Protocol of the Session on March 26, 2009

Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1964

Antwort der Landesregierung Drucksache 16/2324

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich Herrn Innenminister Lothar Hay das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Abgeordneten des SSW haben mit ihrer Großen Anfrage Informationen zur Struktur und zu den Aufgaben der Gemeinden, Ämter und Zweckverbänden nachgefragt, Herr Kollege Baasch. Die angefragten Daten werden zum ganz überwiegenden Teil nicht zentral erfasst, sodass wir auf die Mithilfe der kommunalen Körperschaften selbst angewiesen waren.

Es war dem Innenministerium selbstverständlich bekannt, dass aus eigener Kraft eine Beantwortung nicht möglich war. Zahlreiche Gespräche haben aus diesem Grunde mit der anfragenden Fraktion und mit den Abgeordneten des SSW stattgefunden, um diesen Umstand zu verdeutlichen und um eventuell eine Reduzierung der Fragen zu erreichen.

Diese Große Anfrage beinhaltet neben weiteren Fragen zu Aufgaben und Strukturen von Zweckverbänden allein mehr als 150 Einzelfragen an unsere mehr als 1.000 amtsangehörigen Kommunen. Ich brauche dafür keinen Taschenrechner, um eine Zahl von wenigstens 150.000 Antworten zu errechnen, wenn alle Kommunen geant

(Minister Rainer Wiegard)

wortet hätten. Darauf, dass unsere Kommunen nicht flächendeckend antworten würden, hat das Innenministerium rechtzeitig hingewiesen. Wir haben sodann die Fragen tabellenartig strukturiert, sodass eine Beantwortung durch die Kommunen möglich wurde und sie ihre jeweiligen Daten in das Formular eintragen konnten. Nicht alle unsere Kommunen haben die Daten für ihren Bereich übermittelt. Dafür wurde unter anderem die Arbeitsverdichtung vor Ort genannt. Es wurde aber auch darauf verwiesen, dass der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag die hinter der Anfrage stehenden Fragestellungen bereits im Jahre 2002 gutachterlich hat untersuchen lassen und Lösungsvorschläge erarbeitet hatte. Auch darauf wurde im Vorweg verwiesen. Ich darf an dieser Stelle auch, weil es eine aus Sicht des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetags irreführende Pressemitteilung des Landtags gegeben hat, auf das Schreiben des Schleswig-Holsteinischen Landtags an alle Fraktionen des Landtags vom 25. März dieses Jahres verweisen.

Man kann hinsichtlich der Frage, ob die Kommunen auskunftspflichtig waren, unterschiedliche Auffassungen vertreten. Unsere Kommunen benötigen grundsätzlich keine kommunalaufsichtlichen Zwangsmaßnahmen, einen derartigen Umgang pflegen wir in der Regel mit unseren Kommunen in Schleswig-Holstein nicht.

(Beifall der Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD], Peter Eichstädt [SPD] und Dr. Hen- ning Höppner [SPD])

Soll ich Ihnen einmal aufzeigen, in welcher zeitlichen Schiene derartige Maßnahmen mit möglichen Rechtsmitteln ablaufen würden? Ich vermute, wenn ich diesen rechtlich nicht zweifelsfreien Weg gegangen wäre, hätten wir wohl gerade die erste Stufe von mehreren Stufen der Rechtsmittel erreicht.

Auch wenn also die Daten nicht flächendeckend vorliegen, haben wir selbstverständlich alle uns gelieferten Informationen zusammengetragen. Der Umfang ist trotz der Lücken erheblich, wie wir alle schon an Gewicht und Seitenzahlen ablesen können. Alle, die mit der Mengenangabe 18 MB etwas anfangen können, können in etwa die Papierflut ermessen, die bewältigt werden musste. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang von einem Novum berichten: Die Antwort auf die Große Anfrage ist die erste in der Geschichte des Schleswig-Holsteinischen Landtags, die nicht vollumfänglich als Drucksache verteilt wurde. Auch das zeigt zweifelsfrei den Umfang des Datenmaterials.

Aber wie gewichtig sind diese Informationen auch für diejenigen, die nicht in den ländlichen Gemeinden zu Hause sind, sondern in den Städten dieses Landes wie der Landeshauptstadt Kiel, und kann man sie übertragen? - Unsere Ämter in SchleswigHolstein waren und sind eine gute, bewährte Form der Verwaltungsorganisation für kleinere und mittelgroße Gemeinden. Die Rahmenbedingungen für Verwaltungstätigkeiten und auch für die kommunale Selbstverwaltung haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten weiterentwickelt. Daraus haben wir unter anderem den Schluss gezogen, dass Kommunalverwaltungen mehr Einwohnerinnen und Einwohner als früher betreuen sollten. Das haben wir - und das haben natürlich in letzter Konsequenz die Kommunen selbst - umgesetzt. Heute haben wir nicht mehr 222, sondern nur noch 145 Gemeinde-, Stadt- und Amtsverwaltungen, die jetzt wirtschaftlicher arbeiten und sich professioneller auch in Spezialaufgaben - aufstellen können.

