Protocol of the Session on September 12, 2002

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nunmehr liegen Angaben zu dem vor, was immer wieder zur Diskussion stand, Höhe der Elternbeiträge, Größe der Gruppen, Anzahl der pädagogischen Konzepte, Öffnungszeiten und so weiter. An dieser Stelle möchten auch wir uns sehr herzlich für die viele Mühe bedanken, die aufgewendet worden ist, um all diese Daten zusammenzutragen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Mir ist bewusst, Frau Moser, dass so etwas natürlich keine jährliche Übung sein kann. Aber ich möchte an dieser Stelle doch einmal etwas zur politischen Wertigkeit von Statistiken sagen. Ich werde jeden Monat sehr genau darüber informiert, wie viel Kühe Schleswig-Holstein hat, was die Ernte gebracht hat, ob wir Schweinepest haben und dergleichen. Aber ich bekomme nur ein- oder zweimal in einer Legislaturperiode so wesentliche Daten wie Zahlen darüber, wie viel Alleinerziehende es gibt, wie es mit der Kinderbetreuung aussieht, wenn denn ausgewählte Daten hierfür überhaupt zur Verfügung stehen und vom Landesamt der Allgemeinheit ohne Aufforderung als öffentliche Drucksache zur Verfügung gestellt werden.

Es ist meiner Ansicht nach richtig und gut, dass sich die Jugendministerien offensichtlich bundesweit darin einig sind, dass wir auch in diesen Fragen Planungs

(Angelika Birk)

sicherheit brauchen. Das heißt, wir brauchen laufend aktuelle Daten, um auch den Bedarf zu erforschen;

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn - darin sind wir uns einig - die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss auch hierzulande selbstverständlich sein. Wir sind auf diesem Gebiet ein gutes Stück vorangekommen. Aber auch wir kommen nicht an der Zahl vorbei, die Frau Bergmann neulich feststellen ließ: 70 % der Mütter in Deutschland sind aufgrund mangelnder öffentlicher Kinderbetreuung an einer befriedigenden Teilhabe am Beruf gehindert. Wenn wir uns vor Augen führen, dass die Zahl der Alleinerziehenden hierzulande eher Richtung 100.000 denn Richtung 10.000 geht - die Zahl liegt bei weit über 80.000 -, dann wird klar, dass allein für diese Gruppe ein großer Bedarf vorhanden ist.

Kommen wir nun zu einzelnen Daten. Ich möchte meine Befriedigung darüber zum Ausdruck bringen, dass wir bei den Drei- bis Sechsjährigen bereits von einer flächendeckenden Versorgung sprechen können. Allerdings ist diese sehr unterschiedlich. Wenn Sie versuchen, in Steinburg einen Ganztagskindergartenplatz zu finden, dann werden Sie große Mühe haben, während das in Neumünster schon eher das Regelangebot ist.

Genauso extrem sieht es aus, wenn es um die Ferien geht. Es gibt Einrichtungen, die sage und schreibe zwölf Wochen Ferien machen. Sie orientieren sich offensichtlich an den Schulferien. Nur in einem Teil der Einrichtungen gibt es eine Art Notprogramm. Interessant ist auch, dass beispielsweise die Diakonie relativ selten, nämlich nur bei 11 % der Gruppenangebote, Ganztagsöffnungszeiten hat, während die Arbeiterwohlfahrt dies für 52 % aller Gruppen anbietet.

Hieran werden - das war mit der bunten Ökowiese angedeutet - unterschiedliche Trägerphilosophien und auch unterschiedliche kommunale Wertigkeiten geografisch abgebildet. So weit, so gut. Wir wären die Letzten, die etwas gegen ökologische Vielfalt hätten. Aber - da wird es Ernst -: Wer bestimmt den Bedarf? Offensichtlich nicht die Mütter und Väter. Denn häufig müssen sie sich mit dem zufrieden geben, was sie vorfinden. Wer einen Krippenplatz in Steinburg anmelden will, kann einen Bedarf gar nicht anmelden. Denn wohin soll er sich wenden, wenn überall gesagt wird: „Kommen Sie in drei Jahren wieder.“?

