Protocol of the Session on February 19, 2003

Meine Damen und Herren!

„Der Behauptung, dass Politiker nicht denken können, ist zu widersprechen.

(Vereinzelt Beifall bei CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jeder Politiker denkt an die nächsten Wahlen.“

Dies ist ein passendes Zitat von Marcus Ronner für das Programm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ der rot-grünen Bundesregierung, verkündet – das haben Sie gesagt – im Sommer letzten Jahres kurz vor der Bundestagswahl. Denn mit Bildungspolitik können Wahlen gewonnen werden. Das ist auch die neuste Erkenntnis der führenden Landespolitiker hier in Schleswig-Holstein, wie man anhand der Äußerungen von Lothar Hay erkennt. Als Bildungspolitikerin freue ich mich natürlich über die Wertschätzung, die Bildungspolitik jetzt auch von Rot-Grün erfährt, allein mir fehlt ab und zu der Glaube, wenn ich mir die Vorschläge und den vorliegenden Bericht ansehe. Er bietet inhaltlich nicht viel Neues. Das ist kein Vorwurf. Wenn nichts Neues zu berichten ist, dann ist nichts zu berichten. Er zeigt allerdings, wie Politik seit neuester Zeit gemacht wird, und hier zunächst erst einmal Bundespolitik. Da wird zur Unterstützung des eigenen Wahlzieles ein Bundesprogramm medienwirksam öffentlich verkündet, ohne dass sich die verantwortlichen Politiker Gedanken darüber gemacht haben, ob und wie dieses Programm umzusetzen ist, welche zusätzlichen Kosten es bei Land und Kommunen verursacht und welche Folgekosten nach Ablauf des Programms auf die Beteiligten zukommen.

Die Bildungsministerin Bulmahn verkündet die Bereitstellung von 1,4 Milliarden € für die Hortbetreuung, für 20 % der Kinder von null bis drei Jahren. Das würde 10.000 Hortplätze für Schleswig-Holstein bedeuten. Das hört sich toll an. Aber auf welche Weise sollen diese zusätzlichen Mittel bereitgestellt werden? Ich zitiere aus dem Bericht der Landesregierung – auch dies muss man sich auf der Zunge zergehen lassen -:

„Die Koalitionsvereinbarung sieht vor, dass die Mittel für eine Betreuung von 20 % der Kinder unter drei Jahren dadurch bereitgestellt werden, dass die Kommunen die bei ihnen entstehenden Minderausgaben im Zuge der Umsetzung des Hartz-Konzeptes in entsprechender Höhe behalten dürfen.“

Wie und ob das Hartz-Konzept umgesetzt werden soll, steht allerdings noch in den Sternen, und die eventuelle Höhe der eventuellen Einsparung kann ebenfalls noch nicht realistisch geschätzt werden. Herr Klug hat es mit fast den gleichen Worten gesagt: Das ist ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft und keinesfalls eine Finanzierungszusage. Vielmehr werden hier Hoffnungen und Erwartungen bei den Eltern geweckt, die auf eine solche Betreuung ihrer Kinder angewiesen sind. Diese Erwartung werden sie in Ansprüche umformulieren, die sie an die Kommunen stellen. Die Kommunen als Letzte in der Hackordnung stehen wieder einmal vor einer Aufgabe, die von oben oktroyiert worden ist und für deren Finanzierung sie gerade stehen sollen. Das ist eine verantwortungslose Politik von Bundesseite und ein weiterer Ansatz dafür, Herr Klug, dass das Konnexitätsprinzip auch bei Aufgabenübertragungen vom Bund auf die Kommunen in das Grundgesetz aufgenommen werden müsste.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ein ähnlicher Eiertanz wird bei der vom Bundeskanzler ebenfalls medienwirksam verkündeten Einrichtung von 10.000 Ganztagsschulen aufgeführt, für Schleswig-Holstein rein rechnerisch 338 im Zeitraum bis 2007. Finanzielle Mittel allerdings nur für investive Maßnahmen wurden versprochen. Der Haushalt 2003 des Bundes wird allerdings erst im März abgesegnet. Dass zusätzliche Ganztagsschulen als Angebotsschulen auch für Schleswig-Holstein notwendig sind, steht außer Frage. Die CDU hat dazu schon Initiativen gestartet und frühzeitig zusätzliche Ressourcen gefordert, um die Qualität des Bildungssystems auch durch Ganztagsschulen zu verbessern.

