Protocol of the Session on May 16, 2002

Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen allen einen schönen guten Morgen. Wir fahren in der Beratung fort. Ich darf bekannt geben, dass nach Mitteilung der Fraktionen der Abgeordnete Günther Hildebrand erkrankt ist. Wir wünschen ihm gute Besserung.

(Beifall)

Die Abgeordnete Ulrike Rodust ist beurlaubt und wegen dienstlicher Verpflichtungen auf Bundesebene ist der Minister für Umwelt, Herr Müller, entschuldigt.

(Martin Kayenburg [CDU]: Und wo ist die Regierung im Übrigen? An Bildung nicht in- teressiert! - Unruhe)

Ich darf noch Gäste auf der Tribüne begrüßen: Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler des Ernst-Barlach-Gymnasiums aus Kiel und der JensJessen-Skole aus Flensburg. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung des Universitätsklinikums SchleswigHolstein und zur Änderung des Hochschulgesetzes

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 15/1839

Ich erteile zunächst zur Begründung der Frau Bildungsministerin Erdsiek-Rave für die Landesregierung das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung legt Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und zur Änderung des Hochschulgesetzes vor. Es geht bei diesem Gesetzesvorhaben einerseits um die Umsetzung der Neuordnung der rechtlichen Stellung der Chefärztinnen und Chefärzte durch privatrechtliche Verträge, worauf sich alle Bundesländer 1999 im Rahmen der Kultusministerkonferenz geeinigt haben. Zum anderen - und darum soll es heute vorrangig gehen - geht es um die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Fusion der beiden Universitätsklinika in Kiel und Lübeck, damit das neue Universitätsklinikum zum 1. Januar 2003 seinen Betrieb aufnehmen kann.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Diese Fusion, dieser Prozess wird begleitet von einer Lenkungsgruppe, von einer wissenschaftlichen Kommission und von einer Unternehmensberatung. Sie begleiten diesen Prozess, sorgen für eine umfassende Beteiligung und bringen die Fusion praktisch auf den Weg.

Wir bringen den Gesetzentwurf ein, weil wir die Hochschulmedizin in Schleswig-Holstein für die Zukunft sichern und aktiv gestalten wollen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es wäre unverantwortlich, nach dem Motto „Augen zu und durch“ einfach in der bisherigen Form weiterzumachen. Das würde nämlich nicht nur die Fortsetzung der jährlichen Zuschüsse von 140 Millionen € pro Jahr bedeuten, sondern auch den berechtigten Wunsch der Kliniken nach einer erheblichen Steigerung der Landeszuschüsse provozieren. Noch mehr Mittel aufzubringen können wir aber weder verantworten noch praktisch gewährleisten.

Die Zusammenführung der Universitätsklinika ist demnach ein sowohl sachlich als auch haushälterisch notwendiger Schritt, zu dem es nach Ansicht aller Experten keine Alternative gibt. Wir gestalten den Prozess so, dass er für alle Beteiligten tragbar ist, insbesondere für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Einrichtungen.

(Beifall des Abgeordneten Andreas Beran [SPD])

Das Konzept der Verselbstständigung der Universitätsklinika in Lübeck und Kiel zeigt bereits den erhofften Erfolg: Trotz schwieriger Rahmenbedingungen haben die Kliniken ihren Auftrag mit ausgeglichenen Ergebnissen erfüllt. Angesichts der zukünftigen Herausforderungen reicht diese erfolgreiche Verselbstständigung allerdings nicht aus, um in Zukunft auch auf Erfolgskurs zu bleiben, das heißt, bei finanzierbaren Zuschüssen auch in Zukunft exzellente Forschung und Lehre, medizinischen Fortschritt, hoch qualifizierte Ausbildung und - ich betone besonders - optimale Krankenversorgung zu leisten.

