Protocol of the Session on August 27, 2003

Dazu sprengt die Verschuldung von Bund, Ländern und Kommunen fast den Rahmen des Vorstellbaren. Alle gesetzlichen Sozialversicherungskassen - von der Arbeitslosenversicherung über die Pflegeversicherung bis hin zur Renten- und Krankenversicherung - sind mit geradezu katastrophalen Defiziten belastet. Kurzum: Deutschland braucht Reformen so nötig, wie ein Durstiger in der Wüste Wasser braucht.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bundesregierung hat mit der Agenda 2010 eine ganze Reihe von Reformen in Gang gesetzt, um die Bundesrepublik aus der Misere herauszuführen. Abgesehen von der Frage, ob diese Maßnahmen im Einzelfall alle sinnvoll sind, was ich seitens des SSW bezweifle,

(Beifall beim SSW)

wird die Umsetzung auf jeden Fall erhebliche direkte oder indirekte Auswirkungen auf den Haushalt des Landes haben. Dies gilt insbesondere für das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform, die - ohne Kompensation - zu Einnahmeausfällen von ungefähr 210 Millionen € für Schleswig-Holstein führen wird. Dabei ist es nicht von der Hand zu weisen, dass wir in der jetzigen angeschlagenen Konjunktur unbedingt ein positives Signal brauchen, damit die Nachfrage wieder in Gang kommt.

Ein Mittel ist es, die dritte Stufe der Steuerreform vorzuziehen, denn diese entlastet die Bürgerinnen und Bürger und den Mittelstand um fast 10 Milliarden € zusätzlich zur bereits beschlossenen zweiten Stufe der Steuerreform, die in jedem Fall am 1. Januar 2004 in Kraft treten wird.

Allerdings wird dieses Instrument nur wirken, wenn die Menschen endlich wieder Vertrauen in die gesamte Politik Berlins haben. Von daher ist die Unklarheit über die Weichenstellung in der zukünftigen Gesundheitspolitik und die Diskussion über die Zukunft der Renten weiterhin ein großes Problem. Das heißt, wir

brauchen schnell gerechte und nachvollziehbare Reformen in diesen beiden Kernbereichen des deutschen Sozialstaates.

Darüber hinaus reißt das Vorziehen der Steuerreform weitere riesige Löcher in die Haushaltskassen der Länder und der Kommunen. Wie sollen das Land und die schleswig-holsteinischen Kommunen unter diesen Bedingungen für 2004 noch einen vernünftigen Haushalt vorlegen können?

Der SSW fordert die Landesregierung daher dazu auf, dem Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform nur zuzustimmen, wenn Land und Kommunen vom Bund dafür eine angemessene Kompensation erhalten.

(Beifall beim SSW)

Ein weiteres Problem beim Vorziehen der Steuerreform sind Teile des geplanten Subventionsabbaus zu ihrer Finanzierung. Natürlich macht es Sinn, als Gegenleistung zu den Steuererleichterungen endlich mit einem Abbau der vielen Subventionen ernsthaft zu beginnen. Allerdings hat die bisherige Diskussion gezeigt, dass es überhaupt keinen Konsens darüber gibt, welche Subventionen überflüssig sind und welche noch immer eine Berechtigung haben. Stichworte sind hier beispielsweise die Eigenheimzulage, der Kohlepfennig und die Pendlerpauschale, um nur einige der in der Diskussion stehenden Kürzungen zu nennen. Hier fehlt ein langfristig angelegtes Gesamtkonzept der Bundesregierung, die sich aus taktischen Gründen zugedeckt hält. Diesen Vorwurf muss man aber auch der größten Oppositionsfraktion im Bundestag machen, die über diese Fragen intern scheinbar zutiefst zerstritten ist.

Natürlich hängt die Sichtweise hinsichtlich des Subventionsabbaus immer auch von der eigenen Interessenslage ab. Ich denke, das ist in einer Demokratie völlig legitim. Von daher kann es niemanden überraschen, dass der SSW als regionale Partei insbesondere die Pläne der Bundesregierung zum Auslaufen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur in den alten Bundesländern mehr als kritisch bewertet. Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe sind ein wesentlicher Bestandteil für das Regionalprogramm 2000 in Schleswig-Holstein. Ohne diese Bundesmittel werden nicht nur laufende Projekte gefährdet, sondern sind auch negative Folgen für die Entwicklung in den strukturschwachen Räumen und für die gesamte Wirtschaftsstruktur in Schleswig-Holstein zu erwarten. Alle vernünftigen Kräfte müssen darauf drängen, dass die Bundesregierung diese Entscheidung wieder rückgängig macht. Deshalb haben wir dazu einen Entschließungsantrag

(Anke Spoorendonk)

eingebracht. Wir hoffen auf die Unterstützung aller Fraktionen in dieser für uns sehr wichtigen Frage.

(Beifall beim SSW)

Auch bei der geplanten Gemeindefinanzreform und der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sind die finanziellen Folgen für das Land noch nicht hinreichend abzusehen. Das liegt natürlich auch daran, dass diese Initiativen der Bundesregierung zum überwiegenden Teil von der Zustimmung des Bundesrates abhängig sind. Wir alle wissen, dass die Unionsmehrheit im Bundesrat einem Kompromiss in diesen vielen Bereichen vor der Bayernwahl nicht zustimmen wird.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das ist doch wieder eine Unterstellung!)