Dass eine qualitative Verbesserung dieses Systems nicht durch rein investive Maßnahmen für die räumliche und sächliche Ausstattung erreicht werden kann, hat auch der Bundeskanzler erkannt. Deshalb schiebt er die Folgekosten hinsichtlich der notwendigen personellen Ausstattung auf die Länder ab. Rot-Grün in diesem Land kann und will die Ganztagsschulen und damit auch die zusätzlichen Ressourcen nicht finanzieren und hält an der Ganztagsbetreuung fest, hofft auch noch weiterhin, diese mit den versprochenen investiven Mitteln ausbauen zu können. Welche Kos

(Sylvia Eisenberg)

ten damit aber auf die Kommunen in sächlicher und personeller Hinsicht zukommen, so der Bericht der Landesregierung, kann ebenfalls nicht beziffert werden. Das gleiche Schema: Die Kommunen sind die Gekniffenen.

Wenn so, meine Damen und Herren, Bildungspolitik gemacht wird, sowohl vom Bund als auch vom Land, dann wird es Zeit, dass wir die politischen Verhältnisse hier einmal ändern.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Birk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalitionsvereinbarungen der Bundesregierung führen uns in Schleswig-Holstein überdeutlich vor Augen: Es besteht ein großer Nachholbedarf sowohl für die Ganztagsbetreuung in Schulen und Kindertagesstätten als auch für die Betreuung der Kinder unter drei Jahren. Von einem Einstieg in eine flächendeckende Versorgung gerade für Letztere können wir – das hat die Antwort auf die Große Anfrage unserer Fraktion zutage gefördert – in Schleswig-Holstein überhaupt nicht sprechen. Es sind verschwindend wenige Kindertagesstätten, die Krippenplätze anbieten.

Angesichts dieser Tatsache kann sich niemand zurücklehnen und ein Schwarzes-Peter-Spiel betreiben, denn jede politische Kraft, jede gesellschaftliche Gruppe hat sich selbstkritisch zu fragen, was sie in der Vergangenheit zur Lösung des Problems beigetragen hat und vor allem welchen Beitrag sie jetzt für die nächsten Jahre leisten will.

Denn nicht erst seit PISA, aber wenigstens nach PISA kann niemand mehr die Augen davor verschließen: Die Investitionen in unsere Kinder sind die Investitionen in die Zukunft. Wer hier versäumt, der versündigt sich an unseren Kindern und der versündigt sich auch an der Zukunftsvision für das eigene Land.

Wenn wir hier von großen Zahlen reden, soll uns das nicht entmutigen, sondern ermutigen. Natürlich ist der Bund nicht für die Finanzierung der Bildungsaufgaben und die Kinderbetreuung zuständig. Das sind kommunale Aufgaben und Landesaufgaben. Wenn er dennoch Mittel dafür zur Verfügung stellt, sollten wir das nicht beargwöhnen, sondern nach Mitteln und Wegen suchen, diese Mittel einzusetzen. Ich bin Herrn Höppner sehr dankbar dafür, dass er einmal

sehr konkret vorgerechnet hat, was man mit diesem Geld alles anstellen kann.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch darauf eingehen: Warum hat Schleswig-Holstein so viel Nachholbedarf? - Erst Anfang der 90er-Jahre, nach dem Regierungswechsel, ist hier überhaupt investiert worden durch das Landeskindertagesstättengesetz und durch die Gründung von mehr Ganztagsschulen, insbesondere im Bereich der Gesamtschulen. Das ist in den anderen Bundesländern schon früher besser gewesen.

Welche alternativen Entwicklungen möglich gewesen wären, wird deutlich, wenn wir uns mit den Stadtstaaten und den neuen Bundesländern vergleichen, für die die angebotenen Investitionen des Bundes und die avisierten Zahlen bis zum Jahr 2007 keineswegs utopisch sind. Es gibt sogar Bundesländer, die können diese Zahlen, die hier avisiert sind, in einigen Bereichen schon vorweisen. Dort geht es nur um eine qualitative Weiterentwicklung oder eine Arrondierung in bestimmten Gebieten oder das Halten eines solchen Standards. Ich finde es sehr beeindruckend, wie es den Müttern in den neuen Bundesländern gelingt, trotz hoher Arbeitslosigkeit den Standard an Kinderbetreuung und an Betreuungszeiten zu verteidigen. Davon könnten wir hier manchmal etwas gebrauchen.

Wir brauchen jetzt eine gemeinsame Initiative aller gesellschaftlichen Kräfte. Ich bin froh darüber, dass nach der PISA-Debatte tatsächlich ein Ruck durch die Gesellschaft geht und dass von der Baden-Württembergischen Handwerkskammer bis zum McKinsey Investitionen für unsere Kinder diskutiert werden und dabei auch die Idee einer Schule, eine Schulvision, die die Kinder möglichst lange in einem Verband zusammenlässt, anstatt sie nach Leistung oder anderen Parametern zu sortieren, nach langen Jahren wieder auch in diesem Land diskussionsfähig wird.

