Protocol of the Session on February 20, 2003

Sichere Arbeitnehmerrechte sind elementarer Bestandteil unseres erfolgreichen Sozialstaates und damit auch der Wettbewerbsfähigkeit. Dies darf nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Zur aktuellen Diskussion, den Kündigungsschutz in Kleinbetrieben erneut aufzubrechen, bleibt festzuhalten, die arbeitsrechtlichen Regelungen in Deutschland bieten genügend Flexibilität für die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

(Beifall bei der SPD - Dr. Heiner Garg [FDP]: Da ist Heide Simonis ganz anderer Meinung!)

Deswegen ist die Aussage, nichts zu tun, völlig falsch, denn die Bundesregierung hat reagiert: kein Kündigungsschutz in den allgemein üblichen sechs Monaten Probezeit. Die Möglichkeit, Beschäftigte ohne sachlichen Grund bis zu zwei Jahren befristet einzustellen, besteht ebenfalls.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das ist alles nicht neu. Das hat nichts mit Hartz zu tun!)

Hinzukommt durch die Umsetzung der HartzVorschläge, Herr Kayenburg, nun auch die besondere Regelung für ältere Arbeitnehmer. Ab 52 Jahren kann diese Regelung der auf zwei Jahre befristeten Einstellung ständig wiederholt werden.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Mensch, bewegt euch doch einmal! - Angelika Birk [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch schon!)

- Hör’ doch einfach einmal zu! Du wirfst uns vor, nichts zu tun, willst dann aber nicht hören, was getan wird. Man kann natürlich auch mit geschlossenen Augen durch die Gegend laufen.

(Beifall bei der SPD - Dr. Heiner Garg [FDP]: Wir haben 4,7 Millionen Arbeitslo- se!)

Das ist das Hartz-Konzept. Im Hartz-Konzept selbst wird aber auch die verstärkte Ausweisung von Leiharbeit eingefordert und flexiblere Einsatzmöglichkeiten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind möglich. Es macht keinen Sinn, erneut zu überlegen, wie man in einem Betrieb zwei Klassen von Beschäftigten schafft, nämlich die mit Kündigungsschutz und die ohne Kündigungsschutz.

Da aber die FDP für ihren Antrag wieder einmal einen sozialdemokratischen Begründungszusammenhang brauchte, musste in diesem Fall Arbeits- und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement herhalten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Heide Simonis! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Heide Simonis!)

- Ja, Heide Simonis hat man nachgeschoben, Clement allerdings auch zitiert. Ich nehme einmal Wolfgang Clement. Er hat am 16. Februar gesagt - das ist noch gar nicht solange her -, niemand werde seinen Kündigungsschutz verlieren. Das ist die Grundaussage, auf der man weiter aufbauen kann.

(Beifall bei SPD und SSW - Martin Kayen- burg [CDU]: Sie reden von zwei Paar Schu- hen!)

Es geht Wolfgang Clement vielmehr, Herr Kayenburg, um flexiblere Grenzen und flexiblere Möglichkeiten, auch bei Einstellungen von Arbeitnehmern etwas in direktem Ausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erreichen.

Wer locker flockig formuliert: Arbeitslose genießen keinen Kündigungsschutz, wie das Heiner Garg in einer Pressemitteilung zu dem Antrag gemacht hat, muss sich auch sagen lassen, dass der Kündigungsschutz die wesentliche Maßnahme zum Schutze der Beschäftigen ist, die auf ihren Arbeitsplatz angewiesen sind. Für den größten Teil dieser Menschen ist es die einzige Einnahmequelle, um ihren Familien und sich selbst die Existenz sichern zu können. Insofern ist dies auch unter sozialstaatlichen Gesichtspunkten richtig.

(Beifall bei SPD und SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: 4,7 Millionen brauchen auch Arbeit!)

Zu dem freundlichen Angebot der FDP-Fraktion, das sie heute so nett in den Raum gestellt hat, ist zu sagen, dass man hinter seine eigenen Beschlüsse zurückfällt. Die Bundestagsfraktion hat ja angekündigt, nicht nur bei der Größe der Betriebe ansetzen zu wollen, sondern sie will zwei Jahre generell auf jede Art von Kündigungsschutz verzichten. Sie hat gesagt, sie will auf jeden Fall diese Verhandlungen dahingehend organisieren, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer schon am Anfang der Beschäftigung aushandeln, mit

(Wolfgang Baasch)

welchen Möglichkeiten der Abfindung sie aus dem Betrieb ausscheiden, wenn sie entlassen werden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Eine Idee von Gerhard Schröder!)

