Protocol of the Session on September 30, 2005

Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag und insbesondere auch mit unserem Vorschlag, dass wir uns selbst als Botschafter und Botschafterinnen für Europa verstehen sollten, ist nicht notwendig - wenn ich das vielleicht sagen darf, lieber Herr Fischer; es kommt jetzt nämlich etwas Freundliches - ein Neubeginn der Europapolitik des Parlaments verbunden. Im Gegenteil möchte ich ausdrücklich sagen, dass die Arbeit gerade des Europaausschusses in den letzten Legislaturperioden unter Vorsitz meines Vorredners, Herrn Fischer, fortzusetzen ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Bei aller Kontinuität haben wir zu Recht immer wieder eine neue Zusammensetzung des Parlaments, parlamentarische Erbhöfe sollte es auch nicht geben. Insofern ist es notwendig, sich wechselseitig immer wieder zu versichern, dass wir gemeinsam auf diesem Weg sind und den europäischen Bildungsauftrag erfüllen und fortentwickeln müssen. Deshalb stellen wir unsere Anträge.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Lütkes. Herr Minister Döring hat die Bereitschaft zur Erstellung eines schriftlichen Berichts durch heftiges Kopfnicken kundgetan. Der Bericht wird den Fraktionen zugehen. - Danke schön.

Das Wort für die CDU-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben gesagt, das Thema Schaffung einer europäischen Identität, den Komplex Bildung und den Antrag der CDU hätte man problemlos zusammenfassen können. Aber man kann es in den Ausführungen miteinander verbinden, was ich tun werde.

Nie wird der Prozess zur Gestaltung der Europäischen Union zu Ende gehen. Dies sagt schon der Begriff „Prozess“. Das gilt für die gesamte Europäische Union mit den 25 Mitgliedern, das gilt auch für die Regionen innerhalb der Europäischen Union, die besondere Schwerpunkte herausarbeiten. Das gilt also auch für unser Land in der gesamten Ostseeregion, speziell in der Region Südliche Ostsee und in der Zusam

menarbeit mit den Ländern der Nordsee-Region. Die gegenwärtige Krise der Europäischen Union reicht tief, sie ist aber auch eine Chance zur Erneuerung. In der Vergangenheit hat die Europäische Union ihr ursprüngliches Ziel, den Frieden zu bewahren, in beeindruckender Weise erreicht. Natürlich ist der Frieden auch heute eine Vorbedingung, ja erstes Ziel für das Zusammenleben in der Europäischen Union. Aber darin liegt auch das Problem. Ein innereuropäischer Krieg gilt heute als so unwahrscheinlich, dass seine Vermeidung von den meisten nicht mehr als eine besondere Leistung der Europäischen Union anerkannt wird. Deshalb werden mehr und mehr die Defizite der EU wahrgenommen wie der technokratische Stil des Einigungsprozesses, das hartnäckige Verhandeln jeweiliger Eigeninteressen, das Fehlen des neuen Budgets für den neuen Zeitraum und so weiter.

Der Prozess der politischen Vereinigung wurde in der Vergangenheit zunächst von einer kleinen Elite getragen. Heute stellt die Teilhabe möglichst aller Bürgerinnen und Bürger die Voraussetzung für die Stärken der europäischen Regionen dar. Auch unser Land Schleswig-Holstein wird nicht nur einen Beitrag zur Überwindung der gegenwärtigen Krise leisten, sondern wir werden auch unseren bisherigen erfolgreichen Weg zur Stärkung der europäischen Integration und zur Herausbildung regionaler europäischer Identität insbesondere im Ostseeraum unbeirrt und mit neuen Ideen fortsetzen.

(Beifall bei CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Schaffung regionaler europäischer Stärke und Identität muss alle Bevölkerungsgruppen erreichen mit unterschiedlichsten Instrumenten und Inhalten. Einschränkungen auf die Bildung, so wie Sie es in Ihrem Antrag herausgestellt haben, ist nur ein Segment aller Bemühungen, was ich auch zu Beginn meiner Ausführungen schon gesagt hatte.