Denn die zentrale Ausgangslage, zentrale Parameter werden sich ändern beziehungsweise haben sich bereits verändert. Ich muss darauf noch einmal verweisen, weil dies insbesondere der CDU-Opposition in ihren Stellungnahmen offenbar nicht bewusst ist oder sie dies bewusst ausblendet und offenbar der Ansicht ist, diese Risiken könnten durch ständig steigende Landeszuschüsse ausgeglichen werden. Ich will die Risiken kurz beschreiben.

Die Abrechnung nach Fallpauschalen - ich habe dies hier schon vor einem Jahr dargestellt - ist inzwischen Gesetz geworden. Die so genannten DRGs, die ab 2004 verbindlich werden, führen voraussichtlich zu einer Reduktion der Einnahmen. Die Ausgabensteigerungen durch Tariferhöhungen und die Stagnation der Einnahmen durch gedeckelte Kassenbudgets werden zu einer weiteren erheblichen Deckungslücke führen.

Gleichzeitig erhöhen sich die Erwartungen an die Medizin, an neue, an anspruchsvolle Behandlungsmethoden allein aufgrund der demografischen Entwicklung. Völlig neue Forschungsrichtungen - dies ist kein Risiko, sondern eigentlich eine höchst erfreuliche Entwicklung in der Medizin - und die Entwicklung neuer Diagnoseformen, neuer Therapieformen verlangen erhebliche Investitionen, zum Beispiel in der Stammzellenforschung.

Dies sind nur wenige Beispiele für Risikoentwicklungen, die sich abzeichnen oder bereits in Kraft sind. Ausgaben und Erwartungen steigen also, während die Einnahmen günstigstenfalls gleich bleiben. Die daraus entstehende Deckungslücke ist mit Mitteln des Landeshaushalts nicht auszugleichen. Ich wiederhole: Sie ist mit Mitteln aus dem Landeshaushalt mit Sicherheit nicht auszugleichen. Das ist keine Frage des Willens einer Landesregierung oder eine Frage der programmatischen Akzentsetzung, das ist eine Frage der haushälterischen und politischen Vernunft.

Experten bestätigen uns, dass die Fusion der Kliniken der einzig richtige Weg ist, um Ausgaben zu reduzieren und zu vermeiden. Übrigens können Sie, wenn Sie einmal über die Landesgrenzen hinaus in andere Bundesländer schauen, ähnliche Entwicklungen und Überlegungen überall beobachten.

(Zuruf von der CDU: Überlegungen!)

- Nein, zum Teil auch ganz konkrete Pläne, Herr Abgeordneter. Es gibt eine bundesweite hohe Aufmerksamkeit für das, was sich hier in Schleswig-Holstein tut, wie intensiv dies begleitet wird, was die wissenschaftlichen Kommissionen dazu sagen, was der Wissenschaftsrat dazu sagt. Es ist ja kein Vabanquespiel, was wir hier machen, sondern ein sehr abgesichertes Verfahren.

Drohenden Defiziten - ich zitiere aus dem Vorgutachten von Roland Berger muss durch grundsätzliche Weichenstellungen begegnet werden. Das heißt, wir müssen dort sparen, wo Ressourcen möglicherweise parallel investiert werden, und die entsprechenden Strukturen dafür entwickeln. Einsparpotenziale gibt es auf der Ebene der logistischen Strukturen und in den Verwaltungen, aber natürlich auch in der Forschung.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Es ist in jedem Fall sinnvoller, in ein Spezialistenteam an einem Standort zu investieren und bestimmte Profile nur an einem Standort zu etablieren, statt an beiden Kliniken jeweils ein Generalistenteam vorzuhalten. Das Gebot der nächsten Jahre heißt Kooperation, heißt Schwerpunktsetzung, heißt Profilschärfung.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nur ein geeintes, ein straff organisiertes Universitätsklinikum Schleswig-Holstein kann den zukünftigen Herausforderungen gerecht werden.

