Protocol of the Session on May 17, 2002

Wir sind auch der Auffassung: Die Agenda 21 ist ausgesprochen wichtig, sollte auf allen Ebenen erfolgen. Aber das muss nicht in der Weise geschehen, wie die Landesregierung das macht. Deswegen waren wir

mit der Förderung, wie sie vorher durch die Ministerpräsidentin erfolgt ist, zufriedener als mit der Förderung, die jetzt durch das Umweltministerium vorgenommen wird.

(Beifall bei FDP und CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir treten in die Beschlussfassung ein. Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung federführend dem Umweltausschuss und mitberatend dem Bildungsausschuss zu überweisen. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Dann ist das vom Haus einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Bericht der Landesregierung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Barcelona am 15./16. März 2002

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/1856

Ich sehe, das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich möchte darauf hinweisen, dass mit dem Antrag der Fraktion der CDU ein Bericht in dieser Tagung beantragt worden ist. Ich darf deshalb zur Berichterstattung für die Landesregierung der Frau Ministerpräsidentin Simonis das Wort erteilen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein zentrales Thema das Europäischen Rates von Barcelona war, die in Lissabon 2001 verabschiedete Strategie zu überprüfen. „Wie weit ist die Union auf ihrem Weg gekommen, Europa bis 2010 zu einem der wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsräume weltweit zu machen?“, war eine der Grundlagen.

Neben dieser Bestandsaufnahme ging es in Barcelona auch darum, neue Impulse zu setzen. Die Diskussion folgte drei zentralen Linien: Erstens. Solide öffentliche Finanzen sind für die künftige Entwicklung Europas unverzichtbar. Zweitens. Es muss gelingen, das Wirtschaftswachstum innerhalb der Mitgliedstaaten wiederzubeleben. Drittens. Innerhalb der Gemeinschaft müssen dringend Strukturreformen vollzogen werden, einmal, um die Union auch nach der Osterweiterung funktionsfähig zu halten, zum anderen, um Transparenz und Legitimität gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern zu stärken.

Um die langfristige Strategie von Lissabon voranzutreiben, wurde verabredet, erstens die wirtschaftspoli

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

tische Abstimmung zwischen den Staaten der Union zu verstärken, zweitens die nachhaltige Entwicklung stärker zu berücksichtigen, drittens günstigere Rahmenbedingungen für Unternehmergeist und Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen und viertens die sozialen Systeme zu stärken und so das erfolgreiche europäische Sozialmodell den künftigen Herausforderungen anzupassen.

Das sind sehr allgemeine Grundsätze. Es wird in den nächsten Jahren darauf ankommen, wie sie konkretisiert werden.

Dennoch sind die Empfehlungen aus Sicht der Landesregierung in drei Kernbereichen besonders wichtig. In den Vorschlägen einer aktiven Beschäftigungspolitik wird erstmals in dieser Klarheit die besondere Rolle der Sozialpartner für die zukünftige Entwicklung hervorgehoben. Gleichzeitig sprechen sich die Mitgliedstaaten für eine verstärkte Förderung der Beschäftigung in der EU aus. Einen Schwerpunkt soll dabei die gegenseitige Anerkennung beruflicher Qualifikationen und die Unterstützung grenzüberschreitender Mobilität bilden, zum Beispiel durch die Ausweitung der Übertragbarkeit von sozialen Schutzansprüchen.

Im Zusammenhang mit der Förderung der wirtschaftlichen Verflechtung bekräftigt der Europäische Rat das Ziel eines integrierten und effizienten europäischen Kapitalmarktes. Besonders hervorzuheben ist, dass ein besonderer Abschnitt zur Bedeutung der Daseinsvorsorge bei der Integration der europäischen Energie-, Verkehrs- und Kommunikationsnetze aufgenommen worden ist. Dies gestattet den Mitgliedstaaten, die aus ihrer Sicht für die Ausgestaltung notwendigen Allgemeinwohlverpflichtungen zu definieren.