(Zuruf: Sehr erfreulich!)

Auch die Ämter sind dabei größer und weniger geworden. 87 Ämter gibt es heute noch, mit manchmal drei, manchmal auch 34 Gemeinden.

Eines aber haben sie alle gemeinsam: Sie sind Verwaltungskörperschaften - das betone ich ausdrücklich -, die der Stärkung der Selbstverwaltung der Gemeinden dienen - nicht mehr und nicht weniger!

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Gemeinden sollen auch weiterhin so sinnvoll zusammenarbeiten wie bisher, sei es in einem Amt für die gemeinsame Verwaltung oder in einem Zweckverband für bestimmte Aufgaben. Zusammenarbeit heißt für mich aber ausdrücklich, dass die Gemeinde die Keimzelle unseres Gemeinwesens bleibt. Ich stelle mich gegen alle Überlegungen, das Wesen unserer Gemeinden zu gefährden, indem zum Beispiel den Ämtern durch unmittelbare Gremienwahl explizit oder auch unausgesprochen ein Status gegeben wird, der ihnen nicht zusteht und der die Gemeinden schwächen würde.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Wer eine Gemeindegebietsreform mit mindestens 8.000 Einwohnern pro Gemeinde will, sollte es auch deutlich sagen. Ich will es nicht.

Dieses Verständnis, das ich von Gemeinden habe,

(Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

(Minister Lothar Hay)

wird auch durch eine aktuelle Entscheidung unseres Verwaltungsgerichts in Schleswig, Herr Kollege Eichstädt, unterstrichen. Ein Amt hatte gegen die Ausgliederung einer Gemeinde aus dem Amt geklagt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Ein Amt sei nämlich - und ich füge hinzu, dass sich daran auch durch die Verwaltungsstrukturreform nichts geändert hat - keine Gebietskörperschaft. Es sei auch nicht von der Landesverfassung oder durch das Grundgesetz umfasst, denn Ämter - so will es der Gesetzgeber und so steht es deshalb in der Amtsordnung - sind eben reine Verwaltungskörperschaften. Offenbar hat das Verwaltungsgericht keine Veranlassung gesehen, diesbezüglich eine Neubewertung vorzunehmen.

Wir können daher folgende Erkenntnis aus der Großen Anfrage und den 18 MB Daten ziehen: Die Ämter und die anderen Zusammenarbeitsformen waren und sind auch heute noch Instrumente der Gemeinden, die sie engagiert und sinnvoll nutzen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU)

Kommunalpolitik selbst findet aber weiterhin dort statt, wo sie hingehört, nämlich am Ort der kommunalen Selbstverwaltung in den Gemeinden. Unseren aktuellen 1,116 Gemeinden wünsche ich in diesem Sinn eine gute Zukunft.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Ich danke Herrn Innenminister Lothar Hay. - Ich eröffne die Aussprache und erteile für die die Große Anfrage stellende Fraktion dem Fraktionsvorsitzenden der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war nicht die Rede davon, dass tausend Gemeinden antworten sollten, sondern 87 Ämter. Wenn man das dann mit 150 Fragen multipliziert, hat man einen Item-Bestand von 13.000 Items. Wenn man das umrechnet, sind das 13 KB. Von den Megabyte braucht man überhaupt nicht zu reden, Sie haben sich da irgendwie geirrt, Herr Minister, oder Sie können nicht rechnen.

(Zuruf von der SPD)

Zu der Frage der Direktwahl der Amtsausschüsse kann ich nur sagen: Herr Minister, ich erinnere mich sehr gut, dass Sie persönlich den letzten Koalitionsvertrag, den wir ausgehandelt haben, unterschrieben haben, wo genau das drinstand, wogegen Sie sich jetzt massiv verwehren.

(Zuruf des Abgeordneten Jürgen Feddersen [CDU])

- Lassen wir es dabei bewenden.

Normalerweise beginnt jede Rede zu einer Großen Anfrage mit dem Dank an die Autoren.

(Unruhe)

Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit.

(Werner Kalinka [CDU]: Ja, deswegen ant- worte ich ihm ja!)

Herr Kalinka, beruhigen Sie sich. - Das fällt diesmal schwer. Um neutral zu bleiben, gestatten Sie, dass ich aus der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes zitiere, die dieser im Auftrag des Präsidenten des Landtages erstellt hat:

„Die Landesregierung hat die ihr zu Gebote stehenden Informationsmöglichkeiten nicht in zumutbarer Weise ausgeschöpft, sodass die Antwort insofern nicht als vollständig angesehen werden kann.“

Was die Form der Antwort angeht - ein Aktenordner voll mit einer Loseblattsammlung -, da kann ich nur sagen: Ein Schelm ist, wer Böses dabei denkt. Dabei möchte ich es belassen.