Hier besteht also ein Missstand. Ich glaube, schon an dieser Stelle ist der Hinweis erlaubt, dass die Aufgabe, den Bedarf vorausschauend und auch dort zu erforschen, wo keine Einrichtungen sind, in den

Kommunen sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Da können wir schon mit Nachdruck sagen: Es handelt sich um eine kommunale Daseinsvorsorge. Deswegen muss der Bedarf erfasst werden.

Erhebliche Unterschiede gibt es auch im Bereich der Elternbeiträge. Insgesamt ist es so, wenn wir allein den Bereich der Kindertagesstätten betrachten, dass es 375 Millionen € sind, die von den Kommunen, Städten, Eltern, Kreisen und freien Trägern anteilig finanziert werden. Der Landeszuschuss für das pädagogische Personal beträgt immerhin 53,2 Millionen €. Diese Zahl ist in den letzten Jahren stetig angestiegen.

Aber als Zweitfinanzier neben der kommunalen Ebene, die natürlich den Löwenanteil trägt, sind immerhin die von den Eltern aufgebrachten Gebühren zu nennen. Das sind durchschnittlich 28 %. Auch hier gibt es riesige Unterschiede. Beim Dänischen Schulverein sind es 13,5 % - da steht natürlich auch der dänische Staat Pate, nicht wahr, Frau Spoorendonk; sonst wäre der Anteil nicht so niedrig - und 36,9 % beträgt dieser Anteil bei dem Spitzenreiter in Lübeck. Wir haben es hier also mit einer großen Spanne zu tun.

Auffallend ist - jetzt komme ich mehr zu den inhaltlichen Konzepten -, dass nur um die 40 % der Einrichtungen angegeben haben, sie hätten ein explizites Konzept, beispielsweise nach der Montessori-Pädagogik oder mit offenen Gruppen. Einige gaben an, sie errichteten einen Waldkindergarten.

Ich gehe einmal davon aus, dass sich mehr Einrichtungen als nur 40 % Gedanken über die konzeptionelle Arbeit machen. Aber sie haben dafür keinen Namen. Insofern begrüße ich es sehr, dass Sie, Frau Moser, gesagt haben, dass die konzeptionelle Formulierung, also das Sichbewusstmachen, nach welchen pädagogischen Philosophien gearbeitet wird, nun von Ihrer Seite vorangetrieben wird und dass Sie hierzu Anregungen geben und Fortbildung ermöglichen.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Damit komme ich zum zweiten Punkt. Das Thema Fortbildung scheint mir zumindest in der Bewusstheit der Träger ein stiefmütterliches Dasein zu führen. Hier handelt es sich nämlich nur um 1 % der Gesamtkosten. 0,65 % der Landeszuschüsse sind explizit für Fortbildung verwandt worden; das erscheint mir zu wenig, gerade angesichts der Tatsache, dass der Bildungsauftrag für Kindertagesstätten nicht erst seit gestern, sondern schon seit Formulierung des Kindertagesstättengesetzes im Mittelpunkt steht. Ich bin sehr froh darüber, dass sich Schleswig-Holstein hier als Pionier betätigt hat und an dem bundesweiten

(Angelika Birk)

Modellversuch teilgenommen hat. Jetzt geht es darum, in die Fläche zu gehen.

Ebenso ist es aus unserer Sicht zu begrüßen, dass gerade Grundschule und Kindertagesstätte mehr als bisher systematisch zusammenarbeiten sollen. Es ist auch daran gedacht, vor Schuleintritt, und zwar früher als bisher, die Schuleingangsuntersuchung bei allen Kindern durchzuführen, um herauszufinden, welche Kinder einen besonderen Förderbedarf haben. Sie sollen wenigstens in der letzten Zeit vor ihrem Schuleintritt pädagogische Förderung bekommen.

