Protocol of the Session on October 9, 2002

Seit längerer Zeit gibt es auf Landesebene eine Diskussion über die Verbesserung der 1995 eingeführten direkten Demokratie, die allerdings schon seit 1990 in der Verfassung des Landes steht. So groß können also manchmal die Zeiträume sein. Ich finde, es macht auch Sinn, wenn Gesetzgebungsverfahren

nicht immer nur im hopplahopp durchgezogen werden. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass hier Handlungsbedarf besteht. Die rote und die grüne Fraktion haben sich daher hingesetzt und die zahlreichen Vorschläge, die es ja längst in großer Zahl gibt - das ist verdienstvoll -, gründlich ausgewertet.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich für die Stärkung der direkten Demokratie auf allen Ebenen ein - das ist bekannt -, stets unter der Prämisse, dass sie nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zum repräsentativen Parlamentarismus gesehen wird, sodass sie auf diese Weise helfen kann, Demokratie weiterzuentwickeln. Dazu muss das Verfahren allerdings in einer Weise gestaltet sein, die transparent ist, den Initiativen keine unnötigen Schwierigkeiten bereitet und eine breite öffentliche Diskussion ermöglicht. In diesem Sinne möchte ich einige wesentliche, exemplarische Punkte unseres Antrages herausstellen.

Es geht uns darum, die Elemente der Volksgesetzgebung besser mit dem parlamentarischen Verfahren zu verzahnen. Daher soll der Landtag mehr Zeit bekommen, sich mit dem Anliegen einer Volksinitiative auseinander zu setzen. Außerdem soll er dem Gesetzentwurf der Initiative innerhalb von sechs Monaten zustimmen können und so eine Volksabstimmung erübrigen. Diese Möglichkeit gibt es bisher leider nicht. Während des gesamten Verfahrens können die Vertrauensleute Formulierungen ändern, wenn der Kern des Anliegens hierdurch nicht berührt wird. Dies kann sich etwa aufgrund einer Rechtsberatung durch das Innenministerium ergeben, die auch erstmals explizit als Anspruch der Initiativen festgeschrieben werden wird.

Die Debatten um die Einführung der neuen Rechtschreibung an unseren Schulen sind uns allen sicher noch in guter Erinnerung. Als Konsequenz daraus wollen wir endlich eine transparente und sachgerechte Regelung über die Aufhebung von Gesetzen schaffen, die durch Volksabstimmung zustande kamen beziehungsweise geändert wurden. Bisher konnten wir uns dabei nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze stützen, was zwar juristisch einwandfrei war, allerdings auf Unverständnis in weiten Teilen der Bevölkerung gestoßen ist. Wir alle haben das oft genug in Besuchergruppen erlebt. Wir schlagen jetzt eine Regelung vor, die eine so genannte Haltbarkeitsfrist von zwei Jahren vorsieht, in denen eine Änderung nur unter den gleichen Bedingungen wie eine Verfassungsänderung vorgenommen werden kann, nämlich mit einer Zweidrittelmehrheit.

(Vizepräsident Thomas Stritzl übernimmt den Vorsitz)

(Irene Fröhlich)

Übrigens ist das die gleiche Regelung, so meine ich, die wir auch für das Bürgerbegehren und den Bürgerentscheid haben. Insofern verstehe ich da Ihre Kritik nicht.

Die Volksinitiativen der Vergangenheit, insbesondere die evangelische Kirche, haben bemängelt, dass die Beschränkung der Unterschriftensammlung auf amtliche Räume die Initiativen unverhältnismäßig erschwert, gerade im ländlichen Raum. Auch hier wollen wir Abhilfe schaffen.

Eine breite öffentliche Diskussion setzt schließlich auch die sachliche Information voraus. Daher wollen wir eine von den Medien unabhängige Darstellung der Argumente von Volksinitiative und Parlament ermöglichen, wenn es dann tatsächlich zu einer Volksabstimmung kommt.

Sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition, unser Entwurf beinhaltet auch Regelungen, die nur im Wege einer Verfassungsänderung zu erreichen sind; Herr Puls hat darauf hingewiesen und auch Herr Schlie hat das erwähnt. Denn wir gehen von einer konstruktiven, sachorientierten Debatte im weiteren Ausschussverfahren aus. Ich denke, die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass in dieser wichtigen Frage, die auch unser Selbstverständnis als demokratisch gewähltes Parlament betrifft, sachlich entschieden wird. Enttäuschen Sie diese Erwartungen nicht.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag hat jetzt Frau Abgeordnete Silke Hinrichsen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den weniger angenehmen Momenten in diesem Haus gehörte der Ablauf in Verbindung mit der Einführung der neuen Rechtschreibung im September 1999. Damals entschied sich der Landtag für die Einführung der reformierten Schreibweise, obwohl sich die Bürgerinnen und Bürger in einem Volksentscheid dagegen ausgesprochen hatten. Diese Entscheidung dürfte keinem der Abgeordneten leicht gefallen sein. Schließlich wurde nur wenige Jahre nach der Einführung von Volksentscheiden in Schleswig-Holstein der Wille des Volkes vom Parlament willentlich beiseite geschoben. Bei einer Abwägung zwischen Pest und Cholera kamen die Kolleginnen und Kollegen aber zu dem Ergebnis, dass die Zukunftschancen der

Schulkinder schwerer wiegen als die Achtung des Volksentscheides.

Dass dies viele zornig gemacht hat, dass sie sich veräppelt gefühlt haben, ist trotzdem nachvollziehbar. Ich kann aber bis heute verstehen, dass der Landtag nicht anders entscheiden konnte.

Besonders kontrovers wurde diese Entscheidung dadurch, dass es gesetzlich keine Regelungen für einen derartigen Fall gab. Auch der SSW hatte damals betont, dass wir selbst klare Regelungen brauchen, wann der Landtag einen Volksentscheid ändern kann. Deshalb begrüßen wir diese Initiative ausdrücklich.

Allerdings ist auch diese Regelung nicht unproblematisch. Es bleibt nämlich nach wie vor so, dass der Landtag durch eine Zweidrittelmehrheit auch innerhalb von zwei Jahren nach einem Volksentscheid die Entscheidung umwerfen kann. Im Gegensatz zu dem, was die Kollegin Fröhlich gesagt hat, weise ich darauf hin, dass eine Gemeindevertretung diese Möglichkeit nicht hat; bei denen gibt es die Zwei-JahresFrist. Punkt, kein Aber, keine Ausnahme!

Es wird nicht leicht sein zu vermitteln, dass sich die Vertreterinnen und Vertreter des Volkes in einer konkreten Frage über eine Willensbekundung des Volkes hinwegsetzen können. Ein namhafter Zeitungskommentator des Landes hat dies damit verteidigt, dass es in der Regel um komplexe Zusammenhänge geht, in denen nur die Abgeordneten genug Einsicht und Expertenwissen für eine fundierte Entscheidung haben. Dies mag eine zutreffende Begründung sein, aber das Unbehagen bleibt. Letztlich befinden wir uns in einem Dilemma, das sich nicht zufrieden stellend auflösen lässt.

Der Gesetzentwurf enthält aber auch noch weitere Änderungen, die weniger problembehaftet sind. Uneingeschränkt positiv ist, dass die Initiatoren von Volksinitiativen ein Recht auf Beratung durch das Innenministerium bekommen. Erfreulich ist auch der Anspruch auf eine öffentlichkeitswirksame Darstellung der Argumente.

Zu einer direkten Demokratie gehört selbstverständlich, dass die Bürgerinnen und Bürger eine aufgeklärte Entscheidung treffen und nicht nur aus dem Bauch heraus entscheiden. Deshalb müssen sie auch umfassend über das Für und Wider ihrer Wahl informiert werden.

