Protocol of the Session on May 6, 2009

(Beifall bei FDP, CDU, SPD und SSW)

- Ich wusste ja, dass Sie sich auch darüber freuen.

Aber Herr Döring, was ist denn das für eine Botschaft? Schon wieder eine versteckte unverhohlene Kritik an der eigenen Regierung, aber irgendwie nett verpackt - so wie Sie selbst auf den Fotos mit der russischen Pelzmütze, die zumindest die Älteren unter uns an Ivan Rebroff erinnern wird.

Immerhin: Themen wie Umweltschutz, Klimawandel, Meeresforschung und neue Möglichkeiten der Seeschifffahrt - Stichwort: Nord-Ost-Passage wurden anschaulich vermittelt. Sie haben damit mehr zur Vermittlung politischer Themen aus dem Bereich Europa beigetragen, als wir das mit dieser Debatte schaffen. Die Tribüne ist leer und angesichts der Zeit vermute ich, dass auch die Medien wieder einmal keine einzige Zeile über unsere europapolitische Debatte berichten werden. Da haben Sie uns mit großem eigenen Einsatz vorgemacht, wie man es besser machen kann.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Und das auch noch an Tagen, wo unterdessen hier eine hitzige Auseinandersetzung innerhalb Ihrer Koalition stattfand. Das hat Sie in Sibirien alles kalt gelassen. Während Herr Stegner im „Focus“ die vermeintliche „Großbauernart“ des Ministerpräsidenten schmähte - so habe ich das gelesen und in Russland entspräche das in etwa dem Etikett des ,,Kulakentums“ -, redete Döring aus dem fernen Sibirien Tacheles. Sogar die Bildungsministerin bekam dabei eine volle Breitseite ab, was mich natürlich riesig gefreut hat.

(Zuruf des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

In Tiksi, Jakutien, stellte Herr Döring fest: Für Kinder wird hier offenbar viel getan. Es gibt Kindergärten, Spielplätze, deren Spielgeräte jetzt nur teilweise aus dem Schnee ragen, sowie drei Schulen.

(Dr. Ekkehard Klug)

Drei Schulen - das ist mehr als in manchen Gegenden Schleswig-Holsteins. Den Schnee können wir jetzt allerdings getrost vergessen.

Der Europaminister besuchte das arktische Gymnasium in Tiksi. Döring sagte wörtlich in seinem Bericht vom 26. April in der „sh:z“:

„Umso überraschender, dass die Schule zwar einfach gebaut, aber in einem Topzustand war. Nicht alle Schulen in Schleswig-Holstein können da mithalten! Auch die technische Ausstattung ist auf dem neuesten Stand der Technik (Laptop, Beamer, Communicati- onboard).“

Meine Damen und Herren von der hiesigen Sozialdemokratie: Das gediegene Neumünsteraner Sozialkosakentum, das diese Berichte aus der sibirischen Arktis aufblitzen lassen, ist doch wirklich mal etwas anderes als der schicke Salonbolschewismus, mit dem hierzulande Leute wie der Herr Ministerpräsident als Kulaken abgestempelt werden.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Klug und erteile das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Vorsitzenden, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wollte an sich meine Rede mit der Frage beginnen, warum die Wahlbeteiligung so niedrig ist. Ich bin nicht sicher, dass dieser Beitrag, so humorvoll er war, nun zur Steigerung der Wahlbeteiligung beitragen wird. Ich finde es auch gut, wenn man über sich selber lachen kann, Herr Minister. Ich hatte schon die Befürchtung, Sie wären auf dem Wege, ein Wettbewerb zu machen: Wer ist der schönste Pandabär?