Die Landesregierung hat sich auf folgende Eckpunkte verständigt: auf den Erhalt beider Medizinischer Fakultäten, auf die Sicherung beider Standorte des Universitätsklinikums und auf den Erhalt krisenfester Arbeitsplätze. Das künftige Klinikum soll schlagkräftig organisiert sein, es braucht einen kleinen entscheidungsfähigen Vorstand sowie einen profilierten und handlungsfähigen Aufsichtsrat. Dies sind zwei sehr wichtige Parameter, die ich Ihnen für die Ausschussberatung ganz besonders ans Herz legen möchte. Das haben uns sowohl die Wissenschaftliche Kommission als auch die Unternehmensberatung empfohlen. Wir haben ein umfangreiches Anhörungsverfahren durchgeführt, und die Ziele des Gesetzentwurfes haben breite Zustimmung gefunden. Sowohl der Medizinausschuss des Wissenschaftsrates als auch das Bundesministerium stehen dem Vorhaben positiv gegenüber. Dies ist besonders wichtig für die zukünftige Förderungsfähigkeit nach dem Hochschulbaugesetz.

Wir wissen uns damit auf einem richtigen und auch auf einem soliden Weg, und wir sehen das Ziel klar vor Augen. Von einem Experiment mit ungewissem Ausgang, Herr Dr. Klug, kann nicht die Rede sein. Der Prozess der Fusion kann allerdings nur gelingen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beider Kliniken. Deswegen tragen wir dafür Sorge, dass die Personalvertretungen und die Beschäftigten jederzeit über den Stand der einzelnen Fusionsschritte informiert werden und ihre Vorstellungen einbringen können. Selbstverständlich - ich sage das hier noch einmal in aller Deutlichkeit - nehmen wir die Sorgen der Beschäftigten ernst. Ich betone deshalb hier auch noch einmal dem Parlament gegenüber: Aus Anlass der Fusion wird es keine Entlassungen geben. Nicht ausschließen können wir natürlich Änderungskündigungen, Umsetzungen, die in einem kooperativen Dialog zu bewältigen sein werden.

Mit der Schaffung eines gemeinsamen Ausschusses beider Fakultäten betreten wir wirklich Neuland. Ich habe hohes Zutrauen in die beteiligten Universitäten, und ich erwarte, dass die Abstimmungsprozesse zwischen ihnen zügig vorangehen. Unser Part wird es

sein, die Strukturen und die Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Detailvorschläge kommen aus den beiden Fakultäten. Ergänzend erwarten wir zum Ende des laufenden Jahres die Vorschläge der Hochschulkommission unter der Leitung von Professor Erich Hoppe.

In der öffentlichen Diskussion spielen derzeit drei Fragen eine ganz besondere Rolle, und darauf will ich nun in aller Kürze eingehen: Erstens die Frage des Standortes des Klinikums. Die Antwort darauf, die die Landesregierung gibt, kennen Sie: Wir wollen beide Standorte in Lübeck und in Kiel erhalten und profilieren. Es gibt jedenfalls innerhalb der Landesregierung keine Überlegungen, dies zu ändern. Was den Verwaltungssitz angeht, so wird der Aufsichtsrat die Entscheidung nach Sachgesichtspunkten treffen, und zwar dann, wenn das Gesamtpaket der Schwerpunkte feststeht und auch stimmig ist. Diese Herangehensweise ist plausibel und wir werden davon auch nicht abrücken.

Zweitens die Frage des Erhalts der beiden Medizinischen Fakultäten. Ich stelle noch einmal fest, die Landesregierung ist davon überzeugt, dass beide Fakultäten erhalten werden können. Voraussetzung ist natürlich die Bereitschaft zur Zusammenarbeit über die Universitätsgrenzen hinweg.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe - ich sage es noch einmal - hohes Vertrauen in die Fakultäten, dass dies geleistet werden kann, aber eines muss klar sein, nicht nur für die Hochschulen, sondern auch für uns, es geht um die Stärkung der Forschung und Lehre in Schleswig-Holstein und nicht in Kiel oder in Lübeck.

