Ich möchte aber sagen, dass die jetzige aktuelle Situation in Krümmel nicht einzelne politische Parteien wieder dazu animieren sollte, alte ideologische Konzepte aufzuwärmen und Angst zu schüren. Dazu eignen sich diese Ereignisse nicht. Das wäre unverantwortlich.
Auch solche Aussagen wie „Endlich geht es der Atom-Lobby an den Kragen!“, oder dass die AtomLobby als kriminelle Bande bezeichnet wurde, oder das Deutsche Atomforum gehöre „auf den Misthaufen der Geschichte“ tragen nicht dazu bei, das Thema sachgerecht zu diskutieren. Das gesteht sogar der Minister Gabriel ein, wenn er im vorletzten „Spiegel“ bemerkt: Natürlich ist das alles Wahlkampf. Das wird hier ja auch von der SPD gesagt.
Bemerkenswert ist doch, dass die Sozialdemokraten und auch die Grünen, die heute der Kernenergie in Bausch und Bogen den Garaus machen wollen, in den 60er- und 70er-Jahren zu den glühendsten Verfechtern dieser Energie gehörten. Die Atomeuphorie kannte in jenen Jahren keine Grenzen. Nur wenige Wochen vor dem Ölpreisschock im Oktober 1973 hat die sozial-liberale Bundesregierung noch den massiven Ausbau der Kernenergie gefordert. Was passierte dann? - Dann kam die Anti-Atomkraft-Bewegung. Die Proteste wurden immer bedeutender. Und im Februar 1975 verloren die Sozialdemokraten ihr ursprünglich realistisches Konzept und haben sich vom Realismus in Ideologie begeben. Ich empfehle den Sozialdemokraten, nicht weiterhin die Ideologie zu einem Szenario für Angst zu entwickeln. Ein Weg in die Sachlichkeit ist notwendig.
Am Sonnabend, dem 4. Juli 2009 - das wurde bereits von den beiden Vorrednern gesagt -, wurde das Kernkraftwerk Krümmel um 12:02 Uhr durch eine Reaktorschnellabschaltung heruntergefahren. Als Ursache galt zumindest bisher ein Kurzschluss in einem der beiden Transformatoren. Dieser befindet sich außerhalb des eigentlichen Kraftwerkes, hat also nichts mit dem eigentlichen Kernreaktor zu tun. Das in der Folge ausgetretene Öl wurde zum größten Teil in der dafür vorgesehenen Wanne aufgefangen. Es entstand auch bei dem Ereignis kein Sicherheitsproblem für Leib und Leben. Sonst hätte der Kernreaktor abgestellt werden müssen.
In Schleswig-Holstein hat unser Ministerpräsident Peter Harry Carstensen bezüglich der erneuten Pannen deutliche Worte gefunden, die das ausdrücken, was die überwiegende Mehrzahl der SchleswigHolsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen darüber denkt: Die Geduld mit der Betreiberfirma Vattenfall ist langsam erschöpft. Die Betreiber in Krümmel haben jetzt noch genau eine Chance. Sollte dann ein sicherer und störungsfreier Betrieb von Krümmel nicht garantiert werden, und sollten die Anforderungen an ein qualifiziertes Management und an eine qualifizierte Informations- und Kommunikationspolitik nicht erfüllt werden, sind entscheidende Konsequenzen zu ziehen.
In diesem Fall kann das nach 33 Betriebsjahren nur das endgültige Aus für das Kernkraftwerk in Krümmel bedeuten, insofern natürlich alle gesetzlichen Vorgaben erfüllt sind.
Noch ein Wort zu der Überprüfung der 67.000 Brennstäbe. Dies ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, für die lediglich eine Vermutung besteht. Jedes Jahr kommt es vor, dass einzelne Brennstäbe defekt sind. Hieraus die Stilllegung abzuleiten, wäre reiner Aktionismus.
Die Vorgänge in Krümmel sind nicht zu vergleichen, Herr Hentschel, mit den Problemfällen Vattenfalls in Schweden. In den vergangenen zwei Jahren kam es dort zu 60 meldepflichtigen Ereignissen, und seit Ende vergangenen Jahres gab es dort allein zwei dieser Ereignisse von höchster Gefahrenstufe. Auch dort wurde der Konzern durch die schwedische Regierung unter verschärfte Aufsicht gestellt. Wenn es zutrifft, dass dort seit Jahren Sicherheitsmaßnahmen vernachlässigt wurden, so ist dies schon lange keine Bagatelle mehr, sondern ein Skandal.
