Protocol of the Session on April 2, 2003

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir treten in die Abstimmung ein. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf zur Federführung dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem so zustimmen will, den darf ich um das Handzeichen bitten. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das Haus hat einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Auswirkungen der „Fischler-Vorschläge“ auf die schleswig-holsteinische Landwirtschaft

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/2459

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/2593

Ich weise daraufhin: Mit dem Antrag der Fraktion der FDP wird ein Bericht beantragt. Wenn der jetzt gegeben werden soll - -

(Zuruf von der FDP)

- Die FDP wäre bereit zuzuhören.

Herr Minister Müller für die Regierung

(Minister Klaus Müller: Ich bin bereit zu re- den!)

- ist bereit zu reden. Denn machen wir das wie folgt: Es wird erst der Bericht gegeben und dann die Aussprache eröffnet.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

In dem Sinne: Herr Landwirtschaftsminister Müller!

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Dass die europäische Agrarpolitik reformiert werden muss, ist mittlerweile eine Binsenweißheit. Als ich heute morgen den Antrag der CDU-Fraktion gesehen habe, habe ich bemerkt: Es gibt hier einen sehr breiten Konsens.

Weil es in fünf Minuten keineswegs möglich ist, den gegenwärtigen Stand der europäischen Agrarverhandlungen differenziert darzustellen,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das trauen wir Ihnen zu!)

will ich mich insbesondere auf die beiden Punkte konzentrieren, die die FDP abgefragt hat.

Nach meiner Auffassung setzen die Vorschläge von Kommissar Fischler die richtigen Impulse für die Zukunft. Sie helfen bei der Einkommenssicherung. Sie verbessern die Wettbewerbsfähigkeit und die Verhandlungsposition der Europäischen Union im Rahmen der WTO. Gleichzeitig erhöhen sie die gesellschaftliche Akzeptanz für die notwendige finanzielle Unterstützung unserer Landwirte und des ländlichen Raumes.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Natürlich muss die Kommission Vorschläge für die ganze Gemeinschaft machen. Deshalb gibt es aus schleswig-holsteinischer Sicht noch manche Kritik und Verbesserungsvorschläge für die nun anstehenden Verhandlungen.

Wir müssen uns klar machen, dass es in Brüssel um viel Geld geht, viel Geld für unsere Landwirte. Die verschiedenen Direktzahlungen erreichen pro Jahr fast 300 Millionen €. Dahinter verbergen sich insbesondere Flächenprämien mit einem Anteil von 78 % und Rinderprämien mit einem Anteil von 18 %. Insgesamt besteht circa die Hälfte der Einkommen in der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft aus diesen Direktzahlungen. Das heißt, wir reden hier über existenzielle Fragen für unsere Landwirte und für den ländlichen Raum.

Die Landwirtschaft befürchtet, dass der regionale Bezug der Flächenprämien verloren geht. Weil Schleswig-Holstein bekanntlich die höchsten Ernten in Europa einfährt, sind unsere Flächenprämien entsprechend hoch, und zwar etwa 20 % über dem Bundesdurchschnitt. Bei Flächenprämien von insgesamt 224 Millionen € handelt es sich um einen Vorteil von

(Minister Klaus Müller)

ungefähr 45 Millionen €, den wir für SchleswigHolstein natürlich bewahren wollen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Eine einheitliche Flächenprämie für ganz Deutschland, die im Zusammenhang mit der Entkoppelung von Fischler vorgeschlagen wurde, widerspricht somit schleswig-holsteinischen Interessen. Die 45 Millionen € stünden hierbei auf dem Spiel. Deshalb werden wir uns mit den Landwirten auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass Schleswig-Holstein als eigenständige Ertragsregion anerkannt bleibt. Hier haben wir unter anderem Renate Künast an unserer Seite. Hier sehe ich auch gewisse Gemeinsamkeiten mit dem Antrag der CDU-Fraktion.

Unter dieser Bedingung ist der Vorschlag einer Entkoppelung der Direktzahlungen von der Produktion grundsätzlich richtig - im Übrigen mit Blick auf die Weltmarkthandelsrunde auch unvermeidbar. Das wissen eigentlich auch alle.

