Protocol of the Session on October 11, 2002

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welche Rolle im Gesundheitswesen das Geschlecht spielt? - Das vielleicht als zunächst einmal etwas simple Übersetzung des Berichtsauftrags.

Wir wissen, Männer stellen immer noch die Mehrheit der Ärzteschaft, Frauen sind mehr in der Pflege, in den schlechter bezahlten medizinischen Bereichen tätig. Das Bild beginnt sich Gott sei Dank zu wandeln. Ich bin dankbar, dass das Land SchleswigHolstein im Pflegebereich dazu beiträgt.

Allgemein geleugnet wird auch nicht, dass Jungen und Männer häufiger und jünger durch tödliche Un

fälle, Zusammenbrüche oder Kriege ums Leben kommen. Frauen lassen sich häufiger und länger medizinisch behandeln und leben dann auch länger. Ob dies allerdings bei der Baby-Boomer-Generation so bleibt, ist eine spannende Frage.

Weniger bekannt ist, dass Krankheitsarten und Symptome derselben Krankheit sowie die Selbstwahrnehmung der Krankheit sehr stark von der Herkunft, dem sozialen Status oder eben auch dem Geschlecht abhängig sind. Insofern bin ich Ihnen sehr dankbar, Frau Ministerin, dass Sie dies als Motto Ihrem mündlichen Beitrag vorangestellt und gesagt haben, hier müssten wir weiterhin mit anderen Partnern im Gesundheitswesen arbeiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Offensichtlich ist dieser Geschlechtsunterschied an den häufigsten Krankheitsbildern Herzinfarkt mehr bei den Männern, Brustkrebs und Süchte vor allem mehr bei den Frauen. Aber auch hier - das hat Herr Garg gerade am Beispiel der Essstörungen deutlich gemacht - findet im Zuge der Emanzipation der Frauen eine Angleichung der geschlechtsspezifischen Krankheitsbilder statt.

Erst auf internationalen Druck der Frauenbewegung wurde Folgendes öffentlich. Viele Medikamente sind bis in die 80er-Jahre weltweit nur an Männern ausprobiert worden. Die Wirkung auf Frauen und Kinder wurde vor der Markteinführung nur theoretisch berechnet. Männern werden häufiger Medikamente gegen physische Leiden verschrieben, Frauen bei derselben Symptomatik eher psychische. Manche Krankenkassen entdecken eher zufällig, welche Geschlechtermehrheit ihre Mitgliedschaft hat. So hat die Barmer Ersatzkasse neulich erstaunt festgestellt, drei Viertel ihrer Mitglieder ist weiblich. Sie beginnt nun, dem auch Rechnung zu tragen.

Wir haben in dem Bericht eine Reihe von Strategien vorgefunden, bei denen im schleswig-holsteinischen Kontext nicht nur gezählt und berechnet wird, sondern bei denen der Geschlechterrolle mit neuen Wegen Rechnung getragen wird. Das ist im Bereich Brustkrebs so. Das ist im Bereich der Süchte so. Das ist im Bereich der psychiatrischen Versorgung so.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal mehr, als der Bericht es tut, die strategischen Bausteine der Brustkrebsbekämpfung hervorheben.

Erstens haben die Daten des neuen Landeskrebsregisters und der Dialog der Ärzteschaft dafür gesorgt, dass deutlich wurde: An der Westküste wird die Ersterkennung erst in einem viel fortgeschrittenerem

(Angelika Birk)

Krankheitsstadium deutlich als in anderen Landesteilen. Innerhalb von zwei Jahren haben diese Erkenntnis und dieser Dialog mit den Ärzten dafür gesorgt, dass sich das Ergebnis deutlich verbessert hat. Das heißt, auch an der Westküste erkennen Ärzte nun früher, wenn eine Frau Brustkrebs hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und vereinzelt bei der CDU)

Dies ist ein ganz deutlicher Fortschritt des Gender Mainstreaming.

Zweitens hat die Selbstuntersuchung über die Landfrauen, die beispielgebend ist, sicherlich zu einer Weiterverbreitung des Phänomens beitragen.