Auch die übrigen Änderungsvorschläge des vorliegenden Gesetzentwurfs können wir unterstützen. Im Ausschuss werden wir zudem die Gelegenheit haben, über weitere Verbesserungen nachzudenken. Zum Beispiel haben wir in Verbindung mit der Gemeinde

(Silke Hinrichsen)

ordnung eine interessante Klausel eingeführt; diese soll ab 1. April 2003 gelten. Während eines laufenden Bürgerentscheids nach der Gemeindeordnung dürfen keine Entscheidungen gefällt werden, die dem Ziel der Bürgerinitiative widersprechen. Ausnahme: wenn gesetzlich vorgeschriebene Handlungen inzwischen vorkommen.

Wir sollten darüber beraten, welche Vor- und Nachteile eine derartige Regelung auch auf der Landesebene hätte.

Insgesamt lässt sich aber schon jetzt Folgendes sagen. Der vorliegende Gesetzentwurf kann einige der schlimmsten Mängel beseitigen, die sich seit Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden offenbart haben. Ob wir damit die ganz großen Probleme lösen können, werden wir sicherlich erst nach den Ausschussberatungen feststellen können.

(Beifall beim SSW, vereinzelt bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort für die Landesregierung hat jetzt Herr Innenminister Buß.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben die ihnen eingeräumten Beteiligungsrechte an politischen Entscheidungen auf Landesebene genutzt. Die bisherigen neun Volksinitiativen, drei Volksbegehren und drei Volksentscheide konnten - von einigen Ausnahmen abgesehen - ohne Probleme durchgeführt werden. Das bisherige Regelwerk, mit dem wir seinerzeit Neuland betreten haben, hat sich nach meiner Auffassung insgesamt bewährt.

Die bisherigen Erfahrungen haben einige Schwachstellen deutlich gemacht. Deswegen ist es richtig und wird es von mir ausdrücklich begrüßt, dass insbesondere das Volksabstimmungsgesetz in einigen wesentlichen Punkten überarbeitet werden soll. Neuregelungen sind geeignet, den Bürgerinnen und Bürgern durch vereinfachte Verfahren den Weg zu einem erfolgreichen Volksbegehren oder einem Volksentscheid zu erleichtern.

Das Angebot an die Vertrauensperson, sich nach § 5 des Volksabstimmungsgesetzes vom Innenministerium beraten zu lassen, vermeidet den von einigen Volksinitiativen befürchteten Nachteil einer aufgezwungenen Beratung oder gar staatlichen Kontrolle,

die zudem noch zu zeitlichen Verzögerungen führen könnte. Damit werden ebenfalls Bedenken, die 1998 gegen einen CDU-Gesetzentwurf geäußert wurden, dass eine Beratung durch den Landtagspräsidenten die spätere Zulässigkeitsentscheidung des Landtages präjudizieren könnte, ausgeräumt.

Ich sage Ihnen: Wir führen diese Beratung ausgesprochen gern durch und bieten sie an, weil uns damit hinterher - aus meiner Sicht - die Arbeit deutlich erleichtert wird.

Einschneidende Veränderungen gegenüber dem bisherigen Verfahren enthalten die §§ 14 ff des Gesetzentwurfs. Durch die Einführung einer landesweiten wohnsitzunabhängigen Eintragung beim Volksbegehren wird das Eintragungsverfahren deutlich erleichtert. Damit sind künftig zum Beispiel Eintragungen von Bürgerinnen und Bürgern aus Umlandgemeinden in der nahe gelegenen größeren Stadt zulässig.

Die konkreten Verfahrensregelungen zur Ausgestaltung des landesweiten Eintragungsrechtes sind gut geeignet, den Aufwand der Gemeinden in angemessenen und verantwortbaren Grenzen zu halten. Einzelne Regelungen allerdings bedürfen aus meiner Sicht einer vertieften Erörterung in den Ausschussberatungen. Dazu gehört zum Beispiel die in § 16 Abs. 3 vorgesehene Zuständigkeit der Kommunen, auf Antrag weitere Eintragungsräume oder andere Örtlichkeiten festzulegen. Bürgerfreundlicher und verfahrensökonomischer wäre es, die Entscheidung den Initiatoren vor Ort selbst zu überlassen.