Das sind wichtige Konsequenzen, die man aus den Daten ziehen kann.

Ein zweites wichtiges Thema ist die Schulkinderbetreuung. Zwar bieten etwa 50 % aller Grundschulen Betreuungsmaßnahmen - meist über die Elternvereine - organisiert an, aber damit werden zumindest nach diesen Daten, die sich natürlich laufend aktualisieren, nur gut 10 % aller Schulkinder tatsächlich mit einem Angebot versehen. Ich finde es daher wirklich mehr als an der Zeit, dass man in Schleswig-Holstein, nachdem es Hamburg schon in den 90er-Jahren getan hat, mit der vollen Halbtagsschule beginnt. Das hat unsere volle Unterstützung. Denn damit gibt es endlich eine Grundlage für eine gute Konzeptionisierung des pädagogischen Vormittags und für eine verlässliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf wenigstens für eine Teilzeitbeschäftigung. Es sollte zwar mehr sein, aber wir müssen uns zunächst einmal mit einem flächendeckenden Angebot im Halbtagsbereich begnügen. Es wäre aber zu begrüßen, wenn wir darüber hinaus an einzelnen Schwerpunkten zu Ganztagsangeboten in der Schule kommen.

Am allerschwierigsten ist die Lage bei den Krippen, Frau Moser. Natürlich weiß ich, wie teuer Krippenplätze sind. Trotzdem kann es nicht sein, dass die Chance selbst in den kreisfreien Städten SchleswigHolsteins überall schlechter ist als im Bundesdurchschnitt. Ich will jetzt nicht von Berliner und Hamburger Verhältnissen reden. In den Metropolen ist das Krippenangebot natürlich sehr viel breiter, wenn dort auch noch viel zu knapp. Aber wir sollten uns hier landesweit langsam auf den Bundesdurchschnitt von 4,5 % zubewegen. Das ist ein Ziel, das man in den nächsten Jahren anstreben sollte. Das heißt natürlich, dass mit den Kommunen geredet werden muss, damit sie den Bedarf erfassen.

Wir haben mit dem neuen Kindertagesstättengesetz die Chance, die Finanzierung gerechter zu machen. Wir möchten nach den Aussagen, die uns aufgrund der Daten vorliegen, schon so viel dazu mitteilen: Wir glauben, dass eine Pro-Kind-Finanzierung, also eine

finanzielle Grundlage, die für jedes Kind von einem landesweit gleichen Geldbetrag als Landeszuschuss ausgeht, ein Schritt zu mehr Transparenz und Gerechtigkeit ist. Wir sehen aber, dass die vielen kleinen Einrichtungen, die nicht größer als eine Kindergruppe sind, darunter leiden würden. Wir glauben, dass man hier zu Sockelfinanzierungen kommen muss. Ebenso muss man sich andere Verzerrungen, die aufgrund dieser Datenlage entstehen, sehr genau klarmachen, damit man zu einer sachgerechten Entscheidung kommt.

Wir sind jedenfalls sehr froh, dass erstmals auch Zahlen von Migrantenkindern vorliegen, und sehen uns darin bestätigt, dass es richtig ist, dass die Landesregierung ihre Anstrengungen auch hierauf konzentriert. Diese Anstrengungen zur Sprachförderung sollten natürlich nicht nur den Migrantenkindern, aber eben auch diesen Kindern gelten.