Drittens. Das schon erwähnte Modellprojekt der Qualifizierung der Ärzteschaft und der Verbesserung der psychologischen Betreuung im Bereich der Brustkrebsfrüherkennung ist wirklich ein beispielgebendes und federführendes Element für die gesamte Bundesrepublik. Ich erhoffe mir, dass die Erkenntnisse auch in anderen Bundesländern umgesetzt werden und setze auf die Koalitionsverhandlung des Bundes zu dieser Thematik.

Im Suchtbereich und im psychiatrischen Bereich sind wir in den ambulanten und zum Teil in den stationären Angeboten aufgrund der Richtlinien ein Stück weitergekommen. Ich möchte an dieser Stelle noch entschiedener, als Herr Garg das getan hat, wesentliche Schlussfolgerungen aus dem Bericht ziehen. Zum einen ist es so, dass im Kindertagesstättenbereich, einer ganz wichtigen Erstbegegnung, bei einer möglichen Gesundheitsprävention für inzwischen fast alle Kinder in Schleswig-Holstein das Thema Geschlecht offensichtlich ein blinder Fleck ist.

Zum anderen ist die Feststellung, dass wir in der Pflege eine überdeutliche Mehrheit von Frauen sowohl als zu Pflegende als auch in den Berufen haben und dass wir bei der Führungsspitze etwas tun müssen, noch nicht ausreichend, um in diesem Bereich tatsächlich zu einem besseren Verhältnis auch der Frauen zueinander zu kommen. Diese Arbeit muss insgesamt aufgewertet werden. Das gilt insbesondere für die häufig privaten Pflegeverhältnisse zu Hause.

Nun zu einem Dritten: Während in der Schwerpunktsetzung der Sozialpädagogik Kiel das Thema Frauengesundheit oder eben auch im Frauensuchtbereich, beim Brustkrebs und so weiter schon Strategien entworfen werden, wie der Zusammenhang von Frauenrolle, Krankheitsbilder und Gesundheitsverhalten verändert werden kann, fehlt ein solcher fachlicher und politischer selbstreflektiver Zugang in Bezug auf die männliche Rolle durch Männer völlig,

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Heiner Garg [FDP])

und dies, obwohl Männer traditionell die Ressourcen und Machtpositionen im Gesundheitswesen innehaben. Das ist nicht nur in Schleswig-Holstein so. Insofern ist das kein Vorwurf an die Ministerin, sondern eine Aufforderung auch an Sie alle, meine Herren. Denn solange sich dies ändert, laufen Männer weiterhin Gefahr, früher und plötzlicher als Frauen zu sterben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: Richtig!)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frauen und Männer unterscheiden sich, was Gesundheit und Krankheit angeht. Dabei geht es nicht nur darum, dass Männer und Frauen aufgrund von nicht wegzudiskutierenden körperlichen Unterschieden besondere Krankheiten bekommen können. Es geht vor allem darum, dass Frauen und Männer aus unterschiedlichen Ursachen mit unterschiedlichen Entwicklungsverläufen Krankheiten bekommen können. Deshalb muss die Behandlung und natürlich die Vorbeugung von Krankheiten entsprechend auf die Geschlechterunterschiede reagieren.

Die Zuständigkeiten des Landes beziehen sich in diesem Zusammenhang nicht so sehr auf die medizinische Versorgung in Arztpraxen und Krankenhäusern. Das Land hat aber Einfluss auf die geschlechtsdifferenzierte Förderung für Kinder und Senioren, in der Drogenhilfe oder der Psychiatrie.

Die leichteste Antwort auf diese Probleme ist es lange Zeit gewesen, frauenspezifische Einrichtungen zu gründen, die Frauen die besondere Zuwendung gibt, die sie brauchen. Allerdings stößt eine solche Parallelstruktur nicht nur finanziell an ihre Grenzen. Je mehr die Perspektive von der reinen Frauenförderung hin zum Gender Mainstreaming wechselt, rückt die Versorgung mit frauen- und männerspezifischen Angeboten und geschlechtsspezifischen Freiräumen in gemischt geschlechtlichen Einrichtungen ins Zentrum.

Der Bericht macht deutlich, dass die Landesregierung die geschlechterdifferenzierte Förderung berücksich

(Silke Hinrichsen)

tigt und Anforderungen stellt. Es gibt aber natürlich noch viele Möglichkeiten, das auszubauen.