- Lieber Kollege Kayenburg, ich glaube, es gibt genügend Aussagen dazu, die das bestätigen.

Die aktuelle Blockadehaltung der Bundesratsmehrheit von CDU und CSU - ich sage es noch einmal - zeigt übrigens wieder einmal, wie groß der Bedarf für eine Reform des deutschen Föderalismus ist.

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut!)

Wir müssen die verschiedenen Formen der Mischfinanzierung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden endlich entflechten.

(Beifall beim SSW sowie des Abgeordneten Joachim Behm [FDP])

Noch viel wichtiger ist: Die Anzahl der Gesetze, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, muss reduziert werden. Dies gilt aber nur - auch das will ich hinzufügen -, wenn die Länder im Gegenzug mehr eigene Gesetzgebungskompetenzen erhalten.

Der Beschluss des Föderalismuskonvents im Frühjahr in Lübeck gibt hierzu ja eine eindeutige und vernünftige Richtung im Sinne der Länder an. Gerade vor dem Hintergrund des Konvents ist es schon sehr befremdlich, dass man auf der Bundesebene die Einsetzung einer Kommission zur Reform des Föderalismus diskutiert, in der die Landesparlamente nicht am Beratungsverfahren beteiligt werden sollen. Das kann nun wirklich nicht angehen. Von daher unterstützen wir die Kritik, die unter anderem von den Kollegen Kayenburg und Hentschel in diesem Zusammenhang öffentlich geäußert wurde.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dennoch ist es klar, dass wir wegen der ungeklärten Beschlusslage auf Bundesebene bei der Aufstellung

eines Haushalts für Schleswig-Holstein in der Luft hängen. Die Landesregierung sagt in ihrem Finanzplan in aller Deutlichkeit, dass die vielfältigen Auswirkungen der bundespolitischen Initiativen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht exakt beziffert werden können. Dies gilt aber auch für viele der landespolitischen Initiativen im Haushalt 2004/2005.

So hat die Landesregierung in ihrer Haushaltsklausurtagung beschlossen, dass die Umsetzung der Anfang des Jahres von der Chefin der Staatskanzlei vorgestellten Vorschläge zur weiteren Verwaltungsreform vorgezogen werden soll.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Von wem?)

Das ist grundsätzlich natürlich zu begrüßen. Schon vor rund einem Jahr wies der Landesrechnungshof in einem Prüfbericht auf die mangelhafte und schleppende Umsetzung der Modernisierungsvorhaben hin. Allerdings hat dies zur Folge, dass viele Reformvorschläge mit heißer Nadel gestrickt und erst in der Nachschiebeliste konkretisiert werden.

Das gilt zum Beispiel für einen Vorschlag zur Neuordnung der bisher in den Umweltämtern, den Ämtern für ländliche Räume und dem Landesamt für Gesundheit und Arbeitsschutz wahrgenommenen Aufgaben. Erst nach Vorlage der Nachschiebeliste werden wir die Ausgaben für den Geschäftsbedarf pro Mitarbeiterin und Mitarbeiter und die Konsequenzen für den Haushalt kennen. Auch die Auswirkungen, die durch die Umsetzung des Entwurfs für eine Änderung des Grundwasserabgabegesetzes, durch den die Sätze für die öffentliche Wasserversorgung erhöht werden, entstehen, soll der Umwelt- und Landwirtschaftsminister erst in der Nachschiebeliste vorlegen. Gleiches gilt für die Verhandlungen mit den Kommunen über die Verwaltungsreform.

Zentraler Punkt dieser Verhandlungen wird die Neuordnung des Kindertagesstättenbereiches sein. Dazu ist heute Morgen schon einiges gesagt worden. Die Landesregierung plant - Sie wissen das -, die bisher im Landeshaushalt berücksichtigte Landesförderung für Kindertagesstätteneinrichtungen und qualifizierte Tagespflegestellen für 2004 und 2005 in Höhe von 60 Millionen € als Vorwegabzug in den kommunalen Finanzausgleich zu überführen. Mit den zugewiesenen Mitteln sollen die Kreise und kreisfreien Städten als örtliche Träger in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben bei der Betreuung und Förderung von Kindern in Tagesstätteneinrichtungen eigenverantwortlich erfüllen zu können.

Um die Qualität und Standards der Kindertagesstätten zu sichern, will die Landesregierung eine Rahmenvereinbarung mit den kommunalen Landesverbänden

(Anke Spoorendonk)

und den Wohlfahrtsverbänden abschließen. Ich will nicht verhehlen, dass der SSW diesem Vorschlag skeptisch gegenübersteht.

(Beifall beim SSW sowie des Abgeordneten Jürgen Feddersen [CDU])

Zum einen bekommen wir quasi durch die Hintertür eine Standardöffnung, die die Mehrheit des Landtages vor kurzem noch vehement abgelehnt hat; denn die Kommunen werden einer Rahmenvereinbarung nicht ohne ein Entgegenkommen der Landesregierung in dieser Frage zustimmen.