Ich komme jetzt zum Ernst. Ich befürchte, dass die Wahlbeteiligung wahrscheinlich deutlich unter 50 % bleiben wird. Das Problem ist: Wir haben ein wunderbaren Bericht zur Europapolitik. Ich freue mich, dass wir, nachdem wir heute Morgen erlebt haben, dass zur HSH nur dreieinhalb Seiten abgeliefert wurden, zur Europapolitik über 100 Seiten haben. Ich finde, das zeigt, dass es auch noch Leute in der Regierung gibt, die das Parlament ernst nehmen. Dafür bedanke ich mich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ob das die Europabegeisterung in Schleswig-Holstein rettet, da bin ich skeptisch. Das liegt aber an anderen Punkten. Ich stelle immer in Diskussionen in Schulen fest, dass man junge Menschen durchaus für Europa begeistern kann. Wenn ich sehe, wer bei uns in der Partei am aktivsten Europawahlkampf betreibt, dann muss ich sagen, das ist die Grüne Jugend und unsere Landesarbeitsgemeinschaft Europa, die überwiegend aus Studenten besteht. Es gibt eine große Begeisterung für Europa unter jungen Leuten. Aber diese schlägt sich bei den Wahlen nicht nieder. Die Wahlbeteiligung dümpelt vor sich hin.

Ich glaube, wir haben vor allem ein Problem damit, dass wir immer abstrakt über Europa reden, aber nicht über Themen. Wir würden ja auch nicht in einer Landtagssitzung allein über Bundespolitik reden, sondern wenn wir über Bundespolitik reden, dann reden wir über kontroverse Themen. Bei Europa ist es so: Wir kommen nicht dazu, an einem konkreten Thema über Europa zu streiten, sondern wir über reden dann über Europa und erzählen allen, dass Europa toll ist. Das ist aber nicht so spannend, dass es die Leute an die Urne treibt.

Ich glaube, dass wir unbedingt eine europäische Regierung brachen, und ich bin auch überzeugt davon, dass wir die Vereinigten Staaten von Europa brauchen und dass das der Weg ist, den wir gehen werden, auch wenn es noch ein beschwerlicher Weg ist. Deswegen steht für mich die Verfassungsfrage in Europa an ganz zentraler Stelle.

Die Debatte darüber war auch bei den Grünen sehr kontrovers, aber ich folge da meinen Parteikollegen Daniel Cohn-Bendit, der vorgeschlagen hat, eine Abstimmung über eine europäische Verfassung in allen europäischen Staaten durchzuführen mit der Maßgabe, dass die Staaten, die dafür stimmen, dann Mitglied der Europäischen Union sind, und die Staaten, die dagegen stimmen, nicht Mitlied sind. Das hätte nämlich die Wirkung, dass die Bevölkerung in den einzelnen Staaten tatsächlich einmal über Europa abstimmen würde und nicht immer darüber, was ihre nationalen Regierungen gerade betreiben, und sich also nicht an nationalen Regierungen abarbeiten würden, um denen Denkzettel zu erteilen.

Wenn wir eine Abstimmung über eine europäische Regierung oder einen europäischen Präsidenten oder was auch immer hätten, dann wäre das auch spannend. Dann wüssten die Leute, über was

(Dr. Ekkehard Klug)

sie entscheiden und in welche Richtung es geht. Das Problem ist, dass man jetzt das Gefühl hat, das nicht klar ist, in welche Richtung es eigentlich bei der Europawahl geht und worüber man abstimmt. Das ist ein schönes Parlament, da wird super gearbeitet. Das weiß ich auch von Besuchen in Brüssel. Es wird sehr sachorientiert gearbeitet, aber es gibt nicht die politisch klaren Fronten und die Auseinandersetzungen, die dem Wähler klarmachen: Wer ist für was, und für wen entscheide ich mich, wenn ich bei der Europawahl meine Stimme abgebe? Ich glaube, wenn wir diesen Weg beschreiten würden, würden wir auch eine Auseinandersetzung über Europa bekommen. Das halte ich für dringend notwendig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für mich ist Europa - das sage ich auch immer, wenn ich Diskussionen führe - in erster Linie Friedenspolitik. Denn in Europa haben sich die Völker tausend Jahre lang immer wieder mit Begeisterung die Schädel eingeschlagen, auch hier in SchleswigHolstein. Da muss ich nur die schleswig-holsteinische Geschichte nachlesen. Es ist wirklich grauenvoll, was hier im Laufe der Jahrhunderte passiert ist. Immer und immer wieder hat Pinneberg gegen Plön und sonst wen gekämpft.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: In Bayern gab es aber auch Kriege!)