Ja, es geht hier schlicht und ergreifend darum, dass die FDP auf Bundesebene das fordert. Nur, liebe Kollegen, dies funktioniert eigentlich nur bei Fußballtrainern oder bei Herrn Esser von Mannesmann. Bei anderen funktioniert es nicht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Bei Staatssekre- tären!)

Wer ist denn bereit zu sagen, ich verzichte von vornherein auf meinen Kündigungsschutz, nur weil ich mit eineinhalb Monatsgehältern nach Hause gehen kann. Das ist keine Alternative. Das sage ich ganz offen. Insofern ist ein Konfliktfall vorprogrammiert, für den es keine Lösung gibt.

(Beifall bei SPD und SSW)

Aber man will es auf Bundesebene eigentlich anders und man will hier in Schleswig-Holstein nur einmal eine fröhliche Debatte loszetteln, weil man schon gar nicht mehr zu seinen eigenen Vorschlägen steht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nein, nein! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Ach du liebe Zeit!)

Es bleibt dabei: Der Kündigungsschutz ist Bestandteil des Sozialstaates der Bundesrepublik Deutschland. Der Sozialstaat hat entschieden dazu beigetragen, dass wir diese Form von Wirtschaft hier haben, wie wir sie unter sozialstaatlichen Gesichtspunkten wirken lassen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Hoch lebe die Sozi- aldemokratie!)

Wenn man im Zusammenhang mit Arbeitsmaßnahmen sagt, wir diskutieren einmal ohne Tabus, ist klar, dass die Tabus immer nur die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nie aber die Besitzstände der Arbeitgeber betreffen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Vor diesem Hintergrund ist es sehr einfältig, sich nur ein Segment, nämlich den Kündigungsschutz herauszugreifen. Deswegen ist es richtig, dass beispielsweise mit dem Hartz-Konzept ein viel größerer Bogen gespannt wird und andere Punkte angesprochen werden.

Deshalb bleibt weiterhin festzuhalten: Erst wird der soziale Friede zerstört und dann die Demokratie - eine

Konsequenz, die wir in der Diskussion über den FDPAntrag einmal mehr erleben konnten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: Meine Güte!)

Ich erteile dem Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Kayenburg, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Dezember 2000 steigt die Arbeitslosigkeit saisonbereinigt kontinuierlich an. Eine Trendumkehr ist nicht zu erkennen. Im Januar 2003 waren offiziell mehr als 4,6 Millionen Mitbürger arbeitslos. Es gibt Prognosen, die eine Anzahl von 5 Millionen Arbeitslosen nicht mehr für ausgeschlossen halten, auch wenn Herr Gerster heute im Durchschnitt des Jahres 4,2 bis 4,3 Millionen Arbeitslose genannt hat.

Deutschland befindet sich in einer schwerwiegenden strukturellen Krise. Wirtschaftliches Wachstum findet nicht mehr statt. Unser Wohlstand sinkt. Die sozialen Sicherungssysteme sind kaum noch finanzierbar. Die Verschuldung in Schleswig-Holstein und im Bund steigt ungebremst. Maßnahmen sind längst überfällig.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Eine entscheidende Ursache für die Massenarbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Schwäche ist die viel zu hohe Regelungsdichte für die deutsche Wirtschaft. Insbesondere der Mittelstand leidet unter zu vielen und starren Gesetzen und Verordnungen. Deregulierung und Flexibilisierung und eine Senkung vieler Normen sind unabdingbar. Nur so werden wir die Umkehr schaffen.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Mehr Beschäftigung ist allerdings ohne grundlegende strukturelle Reformen insbesondere in der Arbeitsmarktverfassung überhaupt nicht denkbar. Beschäftigungsbarrieren müssen abgebaut werden. Für mich ist ein wichtiger Punkt die Reform des Kündigungsschutzrechtes.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich will aber gern zugestehen, dass die Lockerung des Kündigungsschutzes nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung ist und daher zu keiner kurzfris

(Martin Kayenburg)

tigen Besetzung von Arbeitsplätzen führt. Auch ein Klimawechsel ist dringend erforderlich.

Die Reform ist aber auch erforderlich, weil das geltende Recht nicht hat verhindern können, dass mehr als 4,6 Millionen Mitbürger ohne Arbeit sind. Es hat auch nicht verhindern können, dass viele Ältere arbeitslos geworden sind. Es hat überhaupt nicht berücksichtigt, dass diese älteren Arbeitnehmer bei unverändertem Kündigungsschutz kaum Chancen auf eine neue Beschäftigung haben.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

- Herr Baasch, Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Regelungsintensität einfach viel zu hoch ist.

(Zuruf des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Deswegen ist der Antrag der FDP-Fraktion der Schritt in die richtige Richtung.

(Beifall bei der CDU)