Unter dem Aspekt der wissensbasierten Wirtschaft werden die Qualität der Bildung und die Bedeutung des lebenslangen Lernens thematisiert. Gefordert werden verstärkte Anstrengungen im Bereich der Forschung. Dazu fordert der Rat, die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung zu erhöhen. Zielvorgabe bis 2010 ist ein Niveau von nahezu 3 % des Bruttoinlandprodukts. Daran soll sich die Privatwirtschaft zu zwei Dritteln beteiligen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei dieser Aufzählung müssen wir klar unterscheiden: Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Barcelona enthalten Arbeitsaufträge an den Rat und die Kommission. Unmittelbare Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten sind zunächst nicht gegeben. So wird zum Beispiel für die Verbesserung des Versorgungsangebots für Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter zutreffend formuliert, dass die Mitgliedstaaten bestrebt sein sollten, die vorgeschlagenen Verbesserungen bis 2010 zu erreichen. Das deckt sich

in weiten Teilen mit den Zielen auf Länderebene. Eine Verpflichtung für die Länder ergibt sich daraus jedoch nicht.

In diesem Sinne hat der Beschluss des Bundesrates vom 1. März, an dem die Landesregierung mitgewirkt hat, das bereits in Lissabon gesetzte strategische Ziel unterstützt. Gleichzeitig hat er jedoch die Bundesregierung aufgefordert, konkreten Zielvorgaben in bestimmten Bereichen entgegenzuwirken. Das hat mit unserer Überzeugung zu tun, dass solche Regelungen den Mitgliedstaaten überlassen werden sollten. Solche Dinge müssen nicht in Brüssel geregelt werden. „Best practice“ bringt hier nichts als Uniformität und soll jeweils passend angeboten werden.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Generell sind wir als Land auf einem guten Weg, um die vom Rat in Barcelona formulierten Perspektiven zu erreichen. Dafür nutzen wir vor allem die Fördermittel der EU, die wir im Rahmen von „ziel§, also Zukunft im eigenen Land, eng mit den Förderprogrammen des Landes gekoppelt haben. Wir erhalten von 2000 bis 2006 allein aus den Töpfen der Union insgesamt rund 258,3 Millionen €, aus denen wir eine Reihe von Maßnahmen finanzieren, die die Ziele von Barcelona flankieren. Allein für die Förderung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen setzen wir im Zeitraum von 2000 bis 2006 etwa 36,6 Millionen € aus dem Europäischen Sozialfonds im Rahmen des Programms ASH 2000 ein, und zwar landesweit.

Aber auch außerhalb der EU-Förderung stehen wir im deutschen und im europäischen Vergleich nicht schlecht da. Um bei den genannten Beispielen, zum Beispiel der Versorgung mit Kindergartenplätzen, zu bleiben: Schleswig-Holstein hat seit 1988 den Bau von 37.000 Plätzen in Kindertageseinrichtungen gefördert, sodass der Rechtsanspruch für die Drei- bis Sechsjährigen zu 90 % erfüllt werden kann. Damit liegt das Land im Vergleich der alten Bundesländer im guten Mittelfeld.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man die Festlegungen von Lissabon und Barcelona miteinander vergleicht, fällt eine Veränderung auf: Erklärte Lissabon ein Gleichgewicht von Wirtschafts-, Sozialund Beschäftigungspolitik, so steht Barcelona eindeutig unter dem Primat der Wirtschaftspolitik.

Für die Landesregierung ist jedoch entscheidend, das Gleichgewicht im Gesamtprozess wiederherzustellen; denn der Erhalt oder eine behutsame Anpassung des europäischen Gesellschaftsmodells an eine veränderte Situation ist für die weitere Entwicklung der

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

Gemeinschaft unverzichtbar. Wirtschaftswachstum löst nicht alle Probleme.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es muss sichergestellt werden, dass alle Bürgerinnen und Bürger im gleichen Maße davon profitieren. Auch diejenigen müssen ihren Platz in der Gesellschaft finden, die nicht über ihre volle Arbeitskraft verfügen oder sich in einer sozialen Notlage befinden. Gerade ihnen müssen wir Angebote machen, die ihre Rolle als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger garantiert. Auch das gehört zu einer tragfähigen europäischen Gesellschaft.

Aus Sicht der Landesregierung muss deshalb bei allen weiteren Schritten beachtet werden, dass das in Lissabon zu Recht in den Vordergrund gestellte Gleichgewicht zwischen Wirtschafts-, Sozial- und Beschäftigungspolitik erhalten bleibt und ausgebaut wird.

Insgesamt gesehen ordnet sich der Europäische Rat von Barcelona als Arbeitssitzung ohne spektakuläre Ergebnisse in die Reihe der europäischen Gipfeltreffen ein. Das kann man als normal ansehen. Für die Entwicklung der Gemeinschaft sind nicht die spektakulären Ereignisse, sondern Solidität und Kontinuität der Schlüssel des Erfolgs. Sie haben die europäische Situation unumkehrbar zu machen, zu sichern und in der jeweiligen Tagespolitik der Mitgliedstaaten zu verankern.