Einige politische Schwerpunkte im Prozess der Gestaltung der europäischen Regionen seien kurz genannt. Die Europäische Union gewinnt die Stärke aus der regionalen Identität. Europa kann sich nur von dort her entwickeln, wo Menschen leben, von den Städten und Gemeinden her. Es muss deshalb gelingen, das wichtigste Glied der Kette im europäischen Prozess, die Bürgerinnen und Bürger, von den Zielsetzungen und Handlungsweisen der Europäischen Union zu überzeugen. Ein elementares Instrument dazu ist die Erhaltung der kommunalen Selbstverwaltung und deren Verankerung im EU-Vertrag, was auch geschehen ist. Kommunale Selbstverwaltung ist das Recht und die tatsächliche Fähigkeit der Kommu

(Manfred Ritzek)

nen, im Rahmen der Gesetze einen wesentlichen Teil der öffentlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zum Wohle ihrer Bürgerinnen und Bürger zu regeln. Dazu gehört insbesondere auch die strikte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, zu dem wir nachher noch einiges sagen werden.

Ein weiteres Instrument zur Stärkung des Europas der Regionen für Schleswig-Holstein ist der Ausschuss der Regionen, der AdR, in dem wir mit einer Stimme jetzt durch unseren Europaminister, Herrn Döring, vertreten sind. Wir werden uns in unserem Europaausschuss stärker mit den Inhalten befassen müssen, nicht nur mit Stellungnahmen und Diskussionen zum jeweiligen Protokoll einer bereits stattgefundenen AdR-Sitzung. Wir müssen uns im Vorfeld der Tagungen mit dem Inhalt der Tagesordnung und dem vorgeschlagenen Abstimmungsverhalten durch unser AdRMitglied befassen. Ich begrüße es außerordentlich, Herr Minister, dass Sie im Ausschuss bereits definitiv gesagt haben, dass Sie uns, sofern es möglich ist, immer eine Vorabinformation über die Tagesordnungspunkte der anstehenden AdR-Sitzung geben werden, um es bereits im Vorfeld zu besprechen. Nochmals herzlichen Dank für diese Bereitschaft.

Es ist auch ausdrücklich zu begrüßen, dass der AdR in seinem letzten Protokoll zum Thema Dezentralisierungsprozess in der Europäischen Union und Bedeutung der kommunalen regionalen Selbstverwaltung fordert, dass die EU das Prinzip der Selbstverwaltung beachten muss. Solche Forderungen durch den AdR sind echte regionale Forderungen, die der Aufgabe des AdR entsprechen. Von großer Bedeutung ist die Kooperation mit den Nachbarregionen, für uns insbesondere der Ostseeregion mit den elf Ostseeanrainerländern mit einem Einzugsbiet von fast 330 Millionen Menschen, und unsere Initiative „Parlamentsforum Südliche Ostsee“, das gerade in der letzten Woche zum dritten Mal in Binz abgehalten worden ist.

Von entscheidender Bedeutung für unsere europäische Regionalpolitik ist die Solidarität zwischen den Ländern und den Regionen, so wie diese Solidarität auch in der von der EU definierten Kohäsionspolitik zum Ausdruck kommt. Die Solidarität ist ein Symbol der europäischen Idee, so geschrieben in Artikel 158 des Verfassungsentwurfs. Wir werden die Ostseeoffensive fortsetzen und weiterentwickeln. Vieles ist schon getan worden. So zeigt Schleswig-Holstein vor Ort Flagge, das war das ursprüngliche Ziel der seit 1995 und in den Folgejahren eröffneten schleswigholsteinischen Verbindungsbüros in Tallinn, Riga, Vilnius, Malmø, Königsberg und Danzig. Wir brauchen von unserer strategischen Lage her diese Repräsentanzen, wir nutzen sie, wir können und werden

diese Zusammenarbeit noch verbessern. Im letzten Europabrief wurden die genauen Adressen noch einmal bekannt gegeben - ein kleiner Schritt, aber ein sehr guter Schritt von Ihnen, Herr Minister. Ich danke Ihnen auch dafür.

Wir müssen die Leistungen, die erbracht worden sind und die wir noch erbringen werden, erbringen, die auch immer mit unseren Menschen, jung und alt, verbunden sind, und der Allgemeinheit noch mehr ins Bewusstsein bringen. Das ist europäisches Gestalten, das ist europäische Stärkung unserer Regionen.