Welche Rolle spielt nun der zuständige Bundesumweltminister? - Am Montag, dem 6. Juli, forderte er noch medienwirksam eine einheitliche Atomverwaltung. Der Bund sollte eine Atomaufsicht einführen, die wirklich alle 17 Atomkraftwerke umfasst, so Gabriel. Die Halbwertszeit dieser Meldung betrug nur wenige Stunden. Denn den Ländern die Atomaufsicht zu entziehen und sie beim Bund anzusiedeln, stieß nicht nur auf Widerspruch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern auch in unserem Land, bei Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen und gleichzeitig bei der damals noch für die Atomaufsicht zuständige Sozialministerin Gitta Trauernicht. Der gleiche Bundesumweltminister führte im „Spiegel“ Nummer 5 vom 28. Januar
„Selbst wenn wir bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 30 % an erneuerbaren Energien hätten, müssten immer noch 70 % unseres Energiebedarfs gedeckt werden. Das allein mit Erdgas zu tun, wie es die Grünen und manche Öko-Verbände fordern, käme Industrie und Verbraucher teuer zu stehen.“
Doch wie ist die aktuelle Lage in Deutschland? Ich denke, wir müssen auch über die schleswig-holsteinischen Grenzen hinaus denken, auch wenn es für uns natürlich fundamental wichtig ist, gerade im Bereich der regenerativen Energien und im Zusammenhang mit der Kernenergie unsere schleswig-holsteinische Energiepolitik zu entwickeln. Die Windenergie steuerte in Deutschland im vergangen Jahr 2008 ganze 6,7 % zum Strommix bei, und zusammen mit Biomasse, Wasserkraft, Fotovoltaik wurden gerade einmal 15 % aus erneuerbaren Energien erreicht. Dem stehen 85 % konventionell erzeugte Energie gegenüber, die sich aufschlüsseln in etwa 23 % Kernenergie, knapp 43 % Kohle, knapp 14 % Erdgas und 5,3 % Heizöl und sonstige.
Folgte man der SPD, müssten bis 2021 alle 17 deutsche Kernkraftwerke vom Netz. Sie erbringen zurzeit 21.000 MW Leistung. Sehr geehrte Kollegen von der SPD, wie wollen Sie diese 21.000 MW kurzfristig, bis zum Jahr 2021, ersetzen? Sie müssen sich zu einer klaren Aussage durchringen, und diese Aussage wird nicht einfach sein. Auf jeden Fall nur zu fordern, dass es regenerative Energien tun müssten, ist nicht glaubwürdig, weil ja bisher eine große Lücke besteht.
Es ist selbstverständlich richtig, am weiteren Ausbau der regenerativen Energien festzuhalten. Zu einer realistischen Sichtweise gehört aber auch, dass sie die fast zwei Drittel Stromproduktion, die auf Kohle und Kernenergie entfallen, auf absehbare Zeit nicht ersetzen können. Hinzu kommt bei den Gaslieferungen eine Unsicherheit, die auch aufgrund der Lieferungen aus Russland entsteht. Wir alle erinnern uns an den Lieferstopp für die Ukraine im letzten Jahr, als auch andere Länder kein Gas bekamen, die erbärmliche Kälte kaum aushalten konnten. Einer Zusicherung, dass so etwas nie wieder passiere, muss man schon hundertprozentig Glauben schenken können, wenn man will, dass Russland der Hauptlieferant für Erdgas wird.
Herr Kollege Ritzek, wenn Sie die derzeitige Stromerzeugungsstruktur auf absehbare Zeit für so unveränderlich halten das haben Sie gesagt -, dann möchte ich Sie fragen: Sind Ihnen eigentlich die Beschlüsse der Bundesregierung, die sogenannten Meseberger Beschlüsse, bekannt?
Kurz zusammengefasst ist das: 10 % weniger Stromverbrauch, Steigerung der KWK auf 25 %, Steigerung der Erneuerbaren auf 30 % bis zum Jahre 2020. Das sind die Beschlüsse der Bundesregierung. Meine Frage ist: Wie kann das in Übereinstimmung stehen mit Ihren eben gemachten Ausführungen?
- Die Beschlüsse sind bekannt. Dass wir generell den Energiebedarf senken müssen und dass wir mit allen Maßnahmen Effizienzerhöhung, Effektivitätserhöhung, CO2-Ausstoss-Reduzierung und so weiter vorantreiben müssen, ist allen bekannt. Das ändert aber nichts an den Aussagen, dass zurzeit die Lücke, die durch den Ausfall der Kernenergie entstehen würde, durch die regenerativen Energien nicht geschlossen werden könnte.
Ich komme noch einmal zurück zur Sicherheit der Kernkraftwerke. Vor gut einem Monat verständigten sich Bund und Länder auf darauf, bis zum Jahr 2011 die Sicherheitsanforderungen an deutsche Kernkraftwerke zu erhöhen. Das neue kerntechnische Regelwerk soll strenger und präziser werden, und das ist zu begrüßen.
In Deutschland laufen noch 17 Kernkraftwerke, weltweit sind es etwa 450, in Europa, einschließlich Russland und Ukraine, knapp 200. In Frankreich liefern 59 Kernreaktoren 77 % des französi
schen Stromes, was es Frankreich ermöglicht, den CO2-Ausstoß deutlich unter den deutschen CO2Ausstoß zu bringen. Es ist aber nicht nur der Bestand von 196 Kernkraftwerken. Vielmehr sind derzeit 14 Kernkraftwerke in unserem näheren Umfeld in Europa im Bau. Natürlich werden dadurch auch alte Kernkraftwerke ersetzt. Allerdings werden auch neue Kernkraftwerke entstehen. Schweden, das Baltikum, auch Italien kehren zu den Kernkraftwerken zurück. Alle diese Länder verschließen sich nicht den Anforderungen an einen Energiemix, insbesondere auch bezüglich des CO2Ausstoßes und der Kyoto-Auflagen.