Deswegen werden wir uns bei den Vorstellungen, wie wir die Mittel einsetzen, von dem Pragmatismus derjenigen leiten lassen, die auch bisher das Zusammenwirken von Jugendhilfe und Schule vor Ort gut auf den Weg gebracht haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist uns in den Auseinandersetzungen gelungen - hieran hatten auch grüne Politikerinnen und Politiker Anteil -, dass sich der Begriff Investitionen nicht auf eine Bauinvestitionen beschränkt, sondern damit tatsächlich ein umfassendes Konzept realisiert werden kann, nicht laufende Personalmittel für den Unterricht - das ist klar -,

(Zuruf der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

(Angelika Birk)

aber auch andere Dinge, beispielsweise Dinge, die zur Einrichtung einer Cafeteria gehören. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass angesichts der anderen Flexibilisierungsschritte, die wir im Schulbaufonds vorgenommen haben, hier tatsächlich eine Weite von Möglichkeiten erreicht worden ist, die den Kommunen für die Zukunft Hoffnung geben kann. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt zu einer Schulentwicklungsplanung, möglichst abgestimmt mit Jugendhilfeorientierungsdaten, kommen und nicht Fehlinvestitionen tätigen, sondern uns überlegen: An welchen Stellen brauchen wir Oberstufenzentren, an welchen Stellen können wir Grund- und Hauptschulen zusammenfassen,

(Zurufe der Abgeordneten Sylvia Eisenberg [CDU] und Frauke Tengler [CDU])

wo brauchen wir die Ganztagsangebote am dringendsten und wie können wir Krippenplätze mit anderen Kindertagesstätten vernetzen?

Ich sage ganz deutlich in Ihre Richtung, Frau Eisenberg: Es geht uns nicht um den Abbau von Oberstufenkursen. Wir haben in Finnland gemerkt, wie wunderbar es ist, wenn viel mehr Auswahl an Oberstufenkursen da ist als bei uns.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Auf nach Finn- land!)

Wie ist das in einem Land mit viel größeren Flächen und viel dünnerer Besiedlung als bei uns möglich? - Durch Zentrenbildung. Es ist älteren Schülerinnen und Schülern durchaus ein weiterer Weg zuzumuten, als das bei uns der Fall ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da können wir zu sinnvollen Synergieeffekten kommen und damit Mittel freimachen,

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Viel Spaß!)

die wir für die Ganztagsbetreuung der Jüngeren brauchen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen Dank für den Bericht und vielen Dank für die weiteren Ausführungen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Für die offenen Worte!)

Ich fand das sehr reell.

(Beifall bei SSW und FDP)

Sie haben das bestätigt, was sich aus dem Bericht ergibt. Ich fand das sehr erfrischend.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nicht üblich!)

- Ich kenne das sonst auch. Aber es war sehr schön knapp dargestellt und zu sehen, dass es im Moment nicht möglich ist, genauere Auskünfte zu erteilen.

Es ist schön, wenn man weiß, dass sich jemand um einen sorgt. Das gilt für die Kinder in den Tagesstätten ebenso wie für die Regierungsmehrheiten. Die FDP sorgt sich darum, ob es die rot-grüne Regierungsmehrheit wirklich schafft, ihren Koalitionsvertrag umzusetzen. Darin steht nämlich, dass sie im Jahr 2004 damit beginnen möchte, in SchleswigHolstein und anderswo für eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung, mehr Ganztagsschulen zu sorgen. Wir sind uns glücklicherweise alle miteinander einig darin, dass die Kinderbetreuung in Deutschland noch besser werden kann. Deshalb freut es uns natürlich, dass auch die Bundesregierung verstärkt die unter Dreijährigen und die Schulkinder berücksichtigen möchte.

Der Landtag hat sich, wie der Kollege Höppner auch schon ausgeführt hat, vor kurzem mit der Antwort auf die Große Anfrage zur Kinderbetreuung in Schleswig-Holstein beschäftigt. Dabei wurde deutlich, dass die Angebote für Kinder unterhalb des Kindergartenalters und im Schulalter erhebliche Mängel aufweisen. Wir stimmen darin überein, dass das nicht so bleiben sollte. Deshalb ist die Absicht der Bundesregierung zu begrüßen, eine Versorgungsquote von 20 % bei den Kleinsten zu erreichen.

Wie sich aus der Antwort der Landesregierung, aber auch aus der Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion auf Bundesebene ergibt, gibt es hier ganz große Probleme. Man weiß gar nicht genau, wie man das machen möchte. In Schleswig-Holstein würde das möglicherweise die Schaffung von 10.000 neuen Plätzen in Kindertageseinrichtungen und Tagespflegestellen bedeuten.