Auseinandersetzung mit der damaligen „Pädagogik“, die aus Gewalt und Demütigung bestand, heute nicht beenden, sondern immer wieder, wenn es um pädagogische Maßnahmen in der Jugendhilfe geht, sehr genau hinschauen.
Meine Damen und Herren, die damals betroffenen Menschen sind heute zwischen 50 und 70 Jahre alt. Soll es zu einer glaubwürdigen Anerkennung und Entschädigung kommen, darf sich das Verfahren nicht über Jahre in die Länge ziehen. Mit dem vorliegenden Antrag setzen wir also keinen Schlusspunkt, sondern wir setzen die Aufarbeitung fort.
Trotz aller offenen Punkte, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedanke ich mich ganz ausdrücklich dafür, dass es gelungen ist, einen gemeinsamen Beschluss in die Wege zu leiten und heute auch zu fassen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch der SSW ist froh, dass wir hier im Landtag zu einem gemeinsamen Antrag gefunden haben, um Konsequenzen aus dem Unrecht in Kinder- und Erziehungsheimen in Schleswig-Holstein zu ziehen. Ich glaube, es ist ein wichtiges Signal für die Betroffenen, dass sich der Landtag einig ist, Unrecht anzuerkennen und etwas zu tun. Das muss nach unserer Auffassung auch die Konsequenz der Behandlung dieses Themas für uns alle sein: Es muss etwas getan werden. Wir können erlittenes Unrecht nicht ungeschehen machen, aber wir können dieses Unrecht als solches anerkennen, und wir können es bedauern. Genau das tun wir mit dem gemeinsamen Antrag heute, und somit stellt sich der Schleswig-Holsteinische Landtag seiner heutigen Verantwortung.
In dem Antrag formulieren wir, dass wir erlittenes Unrecht und Leid bedauern und erkennen. Diese Erkenntnis muss nach Meinung des SSW aber auch konkrete Folgen für diejenigen haben, deren Leid eindeutig festgestellt wird. Für uns ist es das Ziel, dass wir Möglichkeiten schaffen müssen, dass Betroffene eine Entschädigung für erlittenes Unrecht erhalten können. Dabei ist uns durchaus klar, dass dies wahrscheinlich nur ein symbolischer Beitrag sein kann. Gleichwohl wäre eine individuelle Ent
schädigung für den einzelnen Leidtragenden der sogenannten Heimerziehung eine wichtige Anerkennung und vielleicht auch eine Art Wiedergutmachung, wenn man dies denn auf diesem Wege überhaupt erreichen kann.
Viele Betroffene haben deutlich gemacht, dass schon allein die Tatsache, im Lebenslauf die Zeiten des Heimaufenthaltes angeben zu müssen, zu Brüchen in der individuellen Erwerbsbiografie geführt hat, soll heißen, die Leute bekamen keine Arbeit oder Ausbildung oder auch nur schlechtere Arbeit. Somit wirkt sich der Bruch der Erwerbsbiografie auch heute noch - zum Beispiel beim Rentenbezug - aus.
Allein dieses Beispiel zeigt die Notwendigkeit, einen wie auch immer gearteten finanziellen Ausgleich zu leisten. Betrachtet man dann noch all das Leid, was mancher hat ertragen müssen, so kann man sich nach Auffassung des SSW der Forderung nach einer finanziellen Wiedergutmachung nicht entziehen.
Natürlich wissen auch wir, dass vielleicht nicht jeder Insasse hat Unrecht erfahren müssen und dass auch der Umfang des erlittenen Unrechts sicherlich unterschiedlich war. Am Grundsatz der Wiedergutmachung als Ziel darf aber nicht gerüttelt werden. Wir erwarten daher vom runden Tisch auf Bundesebene auch Aussagen dazu, wie Wiedergutmachung geleistet werden kann.
Um aber die ganze Tragweite der Geschehnisse überhaupt erfassen zu können, müssen sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene intensive Forschungen zum Thema der Erziehungsheime in den 50er- bis 70er-Jahren erfolgen. Auf Bundesebene wird dies mithilfe des runden Tisches geschehen. Diesen Prozess sollte das Land nicht nur ideell, sondern auch finanziell unterstützen. Dies darf aber nicht dazu führen, dass in unserem Bundesland parallel dazu nichts geschieht.
Deshalb ist es wichtig, dass die sogenannte Fürsorgererziehung in ihrer Gänze für Schleswig-Holstein ebenfalls untersucht wird. Dieser Prozess wird möglicherweise schmerzen, aber er ist notwendig, da er ein wichtiger - wenn auch dunkler - Teil unserer Landesgeschichte ist und sich viele persönliche Schicksale dahinter verbergen, die aufgeklärt werden wollen. Dabei sollte es unbedingt ermöglicht werden, dass Betroffene Einsicht in ihre Akten und andere Papiere erhalten können.
