Protocol of the Session on September 16, 2009

Mit der Drucksache 16/2859 wird beantragt, den Beschluss des Landtags über die Ausschussüberweisung des Antrags Drucksache 16/2669 aufzuheben und über den in modifizierter Fassung vorgelegten Antrag Drucksache 16/2669 (neu) in der Sache abzustimmen. Ich lasse über diesen Antrag vorab abstimmen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich eröffne damit die Aussprache. Das Wort hat für die antragstellende Fraktion Frau Abgeordnete Monika Heinold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Schleswig-Holstein zahlen Eltern im bundesweiten Vergleich die höchsten Kindertagesstättenbeiträge. Selbst Eltern, die wenig verdienen, werden erheblich belastet. Den meisten Eltern geht es, wenn sie klagen, gar nicht einmal darum, dass sie komplett beitragsfrei gestellt werden wollen, sondern ihnen geht es schlicht darum, dass sie erwarten, dass von ihrem Lohn noch etwas übrig bleibt und nicht alles durch die Kita-Beiträge aufgezehrt wird.

In Quickborn beispielsweise zahlt eine Familie, wenn sie zwei Kinder in der Kita hat, ganztägig einen Krippenplatz und einen Elementarplatz, pro Monat 634 € für die Kindertagesstätten, wenn sie nicht in die Ermäßigung fällt. Ob und in welcher Höhe eine Familie eine Ermäßigung erhält, hängt in Schleswig Holstein weniger vom Verdienst, sondern hängt insbesondere vom Wohnort ab.

Die Bürgerbeauftragte hat zu Recht auf die Schwachstellen der jetzigen Sozialstaffelregelung hingewiesen und hat Änderungen angemahnt. In einigen Kreisen sind Hartz-IV-Familien von der KitaGebühr freigestellt, in anderen nicht. Teilweise erhalten Hartz-IV-Familien einen kostenlosen Platz, Familien, die genauso wenig Einkommen aus einer eigenen Erwerbsarbeit erzielen, aber nicht.

Der Landesrechnungshof hat schon für das Jahr 2005 nachgewiesen, dass die Elterngebühren zwischen den einzelnen Kreisen um bis zu 90 % differieren. So müssen sich im Kreis Plön Eltern mit 71 ct pro Betreuungsstunde an den Kita-Kosten beteiligen, im Kreis Pinneberg sind es über 1,40 €. Damit sind vergleichbare Lebensbedingungen für Familien in Schleswig-Holstein nicht sichergestellt.

Deshalb haben wir im Juni einen Landtagsantrag eingebracht, der die Landesregierung auffordert, zwei Dinge mit den Kommunen zu verhandeln: erstens die grundsätzliche Beitragsfreiheit für Kinder aus einkommenschwachen Haushalten und zweitens eine landesweit einheitliche Sozialstaffel.

Natürlich wissen wir Grünen, dass diese Forderung Konnexität auslösen kann und dass sich Land und Kommunen darüber verständigen müssen, wer die Kosten trägt. Aber wir sagen ganz deutlich: Bevor es Beschlüsse für weitere beitragsfreie Kindertagesstättenjahre gibt, müssen erst einmal die drängenden Probleme der Eltern gelöst werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wir brauchen eine landesweit einheitliche Sozialstaffel, von der mehr Familien profitieren als heute, eine Sozialstaffel, die sicherstellt, dass Familien mit geringem Einkommen landesweit beitragsfrei gestellt werden. Das Problem der ungerechten Sozialstaffel löst sich nicht durch die Absicht, mittelfristig drei Kita-Jahre beitragsfrei zu stellen. Denn die Beitragsfreiheit wäre ja vom dritten bis zum sechsten Lebensjahr für jeweils fünf Stunden geplant, während sich die Sozialstaffel zu Recht auf die volle Betreuungszeit auswirkt, von der Krippe bis zum Hort.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Meine Damen und Herren, wenn Familien in Schleswig-Holstein ihre Kinder aus der Kita abmelden oder gar nicht erst anmelden, weil sie die hohen Gebühren nicht zahlen können, dann müssen wir handeln. Die Stellungnahmen der Experten und Kommunen zu unserem Antrag liegen vor und sind von uns sorgfältig ausgewertet worden. Dass der federführende Bildungsausschuss vertagt hat, statt sich damit zu beschäftigen, hat uns nicht begeistert. Deshalb führen wir ja auch heute die Debatte noch einmal, weil wir sagen, erstens können wir entscheiden, und zweitens sollten wir dies auch vor der Wahl tun und ein deutliches Signal setzen. Die Familien in Schleswig-Holstein haben ein Recht darauf, dass wir uns an dieser Stelle positionieren. Deshalb bitte ich Sie, stimmen Sie unserem Vorschlag zu! Damit bewirken Sie mehr als mit der großspurig eingeführten Familienverträglichkeitsprüfung. Ich weiß nicht, ob sich jemand noch daran erinnert. Anfang der Legislaturperiode ist sie eingeführt worden, und seitdem haben wir, glaube ich, nie wieder etwas davon gehört. Also, lassen Sie uns lieber Dinge verabschieden, die dann auch etwas bringen.

