Protocol of the Session on January 22, 2003

Bereits jetzt hat Schleswig-Holstein durch sein Ja zur administrativ verordneten Nullrunde in den Krankenhäusern dafür gesorgt, dass sich die Personalsituation in den Kliniken in dem Land weiter verschärfen wird. An der Kieler Universitätskinderklinik sind bereits jetzt acht Stellen von insgesamt 40 Stellen auf der Kinderintensivstation unbesetzt. Die Einführung der Fallpauschalen wird die derzeitige Situation noch verschärfen.

Auch im Stammland der Diagnostic-Related-Groups zeigt sich, dass die Kinderheilkunde bei der Anwendung von Fallpauschalen das Nachsehen hatte. Australien hat mittlerweile mit entsprechend eigenen Kostengewichtungen für Kinder reagiert. Ich fordere deshalb die Landesregierung dazu auf, sich ebenfalls für eine entsprechende Kostengewichtung der Fallpauschalen für Kinder einzusetzen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sind Kinder in Schleswig-Holstein heute gesünder als Mitte der 90er-Jahre? Ist es allen für die Gesundheit Verantwortlichen gelungen, die Lebensbedingungen im Land für Kinder zu verbessern? Gibt es in einzelnen Bereichen Hinweise auf eine Verschlechterung der Kindergesundheit, und wenn ja, was ist dagegen zu tun? Wie sieht die Versorgung mit Arztpraxen, Kliniken, psychotherapeutischen und psychiatrischen Hilfen für Kinder im Land aus und wie weit sind die landesweiten und regionalen Präventionsnetzwerke fortgeschritten? Wer das wissen will, muss den sehr informativen - ich wiederhole: sehr informativen! - wissenschaftlichen Kindergesundheitsbericht der Landesregierung von 1997, auf den die Kollegen schon hingewiesen haben, fortschreiben. Ich finde, dies ist an der Zeit.

Der vorliegende CDU-Antrag reicht hierzu allerdings nicht aus. Wir haben weiter gehende Vorstellungen und hoffen, nach baldiger Diskussion - ich betone: nach baldiger Diskussion! - im Fachausschuss einen fraktionsübergreifenden neuen Antrag zu verabschieden.

Warum reicht der CDU-Antrag nicht aus? Gesundheitsberichte über eine ganze Population sind immer nur statistische Momentaufnahmen. Zum Analyseinstrument für gesundheitliche Entwicklungen und das Einhalten gesundheitspolitischer Zielvereinbarungen werden sie erst, wenn sie regelmäßig - ich betone: regelmäßig! - zu bestimmten gleich bleibenden Fragestellungen fortgeschrieben werden.

So wissen wir beispielsweise, dass sich Säuglingssterblichkeit und Zahnerkrankungen bei Kindern nicht nur dank neuer medizinischer Techniken, sondern vor allem auch dank flächendeckender, gemeinsam von vielen Akteuren verabredeter und kontinuierlich durchgetragener Präventionsmaßnahmen erheblich verringert haben. Ich habe zum Beispiel in dem Gesundheitsbericht von 1997 die interessante Feststellung treffen dürfen, dass in Dithmarschen Mitte der 90er-Jahre nach der Säuglingssterblichkeitstatistik als einzigem Kreis 15 Kinder pro 1000 - leider! - bei der Geburt ums Leben gekommen sind. In den anderen Kreisen und kreisfreien Städten waren es immer unter zehn. Nun kann man sagen: Diese kleinen Zahlen, was soll das schon? Das ist aber ein erheblicher Unterschied. Wenn man nun wissen will, ob das Ausreißer sind oder ob das Kontinuität hat und wie die Dithmarscher inzwischen vielleicht reagiert haben, muss man solche Parameter sehr genau fortschreiben. Schon eine geringe Verschiebung der Fragestellung ergibt keine eindeutige Antwort.

Ähnlich interessiert uns - hierzu haben wir in Schleswig-Holstein eine besondere Kommission eingesetzt - die gesamte Leukämiefrage, die Kindersterblichkeit aufgrund von Leukämie insbesondere in Bezug zu bestimmten Standorten - Stichwort, Ihnen allen bekannt: Krümmel und Umgebung, aber auch andere Standorte.