Es kommt jetzt darauf an, dass die vereinbarten Ziele umgesetzt werden und die Europäische Union auf diesem Weg zügig voranschreitet, aber auch Rücksicht nimmt auf die Fähigkeit der Länder und Mitgliedstaaten, beim vorgegebenen Tempo mitzuhalten. Wir werden uns bemühen, das Vereinbarte Schritt für Schritt auch in unserer Alltagspolitik umzusetzen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort für die antragstellende CDU-Fraktion erhält jetzt der Herr Abgeordnete Peter Lehnert.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Rat von Laeken hat einen Konvent installiert mit der Aufgabe, einen Vorschlag für eine bessere Verteilung der Aufgaben zwischen Union, Mitgliedstaaten sowie Regionen vorzulegen. Dabei hat der Vertreter des Deutschen Bundesrates, Ministerpräsident Teufel, sehr nachdenkenswerte Eckpunkte genannt; sie orientieren

sich an den Grundsätzen von Subsidiarität und kommunaler Selbstverwaltung.

Es handelt sich dabei erstens um die Erfassung der heutigen Aufgabenverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten, zweitens um die nötige Veränderung dieser Aufgabenverteilung, drittens um den Vorschlag eines dualen Gesamtkataloges und viertens um den Schutz der neuen Aufgabenverteilung durch ein neu einzurichtendes Kompetenzgremium.

Andererseits gibt es wichtige Aufgaben, die stärker als bisher durch europäische Gremien wahrgenommen werden sollten. Entscheidend ist dabei die Frage, auf welcher Ebene die jeweilige Aufgabe am effektivsten bewältigt werden kann. So müssen die Kompetenzen von Europol deutlich erweitert werden, um das internationale Verbrechen erfolgreicher bekämpfen zu können.

(Beifall bei CDU und SPD)

Gerade die organisierte Kriminalität verfügt nicht nur über eine ausgeklügelte Logistik und die modernste Technologie, sondern ist auch in ihren Strukturen globalisiert. Die bisherigen staatlichen Fähigkeiten, darauf angemessen zu reagieren, werden durch föderalistische Kompetenzbeharrung negativ beeinträchtigt. Hier müssen klare Kompetenzen zugewiesen werden und die entsprechende Ausstattung auf europäischer Ebene muss zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall bei der CDU)

In der Außen- und Sicherheitspolitik kann es eine vernehmbare und nachvollziehbare europäische Position nur geben, wenn die Nationalstaaten bereit sind, geschlossen aufzutreten. Darunter ist nicht nur der Bereich der Diplomatie, sondern sind auch militärische Einsatzmöglichkeiten zu verstehen. Innerhalb der NATO-Strukturen müssen die europäischen Staaten über eigene Fähigkeiten sowie Personal und Material verfügen, um eigenständig Aufträge wahrnehmen zu können.

(Beifall bei der CDU)

Beim Gipfel von Barcelona zeigten sich hingegen Tendenzen in die falsche Richtung. Wieder einmal versuchten die nationalen Regierungschefs, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu verständigen. Klare Zielvorgaben wurden ausgerechnet in Bereichen gesetzt, die sich eigentlich dem Regelungszugriff der Union entziehen sollten.

Dabei handelt es sich vor allen Dingen um die Schaffung von Betreuungsangeboten für Kinder - Frau Ministerpräsidentin Simonis hat das bereits erwähnt -, allerdings auch um die Ausstattung der Schulen mit Computern und Internetanschlüssen. Bis zum Jahre

(Peter Lehnert)

2003 soll für je 15 Schüler ein Computer mit Internetanschluss vorhanden sein. Wie das finanziert werden soll, lässt der Rat allerdings offen.

Als drittes Beispiel sei die Anhebung des Rentenalters um fünf Jahre bis zum Jahre 2010 genannt.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe keine Bedenken gegenüber diesen Ziele, aber die Entscheidung darüber, ob und wann entsprechende Schritte eingeleitet werden, liegt in der Verantwortung der Staaten und vor allem der Regionen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Praxis nach Abschluss des Konvents möglichst schnell durch eine mehrschichtige Kompetenzabgrenzung abgelöst wird. Dabei soll jede Ebene innerhalb der demokratischen Strukturen Europas die Aufgaben übernehmen, die dort am nachhaltigsten umgesetzt werden können.

(Beifall bei der CDU)