Protocol of the Session on May 16, 2002

Meine Damen und Herren, in dem Bericht werden die vielfältigen Aktivitäten der Landesregierung zur Förderung der Toleranz sowie der repressiven und präventiven Bekämpfung von Gewalt dargestellt. Beispielhaft weise ich auf das gesellschaftliche Bündnis gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sowie auf die Maßnahmen zur konsequenten Strafverfolgung hin.

Außerdem sind hervorzuheben die Programme zur Gewaltprävention an Schulen, Prävention im Team PiT I und II -, die bereits in der Grundschule zu Wertediskussionen anregen sollen und die, Frau Kollegin, ja in der Schule mit großem Erfolg praktiziert werden.

Neben PiT ist ein Konzept zur Bekämpfung von Kinder- und Jugenddelinquenz erarbeitet worden. Da die Problematik auffälliger Jugendlicher nicht nur auf die Schule bezogen ist, wurde ein Konzept zur Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule erstellt.

Aktuell untersucht eine Arbeitsgruppe die Möglichkeiten zur Prävention von Gewalt und Sucht im kommunalen Raum. Der Landesrat für Kriminalitätsverhütung plant die Erarbeitung des Themas Schulabzentismus, weil auch im Umfeld dieses Bereichs mögliche Ursachen zu erhöhter Gewaltbereitschaft eine wesentliche Rolle spielen.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des tragischen Ereignisses in Erfurt wird deutlich, alle Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft sind dazu aufgerufen, ihre Aktivitäten so auszurichten, dass die möglichen Ursachen von Gewalt reduziert werden und so ein wirksamer Beitrag zur Prävention geleistet wird. Dabei ist Aktionismus Fehl am Platz. Vielmehr muss es darum gehen, gefährdete Jugendliche und Heranwachsende

(Minister Klaus Buß)

dauerhaft aus ihrer Ausgrenzung herauszuholen und ihnen Perspektiven zu geben.

Die Fähigkeit zur gewaltfreien Konfliktlösung muss vermittelt werden. Das Recht auf körperliche und auch seelische Unversehrtheit ist dabei Richtschnur unseres Handelns.

Neben den vielfältigen Anstrengungen der Ressorts durch die vorliegenden Programme und Konzepte wird die Landesregierung auch künftig neue Möglichkeiten zur Gewaltprävention initiieren, begleiten und unterstützen; denn die Landesregierung sieht unabhängig von der jeweils aktuellen Medienberichterstattung in der Bekämpfung von Gewalt eine ihrer wichtigsten Aufgaben und das sehe ich persönlich in ganz besonderem Maße so.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Geißler.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Extremismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und jeglicher Form von Gewalt muss weiterhin mit allen rechtsstaatlichen Mitteln entgegengetreten werden.

(Beifall des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Wer die Würde anderer Menschen missachtet, wer Menschen bedroht, einschüchtert, angreift oder gar tötet, stellt sich außerhalb der Werte des Grundgesetzes. Auf solches Handeln werden Staat und Gesellschaft schnell, unmissverständlich und eindeutig reagieren.

Dies ist der Kerngedanke, der vor zwei Jahren am 28. September beschlossenen und von allen Fraktionen des Landtages getragenen Resolution gegen Rechtsextremismus und für ein tolerantes Schleswig-Holstein. Es stellt einen Handlungsauftrag an alle da, die in diesem Land politische Verantwortung tragen, und ist zugleich eine Ermahnung zur Zivilcourage an alle Bürgerinnen und Bürger.

Der Bericht der Landesregierung stellt die Aktivitäten beziehungsweise Projekte gegen Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Gewalt, Rassenhass oder Extremismus dar, die von der Regierung oder mit finanzieller Förderung durch das Land von anderen Organisationen und Institutionen durchgeführt werden.