Zu vielen Fragestellungen werden wir sicherlich einerseits Kontinuität brauchen, um Aussagen treffen zu können, andererseits - das hat der Gesundheitsbericht 1997 auch getan - brauchen wir zu aktuellen Fragestellungen so genannte Spotlights. In dem letzten Bericht haben das Thema Gewalt gegen Kinder anhand der Berichte der Uni-Klinik zu Lübeck und der sonstigen Kinderkliniken und das Thema Unfallprofile in Kiel anhand von Schulwegbetrachtungen geografische Spotlights gegeben. Durch den geographischen Ausschnitt wurde eine Fragestellung exemplarisch erschlossen, sodass man darüber nachdenken kann, welche Überlegungen es bezogen auf das ganze Land anzustellen gilt.

Insofern könnte ich mir Fragestellungen vorstellen, die die neuen Kinderkrankheiten betreffen. Das sind Umweltverschmutzung, die Folgen des Autoverkehrs,

(Angelika Birk)

die Folgen von Fehlernährung und von Bewegungsmangel, aber auch die neuen Suchterkrankungen und Allergien. Wir sollten im Ausschuss darüber diskutieren, wo es schon landesweite oder bundesweite Fragestellungen gibt und wo wir gegebenenfalls mit Spotlights Schrittmacher sein müssen.

Dies können wir umso mehr, als - darauf wurde dankenswerterweise schon hingewiesen - einzelne Regionen wie zum Beispiel die Stadt Lübeck vorbildlich tätig geworden sind; sie haben insbesondere auch regional zu den Themen Fehlernährung oder Sprachstörungen, Sprachentwicklungshemmungen sehr gute Aussagen anhand der Auswertungen in den Schuleingangsuntersuchungen gemacht. Die haben uns ja wesentlich motiviert, dass wir im Bereich der Bildungspolitik zu gemeinsamen und fraktionsübergreifenden Erkenntnissen und Schlussfolgerungen gekommen sind.

Es wäre dann natürlich auch interessant zu gucken, ob dann, wenn diese Maßnahmen begonnen werden, sie tatsächlich Folgen haben, die sich im Gesundheitsbericht niederschlagen.

Wir möchten also dazu auffordern, dass wir uns im Sozialausschuss zeitnah mit der Fragestellung seriös beschäftigen und zu einer gemeinsamen Antragstellung kommen. Ob wir uns dann auf die Jahre verständigen, die hier mein Kollege Jahner genannt hat, das kann ich jetzt noch nicht entscheiden. Das scheint auch mir ein wenig lang hin zu sein,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

um es einmal deutlich zu sagen. Aber wenn Sie beispielsweise, egal wer regiert, Bundesberichterstattungen zu so globalen Themen wie beispielsweise Gesundheit von gesamten Populationen verfolgen und sehen, welche Institutionen das machen - der Name Robert Koch ist hier ja schon gefallen -, dann - das möchte ich betonen - sind für solche wissenschaftlichen Untersuchungen zwei Jahre offensichtlich der Standard. Ob wir uns daran anschließen müssen, ob wir eigene Anstrengungen unternehmen, ob hierzu genügend Datenmaterial auch seitens der Kommunen vorliegt, dazu wird uns sicherlich die Ministerin berichten. Ich hoffe auf eine angeregte und zielführende Debatte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ebenso wie die Frauen bei der Entstehung des Gesundheitswesens vernachlässigt worden sind, hat die Gesundheitspolitik auch lange die Kinder vernachlässigt. Ein plakatives Beispiel: Lange Zeit sind Medikamente nur an Erwachsenen erprobt worden, obwohl Kinder ganz eigene Bedürfnisse haben.

Gerade weil es gilt, erhebliche Wissenslücken in diesem Bereich zu schließen, läuft seit dem Jahre 2001 - der Kollege Jahner hat es schon erwähnt - eine umfassende Studie des Robert-Koch-Instituts und des Umweltbundesamtes, die von drei Bundesministerien in Auftrag gegeben worden ist.

Die Untersuchung „Kinder- und Jugendgesundheit 21“ wird aber erst in zwei Jahren abgeschlossen sein. Bei dieser Studie geht es explizit auch um die Fragen, die im vorliegenden Antrag aufgeworfenen werden. Erst wenn diese Studie vorliegt, haben wir die notwendige Datengrundlage, um in diesem Bereich möglicherweise eine neue Politik zu gestalten, die konsequent die Besonderheiten von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt.

Bis diese Wissensgrundlage vorliegt, macht es vor allem Sinn, konkrete Probleme in diesem Bereich aufzugreifen. Ich will dazu sagen, dass das, was die Kollegin Birk gerade aufgezählt hat, solche konkreten Beispiele sind, die wir hier im Moment auch in Schleswig-Holstein aufnehmen sollten.