Drittens die Frage nach den prognostizierten Defiziten und nach den Fusionsgewinnen. Bereits das Vorgutachten von Roland Berger hat einen erheblichen Handlungsbedarf aufgezeigt, der nicht bloß auf Kürzungen der Landeszuschüsse beruht, Herr de Jager. Die künftigen finanziellen Risiken für die Kliniken habe ich in der Sache bereits beschrieben. Roland Berger hat, falls wir keine strukturellen Maßnahmen ergreifen und nur den Status quo fortschreiben, aktuell ein kumulierendes Defizit bis zu einer jährlichen Summe von 40 bis 50 Millionen €, fortgeschrieben bis zum Jahre 2007, errechnet. Demgegenüber stellt er ein Synergiepotenzial dar, das ebenso kumulierend auf 20 Millionen € geschätzt wird. Ich weise wegen der Brisanz dieser Zahlen mit Nachdruck darauf hin, diese Zahlenwerke sind Prognosen, sie beruhen auf bestimmten Annahmen, was etwa Tarifentwicklungen, was Kassenbudgetentwicklungen oder die Wirkung von Fallpauschalen angeht, die niemand wirklich genau abschätzen kann. Sie berücksichtigen auch nicht,

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

dass bestimmte Sparmaßnahmen schon eingeleitet worden sind. Sie müssen daher im Positiven wie im Negativen mit der gebotenen Vorsicht betrachtet werden. Aber um etwa diese Größenordnung wird es sich handeln. Die Hochschulmedizin in Schleswig-Holstein wird also kostengünstiger werden müssen. Daran führt kein Weg vorbei. Das kann nur unter dem Dach eines großen schlagkräftigen Klinikums geschehen.

Ich bitte Sie im Interesse des notwendigen Fusionsprozesses nicht nur um Ihre Unterstützung, sondern auch um die gebotene Sachlichkeit in den Aussagen. Ich glaube, das sind wir insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schuldig. Es gibt keine Alternative, und diese Fusion wird umso zügiger vorankommen, je mehr sich die Beteiligten der Sache widmen können, also die Notwendigkeit und die gestalterische Chance anerkennen, anstatt sich von Befürchtungen beunruhigen zu lassen.

Die Zusammenführung ist ein ehrgeiziges, es ist auch ein wirklich schwieriges Projekt, das wir, denke ich, dennoch konstruktiv und kooperativ bewältigen können. Es geht schließlich um die Zukunftsfähigkeit von Stellen für mehr als 10.000 Beschäftigte in SchleswigHolstein, um eine Krankenversorgung auf hohem und höchstem Niveau, um den Erhalt des hohen Leistungsstandards und um die Exzellenz in der Forschung, und es geht nicht zuletzt auch um eine wettbewerbsfähige Lehre und das Studium für über 3.000 Studentinnen und Studenten. Diese Zukunft lassen Sie uns in der gebotenen Sachlichkeit gemeinsam gestalten. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Lassen Sie mich kurz zwei geschäftsleitende Bemerkungen machen. Das, was wir hier teilweise als Geräuschentwicklung hören, ist nicht vermeidbar. Es ist angewiesen worden, es auf das absolut notwendige Maß zu beschränken und nach Möglichkeit zu vermeiden.

Das Zweite. Nach unserer Geschäftsordnung ist es so, wenn die Landesregierung die ihr zugebilligte Redezeit überschreitet, was ihr zusteht, haben die Fraktionen die Hälfte der überschrittenen Zeit zur Verfügung. Das ist in diesem Fall eine Minute.

(Heiterkeit)

Ich eröffne jetzt die Grundsatzaussprache. Das Wort für die Fraktion der CDU hat der Herr Abgeordnete Jost de Jager.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Erdsiek-Rave, wir gehen davon aus, dass das ganze Kabinett hinter Ihrem Gesetzentwurf steht, sie wollten es heute nur nicht so zeigen, und deswegen ist die Regierungsbank so leer. Wir wünschen Ihnen wirklich, dass Sie nicht nur die Unterstützung von Frau Simonis und Frau Franzen auf dem Weg haben, der vor Ihnen liegt.

(Heiterkeit und Beifall bei CDU und FDP)