Auch wenn das hier keine Mehrheit fand und mit Sicherheit auch kein Wahlkampfschlager ist, haben wir ja einen Vorschlag zur Finanzierung gemacht. Ich will das hier noch einmal erwähnen: Wir haben vorgeschlagen, die Grunderwerbsteuer um einen Prozentpunkt zu erhöhen. Das sind ungefähr 50 Millionen € - das ist ja von 60 Millionen schon etwas gesunken -, die dann dem Land und den Kommunen voll zur Verfügung stehen würden, um den Bereich der frühkindlichen Bildung in der Qualität zu stärken, aber auch für eine gerechte Sozialstaffelregelung. Lassen Sie uns also ein Zeichen gegen Kinderarmut setzen, einen ersten Schritt für mehr soziale Gerechtigkeit wagen. Dieser Antrag ist keine Revolution, aber er ist der erste Schritt dahin, dass sich das Land und die Kommunen mit dem Problem ernsthaft beschäftigen und Lösungsmöglichkeiten für unsere Familien in SchleswigHolstein suchen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich danke der Frau Abgeordneten Monika Heinold und erteile für die CDU-Fraktion der Frau Abgeordneten Heike Franzen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute vorliegende Antrag zur Sozialstaffelregelung ist Wahlkampfgeplänkel in reinster Form.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

2004 hat die damalige rot-grüne Landesregierung die Bemessungsgrenze für die Sozialstaffel auf 85 % der Regelsätze herabgesetzt, um die Kommunen im Rahmen der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld nicht zu überfordern. Bereits im September 2005 haben wir hier darüber diskutiert.

Wenn wir wollen, dass die Sozialstaffeln angeglichen werden, dann geht das nur zusammen mit den Kreisen und kreisfreien Städten. Sie sind die Träger der Jugendhilfe und nicht das Land. Daher hatten wir uns, nachdem die ehemalige Bildungsministerin mit ihren Verhandlungen keinen Erfolg hatte, bewusst im Bildungsausschuss darauf verständigt, die kommunalen Landesverbände, den Landesrechnungshof und die Wohlfahrtsverbände sowohl schriftlich als auch mündlich anzuhören. Wir wollten alle gemeinsam ein öffentliches parlamentarisches Verfahren. Wir haben heute Morgen gehört, dass der Abgeordnete Puls sehr viel Leidenschaft für solche Verfahren hat. Das scheint bei der SPD aber von gewissen Themen abhängig zu sein.

(Zuruf: Aha!)

Die antragstellenden Fraktionen sind nun ausgeschert. Sie beantragen jetzt, dass die Landesregierung - meine Damen und Herren, wir alle sind nur noch fünf Wochen im Amt - in der Zeit das schafft, was weder eine rot-grüne Landesregierung in 17 Jahren vor dieser Legislaturperiode geschafft noch die SPD-Bildungsministerin in den letzten vier Jahren hingekriegt hat.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: 21 Jahre!)

Ich freue mich über so viel Zutrauen zu unserem Bildungsminister, halte es aber in der Sache für unrealistisch und falsch.

Die Frage nach den Auswirkungen auf den Landeshaushalt ist noch nicht geklärt. Vorhin haben wir gehört, dass die Grünen wirklich Bauchweh hatten, beim Landesplan Niederdeutsch zuzustimmen. Wir wissen hier überhaupt noch nicht, welche Auswirkungen die Veränderungen im § 25 des Kindertagesstättengesetzes hätten. Wir müssen davon ausgehen, dass für die entstehenden Mehrkosten der Kreise und kreisfreien Städte auch das Land auf

(Monika Heinold)

kommen müsste, insbesondere beim Gebrauch der 85 %-Regelung, von der insgesamt nur drei Kreise Gebrauch machen. Der Landesrechnungshof hat dazu bisher keine Aussagen gemacht, aber wir wollen gern wissen, mit welchen Kosten wir an der Stelle zu rechnen haben. Die CDU-Fraktion will zuerst alle Fakten kennen, bevor sie entscheidet.

Meine Damen und Herren, eine einheitliche Sozialstaffel führt im Übrigen nicht - das müssen wir den Eltern auch deutlich sagen - zu einer einheitlichen Be- oder Entlastung. Denn auch die Elternbeiträge der Kindertagesstätten sind davon nicht erfasst. Auch über die plötzliche Eile bei der SPD kann man überrascht sein. Erst kürzlich konnte man der Presse entnehmen, dass Herr Dr. Stegner als erste Amtshandlung alle drei Kindergartenjahre beitragsfrei machen will. Wozu dann die große Eile mit den Sozialstaffeln? Die werden dann zum größten Teil überflüssig sein.