Es ist ein breites Spektrum; es umfasst justizielle Reaktionsmöglichkeiten ebenso wie Maßnahmen der politischen Jugendbildung, Vorhaben zur Abwehr von Gewaltorientierung, Förderung der interkulturellen Bildung, Veranstaltungen der Volkshochschulen - um das nur beispielhaft aufzuzählen.

Es engagieren sich Vereine und Verbände, Kirchen und soziale Gruppierungen. Es mangelt nicht an Ansätzen der unterschiedlichsten Art. Dieses Engagement verdient Anerkennung, Respekt und Würdigung.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Der Bericht hat aber auch ein Manko. Leider wird an kaum einer Stelle aufgezeigt, wie viele Menschen denn von den einzelnen Projekten und Maßnahmen erreicht wurden.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: So ist es!)

Fast durchweg fehlen konkrete Angaben zu den eingesetzten Mitteln, zu messbaren Erfolgen oder auch zu Misserfolgen. Natürlich verkenne ich nicht, dass es extremistischen Gruppierungen, gleich welcher Art, nicht gelungen ist, in breite Bevölkerungsschichten einzudringen. Die Menschen in unserem Land werden sich auch zu Recht vor einem pauschalen Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit verwahren. Es herrscht kein solches Klima in diesem Land. Die Mehrzahl ist tolerant und ausländerfreundlich.

(Beifall bei CDU, SPD und SSW)

Ich verweise aber auf den Verfassungsschutzbericht des Innenministers für das Jahr 2001, der in dieser Landtagstagung ebenfalls behandelt wird. Darin heißt es:

„Die Gesamtzahl der Angehörigen der rechtsextremistischen Szene ist konstant geblieben, rund 1.450. Das Spektrum hat sich aber weiter zu den Kräften hin verschoben, die grundsätzlich politische Gewalt akzeptieren. Im Einzelnen: Die Anzahl der Gewaltbereiten, insbesondere der rechtextremistischen Skinheads - also überwiegend jugendlicher Neonazis - hat sich von 300 im Jahr 1999 auf 470 im Jahre 2001 erhöht.“

Niemand, der sich im schulischen oder außerschulischen Bereich gegen Rechtsextremismus engagiert, soll durch die Nennung dieser Fakten entmutigt oder demotiviert werden. Vielleicht ist durch viele Projekte Schlimmeres verhindert worden. Diese Angaben zeigen aber auch deutlich, Herr Innenminister: Einen durchschlagenden Erfolg bei der Bekämpfung gewaltbereiter Rechtextremisten hat es in Schleswig-Holstein bisher leider nicht gegeben. Die Landesregierung

(Thorsten Geißler)

ist daher aufgefordert, ihre Bemühungen zu intensiveren und fortzusetzen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir müssen uns mit den Ursachen von Extremismus beschäftigen. Bezüglich des Kapitels Rechtsextremismus verweist die Forschung seit Jahren darauf, dass individuelle und gesamtgesellschaftliche Ursachen des Rechtsextremismus einen einheitlichen Wirkungszusammenhang bilden, wie er in zahlreichen Studien dargestellt wird. Wenn rascher sozialer Wandel und technologische Modernisierung mit anhaltend hoher Arbeitslosigkeit einhergehen, sind diejenigen für rechtsextremistische Parolen empfänglich, die fürchten, bei diesem Transformationsprozess zu den Verlierern zu gehören. Wenn in der schulischen und außerschulischen Bildung nicht konsequent Werte vorgelebt und vermittelt werden, entsteht ein Vakuum, das von Rechtsextremisten gern gefüllt wird. Nicht einzelne Modellprojekte helfen insofern weiter. Vielmehr müssen wir versuchen, darüber einen Konsens unter allen demokratischen Kräften zu erzielen. Ich hoffe, dass die neuerliche Aufgeschlossenheit, auch gerade der politischen Linken, gegenüber den jahrelangen Forderungen meiner Partei nach einer stärkeren Werteorientierung in der Bildung nicht nur vorübergehender Natur sein wird.