Meine Redezeit ist nun um. Ich sage aber noch dies: Details der Anfrage werden wir sicher im Ausschuss noch debattieren. Ich danke an dieser Stelle, dass wir endlich eine sachliche Grundlage hinsichtlich der Kosten, der Inhalte, der Öffnungszeiten und der Angebotsstruktur für das ganze Land haben, und hoffe, dass es uns auf dieser Grundlage gelingt, die Interessenkonflikte der verschiedenen, an den Angeboten für Kinderbetreuung Beteiligten in ein gutes Verhältnis zu überführen und zu einer sachgerechten Lösung auf der Grundlage eines neuen Kindertagesstättengesetzes und in einer neuen vollen Halbtagsschule zu gelangen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Jetzt hat Herr Abgeordneter Geerdts das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage „Kinderbetreuung in Schleswig-Holstein“ ist umfangreich und liefert für die dringend notwendige Debatte über eine Fortentwicklung der Arbeit in unseren Kindertagesstätten eine gute Basis. Daher gilt zunächst einmal unser Dank den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium, aber auch bei den Trägern und allen Einrichtungen.

(Beifall)

In unserer Gesellschaft hat sich seit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindertagesstättenplatz und dem Bestehen des Kindertagesstättengeset

(Torsten Geerdts)

zes ein deutlicher Wandel vollzogen. Daher ist es an der Zeit zu fragen, ob die Angebote für Kinder und Eltern noch bedarfsgerecht sind. Außerdem benötigen wir eine ernsthafte Diskussion über den Bildungsauftrag von Kindertagesstätten, gerade nach der Veröffentlichung der PISA-Studie.

Wir brauchen einen Gleichklang zwischen der Achtung und Förderung von Kindern mit dem Recht der Eltern, Familienarbeit und Berufstätigkeit miteinander vereinbaren zu können. Auch darüber diskutieren wir, wenn es um die Fortentwicklung von Kindertagesstätten geht.

Es ist gut zu wissen, in welchem Umfang wir in Schleswig-Holstein Kindertagesstättenplätze, Tagespflegestellen, Plätze in Spielstuben und Hausangebote insgesamt zur Verfügung stellen. Die CDU-Fraktion will die Vielfalt an Betreuungsangeboten erhalten. Genauso wollen wir weiterhin eine Vielfalt in der Trägerlandschaft gesichert sehen.

(Beifall bei der CDU)

Dabei haben für uns die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege und privaten Elterninitiativen Vorrang vor staatlichen Angeboten.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir müssen in der Politik alles unterlassen, was die Angebotsvielfalt und die Trägervielfalt gefährden könnte. Eltern werden sich in Zukunft noch viel stärker für Angebote entscheiden, die es ihnen ermöglicht, ihre Familienarbeit, für die sie sich entschieden haben, mit der kontinuierlichen Arbeit im erlernten Beruf zu vereinbaren.

Ein Bruch in der Erwerbsbiographie von bis zu drei Jahren bedeutet bei der rasanten Entwicklung der Arbeitsplätze und dem schnellen Wandel der Berufsbilder ein hohes Risiko, den beruflichen Anschluss zu verlieren. Diese Tatsache bedeutet am Ende auch ein soziales Risiko. Zu weit über 90 % handelt es sich hier übrigens um ein berufliches und soziales Risiko der Frauen in Deutschland.

Aufgrund der Einkommensverhältnisse wird der größte Teil der Erziehungsleistung von Frauen geleistet. Ihre Leistung für die Gesellschaft wird in Deutschland vollkommen unzureichend bewertet.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein besseres und auf die Arbeitswelt abgestimmtes Betreuungsangebot ist daher besonders für die Arbeitnehmerinnen von größter Bedeutung. Noch dramatischer stellt sich die Situation von Alleinerziehenden dar. Da geht es nämlich gar nicht mehr um die

Frage, wer die Hauptlast der Erziehungsarbeit leistet. Da geht es viel häufiger um die Frage: Wie vereinbare ich Erziehungsarbeit und Beruf und schaffe für Frau und Kind einen Lebensunterhalt oberhalb des Sozialhilfeniveaus?

(Thorsten Geißler [CDU]: Genau!)

Wir haben - das geht aus der Antwort auf die Große Anfrage auch hervor - große Probleme bei der Versorgung der unter Dreijährigen. Hier möchte ich nicht nur über Krippenplätze reden, sondern auch über Tagespflegeplätze, die nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)