Dazu gehört die Prävention, weil nicht zuletzt die Ursachen der Erkrankungen einen Bereich darstellen, in denen sich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch sehr deutlich ausprägen.

Nicht zuletzt gehört auch die Hilfe für drogenabhängige Frauen, die wir bereits in Verbindung mit der Anhörung zum Antrag „Neue Wege in der Drogenpolitik“ erörtert haben, dazu. In diesem Bereich müssen wir über die Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam festlegen, welche Schritte erforderlich sind. Der Bericht der Landesregierung verdeutlicht, dass noch viel zu tun bleibt. Was und wie, darüber können wir uns im Ausschuss eingehend unterhalten.

Ich möchte mich ausdrücklich für den Bericht bedanken, insbesondere auch bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe damit die Beratung. Es ist beantragt worden, den Bericht dem Sozialausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Mittagspause.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung: 13:09 bis 15:00 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Nachmittagssitzung ist eröffnet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:

Ländliche Dienstleistungszentren und Markttreffs

Landtagsbeschluss vom 21. Juni 2002 Drucksache 15/1947

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/2076 (neu)

Ich erteile zunächst der Frau Ministerin für ländliche Räume, Landesplanung, Landwirtschaft und Tourismus, Frau Franzen, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Siedlungsstruktur Schleswig-Holsteins ist von einer Vielzahl kleinerer Gemeinden und Städte geprägt. Über 40 % der schleswig-holsteinischen Bevölkerung leben in Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnern, über die Hälfte davon leben in Gemeinden mit bis zu 2.000 Einwohnern. Das sind die Fakten.

Es ist uns, dem Ministerium für ländliche Räume, ein wichtiges Anliegen, die ortsnahe Grundversorgung mit Waren und Dienstleistungen sicherzustellen. Mit dem Programm „Zukunft auf dem Lande“ hat die Landesregierung neue Entwicklungschancen im ländlichen Raum unter Nutzung der hierfür bereitstehenden EU-Mittel eröffnet. Bisher lag das Investitionsvolumen für die geförderten Markttreffs bei 6,68 Millionen €. Fördermittel von EU, Bund und Land von weiteren 3,5 Millionen € können eingesetzt werden. Ich denke, das ist eine gute und wichtige Nachricht für diesen Bereich.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ist die Grundidee des Projektes „Ländliche Dienstleistungszentren“? Bisher haben wir das so genannt. Wir versuchen uns nun marketingmäßig ein bisschen umzugliedern. „Markttreffs“ ist etwas, was die Durchreisenden, die juristischen Bürgerinnen und Bürger mehr ansprechen würde. Bei der Grundidee ging es darum, durch Bündelung von Angeboten in den Bereichen Handel und Gastronomie, kombiniert mit öffentlichen und privaten Dienstleistungen, aber auch durch eine starke sozial-kommunikative Funktion zeitgemäße und wirtschaftlich tragfähige Versorgungsangebote zu entwickeln. Sie kennen die Philosophie der LSE, die dem vorweg geht. Es ist die Philosophie der direkten Bürgerbeteiligung. Das heißt, die jeweiligen LSE-Bereiche, möglichst amtsweit, vielleicht auch Ämter übergreifend, setzen sich zusammen und sagen: Was habe ich noch in meinem ländlichen Raum, was möchte ich haben, was ist uns wichtig? Diese Ideen entstehen also sehr basisorientiert.

Der derzeitige Projektstand ist folgendermaßen: Es gibt 12 Markttreffs oder Dienstleistungszentren, die bereits vollständig oder teilweise eröffnet sind. Neun weitere Standorte befinden sich in der konkreten Projektentwicklung. Wir gehen davon aus, dass bis 2006 insgesamt 50 solcher Zentren geplant werden und existieren.

(Ministerin Ingrid Franzen)

Im August war eine Eröffnung des Standortes Probsteierhagen durch die Ministerpräsidentin geplant. Sie hat wegen der Flutkatastrophe absagen müssen. Trotzdem ist es auch der Ministerpräsidentin wichtig, diesen Bereich zu begleiten. Mein Staatssekretär, Herr Dr. Altmann, hat sie dort vertreten.