Protocol of the Session on October 9, 2002

Was gilt denn nun? Ist der Klärschlamm unbedenklich? Wieso müssen dann weitere Schadstoffeinträge minimiert werden? Und wieso „Schadstoffe“? Um welche Schadstoffe geht es?

(Zuruf von der SPD: Das ist Vorsorge, Frau Kollegin!)

- Ja, vorsorglich.

Laut Klärschlammverordnung von 1992 wird im Klärschlamm nach drei organischen Stoffgruppen und sieben Schwermetallen gesucht. Substanzen, nach denen man nicht sucht, werden natürlich auch nicht gefunden.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Das ist der Grund, warum man in der ehemaligen, fast kläranlagenfreien DDR zur damaligen Zeit in den Seen keine Kolibakterien fand: Es wurde nicht danach gesucht.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist doch prak- tisch!)

In der Beantwortung der Frage 2 klingt immerhin am Rande an, dass Klärschlämme auch Chemikalien mit hormoneller Wirkung enthalten. Es bleiben aber zunehmend kritische organische Schadstoffe wie Arzneimittel, Kosmetika, Rückstände von Wasch- und Reinigungsmitteln, deren Auswirkungen auf die Böden noch ungeklärt sind. Hinzu kommen Fällungs- und Flockungsmittel unterschiedlicher Zusammensetzung, wodurch es zu einem Eintrag von rund 1 Million t Chemikalien in den deutschen Klärschlamm kommt.

Die Frage 11 nach der Rechtfertigung - wir haben das Thema heute schon mehrfach gehört - der Forderung des ökologischen Landbaus, auf die Ausbringung von Klärschlamm zu verzichten, wird nicht beantwortet.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Es reicht nicht, auf EU-Verordnungen zu verweisen.

(Beifall bei der CDU)

Was im Ökolandbau nicht zu gebrauchen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der linken Seite, ist auch in der nachhaltig wirtschaftenden Landwirtschaft nicht zu gebrauchen.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Die Frage 12 ist entsprechend doppelbödig beantwortet beziehungsweise nicht beantwortet.

Wir alle können von Landwirten nicht erwarten, dass sie uns eine Last kostengünstig abnehmen und damit riskieren, dass sie ihre Produkte auf dem Markt nicht mehr los werden und zudem ihr Kapital, den Boden, verspielt haben.

(Beifall bei der CDU)

Solange der Klärschlamm nicht schadlos ist, kann er nicht verwertet werden, so sagt es das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Andere Länder haben auf dieses Risiko für den Boden reagiert: Bayern hat im März 2001 ein Verbot der landwirtschaftlichen Klärschlammverwertung im Bundesrat gefordert. BadenWürttemberg hat im Februar 2002 die thermische Entsorgung von Klärschlämmen flächendeckend beschlossen. Wie eine vom Umweltministerium des Landes NRW in Auftrag gegebene Ökobilanz gezeigt hat, sollte nur noch Klärschlamm mit einem hohen Phosphoranteil und einem nachweislich geringen Schadstoffanteil in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Weil der Klärschlamm aber so nicht beschaffen ist, wird damit indirekt die Empfehlung ausge

(Frauke Tengler)

sprochen, Klärschlamm künftig zu verbrennen. Dieser Entsorgungsweg sei ökologisch eindeutig überlegen.

Die CDU-Landtagsfraktion fordert daher in ihren Leitlinien „Weiterentwicklung statt Wende in der Agrarpolitik“ vom 1. Mai 2001 unter der Überschrift „Verbesserung des Verbraucherschutzes und der Lebensmittelqualität“ - ich zitiere -:

„Klärschlamm und Biokompost dürfen nicht auf landwirtschaftlich genutzte Flächen ausgebracht werden.“

Klärschlämme stellen die Senke der Abwasserentsorgung dar. Im Abwasser sind eine Vielzahl von Schad- und Störstoffen. Die Kläranlagen dienen primär dem Gewässerschutz und versuchen erfolgreich, derartig schädliche Stoffe aus dem abzuleitenden, geklärten Wasser zu entfernen. Diese verbleiben im Klärschlamm und den bringen wir widersinnigerweise auf die Böden aus. Mit uns nicht mehr!

(Beifall bei der CDU)

Ich bin mir bewusst, dass für eine thermische Entsorgung im Augenblick noch Kapazitäten fehlen. Aber überspringen Sie endlich die ideologische Barriere in Ihrem Kopf, was die thermische Behandlung betrifft, und fangen Sie endlich an, etwas zu tun. Das „Seaborne-Verfahren“, das von Ihnen, Herr Kollege Jacobs, gelobt wird - das kann ich nachvollziehen -, ist technisch in Ordnung, aber ökonomisch überhaupt nicht vertretbar. Ich bin mir bewusst, dass die thermische Entsorgung Auswirkungen auf die Abwassergebühr haben wird. Es wird uns alle betreffen, da wir alle an der Produktion von Klärschlamm beteiligt sind.