Auch die Neuregelung des § 21 a ist zu hinterfragen. Landtag und Volksinitiative sollen vor Durchführung eines Volksentscheides die jeweils von ihnen vertretenen Auffassungen gegenüber der Öffentlichkeit darlegen können. Hingegen führten die Beratungen des Sonderausschusses 1989 zum jetzigen Artikel 42 Abs. 3 der Landesverfassung zum Ergebnis, dass der vom Volk initiierte Gesetzentwurf mit Begründung oder die andere Vorlage von der Landesregierung ohne Stellungnahme - ich betone: ohne Stellungnahme! - zu veröffentlichen ist. So steht es ausdrücklich im Verfassungstext. Dadurch soll die Möglichkeit ausgeschlossen werden - so der damalige Sonderausschuss -, über die Form der Veröffentlichung manipulativ Einfluss auf den Inhalt des Gesetzentwurfs oder die Vorlage zu nehmen. Sollten solche Befürchtungen nicht mehr vorhanden sein, wäre zu überlegen, ob eine derartige Regelung nicht besser in Artikel 42 der Landesverfassung normiert werden könnte. Ich denke, darüber sollten wir ganz einfach reden.

(Minister Klaus Buß)

Ich jedenfalls hoffe, die vorgeschlagenen Änderungen werden baldmöglichst Gesetz, und biete ausdrücklich für die kommenden Ausschussberatungen meine Unterstützung an.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 15/2154, zur weiteren Beratung an den zuständigen Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem so zustimmen will, den darf ich um sein Handzeichen bitten. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist vom Haus einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes einer Neuordnung von Gemeindegrenzen im Kreis Ostholstein Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/2169

Ich darf fragen, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. - Das sehe ich nicht. Ich eröffne die Grundsatzberatung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klaus-Peter Puls.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 5. September 2000 haben die Gemeindevertretungen der Kommunen Bannesdorf, Landkirchen, Westfehmarn und Burg mit jeweils großer Mehrheit beschlossen, ihre Gemeinden zum 1. Januar 2003 zu einer neuen Stadt namens Fehmarn zusammenzuschließen. Das ist ein bahnbrechender und richtungweisender Beschluss für alle Kommunen in Schleswig-Holstein.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die SPD-Landtagssfraktion begrüßt, dass es ohne Druck von außen und vor allem von oben gelungen ist, auf freiwilliger Basis

(Beifall)

einen schleswig-holsteinischen Modell- und Musterfall zu schaffen, der alle die Unkenrufe widerlegt, interkommunale Zusammenarbeit der Kreise, Städte und Gemeinden könne nur durch obrigkeitliche

Anordnung des Landesgesetzgebers erreicht werden, nicht aber auf der Basis des kommunalen Selbstverwaltungsrechts in eigenverantwortlicher, freiwilliger und gemeinsamer Verhandlung, Beratung und Beschlussfassung. Herzlichen Glückwunsch, Fehmarn!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Als Landesgesetzgeber schaffen wir nur die formellen Voraussetzungen für den geplanten Start. Damit das Flaggschiff kommunaler Kooperation in SchleswigHolstein, die „Fehmarn“, pünktlich die Maschinen anschmeißen und auf Kurs gehen kann, werden wir innerhalb dieser Woche in erster und zweiter Lesung des Landtages ohne die langwierigen, sonst üblichen und erforderlichen Ausschussanhörungen im Fachausschuss auch in landtagsinterner fraktionsübergreifender Gemeinsamkeit den mithilfe des Innenministers zügig und flott erarbeiteten Gesetzentwurf zügig und flott verabschieden.