Diese Länder bauen auf den Ausbau der Kernenergie. Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren, nun ein Zitat einer hohen Persönlichkeit anbieten Sie werden vielleicht wissen, von wem es ist -:
„Ich finde es erstaunlich, dass unter allen großen Industriestaaten der Welt, von den USA bis China, von Japan und Russland, die Deutschen die Einzigen sind, die glauben, sie könnten ohne Kernkraft auskommen. Die große Mehrheit aller Staaten der Welt, aller Parlamente und Regierungen ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses Risiko ethisch vertretbar sei. Ich wundere mich darüber, dass allein Deutschland zu einem anderen Ergebnis kommen möchte.“
In der Tat, auch auf dem letzten G-8-Gipfel im Erdbebengebiet von Italien setzten Industrie- und Schwellenländer der Erderwärmung eine verbindliche Grenze. In diesem Zusammenhang hat auch Obama, der amerikanische Präsident, mitgeteilt, dass er, um das Ziel zu erreichen, weitere Kernkraftwerke bauen wird.
Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage hat das Thema Atomkraft trotz der jüngsten Pannen im Atomkraftwerk Krümmel für zwei Drittel der Bundesbürger keine große Bedeutung. Deshalb sollten wir zur
Sachlichkeit zurückkehren und hier keine Emotionen schüren. Die Bürger sind auch aufgrund der modernen Mediengesellschaft wesentlich besser informiert über das, was in dem gesamten Feld der Energiepolitik entschieden wird. Bestimmte Fakten dürfen nicht vernachlässigt werden. Der Betrieb von Kernkraftwerken vermeidet jährlich etwa 150 Millionen t CO2 allein in Deutschland - und das entspricht fast dem gesamten Ausstoß an CO2 des Autoverkehrs in Deutschland. Weltweit vermeidet die Kernkraft mit den etwa 450 Kernreaktoren ungefähr 2,5 Milliarden t CO2, also knapp 10 % des gesamten CO2-Ausstoßes in der Welt.
Gerade auch in Zeiten steigender Energiepreise muss es ein wesentliches Ziel sein, den Bürgern bezahlbare Energie zur Verfügung zu stellen. Eine Kilowattstunde Strom aus Kernkraft kostet heute 3,5 Cent, bei der Windkraft auf See wären es 16,1 Cent. Sicherlich kann man dies wollen. Die Ehrlichkeit gebietet es aber, dem Bürger auch zu sagen, dass mit den regenerativen Energien Preiserhöhungen auf sie zukommen.
Auch die Nabucco-Pipeline mit Kosten von etwa 10 Milliarden €, die Ostsee-Pipeline mit Kosten von etwa 6 Milliarden € und auch der Strom aus Nordafrika mit geplanten Kosten von 400 Milliarden € werden unsere Stromrechnung erhöhen müssen; denn wir müssen das Geld aufbringen.
Derzeit rechnen sich alle Formen der erneuerbaren Energien nur mithilfe von Subventionen für die Betreiber. Die Subvention der erneuerbaren Energien durch die Stromverbraucher beträgt derzeit 7 Milliarden € pro Jahr - in Deutschland Tendenz steigend.
Meine Damen und Herren, für die CDU kann ich feststellen, dass es keine Nibelungentreue zur Kernenergie gibt. Wir halten sie aber, wie Minister von Boetticher schon gesagt hat, für eine Übergangstechnologie, auf die wir, zumindest derzeit, noch nicht verzichten können. Gleichzeitig sagen wir, dass die Sicherheit der Menschen auch beim Betreiben der Kernkraftwerke für uns oberste Priorität hat.
Kernkraftwerke, die nicht sicher sind, gehören abgestellt - nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Betreiberfirma Vattenfall das Kraftwerk in Krümmel nicht in den Griff bekommt, so muss es unter Berücksichtigung aller gesetzlichen Vorgaben -geschlossen werden. Die CDU steht für eine sachliche Diskussion unverändert zur Verfügung.
Zum Schluss komme ich zum Antrag. Punkt 1 des Antrags der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten des SSW können wir unterstützen. Die Punkte 2, 3 und 4 möchten wir an den Ausschuss überweisen.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek und erteile für die SPD-Fraktion der Frau Abgeordneten Dr. Gitta Trauernicht das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst ein Wort zu dem interessanten Entré des neuen Ministers für Atomaufsicht sagen: Herr Kollege Boetticher, Sie haben sich als atomkraftkritischer Minister geoutet. Ich begrüße dies außerordentlich; denn nur mit dieser Haltung kann man wirklich Atomaufsicht betreiben, die der Sicherheit der Menschen dient.