Um überhaupt etwas mit dem vorliegenden „Zahlenfriedhof“ anzufangen, haben Anke Spoorendonk und ich schließlich selbst einen Mitarbeiter beauftragt, die Zahlen auszuwerten. Das hat zwei Wochen gedauert und hat Ergebnisse gebracht, die sehr übersichtlich sind und am Montag allen Fraktionen zur Verfügung gestellt wurden.

Kommen wir zu den Ergebnissen! Es geht um zwei Komplexe. Erstens: Sind die Ämter noch Schreibstuben der Gemeinden im Sinn des Gesetzes, oder haben sie im Laufe der Jahre von den Kommunen schon so viele Aufgaben übernommen, dass sie längst selbst schon Gemeindeverbände im Sinn der schleswig-holsteinischen Verfassung geworden

(Minister Lothar Hay)

sind? Zweitens: Sind die Entscheidungsprozesse in den Ämtern demokratisch legitimiert?

Zum ersten Komplex. Diese Frage ist schon Gegenstand einer Vielzahl von Diskussionen und Untersuchungen im Lauf der Jahre gewesen. Im Ergebnis kann man feststellen: 1979 - als sich das Bundesverfassungsgericht schon einmal mit der Frage beschäftigt hat - war in zwei Dritteln aller Ämter noch keine einzige Aufgabe von den Gemeinden auf die Ämter übertragen worden. Nur bei 34,5 % - also einem Drittel der Ämter - kamen damals solche Übertragungen vor. 1994 hatte sich die Situation bereits grundlegend geändert. Nunmehr waren bereits in vier Fünfteln aller Ämter Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter übertragen worden. Sieben Jahre später, also 2001, waren es bereits 94,5 %. Bei der Großen Anfrage gab es nur noch ein einziges Amt, das angegeben hat, dass es keine Selbstverwaltungsaufgaben wahrnimmt.

Noch deutlicher werden die Ergebnisse, wenn man sich anschaut, wie viele Aufgaben auf die Ämter übertragen worden sind. 1979 waren es durchschnittlich 2,8 Aufgaben, die von den Gemeinden auf ein Amt übertragen worden sind. Heute sind es bereits 9,7 Aufgaben pro Amt, also das Vierfache.

Interessant ist es auch, wenn man sich die Aufgabenübertragung qualitativ anschaut. Greift man auf die Tabelle von Utz Schliesky, der die Aufgaben dargestellt hat, die praktisch überall im Land als kommunale Aufgaben relevant sind, kommt man auf 17 wesentliche kommunale Aufgaben. Viele dieser Aufgaben werden schon heute in mehr als 40 % aller Ämter auf Amtsebene durchgeführt, so zum Beispiel die ländlichen Struktur- und Entwicklungsanalysen, die Klärschlammabfuhr, die Sozialhilfeaufgaben, die von den Kreisen übertragen werden, die Feuerwehr, die Schulträgerschaft und fünf weitere Aufgaben der Gemeinden. 1995 war das im Durchschnitt erst in jedem siebten Amt der Fall. Heute sind es 40 % der Ämter.

Nun ist es keineswegs so, dass die Aufgaben, die nicht auf das Amt übertragen wurden, von den Gemeinden noch selbst wahrgenommen werden. Denn viele Aufgaben wurden nicht auf das Amt, sondern auf Dritte wie Zweckverbände oder kommunale Wirtschaftsunternehmen übertragen. Eine Übertragung auf Zweckverbände erfolgte typischerweise bei der Schulträgerschaft, der Wasserversorgung, der Abwasserentsorgung und beim Straßen- und Wegebau. Eine Übertragung auf Unternehmen erfolgte insbesondere bei der Energieversorgung, und zwar meistens auf die E.ON Hanse, in Einzelfällen auch auf benachbarte Stadtwerke.

Fasst man die Ergebnisse zusammen, dann kann man feststellen, dass die Ämter heute bereits fast die Hälfte der gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben vollverantwortlich selbst durchführen. Dazu kommen weitere Aufgaben, die von den Gemeinden auf Unternehmen und Zweckverbände übertragen wurden. Außerdem nehmen die meisten Ämter auch noch mehrere Aufgaben wahr, die ihnen von den Kreisen übertragen wurden. Man kann also durchaus sagen, die Ämter sind heute Gemeindeverbände, die in relevanter Weise Selbstverwaltungsaufgaben, die ihnen von den Gemeinden oder den Kreisen übertragen wurden, selbst durchführen.

Meine Damen und Herren, damit komme ich zum zweiten Komplex: Inwieweit sind die Ämter dafür demokratisch legitimiert? Das wesentliche repräsentative Organ der Ämter ist der Amtsausschuss. Die Frage ist also: Sind die Amtsausschüsse demokratisch gewählt, und ist ihre Zusammensetzung repräsentativ für den Wählerwillen?