie die Möglichkeit bekommen, die Anlage aufgrund der Vergangenheitswerte zu schließen.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genauso muss es möglich sein, die Atomanlagen erst einmal nur befristet weiter zu genehmigen, wenn Verfehlungen aufgetreten sind.

Ein weiterer wichtiger Punkt des Antrages ist, dass die Übertragung von Reststrommengen ausschließlich von alten auf neuere Atomkraftwerke erlaubt sein soll. Es kann doch nicht angehen, dass die Laufzeiten der Meiler, deren Ende quasi per Gesetz festgelegt ist, künstlich verlängert werden können, indem mit den Reststrommengen gehökert wird. Das Atomausstiegsgesetz ist ein energiepolitischer Erfolg der damaligen rot-grünen Bundesregierung, und das Ziel ist richtig. Zugegebenerma

(Lars Harms)

ßen gibt es aber noch einige Kinken, die korrigiert werden müssen.

Wie soll aber die Energieversorgung nach dem Atomausstieg gewährleistet werden, ohne dass die Lichter bei uns ausgehen? - Wir kommen zumindest kurzfristig nicht um einen Energiemix aus erneuerbaren und fossilen Energieträgern herum. Der Einsatz von Gas wird nur eine begrenzte Rolle spielen, zum einen, weil wir uns sonst in eine Abhängigkeit begeben, die politisch fragwürdig ist, und zum anderen, weil Braun- und Steinkohlekraftwerke heute rund 50 % der Stromgewinnung ausmachen und wir diesen Bedarf nicht mit Gaskraftwerken decken können. Der Bedarf an Gas wäre unerschwinglich hoch, und daher können Gaskraftwerke nur für Einzelfälle vorgehalten werden.

Für den SSW steht daher fest, dass man den begrenzten Einsatz von Kohlekraftwerken nur unter bestimmten Voraussetzungen akzeptieren kann. Dazu benötigen wir einen nationalen „Kohle-Handlungsplan“, der bestimmt, dass Kohle nur eine zeitlich befristete Übergangslösung ist. Wir brauchen wie beim Atomausstieg - ein klares Ausstiegsszenario, in dem genau festgelegt wird, wann das letzte Kohlekraftwerk vom Netz geht. Neue Kohlekraftwerke dürfen nur dann gebaut werden, wenn dafür nachweislich alte Kraftwerke vom Netz genommen und damit eine bessere CO2-Bilanz und mehr Effizienz erreicht werden.

Dort, wo gegebenenfalls neue Kraftwerke entstehen, muss eine entsprechende Infrastruktur vorhanden sein, damit die Abwärme voll genutzt wird. Ohne diese Grundvoraussetzungen werden wir die Errichtung neuer Kohlekraftwerke nicht akzeptieren. Da das geplante Kohlekraftwerk in Brunsbüttel nicht Teil eines solchen nationalen Handlungsplanes ist und dafür kein altes Kohlekraftwerk abgeschaltet wird - das geht aus der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage von mir hervor -, lehnen wir den Bau eines Kohlekraftwerkes dort ab.

In Deutschland sollen in den nächsten Jahren 25 neue Kohlekraftwerke gebaut werden - ohne nationalen Handlungsplan und ohne Ausstiegszenario. Alte Kraftwerke werden nicht in gleichem Umfang stillgelegt. Der BUND hat in einer Analyse herausgefunden, dass den geplanten neuen Kohlekraftwerken in der Größenordnung von bis zu 27.270 MW geplante Stilllegungen in einer Größenordnung von lediglich bis zu 6.917 MW gegenüberstehen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört!)

Das führt unter dem Strich zu einer Steigerung der jährlichen CO2-Emissionen von über 100 Millionen t, und das ist nicht zu akzeptieren.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Letztendlich wäre das wieder einmal die Kapitulation vor den großen Energiekonzernen zulasten der Umwelt und des Klimas. Das ist mit uns als SSW nicht zu machen.

Die ganze Augenwischerei um CO2-freie Kohlekraftwerke auf Basis einer nicht erprobten und nicht ausgereiften CCS-Technologie führt uns dabei auch kein Stück weiter. Im Gegenteil, die CCSTechnologie mit der CO2-Endlagerung ist nur ein Alibi, um diese Energieform mit all ihren negativen Wirkungen weiter nutzen zu können. Aber das Thema haben wir ja anschließend auf der Tagesordnung.

(Unruhe)

Um den Strombedarf zu decken, müssen wir also verstärkt auf den Ausbau erneuerbarer Energien setzen. Da ist es - gerade aus Sicht Schleswig-Holsteins - begrüßenswert, dass Bundesbauminister Tiefensee dies in den Raumordnungsplan aufgenommen hat, um damit den Bau von OffshoreWindparks voranzubringen.

(Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit.