(Zuruf: Sensationell! - Zuruf des Abgeordne- ten Wolfgang Kubicki [FDP] - Beifall bei der FDP-Fraktion - Zurufe von der SPD - Wolf- gang Kubicki [FDP]: Glauben Sie an den Wahlsieg? - Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Ist am Ende vielleicht doch die Erkenntnis gereift, dass es mit der Finanzierung knapp werden könnte? Bis jetzt hat sich die SPD noch nicht erklärt, wie sie den Landeshaushalt sanieren und gleichzeitig 70 Millionen € zusätzlich aufbringen will.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Sie können sich ja zu Wort melden, Herr Dr. Stegner.

Dazu gibt es drei Wege: Der erste Weg ist, Steuern zu erhöhen, der zweite ist, Schulden zu machen, und der dritte ist, anderen die Zuweisungen zu kürzen. Vielleicht können Sie uns eine Antwort darauf geben, welchen Weg Sie gehen wollen.

(Unruhe)

Die Kreise und kreisfreien Städte sind in ihrer kommunalen Verantwortung bisher verantwortlich mit den Bemessungsgrundlagen und den Sozialstaffeln umgegangen.

Der Landesrechnungshof hat deutlich gemacht, dass ein einheitlicheres Vorgehen auch zu Synergieeffekten bei den Kommunen führen kann. Darüber wollen wir mit dem Vertretern der Kommunen reden und werden an einem gemeinsam vereinbarten Verfahren festhalten und im Bildungsausschuss

des nächsten Landtags eine mündliche Anhörung beantragen.

Ihrem Antrag werden wir heute in der Sache nicht zustimmen. Ich denke, dass sich nach der Wahl die Gemüter wieder beruhigt haben, um zu sachlicher Arbeit zurückzukehren. Die CDU-Fraktion folgt jedenfalls der Beschlussempfehlung des Ausschusses.

(Beifall bei der CDU - Zuruf des Abgeordne- ten Andreas Beran [SPD])

Ich danke der Frau Abgeordneten Heike Franzen und erteile für die SPD-Fraktion der Frau Abgeordneten Astrid Höfs das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kinderarmut ist das größte sozialpolitische Thema der Gegenwart und muss auf allen Ebenen als Kernaufgabe der Politik betrachtet werden. Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten hat in ihrem Tätigkeitsbericht hervorgehoben, dass die sogenannte 85 %-Regelung im Kita-Gesetz groteske Folgen hat. Wir haben auch in der letzten Landtagstagung schon darüber diskutiert. Wenn eine fünfköpfige Familie von Hartz IV leben muss, ist es schon sehr grotesk, wenn für zwei Kinder im Kindergartenalter ein Monatsbeitrag von 136 € gezahlt werden muss.

Die Regel, wonach es möglich ist, bei der Ermittlung der Belastungsgrenzen für die Erhebung von Kita-Gebühren nur 85 % der Regelsätze nach SGB XII anzurechnen, war von vornherein umstritten. Es ist richtig: Wir haben sie damals zur Entlastung der Kommunen akzeptiert und durchgesetzt, aber sie ist auch mit einer Überprüfungsklausel versehen worden.

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass von den 15 Kreisen und kreisfreien Städten nur drei Kreise diese Möglichkeit überhaupt anwenden, wohlgemerkt nur drei Kreise.

(Beifall bei SPD und SSW)

Dadurch wird aber der Flickenteppich noch unüberschaubarer, über den Eltern sowohl innerhalb unseres Bundeslandes als auch bundesweit zu gehen haben und der die finanzielle Belastung durch Kindergartenbeiträge so unüberschaubar gestaltet.

Dieser Landtag ist heute leider nicht mehr in der Lage, die Novelle des Kindertagesstättengesetzes auf den Weg zu bringen. Was wir aber tun können

(Heike Franzen)

und nach meiner Überzeugung auch tun müssen, ist, ein Signal auszusenden, das sich sowohl an den Landtag der 17. Legislaturperiode richtet, aber auch an die Öffentlichkeit, vor allen Dingen an die Eltern.

(Beifall bei SPD und SSW)

Dieses Signal heißt zunächst, das Kindertagesstättengesetz so zu überarbeiten, dass aus § 24 die mögliche Anrechnung von nur 85 % der Regelsätze nach SGB XII bei der Ermittlung der Belastungsgrenzen für die Erhebung von Kita-Gebühren gestrichen wird.

Natürlich können wir dabei aber nicht stehenbleiben. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen die gänzliche Beitragsfreiheit für alle drei Kita-Jahre bis zu einem Betreuungsumfang von bis zu fünf Stunden pro Tag.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Henning Höppner [SPD] und Dr. Ralf Stegner [SPD])