(Beifall bei der CDU)

Ein Letztes! In mehreren westeuropäischen Ländern haben rechtspopulistische Parteien in der jüngeren Vergangenheit spektakuläre Erfolge erzielt. Die Ursachen dafür mögen unterschiedlich sein. Dennoch dürfte feststehen: Wenn die öffentliche Erörterung bestimmter Themen, die die Bevölkerung bewegen, von den Protagonisten der Political Correctness unterbunden und nicht von den demokratischen Parteien geführt wird, dann nutzen rechtspopulistische Parteien dies aus und schlagen daraus Kapital. Das müssen Sie erkennen!

(Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Daher hat die Resolution des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 28. September 2000 weiterhin Gültigkeit; sie muss weiterhin mit Leben erfüllt werden. Das ist der Handlungsauftrag an die Landesregierung, aber auch an alle anderen, die Verantwortung tragen. Das ist ein Handlungsauftrag an alle gesellschaftlichen Kräfte.

(Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ich möchte jetzt zunächst auf der Tribüne die neuen Besucher begrüßen. Ich begrüße die Besuchergruppe der Waffentauchergruppe Eckernförde, des SSW KielHoltenau auf der Tribüne und in der Loge die SPDOrtsvereinsmitglieder aus dem Wahlkreis RendsburgOst.

(Beifall)

Jetzt erteile ich dem Herrn Abgeordneten Rother das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Bericht über die Aktivitäten zur Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit und des Rechtsextremismus hat die Landesregierung eine Vorlage erarbeitet, die in wirklich hervorragender Weise wiedergibt, welche Maßnahmen eingeleitet wurden. Wir erhalten einen wirklich guten Überblick über Art, Ziel, Erfolg und Zukunft der Maßnahmen. Die Aufgabe ist richtigerweise als Querschnittsaufgabe begriffen worden. Es sind nämlich sechs von neun Ressorts mit dem Thema befasst. Der Maßnahmenbogen - der Innenminister hat es beschrieben - reicht von Information, Beratung, Prävention über konsequente Strafverfolgung bis hin zu Perspektiven für Täter und mögliche Täter auch nach der Strafverbüßung. Es gibt kein Gewurschtele gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, sondern eine ausgefeilte Strategie, die mit einzelnen Maßnahmen praktisch umgesetzt wird und ihre Fortsetzung findet.

Auch der ergänzende Charakter der Maßnahmen wird durch den Bericht deutlich. Projekte werden vergleichbar, vor allem mit denen anderer Bundesländer. Insofern ist der Bericht - das hat Herr Geißler angesprochen - eine kluge Ergänzung zum Präventionsbericht, den wir vor ein paar Wochen beraten haben. Die im Bericht geschilderten Aktivitäten sind somit gleichzeitig Grundlage und Ergänzung der Maßnahmen, die von vielen Organisationen und Initiativen in großer Anzahl und Vielfalt im ganzen Land durchgeführt werden. Der Landesrat für Kriminalitätsverhütung beispielsweise hat einen hervorragenden Leitfaden gegen Rechts herausgegeben, der kommunale Aktionen und Initiativen gegen Rechtsextremismus beschreibt.

Auch wenn es um das Thema Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in den Medien ja etwas ruhiger geworden ist, so besteht immer noch kein Grund für eine Entwarnung. Im Verfassungsschutzbericht - das ist schon vorgetragen worden - ist angegeben, dass die Zahl der auffälligen Rechtsextremisten in SchleswigHolstein mit 1.450 vergleichsweise stabil ist. Positiv