Für nicht zielführend halte ich allerdings das Modell einer individuell berechneten Betriebsbeihilfe, die sich nach den bisherigen Prämienansprüchen bemisst. Dagegen gibt es praktische Gründe - Stichwort: Pachtmarkt - und ein agrarpolitisches Gegenargument: Bestehende Ungleichgewichte zwischen einzelnen Betrieben würden festgeschrieben, insbesondere zwischen Acker- und Gründlandstandorten. Ausgerechnet das ökologisch wertvolle Gründland bekommt nämlich von den Segnungen der europäischen Agrarpolitik bisher kaum etwas ab.

Besser ist es, die alternative Flächenprämie ins Spiel zu bringen, die im Übrigen auch unsere Agrarverwaltung ganz entscheidend vereinfachen würde. Ich habe den Eindruck, dass der CDU-Antrag hier den letzten und entscheidenden Schritt scheut. Renate Künast hat im Agrarrat bereits alternativ vorgeschlagen, die Entkopplung schrittweise mit dem Ziel vorzunehmen, regional einheitliche Flächenprämien für Acker- und Gründlandstandorte zu bekommen. Wichtig ist mir dabei ein schrittweises Vorgehen, um abrupte Umverteilungen und Strukturbrüche zu vermeiden.

Unsere Berechnungen zeigen eine ziemlich symmetrische Verteilung der Gewinner und Verlierer. Bedenklich sind allerdings die Extreme. So würden auf der einen Seite 7 % der Antragsteller mehr als 10.000 € verlieren und auf der anderen Seite würden 7,6 % mehr als 10.000 € gewinnen. Bei einigen Dutzend Betrieben übersteigen Gewinne und Verluste sogar 50.000 €.

Solche Größenordnungen übersteigen natürlich die Anpassungsfähigkeit der Betriebe. Deshalb brauchen wir zur Abfederung Übergangsfristen, auch wenn uns das in der Verwaltung vorübergehend belasten wird.

Mir ist bewusst, dass die angegebenen Größenordnungen in Verbindung mit den von Fischler vorgeschlagenen obligatorischen Kürzungen der Direktzahlungen gesehen werden müssen - Stichwort: Modulation. Die Kürzungen sollen bis 2012 auf maximal 19 % ansteigen und nach Betriebsgröße gestaffelt werden. Die gekürzten Mittel fließen laut aktuellem Kommissionsvorschlag nur zum Teil nach SchleswigHolstein zurück und können im Rahmen so genannter Modulationsmaßnahmen zur Entwicklung der ländlichen Räume eingesetzt werden, wovon auch die Landwirte direkt oder indirekt profitieren. Hier gibt es sicherlich noch einen Dissens zwischen unserer Position und der Formulierung der CDU-Landtagsfraktion.

Der Kommissionsvorschlag in seiner aktuellen Fassung bedeutet herunter gebrochen auf SchleswigHolstein im Jahr 2012 folgende Konstellation: Die Gesamtkürzung von 37,5 Millionen € entsteht in einer Größenordnung von 13,5 Millionen € durch die Modulation. Diese Summe muss aus nationalen Mitteln - Stichwort: Gemeinschaftsaufgabe - um einen gleichen Betrag aufgestockt werden. Das heißt, für Modulationsmaßnahmen stünden dann circa 27 Millionen € bereit, das heißt mehr als heute.

Zum Vergleich: Momentan bereiten wir die nationale Modulation vor, die als Option bereits in der Agenda 2000 vorgesehen ist. Dabei werden wir ab kommendem Jahr Modulationsmaßnahmen in Höhe von circa 6 Millionen € durchführen, übrigens aus den Umweltabgaben kofinanziert.

Allerdings steckt in den Kommissionsvorschlägen ein Pferdefuß, der die politische Akzeptanz der Modulation infrage zu stellen droht. Die Kommission schlägt nämlich einen Umverteilungsmechanismus vor. Demnach sollen die Modulationsgelder erst in einem Brüsseler Topf gesammelt und dann schwerpunktmäßig an bestimmte Regionen verteilt werden. Über die Kriterien wird noch gestritten. Aber starke Agrarregionen wie Schleswig-Holstein drohen dann wohl eher hinten runterzufallen. Auch Deutschland insgesamt würde als Nettozahler erneut belastet. Deshalb ist sich das Kabinett einig und wir sind uns hier auch mit Renate Künast einig, dass Deutschland dieses Ansinnen klar ablehnen muss. Sonst kann man weder von Steuerzahlern noch von Landwirten eine Akzeptanz für dieses Ansinnen erwarten.