Nur einige Aktionen in diesen Regionen seien genannt: die Errichtung eines deutschen Konsulats in Königsberg - das haben wir hier im Landtag vehement und einstimmig gefordert -, der Aufbau einer Polizeikooperation mit den baltischen Staaten, die Durchführung von Jugendtreffen, auch gerade wieder in Binz mit sechs Jugendlichen aus unserem Bundesland, der Austausch von Beschäftigten mit der Königsberger Gebietsverwaltung, die Ausrichtung von Fachmessen im Baltikum, die Entwicklung von Hochschulkooperationen, Professorenaustausch und viele andere Projekte wie Teilnahme an internationalen Veranstaltungen der Europa-Union, bei anderen Institutionen, Teilnahme an Grenzlandveranstaltungen, Grenzlandbereisungen und Teilnahme am Europatag. Besonders zu erwähnen - das ist auch von Ihnen, Herr Minister, schon gesagt worden - sind auch die 25 Europaschulen in unserem Land.

Nur mit einer uneingeschränkten Zustimmung durch Schulleitung, Lehrerkollegium, Elternschaft und Schüler sind die besonderen Anforderungen an eine Europaschule umzusetzen. Neben Arbeitsgemeinschaften mit europäischen Inhalten, mit Diskussionsrunden zu tagespolitischen Entwicklungen in Europa ist der Schüler- und Lehreraustausch ein wichtiges inhaltliches Fundament der Europaschulen.

Unser Land hat Schwerpunkte gesetzt. Unsere Beteiligung an der Umsetzung dieser Schwerpunkte und immer neue Ideen dürfen nicht nachlassen. Sie kann und muss auf allen gesellschaftlichen Ebenen, die von uns beeinflusst werden können, intensiviert werden.

„Europa ist gut für uns alle, nur gemeinsam können wir uns auf den Weg nach Europa machen“ lautet ein abgewandeltes Zitat von Minister Döring in der Informationsmappe „Schleswig-Holstein - Ostseeregion - Europa“.

Meine Damen und Herren, machen wir uns auf den Weg! Beteiligen wir uns umfassend an der Gestaltung von Europa! Ich bitte um Überweisung an den Europaausschuss.

(Beifall bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Rolf Fischer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte ist die Fortsetzung unserer Diskussion über die Zukunft des europäischen Projekts, das eindeutig durch die Ablehnung der Verfassung in eine Krise geraten ist. Damals haben alle Fraktionen unter anderem die Bürgerferne, die Anonymität, die fehlende Transparenz Europas kritisiert und wir legen nun mit diesem Antrag eine klare Perspektive vor, wie wir als europäischer Akteur diese negativen Faktoren verändern wollen und werden. Damit liegen wir übrigens durchaus in einem europapolitischen Mainstream; ich möchte es einmal so nennen. Denn aus der Ratifikationskrise ist überraschenderweise eine echte Europadebatte geworden.

Der Schock, der die Eliten in der EU traf, ist der Erkenntnis gewichen, dass mehr denn je die Bevölkerung in den Prozess der Weiterentwicklung Europas einbezogen werden muss. Das war die eigentliche Botschaft der negativen Referenden und die ist - so denke ich - verstanden worden. Insofern hat die Krise tatsächlich etwas Gutes gebracht: Sie war und ist eine Chance zur Stärkung der Bürgerbeteiligung im weiteren europäischen Einigungsprozess.

Es entsteht langsam, aber sicher so etwas wie eine europäische Öffentlichkeit. Diese macht es uns leichter, für eine Stärkung der europäischen Identität zu werben. Wir in Schleswig-Holstein, meine Damen und Herren, wollen dies ganz konkret tun, indem wir uns als politische Zielvorgabe für die Stärkung des Europas der Regionen einsetzen. Denn eines ist klar: Identität entsteht, wenn sich Menschen im eigentlichen Wortsinne mit einer Sache identifizieren; Frau Kollegin Lütkes hat dazu die richtigen Worte gefunden.

Das heißt, die Menschen müssen sich mit Motiven, Zielen und Instrumenten einverstanden erklären; sie müssen es zu ihrer Sache machen. Das aber kann nur gelingen, wenn sie beteiligt werden und die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu äußern, und diese Meinung auch berücksichtigt wird.

(Beifall des Abgeordneten Manfred Ritzek [CDU])

- Ja, Sie können an dieser Stelle ruhig applaudieren.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Die Aussage war richtig.

(Peter Eichstädt [SPD]: Das war nicht die einzige!)