(Beifall des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr richtig)

Zum anderen sind die Einflussmöglichkeiten des Landtages auf die Ausgestaltung einer Rahmenvereinbarung doch sehr viel begrenzter, als wenn wir die Details durch das Kita-Gesetz ändern würden. Mit der Änderung des Kita-Gesetzes im Rahmen des Finanzausgleichsgesetzes geben wir der Landesregierung praktisch eine Blankovollmacht dafür, die Vereinbarung mit den Kommunen abzuschließen.

(Werner Kalinka [CDU]: So ist das!)

Wir sind nicht grundsätzlich gegen eine Kommunalisierung von Aufgaben. Wir sind aber der Meinung, dass wir uns im Bildungsausschuss nochmals damit beschäftigen müssen, wie wir als Parlament einen größeren Einfluss auf das Ergebnis der Verhandlungen zwischen der Landesregierung und den kommunalen Landesverbänden erhalten können. Das gilt auch für den Sozialausschuss. Aus Sicht des SSW gilt dies natürlich insbesondere auch für die Belange der Kindergärten der dänischen Minderheit, für die Möglichkeiten der Integrationsförderung und nicht zuletzt auch für die Förderung der Minderheitensprache in den Kindertagesstätten.

Auch der geplante Verkauf der Landesentwicklungsgesellschaft ist noch mit vielen Unwägbarkeiten behaftet. Die Landesregierung plant, im Jahre 2004 mit dem Verkauf einen Erlös von 110 Millionen € zu erzielen. Der Deutsche Mieterbund steht dem Verkauf der Wohnungen weiterhin sehr kritisch gegenüber. Auch die Zukunft der Landgesellschaft macht uns in diesem Zusammenhang Sorgen. Wichtig bleibt, dass durch die gefundene Regelung die Zielsetzung der Landesentwicklung gesichert wird.

Wir dürfen uns aber natürlich nichts vormachen: Der Verkauf der LEG geschieht aus blanker Not und nicht aus Überzeugung.

(Martin Kayenburg [CDU]: So ist es!)

Hinzu kommt, dass der Verkauf der LEG eigentlich schon im Haushaltsjahr 2003 geplant war. Wenn die LEG nun erst im nächsten Jahr verkauft wird, erhalten wir automatisch ein weiteres Haushaltsloch für das laufende Haushaltsjahr. Dieses Haushaltsloch wird allein schon deshalb entstehen, weil wir mit weniger Steuereinnahmen als bei der Haushaltsaufstellung erwartet rechnen müssen, und das, obwohl Schleswig-Holstein im ersten Halbjahr 2003 einen Anstieg der Steuereinnahmen gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 9,9 % oder über 225 Millionen € zu verzeichnen hatte. Damit hat Schleswig-Holstein das beste Ergebnis aller Flächenländer aufzuweisen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Du musst das mal genauer ansehen! Das sind zwei Erb- schaftsteuerfälle!)

- Lieber Kollege Kubicki, ich nehme die Anregung auf. - Damit hat Schleswig-Holstein - das steht fest - das beste Ergebnis aller Flächenländer aufzuweisen. Allerdings sind wir dadurch mit einer Finanzkraft von 100,7 % im Länderfinanzausgleich wieder zum Geberland geworden und haben deshalb im ersten Halbjahr auch geringere Einnahmen aus den Bundesergänzungszuweisungen bekommen. Das ist übrigens ein Punkt, der bei einer Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern aus unserer Sicht eine wichtige Rolle spielen sollte.

Im Ergebnis führt dies dazu, dass die Steuereinnahmen des Landes unter Berücksichtigung von Bundesergänzungszuweisungen und Länderfinanzausgleich um 6,7 Millionen € oder um 0,3 % unter dem Aufkommen des vergleichbaren Vorjahreszeitraumes liegen. Im Jahresdurchschnitt wurde bei der Haushaltsaufstellung von einem Anstieg der Steuereinnahmen im Verhältnis zum Vorjahr von 4,5 % ausgegangen. Das wird nach Adam Riese wohl nicht mehr zu erreichen sein. Zusammengenommen heißt dies, dass wir im November wahrscheinlich einen weiteren Nachtragshaushalt für 2003 verabschieden müssen, um dieses Defizit abzudecken.

Auch deshalb geht die Landesregierung für den Haushalt 2004/2005 von erheblichen Sparmaßnahmen im Bereich der Förderprogramme aus. Hier soll für die kommenden Jahre jeweils um 10 % der verbleibenden Mittel gekürzt werden. Bei den Zuwendungen, die nicht mehr unter den Förderprogrammen geführt werden, sollen 5 Millionen € gespart werden. Wir wissen alle, dass diese Sparvorschläge vielen Organisationen und Vereinen im sozialen und kulturellen Bereich das Rückgrat brechen können. Deshalb ist es sehr bedenklich, dass die Landesregierung mit der Konkretisierung bis zur Nachschiebeliste warten

(Anke Spoorendonk)