- Die Bayern sind nicht besser. Das sage ich gar nicht. Ich will nur, dass Europa ein Segen ist.

Wir haben Imperien noch und noch in Europa und sonst wo in der Welt gehabt, die versucht haben, andere Länder zu erobern. In Europa haben wir genau den umgekehrten Effekt: Wir brauchen kein Land zu erobern, sondern die Länder stehen Schlange, um zu Europa auf friedlichem Wege hinzuzukommen. Das ist eine tolle Sache. Sie kommen hierher, weil sie Frieden und sozialen Wohlstand wollen. Das heißt, sie bekommen etwas dafür. Europa hat es tatsächlich in der Entwicklungspolitik, wenn man das so nennen will, geschafft, dass die armen Länder in Europa aufgeholt haben und ihre Stellung besser geworden ist, sei es Irland, das einmal das Armenhaus war, sei es Portugal, oder sei es Griechenland. Ich bin sicher, dass auch Bulgarien und Lettland und andere Länder aufholen und von Europa profitieren werden. Polen ist schon auf einem guten Wege dahin.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Was wir klären müssen, ist die Diskussion um die soziale Union. Das ist ein Thema, das sehr viele Menschen bewegt. In den Diskussionen hat eine große Rolle die Vermutung oder die Behauptung gespielt, Europa sei nicht sozial genug. Es hat natürlich objektive Gründe, dass die Sozialgesetzgebung zurückhängt. Das liegt nicht nur daran, dass der Wille nicht vorhanden ist, sondern das liegt auch daran, dass die Widerstände groß sind. Ich denke nur an Deutschland oder an die skandinavischen Nachbarn, also Länder, die ein relativ gutes Sozialsystem haben. Diese befürchten: Wenn wir eine europäische Sozialgesetzgebung bekommen, dann bekommen wir ein Dumpingsystem, sodass wir Abstriche von dem Erreichten machen müssen. Das ist verständlich, aber das ist schlecht. Gerade wenn wir Dienstleistungsfreiheit in Europa haben, wenn wir freie Arbeitsmärkte in Europa haben, dann muss sich Europa auch mit der Frage der sozialen Absicherung und der Stellung von Arbeitnehmern beschäftigen. Das ist unbedingt notwendig. Deswegen ist es ganz entscheidend, die Debatte über das europäische Sozialsystem voranzutreiben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden Korrekturen in Europa vornehmen müssen. Das betrifft insbesondere die Landwirtschaftspolitik, die immer noch über die Hälfte des Haushalts ausmacht. Das ist anachronistisch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Es ist auch anachronistisch, dass wir dieses Geld als Subventionen an die Bauern geben. In Zukunft müssen wir dafür sorgen, dass die Bauern für ihre Leistung, die sie für die Gesellschaft, für Naturschutz, für Landschaftsschutz, für Umweltschutz und für die Erhaltung der Region leisten, vergütet werden. Da leisten sie eine wichtige und gesellschaftlich notwendige Arbeit. Diese muss vergütet werden, aber nicht die Produktion von Lebensmitteln. Diese muss vom Markt bezahlt werden. Wir brauchen eine völlige Umstrukturierung in diesen Bereichen. Es ist wichtig, dass wir dabei vorankommen.

2013 kommt ja ein entscheidender Schritt mit der Reformierung der Prämien. Ich bin nicht sicher, dass wir darauf gut vorbereitet sind. Darüber haben wir ja schon öfter diskutiert. Aber ich bin sicher, dass wir diesen Prozess weiter fortsetzen müssen. Denn was im Moment im Landwirtschaftsbereich in Europa gemacht wird, nämlich dass wir einerseits ungeheure Subventionen ausgeben und uns an

(Karl-Martin Hentschel)

dererseits gegen Produkte aus anderen Ländern der Welt abschotten und damit natürlich auch dem Hunger dort Vorschub leisten, ist anachronistisch; das muss überwunden werden.