Durch den Bau 40 neuer Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee sollen nach Angaben der Bundesregierung 30.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden; das sind mehr, als bei Kohlekraftwerken je denkbar wären. Schleswig-Holstein wird davon ganz besonders profitieren. Jedoch ist immer noch fraglich, wann mit dem Bau begonnen werden kann. Denn im Ministerium wird davon ausgegangen, dass man sich jetzt erst in einer „ganz frühen“ Phase befinde, in der die Belange in der Meerespolitik verzahnt werden. Das soll heißen, man werde die Umweltbelange frühzeitig klären, zum Beispiel die Frage, wie Seekabel wieder an Land kommen, lösen. So ist es den Medien zumindest zu entnehmen.

Ich frage mich: Was hat die Große Koalition in Berlin so lange aufgehalten? Warum wurden solche

(Lars Harms)

Untersuchungen nicht viel früher in Gang gesetzt? Dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie liegen bereits seit Jahren Anträge für den Bau von Offshore-Windparks vor. Sie sind zum Teil bereits vom BSH genehmigt. Demnach sind alle Fragen hinsichtlich der Seeschifffahrt und der Umweltverträglichkeit bereits seit Jahren geprüft. Warum hat die Landesregierung sich nicht viel früher mit Berlin in Verbindung gesetzt, um solche für Schleswig-Holstein wirtschaftlich und umweltpolitisch relevanten Maßnahmen voranzubringen?

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Jürgen Weber [SPD] und Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Man hätte so etwas viel früher von Großer Koalition zu Großer Koalition auf den Weg bringen und diese Arbeitsplätze, von denen ich gerade gesprochen habe, schaffen können. Berlin hat es verpennt. Berlin ist weit weg von Schleswig-Holstein. Dass unsere Landesregierung dies aber nicht viel stärker vorangetrieben hat, ist ein wirtschafts- und energiepolitisches Armutszeugnis der damaligen Großen Koalition.

Es riecht schon sehr nach Wahlkampf, wenn Minister Tiefensee im Zuge der Atomdiskussionen und der Endlagerdebatten einen solchen Plan aus der Tasche zieht, um künftig 12 Millionen Haushalte mit sauberem Offshore-Strom zu versorgen. Was Herr Tiefensee mit dem Plan jedoch nicht beantwortet hat, ist die Frage, wie der Strom zu den Haushalten gelangen soll. Das sind aber keine Probleme, die erst noch auf uns zu kommen. Fahren sie einmal raus an die Westküste, fragen sie die Windmüller, wie oft die Windkraftanlagen abgeschaltet werden müssen, weil die Netze nichts mehr aufnehmen können. Fragen sie die Windmüller, auf wie viel Geld sie verzichten mussten. Fragen Sie auch die Kommunen, auf wie viel Geld sie bei den Steuereinnahmen verzichten mussten.

Neben den Windmüllern sind aber auch die Betreiber von Biogasanlagen oder von Solarstrom betroffen, die ihren Strom nicht einspeisen können, wenn die Netze ausgelastet sind. Schätzungen beziffern die Verluste allein für den Nordwesten von Schleswig-Holstein auf 17 Millionen € jährlich. Daher muss alles dafür getan werden, damit endlich die notwendigen Netzkapazitäten geschaffen werden. In diesem Zusammenhang bleibt es abzuwarten, welchen Effekt das Gesetz zur Beschleunigung des Netzausbaus haben wird.

Da die E.ON lieber ein Freilandkabel ziehen will und nicht zu bewegen ist, ein Erdkabel zu verle

gen, so wie wir es hier im Landtag beschlossen haben und wie vor allem die Menschen vor Ort es auch wollen, muss über andere Wege nachgedacht werden. Hier bewegt sich die Landesregierung ebenfalls kein Stück und lässt die Investoren und die Menschen im Regen stehen. Wir brauchen schärfere Gesetze, die E.ON wirklich dazu zwingen, ein Erdkabel zu verlegen. Gute Worte haben in der Vergangenheit nicht geholfen.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Die vier größten Stromkonzerne haben eine Monopolstellung. Sie produzieren den Strom, und sie haben die Infrastruktur in Form von Tochterunternehmen in ihrem Besitz. Das ist definitiv keine Basis, auf der sich marktwirtschaftliche Strukturen entwickeln können. Wenn sich diese Strukturen nicht entwickeln können, wenn der Markt also nicht funktioniert, dann muss der Staat eingreifen. Allerdings darf er dies nicht dirigistisch tun und Preisvorschriften machen oder durch Aufsichtsbehörden in die Preisbildung eingreifen. Vielmehr muss er die Grundlagen dafür schaffen, dass der Markt wieder funktionieren kann. Deshalb ist die Vielfalt der Stromanbieter so wichtig. Deshalb ist es noch wichtiger, dass die Infrastruktur nicht in den Händen einiger weniger liegt, die dann den Zugang selbst regeln und die Preise nach eigenem Gutdünken ohne Wettbewerb festlegen können.