Ich möchte aber auch auf einen Bereich hinweisen, der in der öffentlichen Diskussion zu diesem Thema bisher noch nicht eine so große Rolle gespielt hat. In der betroffenen Zeit sind Kinder und Jugendliche nicht nur in Erziehungsheime gesteckt worden, sondern sie wurden auch in die Obhut von sogenannten Pflegefamilien gegeben. Diese Pflegefamilien sind mit heutigen Pflegefamilien nicht zu vergleichen.
Damals wurden die Kinder und Jugendlichen vorwiegend an Familien im ländlichen Raum vergeben. Dort soll es nach Angaben Betroffener ebenfalls zu schwerem Leid und Unrecht im Namen der damaligen Fürsorgeerziehung gekommen sein. Auch dieses Kapitel der Fürsorgeerziehung muss dringend untersucht und aufgeklärt werden.
Deshalb müsste ein zukünftiger Forschungsauftrag für Schleswig-Holstein auch diesen Aspekt beinhalten.
Wir wissen heute, dass viele Menschen unter den damaligen Zuständen, die damals schon gegen geltendes Recht verstoßen haben, gelitten haben und dass diesen Menschen Unrecht angetan wurde. Hierfür können sich nur die Täter entschuldigen. Wir im Landtag können aber unser Bedauern ausdrücken und konkrete Schlussfolgerungen ziehen, was wir mit dem vorliegenden Antrag auch machen.
Würden wir allerdings nichts tun, keine Forschungen anstellen und keine Wiedergutmachung leisten, dann würden wir uns irgendwann auch einmal entschuldigen müssen. Deshalb ist es unsere heutige Verantwortung, dem vorliegenden Antrag konkrete Taten folgen zu lassen.
Für die Landesregierung hat die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, und ich bin auch ein wenig stolz darauf, dass der Schleswig-Holsteinische
Landtag das Thema der Aufarbeitung der Fürsorgeerziehung der 50er- bis 70er-Jahre so ernst und so wichtig nimmt. Ein gemeinsamer Antrag ist ein starkes Signal an die ehemaligen Heimzöglinge, die dieses verdient haben durch hartnäckiges Einfordern ihrer Rechte. Es ist auch ein starkes Signal an den runden Tisch auf Bundesebene, der seine Arbeit begonnen hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie wissen, dass ich das Anliegen des Schleswig-Holsteinischen Landtags nicht nur umsetze, sondern selbst offensiv aus Überzeugung vorantreibe; denn das Schicksal der ehemaligen Fürsorgezöglinge berührt mich. Es berührt mich, dass wir zwar in den 80erund 90er-Jahren Konsequenzen für eine andere Jugendhilfe gezogen haben, dass wir aber nicht im Blick hatten, dass wir den Ehemaligen Aufarbeitung, Entschuldigung und Entschädigung schuldig sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die jugendpolitischen Konsequenzen für heute sind klar: Nie wieder eine solche schwarze Pädagogik; denn alle jungen Menschen und gerade diejenigen, die auf der Schattenseite des Lebens leben, haben ein Anrecht darauf, sich zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entwickeln zu können. Genau das muss Sozialpädagogik leisten. Das musste sie damals, und das muss sie heute.
Seitdem das Thema von den ehemaligen Heimzöglingen im Sommer 2007 in Schleswig-Holstein auf den Weg gekommen ist, ist einiges in Bewegung geraten in Schleswig-Holstein, in anderen Bundesländern und auf Bundesebene. Die Aufarbeitung der bundesdeutschen Fürsorgeerziehung ist inzwischen das Topthema. Sie haben schon darüber berichtet. Der Petitionsausschuss des Bundestags hat im vergangenen November ebenfalls die Einrichtung eines runden Tisches beschlossen. Ich glaube, dass wir mit Fug und Recht sagen können, dass diese Entscheidung zurückzuführen ist auf die Akzeptanz, die der schleswig-holsteinische Weg in der Aufarbeitung der Fürsorgeerziehung auf Bundesebene gefunden hat. Er wurde als vorbildlich empfunden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, an diesem runden Tisch beteiligt sich nicht nur die Bundesregierung, sondern beteiligen sich auch alle Landesregierungen. Ich habe die Zustimmung des Landes Schleswig-Holstein davon abhängig gemacht, dass an diesem runden Tisch nicht nur die gesamtstaatli
che Perspektive mit der Aufarbeitung der gesellschaftlichen, ökonomischen und gesundheitlichen Folgen erfolgt, sondern auch die Frage der Entschuldigung und der Entschädigung abschließend geklärt wird. Ich sage dies deswegen ausdrücklich, weil zunächst in der Diskussion war, die Frage der Entschädigung von diesem runden Tisch auszuschließen. Das schien mir jedoch unabdingbar, sodass wir hierauf bestehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundesländer sind mit zwei Vertretern an diesem bundesweiten runden Tisch beteiligt, und es ist auch eine Anerkennung der schleswig-holsteinischen Leistungen, dass einer dieser Vertreter ein schleswigholsteinischer Vertreter ist. Herr Landrat Gorrissen ist nicht nur Ansprechpartner für die ehemaligen Heimzöglinge, sondern auch Vertreter des Landes Schleswig-Holstein an diesem Tisch. Er macht dies mit großer Überzeugung und mit großer historischer Kompetenz. Vor diesem Hintergrund sind wir sehr gut in Berlin bei diesem runden Tisch vertreten.