(Minister Klaus Müller)

In den Kommissionsvorschlägen steckt viel mehr Positives, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Trotzdem gibt es einzelne Punkte, wo wir klare Kritik und Änderungsvorschläge haben. Angesichts meiner Redezeit bin ich gern bereit, im Ausschuss nähere Erläuterungen zu geben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Minister Müller, zunächst einmal vielen Dank für diese Ausführungen. Soweit das überhaupt möglich war, waren Sie sehr dezidiert. Es ist klar: Wir bewegen uns etwas im Bereich der Spekulationen. Ich glaube aber, dass Sie entsprechende Angaben gemacht haben, die den Ergebnissen, die wir später zu erwarten haben, relativ nahe kommen.

Schleswig-Holstein ist ein Agrarland. Circa 80 % der Gesamtfläche des Landes werden landwirtschaftlich genutzt. Die Arbeitsplätze, die hier zusammen mit der Veredelungsindustrie bereit gestellt werden, sind für Schleswig-Holstein unverzichtbar. Aus diesem Grund muss uns an einer leistungsstarken, wettbewerbsfähigen Landwirtschaft gelegen sein, die hochwertige Lebensmittel produziert, so wie es in SchleswigHolstein eben der Fall ist.

Um eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft auf Dauer zu sichern, benötigen unsere Bauern Planungssicherheit für ihre Investitionen. Diese rechnen sich zum Teil erst nach vielen Jahren. Ständig kürzere Zeitabstände zwischen Agrarreformen schaffen aber keine Planungssicherheit. 1992 Mac Sharry, 2000 die Agenda 2000 und die Nächste folgt schon in den nächsten Jahren. Ein Kuhstall beispielsweise ist aber erst nach 20 oder 25 Jahren abgeschrieben.

Weiter sind für unsere Landwirte auch faire Wettbewerbsbedingungen erforderlich. Hier darf es durch die EU-Erweiterung nicht zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen kommen, die unserer auf hohem Niveau produzierenden Landwirtschaft zusätzliche Nachteile bringen. Allerdings tragen auch nationale Alleingänge wie die mit Beginn des Jahres in Deutschland eingeführte Modulation zu einseitigen Benachteiligungen bei.

Welche Auswirkungen die Fischler-Vorschläge konkret rechnerisch für die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein haben, ist schwer berechenbar. Die Schätzungen - der Minister hat hier eben einige vorgenommen - gehen von starken Einkommensverlusten bis zu gewissen Verbesserungen aus, je nachdem, welche Produkte angebaut werden.

Das Vorziehen der Milchmarktreform der Agenda 2000 um ein Jahr auf 2004/2005 wird aber - das ist schon jetzt festzustellen - zu erheblichen Einkommenseinbußen in der Landwirtschaft führen,

(Zuruf des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

und das vor dem Hintergrund der schon im letzten Jahr stark gefallenen Milchpreise.

Neben der rein landwirtschaftlichen Produktion erhalten und pflegen unsere Bauern aber auch unsere Kulturlandwirtschaft. Wer für Schleswig-Holstein mit Wellness und Tourismus weitere Chancen eröffnen will und in Hochglanzbroschüren mit grünen Wiesen und gelben Rapsfeldern wirbt, muss wissen, dass wir den Landwirten diese Landschaft verdanken, und muss bereit sein, dies entsprechend zu honorieren.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Peter Jensen-Nissen [CDU])

Meine Damen und Herren, unsere Landwirte kämpfen aber auch gegen eine ständig zunehmende Bürokratie. Anträge über Anträge sind im Laufe eines Jahres zu stellen, um den Betrieb führen und die verschiedenen Beihilfen erhalten zu können. Leider tragen die Fischler-Vorschläge nicht zu einem Abbau von Bürokratie bei, sondern werden die Landwirte mit zusätzlicher Verwaltungsarbeit belasten.