(Thomas Rother)

kann man vielleicht aber auch sagen, dass die Zahl stagniert, denn schließlich sind es in der letzten Zeit auch nicht mehr geworden. Allerdings ist die Zahl der Gewaltbereiten stetig gestiegen und liegt jetzt bei 470; während es 1999 nur 300 waren. Die Zahl der Gewalttaten selbst wird auf einer neuen statischen Grundlage ermittelt und ist somit gegenwärtig nur bedingt aussagekräftig. Der Rückgang der Straftaten mit politischem Hintergrund - wenn man die Jahre 2000 auf 2001 betrachtet, ist das bundesweit rund ein Drittel - weist jedoch auf einen positiven Trend hin, der sicherlich auch durch die Maßnahmen aller Institutionen gegen extremistische Gewalt und Fremdenfeindlichkeit begründet ist.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es bleibt allerdings immer noch Besorgnis erregend, dass in den ersten drei Monaten dieses Jahres 127 Fälle antisemitischer Übergriffe und Hetze in Deutschland zu zählen waren. Das sind genau 127 zu viel. Es gibt also auch gegenwärtig wenig Grund zur Gelassenheit bei dieser Frage. Ich denke, nicht umsonst warnten Tony Blair und Gerhard Schröder gerade in diesen Tagen vor einem Rechtsruck in Europa. Die beiden haben bei ihren Treffen sicherlich eine Menge wichtiger Themen zu beraten. Das Thema Rechtsextremismus haben sie aber - man muss sich nur einmal die Wahlergebnisse in Europa, gerade jetzt in Holland, anschauen - nicht ohne Anlass gewählt. Gerhard Schröder selbst hat vorgestern noch einmal nachgelegt. Ich sehe allerdings abweichend von Schröder die Verantwortung für die Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht nur bei den Liberalen und Konservativen, sondern natürlich auch bei den Linken und den Grünen. Ich denke, an diesem Punkt greift seine Aussage etwas zu kurz.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lothar Hay [SPD]: Ja! Sehr wahr!)

Denn alle Parlamentarier stehen in einer besonderen Verantwortung, Themen wie Globalisierung, Zuwanderung, europäische Integration oder Kriminalitätsbekämpfung nicht klein zu reden, sondern glaubhafte politische Konzepte dazu vorzulegen. Dabei darf man nicht bei der „alten“ oder „neuen“ Rechten abschreiben und mit solchen Positionen kokettieren. Das ist - insofern hat Schröder wieder Recht - genauso wenig hinzunehmen wie politische Substanzlosigkeit, die den Gag in den Vordergrund stellt und über mangelnde Inhalte hinwegtäuscht. Wenn man das macht, darf man sich auch nicht wundern, dass die Rechtsextremisten Zulauf haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Nach der Niederlage der Schill-Partei in SachsenAnhalt sollten wir nicht zu sicher sein, dass der Rechtspopulismus schon wieder am Ende ist und als Betriebsunfall abzutun ist. Denn die Zahl von 10 bis 15 % an Menschen mit rechtsextremem Weltbild wird in der Forschung weiter genannt. Es käme einer Kapitulation der demokratischen, solidarischen und weltoffenen Gesellschaft gleich, sich mit dieser Situation abzufinden.

Einen Beitrag dazu, etwas zu verändern, leistet der vorliegende Bericht, der hoffentlich viele Leserinnen und Leser außerhalb dieses Parlaments findet. Er ist ein guter Ratgeber für alle, die handeln wollen und dabei nach Anregungen suchen. Herr Geißler, es ist natürlich immer eine hervorragende Sache, wenn die Opposition Vorschläge unterbreitet. Die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit gehört ja zum Themenbereich der inneren Sicherheit. Wenn Sie das zu seinem Schwerpunkt machen, dann sind wir für jede Anregung dankbar.

Ich beantrage, den Bericht an die den berichtenden Ministerien zugeordneten Ausschüssen zur abschließenden Beratung zu überweisen. Das ist notwendig, um die Erfolgskontrolle, die Evaluation der einzelnen Maßnahmen zu betreiben. Denn es soll sichergestellt werden, dass die vorhandenen Mittel auch wirksam eingesetzt werden. Da gebe ich Herrn Geißler Recht. Über Details können wir dann in den Ausschussberatungen sprechen.