Eine sehr gute Rolle spielt Europa im Umweltschutz. Das muss man einfach feststellen. Wir hätten in Schleswig-Holstein lange nicht so viel erreicht, wenn sich in Europa nicht die Regierungen und die Völker auf bestimmte Standards im Umweltschutz geeinigt hätten, die dann vor Ort manchmal auch auf Widerstände gestoßen sind, aber auch häufig begrüßt worden sind. Aber die Aufmerksamkeit richtet sich natürlich immer dorthin, wo Widerstände entstehen. Da hat es Widerstände in einigen Regionen gegeben, auch in Schleswig-Holstein. Aber wenn wir die Gesetzgebung in Europa nicht gehabt hätten, dann wären wir noch lange nicht so weit, wie wir heute sind. Ich würde mir wünschen, dass das, was wir erreicht haben, nämlich 11 % der Landesfläche unter Naturschutz zu stellen, auch umgesetzt wird. Daran hapert es ja zurzeit. Aber das liegt am jetzigen Minister.

Wir haben in Europa beim Umweltschutz ganz neue Herausforderungen. Das betrifft den Klimaschutz und die Energiefrage. Ich bin enttäuscht, dass das Reduktionsziel beim CO2-Ausstoß von 30 % bis 2020 auf 20 % verringert worden ist. Wir brauchen wesentlich weiter gehende Schritte. Wir brauchen vor allem den Ausbau der erneuerbaren Energien, und wir brauchen ein europäisches Höchstspannungsgleichstromnetz, um die erneuerbaren Energien aus Wind, Sonne und Wasser kostengünstig quer durch Europa dorthin zu transportieren, wo sie gebraucht werden. Denn mit der Umstellung auf erneuerbare Energien werden die Entfernungen zwischen den Erzeugern - zum Beispiel Wind an der Küste, Solarenergie im Süden, Wasserkraft in Norwegen - wesentlich größer sein als heute. Da werden die heutigen Netze nicht ausreichen. Das ist eine Aufgabe, die Europa nur gemeinsam bewältigen kann. Die Gründung von ERENE der „Europäischen Gemeinschaft für Erneuerbare Energien“, ist dafür ein wichtiger Schritt in diesem Jahr gewesen. Ich hoffe, dass es weitergeht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein wichtiger Punkt, der in Schleswig-Holstein Bedeutung hat - der Minister hat es schon gesagt -, ist die Meerespolitik. Schleswig-Holstein war in diesem Bereich sehr aktiv. Wesentliche Anstöße für die Initiativen in den baltischen Konferenzen sind von Schleswig-Holstein ausgegangen. Ich erinnere nur an die Resolution von Reykjavík, bei der ich auch selber beteiligt war. Diese Diskussion war

sehr spannend; da hatten wir auch mit Widerständen zu kämpfen. Aber es hat sich gelohnt, und es hat dazu geführt, dass sich auch Nordeuropa und die Ostsee-Anrainer als Pressure Group innerhalb der Europäischen Union verstehen. Das hat es vorher nicht gegeben.

Herr Hentschel, Sie werden es nicht glauben: Ihre zehn Minuten sind um.

Frau Präsidentin, ich finde es gut, dass Sie aufpassen, und ich werde meine Rede jetzt auch beenden.

Meine Damen und Herren, Europa ist eine Herausforderung, Europa ist aber auch eine Chance, es ist unsere Chance, es ist die Chance für eine friedliche Zukunft für unsere Kinder und Enkel. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel und erteile für den SSW im Landtag deren Vorsitzender und Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Europabericht ist mehr als nur eine Aufzählung von Fakten, weil er - in gewohnter Weise übrigens - auch eine Auswertung vornimmt und politische Perspektiven aufzeigt. Er ist nicht als Hochglanzbroschüre gedacht, er ist eine Handreichung für uns als Landtagsabgeordnete. Das ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Europaministeriums gut gelungen. Dafür danke ich dem Minister sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

(Beifall)