- Danke schön. Es folgen noch mehrere.

Um dies zu gewährleisten, werben wir mit unserem Antrag für ein Europa der Regionen, das die Menschen nicht im fernen Brüssel, sondern direkt vor ihrer schleswig-holsteinischen Haustür finden. So können wir am besten vermitteln, was Europa in Zukunft sinnvollerweise sein soll, nämlich eine Chance für die Menschen.

Die Region ist längst Teil, ja Akteur in Europa. Das allerdings wird noch zu wenig registriert und wahrgenommen und deswegen fällt es den Menschen schwer, sich mit Europa zu identifizieren.

Die erste Botschaft muss also sein: Region und Europa widersprechen sich nicht. Die Stärkung des regionalen Bewusstseins und die Stärkung des europäischen Bewusstseins sind zwei Seiten einer Medaille, wenn es darum geht, Identität zu schaffen.

Starke Regionen sind der beste Schutz vor Konzentrationsabsichten auf europäischer Ebene. Dieser Aspekt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist im Verfassungsvertrag übrigens sehr gut geregelt gewesen. Insofern ist es schade, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht umgesetzt wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erfahren Europa jeden Tag: auf dem heimischen Wochenmarkt, in Musik und Literatur, in Sportveranstaltungen, in Schul- und Klassenpartnerschaften bis hin zum Tourismus. Ich möchte einen weiteren Punkt nennen, der manchmal übersehen wird: Wir erfahren Europa auch in den Debatten über religiöse Vielfalt oder multikulturelles Leben. Das ist nicht immer einfach, aber Realität. Auch die Inhalte und der Stil dieser Debatten formen unser europäisches Bild.

Europa der Regionen bedeutet: Wir verstehen uns als Teil Europas, in das wir unser Selbstverständnis, unsere Stärken einbringen. Dazu gehört der Bildungsbereich, aber das ist nur ein Teil. Insofern können wir das im Ausschuss vertiefen und ich stimme auch zu - nicht nur, weil mir häufig eine Tendenz zur Harmonisierung unterstellt wird -: Wir können ein europapolitisches Thema, das schwierig zu erklären ist, nur vermitteln, wenn eine Gemeinsamkeit zwischen den großen Fraktionen, zwischen den kleinen Fraktionen und den Parlamentariern in einem Parlament besteht. Denn die Menschen haben kein Verständnis dafür, wenn wir uns an dieser Stelle schon streiten und dann noch komplizierte Dinge erklären wollen. Dann können wir mit dem Thema Europa

(Rolf Fischer)

gleich aufhören. Von daher ist Gemeinsamkeit an dieser Stelle dringend geboten.

(Beifall bei SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, als Stichworte - ich mache es kurz - sind auch der Arbeitsmarkt und die Sozialpolitik zu nennen. Aber auch die Minderheitenpolitik spielt hier eine Rolle. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Wir haben mit dem Europäischen Minderheitenzentrum in Flensburg eine europaweit anerkannte Institution, die hier vielleicht zu wenig genannt wird und an dieser Stelle einmal genannt werden soll.

(Beifall)

Dazu gehört auch unsere Nord- und Ostseekooperation, die uns die Konkurrenz der europäischen Regionen erfolgreich bestehen lässt.

Die zweite Botschaft ist: Wir müssen die europapolitischen Instrumente unseres Landes weiter schärfen, das heißt, wichtig ist und bleibt die selbstbewusste Behauptung der eigenen regionalen und politischen Interessen. Es geht also darum, den eigenen Standort in Europa deutlich zu machen und zu optimieren. Ich sage auch hier: Das Hanse-Office in Brüssel leistet gute Arbeit und schafft damit auch europäische Identität für Schleswig-Holstein; diese Arbeit muss zusammen mit Hamburg weiter gesichert werden.

Der Ausschuss der Regionen - er wurde hier bereits erwähnt - ist für uns ein weiteres Instrument regionaler Europapolitik. Hier war und ist unser Anspruch auf Mitgestaltung direkt zu realisieren. Gestatten Sie mir an dieser Stelle - denn es war bisher nicht möglich -, den Vertreterinnen im Ausschuss der Regionen, die in der letzten Legislatur diese Arbeit gemacht haben, nämlich Frau Simonis und Frau Rodust, dafür ausdrücklich zu danken.