Ich möchte hier aber auch noch zwei weitere Punkte nennen, die für den SSW im Zusammenhang mit dem Kindergesundheitsbericht aufgenommen werden sollen. Das eine ist die geplante Landesverordnung über die schulärztlichen Aufgaben. Sie sehen eine deutliche Verringerung der Schulgesundheitsuntersuchungen vor.

Wenn man einmal davon absieht, dass manche Kreise ohnehin nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Untersuchungen durchführen, stellt die Abschaffung der Schuluntersuchungen in der 3. oder 4. Klasse und der zweiten Schullaufbahnuntersuchung während der 8. oder 9. Klassenstufe eine Verschlechterung dar; denn durch eine gute Zusammenarbeit von öffentlichem Gesundheitsdienst, Schulen und Eltern könnten frühzeitig gesundheitliche Probleme erkannt und behandelt werden. Außerdem könnten auch Fehlentscheidungen in Bezug auf die spätere Berufswahl für Kinder und Jugendliche vermieden werden.

Der zweite konkrete Punkt, der nach unserer Ansicht im Bericht gern Erwähnung finden sollte, ist weiterhin die psychiatrische Versorgung von Kindern und

(Silke Hinrichsen)

Jugendlichen. Dabei wollen wir aber auch darauf hinweisen, dass gerade hier die Landesregierung für ambulante Angebote gesorgt hat.

Aber als wir diesen Antrag vorliegen hatten, hat uns doch besonders die Frage beschäftigt, was ein mündlicher fünf- oder zehnminütiger Bericht zu einer solchen umfassenden Fragestellung bringen soll. Ich denke, dass auch hier möglicherweise der Kollege Kalinka Defizite in der Versorgung sieht oder gesehen hat. Wir hoffen, dass wir spätestens im Ausschuss endlich hören werden, welche Punkte das eigentlich sind.

Wir werden uns dem Antrag auf Ausschussüberweisung anschließen. Im Sozialausschuss können wir dann gern über die Inhalte weiter sprechen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich zu einem Kurzbeitrag Herrn Abgeordneten Kalinka das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jahner, wenn Sie erst im Jahr 2006 einen Bericht hören wollen, dann meine ich, dass ein Zehnjahresrhythmus einfach zu lang ist.

(Arno Jahner [SPD]: Ich will es nicht! Ich schätze es so ein, habe ich gesagt!)

Ich denke, dass eine Berichtserstattung über die aktuelle Entwicklung bei Kindern im Zehnjahresrhythmus ein wenig zu lang wäre.

(Arno Jahner [SPD]: Ich schätze es so ein!)

Ich glaube, von daher ist dieses Argument schon einmal zwingend.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Zweitens! So allmählich muss man sich aber Sorgen um das Sozialministerium machen. Nun ist das Kabinett gerade umgebildet worden und jetzt sind sie noch nicht einmal in der Lage, einen solchen Bericht in dieser Legislaturperiode vorzulegen.

(Zuruf bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich muss wirklich sagen: Es macht einen besorgt, mit welchem Reformtempo diese Regierung hier arbeitet!

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich möchte das gern auch noch einmal ergänzen: Wenn 1997 ein Bericht gegeben wurde, dann gehe ich davon aus, dass im Haus selbstständig weitergearbeitet wird.

(Zuruf von Ministerin Heide Moser)

Ich gehe doch davon aus, dass das Haus selbstständig weitere Daten erhebt. 64 Seiten waren das! Meine Damen und Herren, da muss es doch möglich sein - mit oder ohne Kinder- und Jugendbeauftragte -, einen solchen Bericht in einer Legislaturperiode noch hinzubekommen!

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich finde eines sehr ermutigend, nämlich, dass die Kollegin Birk hier gesagt hat - es ist ja festzustellen, dass die Koalition nicht mehr mit einer Stimme spricht -, es sei an der Zeit, einen Bericht abzugeben. Sie meinten, dass das, was wir vorschlügen, nicht ausreichend sei. Das können wir aber gern ergänzen. Diese Ergänzung hätte man ja auch schon einmal in den letzten Wochen anregen können, aber das können wir auch im Ausschuss machen. Wir wollen über so etwas nicht streiten.

(Arno Jahner [SPD]: Habe ich doch auch ge- sagt!)

Aber hierfür möchte ich doch vielen Dank sagen. Ich freue mich, dass Sie das erheblich differenzierter sehen, als das hier offenbar andere dargelegt haben. Vielen Dank für diesen Hinweis.

(Beifall bei der CDU - Arno Jahner [SPD]: Das war wieder der alte Kalinka!)