Ich habe eingangs schon gesagt, dass ich mir klar bin, dass ich auf die Themenblöcke Gülle, Biokompost und Pflanzenöle nicht eingehen kann. Diese Diskussion werden wir vertieft im Ausschuss führen müssen. Ich freue mich auf die Diskussion.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Irene Fröhlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen. Ich fand das jetzt eine überraschende Rede, Frau Tengler, aber ich freue mich.

(Zuruf von der SPD: Das kann man wohl sa- gen!)

Ich danke der Landesregierung für diese ausführliche und interessante Antwort auf die Große Anfrage von Frau Happach-Kasan. Das Problem des Klärschlammes und seiner Nutzung beschäftigt uns schon lange. Eigentlich könnte dies ein wunderbarer Teil eines biologischen Kreislaufes sein, wenn Klärschlämme über die Düngung wieder in die Produktion von Lebensmitteln eingeführt werden könnten. Doch leider ist ja, wie bekannt, die Belastung des Klärschlamms so hoch, dass eine Nutzung oft hoch problematisch ist. So wird in einer 600-seitigen Expertise der nordrhein-westfälischen Umweltministerium Bärbel Höhn folgendes Fazit gezogen: In Zukunft sollten Klärschlämme statt über die Felder - ich zitiere wörtlich - „möglichst über Verbrennungsanlagen entsorgt werden“.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Den Grund formuliert Horst Fehrenbach, Biologe beim Heidelberger ifeu-Institut für Energie- und Umweltforschung und einer der Autoren der Studie, so - das haben auch Sie gerade zitiert -: Als Schadstoffsenke der kommunalen Abwasserreinigung stellt der Klärschlamm ein Sammelbecken für die ganze Vielfalt unseres chemisierten Alltags dar. Das unterscheidet ihn übrigens entscheidend von der Gülle. In der Gülle sind nämlich nicht so viele chemische Rückstände enthalten wie im Klärschlamm.

Bisher rieselt die Brühe des Schreckens just auf jene Felder, auf denen Getreide und Rüben, Mais und Kartoffeln gedeihen. Bevor die Feldfrüchte frisch aus deutschen Landen entweder in den Küchen ahnungsloser Verbraucher oder in den Futtertrögen der Fleischproduzenten landen, hat nicht selten ausgerechnet Klärschlamm ihr Wachstum befördert, ein übel riechender Stoff, der womöglich das Erbgut schädigt, Krebs erregt, die Umwelt attackiert und fast immer unhygienisch ist. Salmonellen, Wurmeier, der für die Gelbsucht ursächliche Hepatitis-A-Virus, das - ich zitiere wiederum wörtlich „gesamte Spektrum von Krankheitserregern menschlicher Herkunft“ könne in Klärschlämmen enthalten sein, warnte bereits vor mehr als zwei Jahren der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Die Krankheitserreger würden bei der Abwasserreinigung in die Klärschlämme überführt und dabei in der Regel aufkonzentriert, schrieben die Ökoweisen damals.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich bitte darum, auf die Rednerin etwas Rücksicht zu nehmen. - Danke.

Dennoch wird die Klärschlammentsorgung auf den Feldern sogar als ökologisch korrekte Verwertung tituliert. Von den knapp 3 Millionen t Trockensubstanz, die jährlich zu entsorgen sind, landen aber nur rund 45 % auf den Feldern. Das wird seine Gründe haben. Während vergleichbare Filterstäube aus Müllverbrennungsanlagen fast wie Atommüll in unterirdischen Salzgesteinen verwahrt werden, dirigieren staatliche Paragraphenwerke die hoch giftigen Überreste des über die Kanalisation entsorgten Abfalls auf die Böden, womöglich sogar ins Grundwasser. Dabei, so sagt Harald Friedrich, Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Umweltministerium, müsste der Klärschlamm eigentlich als Sondermüll deklariert werden, vorausgesetzt, es würde tatsächlich nach den Ingredienzien gefahndet; auch das hat Frau Tengler in ihrer Rede angesprochen. Davon kann jedoch keine Rede sein.

Zwar wird der Klärschlamm mit deutscher Gründlichkeit überwacht und überprüft; die vermeintlich schadlose „ordnungsgemäße“ Klärschlammausbringung wird sogar in einer eigenen Verordnung geregelt, weshalb die in der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall vereinigten Anlagenbetreiber ihren Klärschlamm für das bestkontrollierte Düngemittel - es ist ja witzig, wer manchmal wen zitiert - halten. Gefahndet wird aber nur nach einer kleinen Auswahl der im Klärschlamm lauernden Schadstoffe.

Deshalb bin ich sehr froh - wir können alle froh sein -, dass die Landesregierung in Zusammenarbeit mit der kommunalen Seite und der Landwirtschaftskammer schon sehr früh so genannte Referenzwerte erarbeitet hat und diese zur Anwendung bei der landwirtschaftlichen Klärschlammverwertung empfiehlt.

Diese Referenzwerte schöpfen die gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte - das wurde hier schon gesagt - nur zu 30 bis 50 % aus und schaffen damit zusätzliche Sicherheit.