Insofern ist auf Bundesebene einiges in Gang gekommen. Genauso wichtig ist es aber - deswegen nehme ich die Aufforderung des Landtags gern auf -, eigene Wege der Aufklärung in SchleswigHolstein zu gehen. In dieser Woche habe ich die Dokumentation des zweiten runden Tisches von November 2008 vorgelegt. Diese ist Ihnen zugegangen. Außerdem hat die wissenschaftliche Aufarbeitung durch Prof. Schrapper und seine Crew begonnen.
Eines steht für mich außer Frage und zum Glück auch bei den ehemaligen Fürsorgezöglingen selbst: Das Schicksal dieser Heimzöglinge wird nicht zu den Akten gelegt. Die Aufarbeitung hat begonnen. Im Landesarchiv wurden rund 8.000 Akten zur früheren Fürsorgeerziehung in Schleswig-Holstein erschlossen. Dadurch haben alle am ersten runden Tisch Beteiligten die Gelegenheit erhalten, ihre eigene Akte einzusehen und das, was sie aus dieser Akte erfahren haben und wie sie es erlebt haben, mit einem Externen, nämlich mit Landrat Gorrissen, aufzuarbeiten und anzusprechen.
Binnen eines Monats nach Einsetzung von Herrn Gorrissen haben sich zehn ehemalige Heimkinder an ihn gewandt. Dabei ging es beispielsweise darum, dass die Einsicht Dritter in die Akte nicht gewünscht wird. Außerdem werden viele andere juri
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die Auswahl von Prof. Schrapper für diese Untersuchung ist ganz offensichtlich eine, die bundesweit nicht nur akzeptiert, sondern auch nachgeahmt wird. Herr Prof. Schrapper ist einer von zwei ausgewählten wissenschaftlichen Experten des bundesweiten runden Tisches. Auf eine zweite Person hat man sich noch nicht verständigen können. Ich denke, dass damit deutlich wird, dass wir uns sehr frühzeitig an einen wirklichen Experten gewandt haben und deswegen zuversichtlich sein können, dass wir eine nicht nur solide, sondern auch eine uns in der Sache weiterbringende Studie von ihm vorgelegt bekommen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der Aufarbeitung der Geschehnisse in Glückstadt betreiben wir nicht allein Vergangenheitsbewältigung. Das allein wäre aber schon wichtig genug, weil es um das Schicksal von Menschen geht, denen in öffentlicher Verantwortung Schlimmes widerfahren ist. Es geht auch um die Verständigung darüber, was in öffentlicher Verantwortung für junge Menschen sein darf. Nie wieder darf es auch nur in Ansätzen Erziehungsmethoden geben, die den Weg von Drangsalierung, Erniedrigung und Brechung des eigenen Willens gehen.
Ich begreife den vorliegenden Antrag als Bestätigung dieser Aufarbeitung und selbstkritischen Vergewisserung, die wir in Schleswig-Holstein auf Regierungs- und Parlamentsebene bundesweit als Erste auf den Weg gebracht haben. Er ist getragen von einem großen Einvernehmen, das in dieser Debatte seinen Ausdruck gefunden hat. Ich bin sehr froh darüber, dass dies so ist.
Ich habe keinen Antrag auf Ausschussüberweisung vernommen. Dann werden wir in der Sache abstimmen. Es ist für den Antrag Drucksache 16/2539 beantragt, in der Sache abzustimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist das einstimmig so beschlossen.
Ich eröffne die Grundsatzberatung und erteile für die Fraktion der FDP dem Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand das Wort.