Erstaunlich ist bei näherer Betrachtung - aus der Antwort auf die Große Anfrage geht das hervor -, dass so viel Klärschlamm aus Schleswig-Holstein exportiert wird und dies auch noch zwischen 80 und 100 € pro Tonne kostet. Das wundert mich. Das ist für mich eine Frage, der ich nachgehen möchte. Wer macht so etwas, wer bezahlt extra so viel Geld? Der Bericht gibt an, das Importland sei Dänemark. Von unseren nördlichen Nachbarn wissen wir ja nun allerdings, die verbrennen so ziemlich alles, was ihnen zwischen die Finger kommt und was sie nicht mehr gebrauchen können; manchmal mit gutem Ergebnis,

manchmal auch für uns als Modell - ich erinnere an die Strohverfeuerungsanlagen -, manchmal auch problematisch, wie ich finde.

Interessant ist die Feststellung in dem Bericht, dass Klärschlamm und Komposte geeignet sind, circa 12 bis 15 % des Phosphatbedarfs in Schleswig-Holstein zu decken. Phosphat ist eine knappe Ressource. Mit Unterstützung des MUNF wurde das „SeaborneVerfahren“ entwickelt, das Klärschlamm in brauchbare und giftige Fraktionen zerlegt. Ich glaube, in die Richtung könnte die Zukunft weisen. Ich werde nachher noch einmal darauf zu sprechen kommen. Ich glaube auch, dass Sie damit Recht haben, Frau Kollegin Tengler.

Dieses Verfahren soll demnächst in der Stadt Plön in einen großtechnischen Versuch münden und ist ökologisch wohl am günstigsten beurteilt. Wir hoffen sehr, dass auch die Bundesregierung dieses Pilotprojekt unterstützen wird. Das ist erst einmal nötig.

Im Bericht wird etwas lapidar erwähnt, dass eine Alternative zur Kompostierung von organischen Abfällen die Nutzung zur Energieerzeugung sei, wobei - wie bekannt - holzige Grünabfälle für die thermische und feuchte Küchenabfälle für die Biogaserzeugung geeignet sind.

Ich will aber jetzt noch einmal, weil wir mitten in der Debatte sind, auf die Klärschlämme zurückkommen und will noch einmal Folgendes sagen. Nach meinem Dafürhalten muss es in die Richtung gehen, dass wir intelligente Konzepte entwickeln. Das „SeaborneVerfahren“ scheint mir in eine Richtung zu weisen, in der wir auch im Interesse der Landwirtschaft, um den Strukturwandel zu schaffen, in eine Veredelung hinein kommen. Was diese Gesellschaft neben Butter und Brot und Fleisch und Käse und Früchten des Feldes wirklich richtig braucht, ist Energie. Auch die Klärschlämme enthalten energetisch nutzbare Fraktionen. Ich glaube, wenn man in ein Verfahren kommt - das dann auch über Pilotanlagen und großtechnische Versuche in eine große Stückzahl -, dann kommt man auch zu Kosten, die vertretbar sind.

Ich sage jetzt noch einmal etwas zur Biomassenutzung, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass kürzlich in Schleswig-Holstein alle drei Minister - Claus Möller, der bis eben noch hier war, Klaus Müller und Ingrid Franzen - auf den europäischen Biomassetagen der Regionen waren. Das, was mich dabei gefreut hat, ist, dass in Schleswig-Holstein bereits eine ganze Anzahl von Biogasanlagen und Holzheizanlagen existieren. Aber ich finde auch, an dieser Stelle ist noch viel zu tun. Da haben wir einen erheblichen

(Irene Fröhlich)

Nachholbedarf. Das haben alle drei Minister auf unterschiedliche Art und Weise deutlich gemacht.

Ich finde es erfreulich, dass der Umweltminister im Herbst/Winter 2002, also noch in diesem Jahr, den Dialog mit den hier relevanten Akteuren aufnehmen wird; denn ich glaube tatsächlich, dass wir mit all diesen Reststoffen - wohl gemerkt: mit den Reststoffen - wirklich mehr tun können, als das in der Vergangenheit geschehen ist. Die Ausbringung auf landwirtschaftliche Flächen ist nur eine Möglichkeit. Ich glaube, dass wir zu anderen Einsatzmöglichkeiten kommen müssen.

Ich finde, dass wir da noch am Anfang sind, aber trotzdem, bei jährlich 27 Milliarden Steuersubventionen für den Agrarbereich fordern die Verbraucherinnen und Verbraucher zu Recht ein Mitbestimmungsrecht über das Wie und Was der landwirtschaftlichen Produktion. Das heißt, heraus aus der Überschussproduktion und hinein in die Qualitätsproduktion. Verbraucherinnen und Verbraucher wollen mit ihren Steuergeldern keine Tierquälerei finanzieren, sondern artgerechte Tierhaltung, keinen Raubbau an Boden und Wasser, sondern den Schutz unserer natürlichen Ressourcen, keine Vernichtung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum, sondern Sicherung von bestehenden und Schaffung neuer Arbeitsplätze.